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Updated: 18.12.2012 15:51
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Es geht (u.a.) um die Kontrolle der Rohstoffe - Hintergründe des Krieges im Osten der Demokratischen Republik Kongo

Ein mörderischer Konflikt, der sich auf dem Schachbrett eines "neuen kalten Krieges" (USA, Frankreich, Indien, China) abspielt. Er folgt kolonialen Schnittmustern, aber auch den Grenzen der Geographie, die "natürliche" Wirtschaftsräume und Einflusszonen abstecken. Allerdings kommt zu diesen vorwiegend ökonomischen Motiven der Akteure auch noch eine politische Dimension hinzu: Das Erbe des Völkermords in Rwanda von 1994 - damals mit französischer Unterstützung.

Gar zu gern wäre die Demokratische Republik Kongo (RDC, République démocratique du Congo ), das frühere Zaire, bei der internationalen Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten. Denn wenn dieses Land in den letzten zwölf Jahren andernorts erwähnt wurde, dann meist aufgrund der immensen Grausamkeiten, die auf dem Boden dieses größten Flächenstaats Afrikas verübt wurden.

Rund 4,5 Millionen Tote haben die aufeinander folgenden Kriege, die seit 1996/97 mehrere Male aufflammten, laut verschiedenen Schätzungen hinterlassen. Das Problem an diesen Schätzungen, die auf Angaben und Analysen von im humanitären Bereich tätigen NGOs basieren, ist allerdings ihre geringe Aussagekraft: Die meistverwendete Zahl kam durch eine Berechnung von zwei Hilfsorganisationen zustande, die über eine Zeitraum von sechs Monaten hinweg die Sterblichkeit in den beiden Kriegsprovinzen Nord- und Südkivu im Osten der RDC beobachteten und diese Situation daraufhin auf das gesamte Staatsgebiet und den ganzen Konfliktzeitraum hochrechneten. Die geschätzte Totenzahl erfasst dabei nicht nur die unmittelbar aufgrund von Kampfhandlungen Getöteten; sondern auch all jene Menschen, die infolge ihrer Flucht aus den Städten und Dörfern in die Wälder starben, die in Flüchtlingslagern, an Hunger, Seuchen und fehlender Krankenversorgung zugrunde gingen.

Tatsächlich ist nur eine Minderheit der Opfer der verschiedenen Kongokriege in den letzten zwölf Jahren auf militärische Kampfhandlungen zurückzuführen - mutmaßlich mehrere Zehntausende -, aber der langjährige Kriegszustand hat ein völliges gesellschaftliches Desaster hinterlassen. Unter diesen Bedingungen sterben zahllose Menschen an heilbaren Krankheiten, an schmutzigem Trinkwasser, an unbehandelten Verletzungen. Schwierig ist es freilich, diesen Katastrophenzustand mit einem "Normalzustand", der etwa eine ausreichende Gesundheitsversorgung beinhaltet, zu vergleichen und auf diese Weise direkt die Opferbilanz (aus der Differenz zwischen "Normal-" und "Übersterblichkeit") abzuleiten.

Ein Land in desaströsem Zustand

Denn auch ohne die langjährigen Kriegszustände in Teilen der RDC gab es auf einem Gutteil des Staatsgebiets schon zuvor kaum funktionierende Krankenhäuser, ebenso wenig wie andere funktionsfähige öffentliche Strukturen. Und das in einem potenziell reichen Land, dessen Boden von raren oder teuren Mineralien sowie anderen Rohstoffen nur so überquillt, und dessen Einwohner dem Fortschritt ganz genauso aufgeschlossen sind wie die Menschen andernorts auch. Dieses wahrhaftige Desaster ist vor allem ein Erbe der 35 Jahre währenden Diktatur des Clans um den (1997 gestürzten und kurz darauf verstorbenen) Ex-Präsidenten Mobutu Sese Seko. Die Mobutu-Clique, die durch die westlichen Großmächte - damals besonders die frühere Kolonialmacht Belgien sowie die USA - in den früher sechziger Jahren unterstützt worden war, um den antikolonialistischen Premierminister Patrice Lumumba (ermordet im Januar 1961) auszuschalten, hatte das Land systematisch ausgeplündert. Die Reichtümer wurden an der Côte d'Azur, in der Schweiz, in Paris, Brüssel und anderswo geparkt: Die Eidgenossenschaft will infolge von Prozessen, welche die RDC nach dem Sturz Mobutus angestrengt hat, nun sogar in Bälde fünf Millionen Dollar herausrücken, die in helvetischen Banken schlummern. Es sind aber nur fünf kümmerliche Millionen von mehreren Dutzend Milliarden Dollar, die der Mobutu-Clan außer Landes geschafft hatte. 41 Familienmitglieder trugen Vollmachten des Diktators, um seine Guthaben in ausländischen Banken zu hinterlegen oder abzuheben. Wo genau die dem Land geraubten Vermögen hinterlegt wurden, wissen im Moment mutmaßlich nur der Clan selbst und die betreffenden Banken - vielleicht auch manche westlichen Regierungen.

