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Updated: 18.12.2012 16:00
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Die Umbildung der algerischen Regierung am 1.Mai bedeutet vor allem die Rückkehr der einst auf Druck des Gewerkschaftsbundes UGTA entlassenen "Ultraliberalen". Ein Beitrag von Bernard Schmid vom 7.Mai 2005 (eine Kurzfassung hiervon erschien in Jungle World vom 11.5.2005)

Mit neuer Regierung auf verschärftem Privatisierungskurs

Einen Salto rückwärts stellt die jüngste Umbildung der algerischen Regierung vom 1. Mai dar. Mehrere Minister wurden durch ihre jeweiligen Vorgänger ersetzt, die nun vor allem in Schlüsselpositionen der Wirtschaftspolitik sitzen wie Mourad Medelci im Finanzressort und Abdelhamid Temmar im Ministerium für Investitionsförderung. Beide gelten als marktgläubige Ultraliberale und Anhänger einer Kahlschlagspolitik in Sachen Privatisierung öffentlicher Betriebe.

Besonders Temmar hatte 2003 unter massivem Druck des Gewerkschaftsdachverbands UGTA zurücktreten müssen. Die UGTA hatte damals im Februar einen dreitägigen Generalstreik durchgeführt, an dem über 90 Prozent der Lohnabhängigen aller Branchen teilnahmen. Hauptziel der massiven Streikbewegung war es, das damals aufgelegte brachiale Privatisierungsprogramm und insbesondere die angestrebte Öffnung des Erdöl- und Erdgassektor für privates Kapital aus dem Westen bzw. Norden zu verhindern. Bei der daraufhin erfolgten Kabinettsumbildung im Mai 2003 war Energieminister Chakib Khelil der einzige direkt für die Privatisierungspolitik Verantwortliche, der zunächst politisch "überlebte".

Khelil war Ende der 60er Jahre in Texas und Oklahoma zum Erdölingenieur ausgebildet worden und später zwei Jahrzehnte lang, von 1980 bis 1999, hochrangiger Funktionär der Weltbank in Washington gewesen. Dort war er in der Abteilung für Energiepolitik tätig und leitete zuletzt die Sektion Lateinamerika, wo er ein hohes Maß an politischer Verantwortung für das Desaster trägt, das die Anwendung der neoliberalen Rezepturen in Argentinien hinterließ. Seine Berufung zum algerischen Minister 1999 war ein Signal an die westlichen Industrieländer, dass diese nunmehr mit einem Höchstmaß an wirtschaftlicher "Öffnung" rechnen durften.

In der jetzigen Regierung treten ihm weitere überzeugte Anhänger einer weltmarktorientierten Privatisierungspolitik zur Seite. Aber auch was die Politikinhalte betrifft, hat sich mittlerweile die einschlägige "Linie" weitgehend durchgesetzt. Die UGTA beispielsweise hat zu Anfang dieses Jahres in ihrem Widerstand gegen den von ihr bis dahin angeprangteren"Ausverkauf" der algerischen Öl- und Gasförderung gewissermaßen offen kapituliert. Anfang Januar erklärte ihr Generalsekretär Abdelmajid Sidi-Saïd bei einem Auftritt im algerischen Fernsehen, seine Organisation kenne in Sachen Privatisierung "keine ideologischen Tabus mehr". Eine Formulierung, die wie anderswo auf der Welt auch hier die Anpassung an das Recht des wirtschaftlich Stärkeren verrät.

