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Updated: 18.12.2012 15:51
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Vorläufige Bilanz der Streikwoche und nächste Mobilisierungstermine

Weitgehend erfolgreich, so kann eine erste Einschätzung zur Bilanz der zurückliegenden Streikwoche in Frankreich lauten. Das gilt vor allem für den Ausstand der LehrerInnen am gestrigen Donnerstag (der zeitgleich zur Arbeitsniederlegung in anderen öffentlichen Diensten), und auch für jenen bei der französischen Eisenbahn am Mittwoch.

Am Ende dieser "bewegten sozialen Woche" (so die Wirtschaftszeitung "La Tribune" vom Montag) stehen auch bereits neue Mobilisierungstermine fest.

Durchwachsene Bilanz bei der Post

Geringer blieb der Streikerfolg bei La Poste am Dienstag dieser Woche. Die Beteiligung an der Arbeitsniederlegung betrug landesweit rund 15 Prozent, berücksichtig man alle Kategorien der Postbeschäftigten. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass von derzeit knapp 320.000 Postbediensteten aktuell noch 200.000 verbeamtet sind, während rund 100.000 bereits nach diversen privatwirtschaftlichen Verträgen (vom unbefristeten Arbeitsvertrag bis zur Zeitarbeit) beschäftigt sind. Der Streikaufruf richtete sich nur an Erstere, da die privatrechtlich Beschäftigten ein weitaus höheres Arbeitsplatzrisiko aufweisen und da die lohnbezogenen Forderungen imöffentlichen Dienst nur die verbeamteten PostlerInnen betreffen. Ein weiterer Erklärungsgrund liefert die vorausgehende Erfahrung von Arbeitsniederlegungen in der Post- und Telekom-Branche (die bis 1990 ein einziges öffentliches Unternehmen bildete), die in den vergangenen Jahren"umsonst" waren und mit Niederlagen endeten. So konnte die 1995/96 starke Mobilisierung bei der französischen Telekom die 1997 unter der sozialdemokratischen Jospin-Regierung erfolgte Privatisierung nicht verhindern. Auch die Arbeitsniederlegungen bei der Post im Mai und Juni 2003, im Zuge der allgemeinen Mobilisierung gegen die "Rentenreform", wirkten eher demobilisierend. Aufgrund der damaligen Streiktaktik der CGT (nach dem Stop-and-Go-Prinzip: ein Aktionstag alle sieben Tage, dazwischen wird gearbeitet), die die Anfang Mai 03 vorhandene spontane Dynamik abwürgte und für faktische Wirkungslosigkeit sorgte, hat für Zerrissenheit und Frustration des Personals gesorgt. Sogar engagierte linke Gewerkschafter sah man damals am Arbeiten statt am Streiken, weil sie sich nicht für folgenlose "Aktionstage" verheizen lassen wollten. Daher muss die subjektive Kampffähigkeit bei der Post erst wieder aufgebaut werden.

Eine beeindruckende und medienträchtige "Nadelstichaktion" unternahmen Aktivisten der linken Postgewerkschaft SUD PTT, die das Domizil des neuen Chefs der rechten Einheitspartei UMP, Nicolas Sarkozy, im Pariser Nobelvorort Neuilly-sur-Seine mit Postsäcken bewarfen. Dazu hatten sie eine Polizeisperre durchbrechen müssen. Diese Aktion, an der auch der 30jährige ehemalige Präsidentschaftskandidat der undogmatischen Trotzkisten Olivier Besancenot - selbst Brieftträger - teilnahm (was zusätzliche Aufmerksamkeit der Medien sicherte), dürfte mehr als eine Postlerin amüsiert haben. Das "Gesetz zur Regulierung der Postaktivitäten", das am Dienstag zur Debatte in die französische Nationalversammlung kam, wurde - wie erwartet - am Donnerstag dort in erster Lesung angenommen.

Es sieht namentlich die Herauslösung der Postbank aus dem öffentlichen Dienstleister (und damit, so wird befürchtet, auch aus seiner Sozialbindung) vor. Ferner soll eine"Regulierungsbehörde" gebildet werden, die künftig als eine Art Schiedsrichter zwischen dem öffentlichen Dienstleister La Poste und privaten Anbietern fungieren soll. Ab dem 1. Januar 2009 werden alle Postaktivitäten für die freie Konkurrenz geöffnet.

Bahn und öffentliche Dienste: Stärkere Dynamik, neue Termine

Bei der französischen Bahngesellschaft fiel die Mobilisierung ähnlich wie durch die Gewerkschaften erwartet aus. Anlass für die Arbeitsniederlegung war eine Sitzung des Verwaltungsrats der SNCF am Mittwoch, bei der das Jahresbudget für 2005 der Bahngesellschaft angenommen wurde. Dieses beinhaltet den Abbau von 3.590 Arbeitsplätzen laut der Direktion, 3.990 laut Gewerkschaften. Seit September 2002 werden damit bis zum Ende dieses Jahres insgesamt 12.000 Stellen bei der Bahn, und namentlich im Gütertransportbereich, abgebaut sein. Geht man bis 1995 zurück, werden es bereits 15.000 verlorene Arbeitsplätze sein. (Zwischenzeitlich, in den Jahren 1997/99, hatte es unter der sozialdemokratischen Regierung und einem KP-Transportminister ein kurzzeitiges "Beschäftigungshoch" gegeben mit 2.500 Einstellungen.)

