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Updated: 18.12.2012 16:07
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Algerien: Stahlarbeiter können Stellenabbaupläne vom Tisch befördern

"Der Generalstreik zeichnet sich ab" titelte die algerische Tageszeitung ,La Tribune' (jene Zeitung des Landes, die gewöhnlich die besten Informationen zu Wirtschafts- und Gewerkschaftsthemen enthält) am vorletzten Samstag. Gemeint war allerdings nicht ein Generalstreik aller abhängig Beschäftigten - wie es in jüngerer Vergangenheit in Algeien durchaus auch gegeben hat, meist für dreitägige Perioden gegen Privatisierungspläne der Regierung wie im Februar 2003 (vgl. http://www.jungle-world.com/seiten/2003/10/433.php externer Link). Ohne Unterstützung durch die frühere Staats- und nach wie vor stark dominierende Gewerkschaftsorganisation, den Dachverband UGTA, wäre dies allerdings kaum vorstellbar. Die UGTA hatte 2003 ihre Rechnungen mit der Regierung zu begleichen, findet sich aber derzeit durchaus hinter dem Regierungslager wieder, zumal zumindest die krassesten Ausverkaufsprojekte angesichts der derzeit vollen Kassen des algerischen Staates (aufgrund des hohen Rohölpreises) gestoppt bzw. zurückgestellt worden sind. So war der Verkauf von Mehrheitsanteilen am algerischen Eröl und Erdgas zugunsten ausländischer Firmen, denen im Februar 2005 der Weg geöffnet worden war, im Frühjahr 2006 doch noch gestoppt worden. Die Privatisierungen gehen grundsätzlich weiter, aber ohne dass der algerische Staat jede Kontrollfunktion aufgäbe.

Die Ankündigung eines "unbefristeten Generalstreiks" bezog sich in diesem Falle auf einen Großbetrieb, der just im Oktober 2001 privatisiert und an den damaligen britisch-niederländisch-indischen Konzern Mittal Steel (inzwischen Arcelor Mittal Steel, nach dessen Einstieg in den europäischen Stahlgiganten Arcelor) verkauft worden ist. Es handelt sich um eine der größten Industriearbeiterkonzentrationen in Nordafrika: den Stahlindustriekomplex El-Hadjar im ostalgerischen Annaba, dereinst eines der Vorzeigeprojekte der staatssozialistischen Industriepolitik in den 1970er Jahren unter Präsident Boumedienne. Dereinst für Zehntausende Stahlarbeiter ausgelegt, beschäftigte er vor der Übernahme durch die anglo-indische Firmengruppe - mittels der Filiale Ispat - noch 10.400 Lohnabhängige. Derzeit sind es 8.800 Beschäftigte.

Die örtliche Sektion der UGTA war dabei ein wichtiger "Partner" bei der Übernahme, denn deren Apparat sprach sich für den Aufkauf des Komplexes durch Mittal Steel aus: Der algerische Staat habe kein Geld mehr in die öffentlichen Betriebe zu investieren, und die Übenahme garantiere eine Modernisierung der Produktionsmaschinierie und die Einführung neuer Technologie. Die konkret betroffenen Stahlarbeiter waren jedoch misstrauisch und hielten zu jener Zeit über 300 Betriebsversammlungen ab. Unter tatkräftiger Mithilfe der UGTA-Sektion unter ihrem damaligen örtlichen Generalsekretär Aissa Menadi (in Deutschland würde man ihn als "Betriebsratsfürsten" einsetzen; inzwischen sitzt Menadi als "unabhängiger Abgeordneter" im algerischen Parlament, dank der sozialen Basis, die ihm u.a. auch die Präsidentschaft des örtlichen Fußballclubs sichert) wurden ihre Befürchtungen jedoch beruhigt. 2002 kam es kurrzeitig zu heftigen sozialen Konflikten, gegen die massive Polizeikräfte eingesetzt wurden. Doch inzwischen sind diese abgeklungen. Die UGTA betrachtet die Privatisierung im Falle El-Hadjar als Erfolg, da "im Großen und Ganzen" die Beschäftigtenzahl gewahrt worden und zugleich das technologische Niveau verbessert worden sei. Mittal Steel Algerien beschäftigt, neben der Stahlarbeiterstadt Annaba, auch Lohnabhängige u.a. in Hussein Dey (Stadtbezirk von Algier), in Reghaïa bei Algier, in Blida im Atlasgebirge, in Oran im Westen des Landes, im ostalgerischen Skikda.