Genaue Zahlen darüber, wie viele Opfer nun die jüngsten Kriege gekostet haben, und wie viele Menschen dem Generalzustand des Landes zum Opfer fielen, sind schwer zu ermitteln. Man sollte sich auch nicht zu sehr an gigantischen Zahlen aufhalten, die paradoxerweise - ob ihrer Gigantomanie - im Endeffekt eine verharmlosende Wirkung auf den Betrachter ausüben könnten: Dort, wo Opferzahlen in die Millionen hochgerechnet werden, scheint es kaum mehr eine Rolle zu spielen, wenn man darauf hinweist, dass bei einem realen Massaker 200 oder 1.000 Menschen getötet wurden. Reden wir also von den realen Vorgängen statt von Zahlen, die in diesem Falle nicht viel aussagen. Sie sind grauenhaft genug. Insbesondere sexualisierte Gewalt zählt im Ostkongo zu den "Waffen" aller Bürgerkriegsparteien. Es kam und kommt zu massenhaften Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen mit einem kaum vorstellbaren Niveau an Sadismus.

Der Sturz Mobutus, Auftakt für langjährige Kriege

Der Sturz des morsch gewordenen Mobutus-Regimes, der im Mai 1997 durch eine Rebellenarmee im Verbund mit Nachbarländern des damaligen Zaire - insbesondere Rwanda und Uganda - bewerkstelligt wurde, hätte für das ganze Land ein Grund zur Freude sein können. Stattdessen wurde es von mehreren aufeinanderfolgenden Kriegen zerrissen, in die sich die halbe Staatenwelt des Kontinents von A wie Angola bis Z wie Zimbabwe einmischte; man sprach deshalb auch von einem "(ersten) afrikanischen Weltkrieg". Dessen Frontverläufe nachzuzeichnen, fehlt an dieser Stelle der Platz. Im Zeitraum 2003/04 schienen die militärischen Konflikte im Großen und Ganzen abzuklingen. Die Zentralregierung der RDC in Kinshasa, die seit 2001 von Joseph Kabila (dem Sohn von Laurent-Désiré Kabila, des ersten Präsidenten des Landes nach Mobutu, der im Januar jenes Jahres durch seine Leibwache ermordet wurde) angeführt wird, konnte sich stabilisieren. Es gelang ihr, ein Gewaltmonopol über rund 70 Prozent des Territoriums herzustellen. Im Jahr 2006 wurde Präsident Joseph Kabila erstmals vom Volk gewählt, d.h. durch Wahlen im Amt bestätigt.

In den letzten zwei Monaten jedoch sorgt erneut ein bewaffneter Konflikt im fernen Osten des 60 Millionen Einwohner zählenden Landes, in der Provinz Nord-Kivu, für internationale Schlagzeilen. Tatsächlich aber schwelte in den beiden Provinzen Nord und Süd-Kivu bereits seit dem Herbst 2006 ein neuerlicher Bürgerkrieg, der bislang auf "kleiner Flamme" blieb, nun aber in den letzten Wochen und Monaten dramatisch eskalierte. Seit Ende August 2008 gingen die Rebellen unter Anführung des Warlords, geschassten Armeegenerals und christlichen Sektenpriesters Laurent Nkunda in die militärische Offensive. Vor allem in den letzten Oktobertagen und im November fanden zeitweise heftigen Kämpfe statt. Die Soldaten der Regierungstruppen, die zwar fünf mal so zahlreich wie die Rebellenarmee (geschätzte 5.000 bis 6.000 Mann unter Waffen) sein sollen, aber aufgrund ihrer schlechten Bezahlung und der verbreiteten Korruption in der Armee kaum zum Kämpfen motiviert sind, überließen der Truppe Laurent Nkundas vielerorts das Feld. Dessen Rebellenarmee, der CNDP ("Nationaler Kongress zur Verteidigung des Volkes"), wird beschuldigt, am 5. November 2008 in Kiwanya ein Massaker an Zivilisten begangen zu haben. Das Rote Kreuz gibt an, 218 Leichen gefunden zu haben. Unterdessen flohen in den Wochen nach Ausbruch der Kämpfe über 250.000 Zivilisten im Angesicht der vorrückenden Rebellen aus ihren Städten und Dörfern und bildeten Flüchtlingstrecks auf den Überlandstraßen.