Den Vorhersagen weitgehend entsprechend waren die Ausfälle von Zugverbindungen. Drei Viertel der Fernzüge und zwei Drittel der TGV-Hochgeschwindigkeitszüge fielen aus. Die privilegierten Fernverbindungen nach London (Eurostar) und, mit Abstrichen, Brüssel/Köln (Thalys) dagegen waren kaum beeinträchtigt. Im Raum Paris verkehrten zwischen 16 und 40 Prozent der Regionalzüge. Eine Überraschungsoperation von Mitgliedern der linken Bahngewerkschaft SUD Rail (SUD Schienenverkehr) verhinderte zeitweise die Abfahrt der Regional-Schnellbahn RER B, welche die Nord-Süd-Achse quer durch Paris bedient. Insgesamt dürften rund 30 Prozent der Bahnbeschäftigten aller Kategorien (von der Lokführerin bis zum Schalterbeamten) teilgenommen haben, was den Vorhersagen entspricht. In der bürgerlichen Presse, namentlich der konservativen Tageszeitung "Le Figaro" (Titel vom Mittwoch: "Wo bleibt der Service minimum?") und seitens des Arbeitgeberverbands MEDEF setzte um die Wochenmitte eine neue Kampagne ein, um die Regierung unter Druck zu setzen, per Gesetz einen obligatorischen Notdienst (Service minimum) einzuführen. Dieses heiße Eisen hat die Regierung bisher nicht mit beiden Händen angefasst, da es sich um eine sehr konfliktträchtige Materie handelt. Aber am 28. Oktober 2004 war bei der SNCF ein Abkommen zwischen der Direktion und den meisten Gewerkschaften (ohne SUD und FO) vereinbart worden, das einen"Vorwarnmechanismus" vor dem Ausbruch eines Streiks vorsieht. Wie sich am Mittwoch zeigte, kann er größere Ausstände nicht verhindern. Allerdings hat sich die Vorab-Information der Reisewilligen verbessert, was an sich eher einen Vorteil im Sinne der Vermittlungsfähigkeit des Streiks darstellt.

Weitere Konsequenzen aus dem Abkommen müssen jedoch abgewartet werden. Der "Figaro"seinerseits schäumt bereits, es sei gescheitert.

Am Donnerstag dann demonstrierten in Paris rund 50.000 (Polizei: 20.000) Menschen, im übrigen Frankreich nach gewerkschaftlichen Angaben 300.000 (und laut Polizeizahlen 180.000) öffentlich Bedienstete. Den Schwerpunkt bildeten dabei die LehrerInnen der öffentlichen Schulen, an denen die Streikbeteiligung frankreichweit relativ stattliche 40 Prozent (in Paris 60 Prozent) erreichte. Die Pariser Demonstration bestand rund zur Hälfte aus LehrerInnen, die meist in Einheits-Demoblöcken ihrer Schulen (und nicht hinter den Organistionsfahnen ihrer Gewerkschaften her) liefen wie im Streikfrühjahr 2003. Die anderen 50 Prozent der Demo (mit den übrigen Kategorien des öffentlichen Dienstes) waren nach Organisationszugehörigkeit aufgestellt, den absoluten Löwenanteil daran stellte die CGT. Neben denöffentlichen Schulen erreichten auch die Finanzdienstleistungen eine recht hohe Streikbeteiligung: Bercy (das französische Finanzministerium) meldete eine Teilnahme von 45 Prozent, in den Finanzämtern erreichte die Streikbeteiligung nach gewerkschaftlichen Angaben bis zu 80 Prozent. Am Abend des Donnerstag nahm eine Vollversammlung von StreikaktivistInnen unter den LehrerInnen im Pariser Gewerkschaftshaus, an der 170 Personen teilnahmen, den prinzipiellen Beschluss zu einer neuen Mobilisierung an. Ein erneuter Streik an den öffentlichen Schulen soll am 1. oder 3. Februar stattfinden. Denn kurz danach kommt das "Orientierungsgesetz für das Schulwesen" des derzeitigen Bildungsministers François Fillon in die Nationalversammlung, dann stehen jedoch die 14tägigen Winterferien (die in verschiedenen Teilen Frankreichs, abgestuft, zwischen dem 5. Februar und - zuletzt in Paris - am 19. Februar beginnen) an. Daher soll noch vor der Ferienperiode erneut mobilisiert werden, damit die Regierung nicht erneut eine Ferienperiode zu ihren Gunsten ausnutzen kann. In Paris, wo die Ferien zuletzt beginnen, soll zudem am 15. Februar eine Demo angesetzt werden.

Insgesamt lässt sich sagen, dass es nicht ganz zutreffend war (wie mein Beitrag im Labournet vom 19. Februar andeutungsweise erkennen ließ), vorwiegend den Gewerkschaftsapparaten die "Schuld" dafür zu geben, dass in dieser Woche drei getrennte, aber sich ergänzende Aktionstage stattfanden. Es gab auch objektive Anlässe an jedem dieser Tage: Am Dienstag den Beginn der Beratungen über das Postgesetz, am Mittwoch die Annahme des Haushalts für die Bahngesellschaft - und im Bildungswesen ist der Mittwoch (in Frankreich ein unterrichtsfreier Tag) eben kein geeigneter Streiktag. Richtig jedoch bleibt, dass die Apparate kein gesteigertes Interesse am Zustandekommen einer Sektoren übergreifenden, "unkontrollierbaren" Dynamik haben. Die kann nur von der Basis her zustanden kommen. Diese Woche zeigt einen erneuten Anstieg der allgemeinen Kampfbereitschaft nach der schweren Niederlage zur Renten"reform" im Frühsommer 2003 und nach der nachfolgenden, depressiven Phase.

Bernhard Schmid (Paris)


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