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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Das Salz unserer Arbeit ist die gegenseitige Unterstützung Interview mit Natalia Menghini über »baladre« und die »renta básica« Aus Anlass der Gründung des deutschen »Netzwerkes Grundeinkommen« am 9. Juli in Berlin hielt sich Natalia Menghini von der landesweiten spanischen »Koordination gegen Arbeitslosigkeit, Armut, Ausgrenzung, Prekarisierung und für das Recht auf Existenzgeld« (Baladre) in Berlin auf. Anne Allex fragte sie nach der Arbeit von Baladre und ihren Gründen für die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen in Spanien. Kannst Du uns etwas zu Deiner Person sagen und zu dem, was Du derzeit tust? NM: Ich komme aus Andalusien, einer Region im Süden Spaniens, und lebe in Màlaga. Zur Zeit bin ich arbeitslos, oder besser gesagt ohne bezahlte Beschäftigung. Denn ich mache mit bei »Baladre«. Wir arbeiten u.a. in unserem Wohnviertel »Palma Palmilla«. Dieses Viertel ist geprägt von sozialer Ausgrenzung, die Leute dort leben in unsicheren Verhältnissen und unter prekären Wohnbedingungen. In dem Viertel leben viele Einwanderer, Leute aus dem subsaharischen Afrika, aus Lateinamerika, aus Nordafrika, aus Osteuropa... Die Menschen dort können nicht wählen, weder in Spanien noch in Europa. Sie haben weder Arbeit, noch haben sie sonstige Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. In diesem Umfeld engagieren wir uns zum Beispiel in dem Nachbarschaftsverein »Los Paraos« (eine Wortschöpfung aus »die Arbeitslosen« und »für Euch«; d.Ü.). Wir sind alles Frauen. Wir versuchen auch, die Leute des Viertels zur Mitarbeit anzuregen, Missstände öffentlich anzuprangern usw. Wie würdest Du die Arbeitsmarkt- und die Armutssituation in Spanien beschreiben? NM: Die Arbeitslosenzahlen sind nicht eindeutig, und die Zahlen zur Armut sind das noch viel weniger. Das liegt erstens daran, dass viele Leute ohne Arbeit überhaupt nicht registriert sind, und zweitens an dem Aufschwung der ETTs (empresas de trabajo temporal), der Zeitarbeitsfirmen. Dadurch gibt es viele Leute, die heute zwar arbeiten, aber morgen schon wieder ohne Beschäftigung sind – bis sie dann wieder eine befristete Beschäftigung finden. Diese Arbeitsverhältnisse zeichnen sich u.a. dadurch aus, dass die Beschäftigten oft nur sogenannte »Abfall«-Verträge (sprich: sie sind der letzte Dreck; d.Ü.) erhalten, in denen das Doppelte des auf dem Vertrag Vereinbarten gearbeitet, aber nur die Hälfte an Sozialversicherungsabgaben gezahlt wird. Das bringt natürlich später dann Nachteile bei der Berechnung staatlicher Leistungen, wie z.B. Sozialleistungen. Das Gehalt ist sehr niedrig, denn es wird noch ein Teil abgezogen für Krankenkasse, Rente usw., und dann geht noch ein anderer Teil an die Zeitarbeitsfirma, die Dich angestellt hat. Die Arbeitslosen bzw. Zeitarbeiter sind somit am stärksten der Ausgrenzung und Stigmatisierung ausgesetzt; Arbeit ist keinerlei Garantie mehr in einer Gesellschaft, die zugleich immer mehr und mehr fordert. Was ist Baladre? NM: Baladre arbeitet als Koordinierungsstelle auf der gesamten iberischen Halbinsel für viele autonome Gruppen und Einzelpersonen, die Basisarbeit in ihrem Viertel, in ihrem Lebensumfeld und auf lokaler Ebene machen. Außerdem koordiniert sich Baladre mit Gruppen oder Personen in anderen Ländern zu den unterschiedlichsten Themen (Jugend, Geschlechtergleichheit, Gefangene, Grundeinkommen). Wir kämpfen mit gemeinsamen Schnittpunkten; unsere Arbeitsweise ist horizontal. Das Salz unserer Arbeit ist die gegenseitige Unterstützung; wir unterstützen uns in unserer täglichen Auseinandersetzung und in unseren Bedürfnissen. Was ist die »Renta básica« (Grundeinkommen)? NM: Ich muss hier erwähnen, dass Baladre vor 25 Jahren aus den Arbeitslosenvereinigungen hervorgegangen ist, in denen gegen die Ausbeutung und für Arbeit in Würde für alle gekämpft wurde. Aber mit der Zeit und im Verlauf der Diskussionen über Erwerbslosigkeit und Beschäftigung wurde uns bewusst, dass Vollbeschäftigung nicht nur weit entfernt ist, sondern dass es sie nicht gibt. In Versammlungen und Protestzügen begann man, das Grundeinkommen als ein Grundrecht zu fordern: ohne Gegenleistungen, ohne jegliche Auflagen, universal, d.h. für alle, allein aufgrund der Tatsache, geboren zu sein, und individuell, d.h. für jeden, unabhängig von familiären Verhältnissen. Wir betrachten das Grundeinkommen als ein Bürgerrecht,
aber nicht als Endzweck. Denn allein mit dem Grundeinkommen wird man nicht
alle Probleme der Menschen lösen können. Wir begreifen es als
ein Mittel der sozialen Transformation; als ein weiteres Instrument, mit
dem sich ein Prozess entwickelt, in dem die Beteiligung der Leute an gesellschaftsbildenden
Entscheidungen sichtbar wird; die Herausbildung persönlicher und
gemeinsamer Verantwortung. Es geht somit um die Schaffung einer »realen«
Freiheit – im Gegensatz zu der »formalen« Freiheit,
die wir heute haben. Wie organisiert ihr die Diskussionen und den Kampf um das Grundeinkommen? NM: Unter uns diskutieren wir ständig. Außerdem haben verschiedene Gruppen von Baladre quer durch das Land Informationsstellen zu Sozialleistungen für die BürgerInnen eingerichtet. Hier soll nicht nur Hilfe bei der Beantragung gegeben werden, sondern hier soll gegenüber den Sozialarbeitern, der Verwaltung etc. das Recht auf bestimmte Hilfen zur Bedarfsdeckung konkret eingefordert werden. Wir, als diejenigen, die ihre Rechte kennen, haben die moralische Pflicht, dieses Wissen weiter zu geben. Wir selbst sind auch arbeitslos, leben in ungesicherten Verhältnissen und sind angewiesen auf einen sozia-len Wandel. Wir fördern daher den Austausch und die Koordinierung zwischen den Leuten, die zu uns kommen, und anderen Gruppen oder Personen. Daneben führen wir auch Tagungen und Seminare durch. Zur Zeit sind wir damit beschäftigt, das zweite internationale Treffen für das Grundeinkommen vorzubereiten, das vom 17. – 19. September 2004 in Barcelona stattfinden wird. Informationen unter: natam@redasociativa.org Erschienen im express,
Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit,
6-7/04 |