Aber am 8. Dezember fingen in Nairobi offizielle Friedensverhandlungen zwischen den Rebellen, die in ganzen Landstrichen der Provinz Nord-Kivu nun eine "Parallelverwaltung" zu den staatlichen Strukturen errichtet haben und eigene Steuern erheben, und der Zentralregierung an. Die Verhandlungsdelegation der Rebellen in Nairobi wird von ihrem Chef Laurent Nkunda angeführt.

Bewaffnete Rebellion ja, aber ohne dem Geschäftsklima zu schaden

Die Rebellentruppe unter "General" Laurent Nkunda kontrolliert derzeit weite Teile der umkämpften Provinz - aber bislang nicht deren Hauptstadt Goma, obwohl die Rebellen Ende Oktober bis auf fünf Kilometer an diese herangerückt waren, woraufhin die Soldaten der Regierungsarmee aus der Stadt abzogen und Goma sich selbst überlassen blieb. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat die französische Tageszeitung ,Libération' (28. 11. 2008) Recht mit ihrer Vermutung, dass die Rebellenführung das dortige Geschäftsklima nicht beeinträchtigen wollte: Die Warlords leben vom Abbau bzw. der Plünderung der Rohstoffe in der Region, darunter das auf den Weltmärkten begehrte Mineral Koltan. Es findet sich in Mobiltelefonen, Satelliten und Flugzeugtriebwerken und wird hauptsächlich im Ostkongo und in Australien gewonnen; allerdings ist im Moment der Preis des einst teuren Rohstoffs (800 Dollar pro Gramm) aufgrund eines Überangebots eingebrochen. Die lokalen Geschäftsleute, die das Koltan über mehrere Stufen von Mittelsfirmen auf den Weltmärkten weiterverkaufen, sitzen in Goma. Aber mehrere unter ihnen werden verdächtigt, aus den von ihnen abgeschöpften Profiten die Rebellen zu finanzieren.

Zu den Hintergründen dieser neuerlichen Kampfhandlungen in einem Land, dessen Bevölkerung ganz überwiegend kriegsmüde und leidgeprüft ist, zählen sowohl regionalpolitische als auch internationale Faktoren. An herausragender Stelle sind drei Elemente zu nennen: die Hinterlassenschaften des Mobutu-Regimes und die daraus resultierende, faktische Ost-West-Teilung des Landes; die Langzeitwirkungen des Völkermords von 1994 in Rwanda; und die Einbettung des regionalen Konflikts in einen internationalen Kontext, den man als "neuen Kalten Krieg" zwischen den Machtblöcken Frankreich, USA/Großbritannien und China definieren kann.

Ein in West- und Osthälfte gespaltenes Land

Zum ersten Faktor: Der aktuelle Konflikt lässt sich nur schwer verstehen, wenn man nicht begreift, in welchem Ausmaß die RDC - auch ohne von Rebellenarmeen und Warlords zerstückelt zu werden - de facto ein gespaltenes Land ist. Denn unter der Mobutu-Clique, die das Land ruiniert hat, indem es seine Reichtümer wie eine Zitrone auspresste und ins westliche Ausland schaffte, während das Regime gleichzeitig hohe Schulden aufnahm, blieben verschiedene Landesteile mangels Verkehrsanbindung ohne größeren Kontakt zur Zentralregion um Kinshasa. Seit fünfzig Jahren wurde im früheren Zaire und jetzigen Congo keine einzige Straße errichtet. (Jetzt ist erstmals der Bau von Straßen in den neuen Wirtschaftsverträgen, die Kinshasa im April 2007 mit Peking abschloss, als Bestandteil eines Handelspakets vorgesehen.) Man muss kein Anhänger jenes Irrsinns sein, mit dem in Deutschland oder Frankreich ganze Landstriche zuasphaltiert worden sind, um die extremen Auswirkungen dieses Ausbleibens jeglicher Verkehrs-Infrastruktur zu sehen. Ganze Regionen fdes damaligen Zaire waren nur durch Inlandsflüge erreichbar, die jedoch ausschließlich für die Versorgung der Günstlinge des Regimes und den Abtransport lokaler Bodenschätze genutzt wurden. Unter Mobutu endeten die befahrbaren Straßen in manchen Himmelsrichtungen zum Teil schon 20 Kilometer hinter Kinshasa.

