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Updated: 18.12.2012 16:00
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Immer heftigere Proteste

"Die Wüste lebt - politisch. Die algerische Wüstenstadt Laghouat (das „gh“ wird als stimmloses „R“ wie in der französischen Sprechweise für „Paris“ ausgesprochen) zählt rund 450.000 Einwohner/innen. Und diese sind den Machthabern als notorisch rebellisch bekannt" - so beginnt der Artikel "Algerien: Heftige Unruhen in mehreren Städten" von Bernard Schmid vom 13. Januar 2012.

Algerien: Heftige Unruhen in mehreren Städten

Die Wüste lebt - politisch. Die algerische Wüstenstadt Laghouat (das "gh" wird als stimmloses "R" wie in der französischen Sprechweise für "Paris" ausgesprochen) zählt rund 450.000 Einwohner/innen. Und diese sind den Machthabern als notorisch rebellisch bekannt.

Als im Juni 1965 ein Putsch der Armee unter dem späteren Präsidenten Houari Boumedienne den Experimenten der ersten drei Jahre nach der Unabhängigkeit ("Selbstverwaltungssozialismus", wenngleich unter Kontrolle von oben) ein Ende setzte, waren die Einwohner/innen nicht sonderlich einverstanden. Und Dutzende von Neugeborenen in Laghouat wurden daraufhin demonstrativ auf den Namen "Ben Bella" getauft. So hieß der damals gestürzte Präsident, Ahmed Ben Bella, den die neuen Machthaber damals bis 1980 im Gefängnis verschimmeln ließen (auch wenn dessen Politik i.Ü. ebenfalls kritikwürdige Aspekte hatte). Seitdem haben die algerischen Machthaber die Stadt, nun ja, nicht unbedingt in ihr Herz geschlossen. Boumedienne zürnte über Jahre hinweg aufgrund der Anekdote mit den Neugeborenen.

In jüngster Zeit wurde Laghouat, seit 2010, regelmäßig von sozialen Unrunen erschüttert. Es ging um die enorme Arbeitslosigkeit, um die Praktiken von Vetternwirtschaft & Korruption bei der Zuteilung von Wohnungen (wie auch Arbeitsplätzen), oder um das Herunterkommen und Verrotten-Lassen des örtlichen Krankenhauses. Als vor gut einem Jahr, vom 06. bis 09. Januar 2011, dreitägige schwere Unruhen infolge der Anhebung der Preise von Grundbedarfsgüter (Speiseöl, Zucker) ganz Algerien durchliefen, rappelte es in Laghouat besonders stark. Drei Tage hielten Einwohner/innen die zusammengezogenen Polizeikräfte in Schach und aus ihren Wohnvierteln heraus.

Und nun ging es wieder los: Die Streitfrage der Zuteilung von (Sozial-) Wohnungen wurde in den letzten Wochen akut. Am 14. Dezember 2011 hatte Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika (Boutefliqa) die Stadt besucht. Bewohner wollten dabei zu ihm vordringen und ihm Dokumente über ihre verzweifelte und langjährige Suche nach bezahlbarem Wohnraum übermitteln. Sie wurden durch die Sicherheitsbediensteten abgewimmelt, aber der Präfekt der Stadt musste ihnen zugleich hoch & heilig versprächen, ihr Problem werde in nächster Zukunft eine Regelung finden.

In der ersten Januarwoche 2012 wurden nun die Listen derjenigen Familien, denen Sozialwohnungen zugeteilt werden, ausgehängt. Und wie so oft in diesen Fällen in Algerien brach daraufhin ein Zorn der Entrüstung aus, da der Verdacht aufkam, "Nepotismus" (Vetternwirtschaft, Klientelpolitik) habe bei der Erstellung der Listen Pate gestanden. Daraufhin kam es zu Unruhen, die von jungen Arbeitslosen - und von sich mit ihnen solidarisierenden Händlern ausgingen. Es kam zur Besetzung von öffentlichen Plätzen, Straßensperren und -blockaden, zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und einer Reihe von Verhaftungen.

Solche Vorkommnisse sind in Algerien, wo es ständig örtliche Riots aufgrund von Konflikten um soziale Grundbedürfnisse gibt, beinahe Alltag. Das Hochinteressante am Beispiel Laghouat ist jedoch, dass die Unruhen in diesem Falle offenkundig nicht unorganisiert sind, sondern durch örtliche Associations (Vereinigungen, Initiativen) in den Stadtteilen getragen und organisiert werden. Und diese wiederum kommunizieren eifrig über Internet respektive die "sozialen Netzwerke" in demselben. Zu den Vereinigungen, die - im Unterschied zu allen etablierten Institutionen - ein gewisses Vertrauen innerhalb der örtlichen Bevölkerung zu genießen scheinen, zählt auch die "Liga für Menschenrechte".

Auch am Mittwoch Abend (vor dem algerischen Wochenende, das auf Donnerstag und den Freitag als muslimischen wöchentlichen Gebetstag fällt) und in der Nacht zum Donnerstag blieben ein Teil des Stadtzentrums durch mehrere Dutzend von jungen Leuten besetzt. Zuvor hatte der Präfekt, Youcef Chorfa (ausgesprochen Yussef Schorfa), jedoch ein Zugeständnis machen müssen und der Liste von Anspruchsberechtigten für Sozialwohnungen einen "nicht definitiven Charakter" zugesprochen. Diese könne also noch überarbeitet werden.

Parallel dazu gab es in den letzten Tagen Demonstrationen, meist von jungen Arbeitslosen, in Ouargla - ebenfalls eine Stadt im wüstenhaften Süden Algeriens - und in Skikda in Nordostalgerien, an der Mittelmeerküste. Am Mittwoch kam es zudem zu Riots, welche sich an Konflikten um Wohnraum entzündet hatten, in einem Armenviertel der westalgerischen Metropole Oran (Derb) sowie in Baraki, einem Wohnviertel an der Peripherie der Hauptstadt Algier.

Aktuelle Informationen:

Artikel der Tageszeitung ,El-Watan' zu Laghouat : http://www.elwatan.com/weekend/aujourdhui/laghouat-l-irreductible-13-01-2012-154656_234.php

http://www.elwatan.com/weekend/aujourdhui/youcef-chorfa-wali-de-laghouat-j-ai-annule-le-caractere-definitif-de-cette-liste-13-01-2012-154657_234.php

Video zu Laghouat und Artikel unter: http://lanationdz.com/news/2012/01/10/urgent-emeute-a-laghouat.html

Überblicksartikel: http://www.aloufok.net/spip.php?article6374

Artikel zu Unruhen in Baraki (Algier): http://berthoalain.wordpress.com/2012/01/11/logement-emeute-a-??????-baraki-alger-11-janvier-2012

Artikel zu Unruhen in Oran: http://berthoalain.wordpress.com/2012/01/11/logement-affrontements-a-???-derb-oran-11-janvier-2011/

Artikel von Luis Martinez zu "Die Ruhe vor dem Sturm?": http://www.lemonde.fr/idees/article/2012/01/10/algerie-le-calme-avant-la-tempete_1627719_3232.html  


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