In diesem Sommer jedoch beunruhigte die Leitung in London die Arbeiter mit neuen Nachrichten über Stellenabbau und Personalreduzierungen. Mittels Frühverrentungen sollten 1.200 Mitarbeiter abgebaut werden (denen mit 600.000 Dinar, umgerechnet rund 6.000 Euro, eine Summe von sechzig mal dem gesetzlichen Monats-Mindestlohn als Abfindung in Aussicht gestellt wurde). Aber Gerüchte sprachen von weiteren Abbauplänen, und alles in allem sollten 3.000 Arbeitsplätze eingespart werden. Nach den Abbauwellen früherer Jahre sorgten die Ankündigungen für neue Unruhe bei zahlreichen Familien.

Am 1. Mai hatten die Arbeiter des Stahlindustriekomplexes ihrer Direktion eine Forderungsplattform überreicht. Am 14. August kündigten sie dann einen "unbefristeten Streik" ab dem Mittwoch, 22. August an. Dieser konnte jedoch nach längeren Verhandlungsrunden seit vorvergangenem Sonntag Abend und zu Anfang vergangener Woche abgewendet werden. Die UGTA-Sektion unter ihrem Interims-Generalsekretär Smail Kouadria, flankiert von seinem Vorgänger (und jetzigen Abgeordneten) Aissa Menadi sowie dem landesweiten UGTA-Generalsekretär Abdelmajid Sidi-Saïd - dessen Nachfolgefrage nunmehr in Bälde aufgeworfen ist -, warf sich voll in die Bresche, um eine Verhandlungslösung zu erreichen. Dabei wurde die örtliche Direktion, die den sozialen Druck nicht mehr auffangen konnte, umgangen: Der Konzern musste direkt eine Leitungspersönlichkeit aus London, den Vizepräsidenten Frank Pannier, entsenden, der vergangene Woche seine Unterschrift unter das Abkommensprotokoll - mit dem die Streikdrohung aufgehoben wurde - setzte.

Tatsächlich konnte der geplante Abbau von Arbeitsplätzen verhindert werden. Zudem wurden Verhandlungen über eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die Zahlung einer Prämie für "Polyvalenz" (vielseitige Verwendbarkeit einer Arbeitskraft aufgrund von Mehfachqualifikation) ausgehandelt - und eine Lohnerhöhung ab Januar 2009, falls der für das Jahr 2008 anvisierte Produktionsrekord von 1,3 Millionen Stahl eingehalten wird. Jene Arbeiter, die sich für die Abfindungszahlung in Höhe von 600.000 Dinar und ene Frühverrentung entschieden haben, können diese nunmehr auch weiterhin kassieren. Aber ihre Stellen werden nicht gestrichen, sondern beibehalten. Auch verpflichtete sich die Unternehmensleitung, keine befristeten Verträge zum vorübergehenden Ersatz der rentenbedingten Abgänge zu nutzen. Und die Zeitarbeiter sollen in das festangestellte Personal übernommen werden. Alles in allem kein so schlechter Erfolg.

Im Gegenzug hatte allerdings die UGTA sich zum Garanten für die Produktivitätssteigerung bei Mittal Steel Algerien aufgeschwungen. Zudem hatte sie an das Interesse der Direktion in London appelliert: Es liege doch gar nicht in deren Eigeninteressen, Stellen in Algerien abzubauen, da sie eine Ausweitung ihrer Aktivitäten dort plane. So ist die Erschließung einer riesigen Eisenerz-Lagerstätte in Ghar Djebilet, an der Grenze Algeriens zur umstrittenen (d.h. von Marokko widerrechtlich okkupierten) Westsahara, vorgesehen. Ihre Reflexe als ehemalige Staatsgewerkschaft, die (an der Spitze ihres bürokratischen Apparats) noch immer eng mit dem Staatsapparat verwoben ist, und sehr "partnerschaftlich" ausgerichtete Organisation wird die UGTA-Führung nicht los. Allerdings verhält sie sich auch nicht so viel anders wie der deutsche DGB...

Artikel von Bernard Schmid vom 28.8.07


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