Heute hat Kinshasa zwar eine Zentralregierung, die in stärkerem Ausmaß darum bemüht ist, auch in andere Landesteile "auszustrahlen" und ihre Autorität über das Staatsgebiet (wieder) herzustellen. Aber die Verkehrsanbindung ist derzeit einfach nicht vorhanden. Der Kongo-Strom droht zu versanden und ist in Teilen nicht oder kaum schiffbar. Daraus resultiert ein Problem: Die Rohstoffe aus dem Ostkongo, die nun seit einigen Jahren - aufgrund der Industrialisierung der VR China oder des Mobiltelefon-Booms etwa - verstärkt auf den Weltmärkten nachgefragt werden, können kaum über den Zentralstaat, d.h. über Kinshasa und den Atlantik, transportiert und exportiert werden. Aus den geographisch abgelegenen, aber rohstoffreichen Regionen im fernen Osten der RDC lässt sich der Export viel einfacher über die ostafrikanischen Nachbarstaaten (Rwanda, Kenya), die über eine viel besser entwickelte Verkehrsinfrastruktur verfügen, sowie über die Häfen am Indischen Ozean abwickeln. Damit kommen wir aber zu Punkt zwei: der Rolle Rwandas, und zum Punkt drei: den regional- und weltpolitischen Konstellationen.

Die Erblast des Völkermords in Rwanda (1994)

Zu Punkt zwei: Der Konflikt im Ostkongo lässt sich auch nicht verstehen, wenn man nicht die Rolle des Nachbarlands Rwanda berücksichtigt und dessen Interessen erkennt. Die Interessen des aktuellen Regimes in Kigali aber weisen eine Doppelnatur auf. Einerseits verfolgt Rwanda - durchaus berechtigte - politische Sicherheitsinteressen, die mit den Spätfolgen des unter dem gestürzten Alten Regime von April bis Juni 1994 verübten Völkermords zusammenhängen.

Damals wurden innerhalb von zehn Wochen rund 800.000 bis eine Million Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Tutsi, aber auch Mitglieder der Hutu-Mehrheitsbevölkerung - die etwa mit Tusi verheiratet waren, die aus anderen Gründen gegen die Durchführung des Massenmords eintraten oder die als politische Oppositionelle bekannt waren - ausgelöscht. Der Genozid war eine Konsequenz aus der gefährlichen "Rassifizierung" sozialer Unterschiede, die unter der deutschen Kolonialherrschaft (1884 bis 1916) eingeführt und später unter ihren belgischen Nachfolgern nahezu bruchlos fortgesetzt worden war. Die europäischen Kolonialmächte hatten sich eine "wissenschaftliche" Rassentheorie für die Gesellschaften der Bergländer Rwanda und Burundi zurechtgelegt: Demnach gab es ein vom Nil her zugewandertes, "helleres" und "höherwüchsiges" Herrenvolk, die Tutsi - dem die sozialen Führungspositionen zu überlassen seien -, und auf der anderen Seite eine bäuerliche, tumbe und "schwarze"Masse, bestehend aus den Hutu. Unter Verquickung bisheriger sozialer Positionen in der präkolonialen Feudalgesellschaft und von Körpermerkmalen (größerer Wuchs, hellere Hautfarben) schufen die Kolonialherren sich eine neue Oberschicht, die "rassisch" definiert wurde. Die historische Folge davon war, dass der Hass der von den Reichtümern abgeschnittenen Bauern- und städtischen Armutsbevölkerung sich wiederum "rassisch" auflud und gegen "die Tutsi" als solche richtete. Schon bei der Unabhängigkeit 1960 sowie erneut 1963 kam es zu Massakern an Tutsi, ein Teil dieser Bevölkerungsgruppe floh ins benachbarte Uganda. Als dann Rwanda in den frühen neunziger Jahre eine Art Staatskollaps erlebte - infolge von Schuldenkrise, Verfall des Kaffeepreises sowie Autoritätszerfall des damals amtierenden Präsidenten Juvenal Habyarimana - formierten sich extremistische Parteien der "Hutu Power"-Bewegung. Ihr Weltbild gegenüber den Tutsi kann sehr entfernt mit der Naziideologie, und dem Platz der Juden in ihr, verglichen werden. Ab dem 7. April 1994 - dem Tag, nachdem Habyarimana bei einem Attentat (von wem, ist bis heute ungeklärt) getötet worden war - lösten ihre seit Jahren formierten Milizen den Völkermord aus.