Den Hintergrund für das Verhalten der UGTA bildet einerseits ihre Vergangenheit als "Massenorganisation" und "Transmissionsriemen" der früheren Staatspartei FLN (Nationale Befreiungsfront), zu Zeiten des staatssozialistischen Ein-Parteien-Regimes vor 1988. Seit damals hat sich zwar vieles Grundlegende in Algerien geändert, insbesondere wird heute jeder Gedanke an ein autozentriertes Entwicklungsmodell - das früher einen Ausweg aus der strukturellen Abhängigkeit der früheren Kolonie von den hochentwicklenten Ländern ermöglichen sollte - liquidiert. Doch einige alte Reflexe hat die frühere Staatsgewerkschaft beibehalten. Zum Anderen hat die UGTA-Führung aber auch eine grundlegende Richtungsentscheidung getroffen: Sie ist zu der Ansicht gelangt, dass es besser sei, ihre organisatorische Basis in den künftig privatisierten Betrieben zu retten, als sich deren Verkauf zu widersetzen und deswegen durch die künftigen Eigentümer hinausgedrängt zu werden. Das verkündete Sidi-Saïd anlässlich eines Seminarsüber "Arbeitsrecht und Globalisierung", das die UGTA gemeinsam mit der französischen rechtssozialdemokratischen CFDT in Algier abhielt.

Am 20. März dieses Jahres hat das algerische Parlament tatsächlich die Nationalisierung der Erdöl- und Erdgasförderung, die 1971 den französischen Energiekonzernen die Kontrolle über die Rohstoffe des Landes entzog, aufgehoben. Zukünftig können Investoren aus dem Norden also nicht mehr nur, wie bisher, maximal 49 Prozent der Anteile an einer Förderstätte erwerben.

Präsident Bouteflika hatte im Vorfeld der algerischen Bevölkerung gedroht:"Wenn wir uns widersetzen, droht uns das Schicksal des Irak!" Das trifft so unmittelbar wohl nicht zu; doch wäre Algerien seitens der führenden westlichen Wirtschaftsmächte zweifellos als Staat mit einer kooperationsunwilligen, "dogmatischen" Führung eingestuft worden. In seinen Artikeln 9 und 10 enthält das neue "Gesetz über die Kohlenwasserstoffe" die ausdrückliche Bestimmung, die Preise für Energie und Treibstoffe im Inland sollten künftig durch eine neu gebildete unabhängige Behörde festgelegt werden. Dieser wird vom Gesetz zur Auflage gemacht, den ausländischen Kapitalanlegern "die Rentabilisierung ihrer bisher erfolgten und ihrer künftigen Investitionen" zu erlauben. Die Zeche soll also, ganz unverhohlen, die algerische Bevölkerung bezahlen. Bereits eine Woche nach Verabschiedung des neuen Gesetzes wurde bereits eine Erhöhung des Gaspreises für die algerischen Bürger um 5 Prozent bekannt gegeben, die aber erst den Anfang bilden wird.

Für die im Ölverarbeitungssektor tätigen Firmen wurde dagegen eine Absenkung der Energiepreise angekündigt. Eine "Liberalisierung" des algerischen Energiesektors ist auch im Artikel 61 des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union festgeschrieben. Der Vertrag, der am 14. März durch das algerische Parlament und inzwischen audch durch alle EU-Länder ratifiziert worden ist, wird nunmehr am 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten. Bereits zu Beginn werden die Zölle, welche die heimischen Produktionskapazitäten in Algerien vor der - mit weit höherer Produktivität ausgestatteten - nördlichen Konkurrenz schützen, auf eine Höchstgrenze von 30 Prozent festgelegt. Bis im Jahr 2017 soll der Zugang zum algerischen Binnenmarkt dann für europäische Exporteure völlig frei sein.

Das bedeutet eine weitere Vernichtung vorhandener Produktionskapazitäten, die unter dem staatssozialistischen Entwicklungsmodell aufgebaut werden, von denen aber bereits heute nur rund ein Viertel ausgenutzt wird. Damit wird eine weitere Spezialisierung der algerischen Ökonomie im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung einhergehen, nämlich auf die alleinige Rolle als Lieferant von Erdöl und Erdgas. Deren Preis liegt im Moment, durch weltweite Ereignisse bedingt, auf einem ungewöhnlich hohen Niveau - was der algerischen Regierung zu Nutzen kommt, die in den kommenden fünf Jahren über eine Million Wohnungen bauen und damit eine der drängendsten sozialen Nöte abstellen will. Doch wenn der Weltmarktpreis der beiden Rohstoffe stark abfällt wie zuletzt Ende der 80er Jahre, wird das Land erneut tief in die Krise schlittern.


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