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Updated: 18.12.2012 15:51
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Die Gewerkschaft – Davids Schleuder gegen Goliath

Gonzalo Cornejo, Gewerkschafter bei Walmart Chile, erz ählt

Der Goliath ist Walmart, der US-amerikanische Einzelhandelskonzern, der mit über zwei Millionen Angestellten der größte private Arbeitgeber und mit 408 Milliarden US-Dollar Umsatz (2010) das größte Unternehmen der Welt ist. Und Walmart kann noch einen Superlativ aufweisen: die 1962 in Bentonville, Arkansas, gegründete Firma zeichnet sich durch ihre aggressive Gewerkschaftsfeindlichkeit aus. Dem umfangreichen Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch von 2007 zu Folge ist keine Arbeiterin und kein Arbeiter von Walmart USA durch eine Gewerkschaft vertreten. Nicht so im fernen Chile. Hier sind allein in den beiden Logistikzentren des Konzerns 1150 von 1300 ArbeiterInnen organisiert, im Sindicato No. 1 Bodegas Logística, Transporte y Servicio, den Bodegas Lider, an den Standorten Quilicura und Puerto Santiago.

Die Bodegas tragen noch den Namen Lider, der mit 68 großen Hiper Lider und 54 kleineren Lider Express Supermärkten größten Einzelhandelskette Chiles. Zusammen mit 48 Supermärkten unter den Namen Acuenta, Revive und El Buen Corte und 129 Econo-Discountern bilden sie das Konglomerat D&S S.A., Distribución y Servicio. Das sind zusammen fast 300 Supermärkte und Discounter mit insgesamt ca. 35.000 „associates“, Mitgliedern, wie Walmart seine Angestellten und ArbeiterInnen nennt. Walmart schickte im Jahre 2009 Kundschafter nach Chile und kaufte dann 2010 von der Familie Ibáñez das ganze D&S-Paket. Über die Familie Ibáñez sagt Gonzalo: „Das sind Ultrarechte. In der Firmen-Zentrale gab es, als ich in dem Hiper Lider Supermarkt in der Calle Descanso in Santiago anfing, eine Gedenktafel zu Ehren des „Generals, der das Vaterland gerettet hat“. Das sind lupenreine Pinochet-Anhänger. Der Chef des Sicherheitsdienstes bei Lider und der Bodyguards der Familie Ibáñez war damals „Harry El Sucio“, der dreckige Harry, ein ehemaliger Agent der DINA, des Geheimdienstes der Diktatur.“

Gonzalo ist heute 25 Jahre alt und lebt mit seiner Frau im Stadtteil Maipu von Santiago. Nach dem Abitur hat er ein Praktikum gemacht und dann Gelegenheitsarbeiten bis er vor fünf Jahren einen Job als Regal-Nachfüller in der Calle Descanso bekommen hat. Studiert hat er nicht, weil sein Vater, Gabelstapler-Fahrer in einer Drahtfabrik und Gewerkschafter, nur das Studium von Gonzalos Halbbruder bezahlen konnte. Gonzalo erzählt: „Meine Mutter ist Hausfrau, mein Bruder hat sein Studium geschmissen und meine ältere Schwester arbeitet ebenfalls im Logistikzentrum von Walmart in Puerto Santiago. Mein Vater hat mir damals geraten, nicht in die Gewerkschaft zu gehen. Das lohne sich nicht, die würden am Ende doch immer mit den Unternehmern in einem Boot sitzen. Zwar gab es in dem Hiper Lider in der Calle Descanso eine Gewerkschaft, aber ich wurde damals nicht Mitglied, weil ich mit eigenen Augen sehen konnte, wovor mich mein Vater gewarnt hatte, eine gelbe Gewerkschaft und ein gelber Gewerkschaftsverband in der Mehrheit der Lider Supermärkte unter der Fuchtel eines gewissen Juan Moreno, eines korrupten Gewerkschaftsführers.“ Wie überall in Lateinamerika hat in Chile jeder Betrieb eine eigene Gewerkschaft, gibt es also an der Basis Betriebsgewerkschaften, die mindestens acht Mitglieder haben müssen. Mindestens zwei solcher Betriebsgewerkschaften können dann einen Verband bilden, was man in Chile dann ein Sindicato Interempresa nennt.

2007 ist Gonzalo dann in das D&S Logistikzentrum in Puerto Santiago gewechselt, wohin der lange Arm des korrupten Juan Moreno nicht reichte, und wo er seit damals als Yale-Fahrer arbeitet (so genannt nach der in Chile vorherrschenden  Gabelstapler-Marke). Dort gab es seit 2005 ebenfalls eine Gewerkschaft, eben das Sindicato No.1 de Bodegas Lider, und da wurde er dann Mitglied. Als Gonzalo dort anfing hatte die Gewerkschaft gerade mal 256 Mitglieder unter den damals 1100 Beschäftigten. Wenige Monate zuvor hatte es einen Streik gegeben, bei dem die unerfahrenen Lider-ArbeiterInnen von ein paar alten MIR-Militanten (Movimiento de Izquierda Revolucionaria – Bewegung der Revolutionären Linken) unterstützt wurden, darunter Iván, der viele Jahre in Bochum im Exil gelebt hat. „Der Streik dauerte 25 Tage und brachte einige Verbesserungen, wie zum Beispiel eine einmalige Zahlung, mehr Firmenbusse, die uns zur Arbeit bringen, und, das mag lächerlich klingen, eine Wandtafel. Für uns war auch das ein Erfolg, denn bislang gab es nichts und jetzt hatten wir unsere eigene Wandzeitung.“, erinnert sich Rodrigo Villagra, der Sekretär von Gonzalos Gewerkschaft, in einer Broschüre des Sindicatos. Im Supermarkt in der Calle Descanso verdiente Gonzalo umgerechnet 180 Euro im Monat und musste dafür täglich von 7.00 Uhr morgens bis 22.00 Uhr nachts arbeiten, mit insgesamt eineinhalb Stunden Pause, also 13 und eine halbe Stunde. Nach dem Gesetz beträgt die tägliche Arbeitszeit acht Stunden, zusätzlich zwei Überstunden mit 50% Lohnaufschlag. In den Bodegas hat er am Anfang 310 Euro einschließlich Überstundenzulagen verdient, heute kommt er mit Überstunden auf bis zu 700 Euro im Monat.

Inzwischen ist er freigestelltes Mitglied des Betriebsrates im Logistikzentrum. Das ist der Consejo de Dirigentes del Sincicato LTS Walmart Chile, nur unzulänglich als Betriebsrat übersetzt, denn in Chile gibt es kein Betriebsverfassungsgesetz – nur den Codigo Laboral aus der Pinochet-Zeit, der zum Beispiel keinen Kündigungsschutz enthält. In Chile gibt es bei acht bis 25 MitarbeiterInnen einen Betriebsrat oder eine Betriebsrätin, bei über 900 sind es deren sieben und für je 1000 MitarbeiterInnen mehr einen zusätzlichen. „Bei Bodegas LTS Walmart sind wir insgesamt 16 Freigestellte, führt Gonzalo aus, weil zu den sieben eigentlichen Betriebsräten noch neun Vertreter des Verbandes, der Interempresa, also des Gesamtbetriebsrates hinzu kommen. Außerdem bezahlt die Gewerkschaft noch zwei Berater, einen auf Arbeitsrecht spezialisierten Rechtsanwalt und Iván.“ Der Consejo de Dirigentes hat neun Kommissionen gebildet; das reicht von einer von Walmart bezahlen Gewerkschaftsschule, über ein Sportkomitee, in dem Gonzalo mitarbeitet, bis zur Kommission für Kultur und Öffentlichkeitsarbeit. Die letzten Tarifverhandlungen mit der Geschäftsleitung in Gestalt der Personalchefin und des Chefs der gesamten Walmart-Logistik haben 2008 stattgefunden. Die Gewerkschaft ereichte Lohnerhöhungen von 30%, was ungefähr 80 Euro/Monat mehr in der Tasche bedeutet, und eine Einmalzahlung von 1000 Euro – ein beachtlicher Erfolg, allerdings mit einer Laufzeit des Tarifvertrages von vier Jahren. Das könnte zum Problem werden, weil Walmart natürlich die Gewerkschaft loshaben und sein Geschäft konzentrieren will. Gonzalo erklärt das so: „Zur Zeit kommen 65% aller von Walmart gehandelten Waren (frische, tiefgefrorene und verarbeitete Lebensmittel, Heimtextilien, Reinigungsmittel, Hygieneartikel, Haushaltsgeräte, Möbel und andere Einrichtungen, Hundefutter und Getränke) aus der Produktion oder aus dem Hafen zuerst einmal in eines der beiden Logistikzentren. 35% der Waren, vor allem Softdrinks und Bier, gehen direkt aus der Produktion in die Supermärkte und Discounter. Walmart will 100 % des gesamten Warenaufkommens durch seine Logistikzentren leiten, denn für die Zwischenlagerung stellt der Konzern den Lieferanten Mietgebühren in Rechnung. Deshalb lässt der Einzelhandelsriese zurzeit ein neues Logistikzentrum an der Straße zum Hafen Valparaiso bauen. Ein Teil der Waren wurde schon dorthin verfrachtet und bereits 155 Leute entlassen. Eigentlich wollte Walmart gleich 500 entlassen, aber das konnten wir verhindern. Ich habe zwar einen unbefristeten Arbeitsvertrag, aber der Codigo Laboral sieht vor, dass ArbeiterInnen und Angestellte aus nicht weiter zu begründenden betrieblichen Gründen entlassen werden können – und das hat Walmart offensichtlich vor, es gibt keinen Kündigungsschutz.“

Interview von Eduard Fritsch in der ila 351 vom Dezember 2011/Januar 2012 – wir danken den Verlag!

Die Walmart-Gewerkschaft hat eine eigene Website:
www.sindicatowal-martchile.cl externer Link

Das Interview führte Eduard Fritsch am 21.November 2011.


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