Diese Milizen, die Interahamwe, flohen ab Juni/Juli 1994 aus Rwanda, nachdem das Völkermörderregime seinerseits durch den Einmarsch der "Ruandischen Patriotischen Front" (RPF) - die von Uganda her vorrückte - gestürzt worden war. Die RPF, deren harter Kern aus Tutsi besteht, die infolge der Flucht ihrer Eltern nach den Massakern von 1963 in Uganda aufgewachsen waren, bildet seitdem das Rückgrat der neuen politischen Macht in Kigali. Viele der Völkermordtäter flohen aus Furcht vor Bestrafung - und animierten ihrerseits viele Hutu-Zivilisten, mittels einer Angstpropaganda über die angeblich bevorstehende "Rache der Tutsi" (die freilich ausblieb), ihnen zu folgen. Die solcherart gemischt zusammengesetzte Gruppe aus Hutuflüchtlingen wanderte über die Grenze des damaligen Zaire, in den heutigen Ostkongo.

Dort bilden sie nach wie vor einen wichtigen lokalen Faktor und unterhalten heute eine eigene Rebellenarmee, die "Demokratischen Kräfte für die Befreiung Rwandas" (FLDR). Die älteren Kader der FLDR sind oft am Genozid von 1994 beteiligt gewesen, während die jüngeren Soldaten damals oft noch kleine Kinder waren und aus der ortsansässigen Hutubevölkerung im Ostkongo rekrutiert worden sind, "um für ihr Volk zu kämpfen". Denn auch im Osten der RDC leben Hutu - aber auch Tutsi, in Gestalt der Banyamulenge, die dorthin vor Generationen aus Rwanda eingewandert waren. Aus den Reihen der Letztgenannten wiederum rekrutiert sich die Rebellenarmee von Laurent Nkunda, der selbst ein Tutsi ist. Die Hutu-Extremisten waren zum Teil zuvor eine Bedrohung für die Banyamulenge gewesen, so wie auch jedenfalls ihre älteren Offiziere durchaus davon träumen, Rwanda zurückzuerobern und an den Tutsi "das Handwerk zu vollenden". Aber auch die überwiegend aus Tutsi-Soldaten bestehende Rebellentruppe geht oft gewaltsam gegen ortsansässige Hutu, die mit dem Völkermord in Rwanda nichts zu tun haben, vor. So wurden bei dem o.g. Massaker vom 5. November 2008 einfach alle Männer "in waffenfähigem Alter" in einem von Hutu bewohnten Stadtviertel durch die Männer Laurent Nkundas getötet.

Die Truppe des Laurent Nkunda wird wiederum von Rwanda unterstützt, um die FLDR, also die von rwandischen Hutu-Rassisten im Exil gebildeten Milizen, von seiner Grenze fernzuhalten. Dass Rwanda die ostkongolesischen Rebellen des CNDP (die seit einem halben Jahr nun plötzlich nicht mehr nur über Gewehre, sondern über Panzer verfügen) militärisch ausrüstet, ist für alle Beteiligten und Beobachter ein offenes Geheimnis. Aus Sicherheitsgründen wünscht Rwanda eine Art Pufferzone jenseits der kongolesischen Grenze zu unterhalten, in welcher Laurent Nkunda seine Sicherheitsinteressen garantiert. Das aber führt heute zum Hass vieler Kongolesen, die Rwanda als "Invasoren" und äußeren Aggressor und Laurent Nkunda folglich als "Ausländer" - er sei in Wirklichkeit Rwander, hört man in Kinshasa oft - wahrnehmen.

Neben der, durchaus nachvollziehbaren - aber in der Praxis zu brutalen Konsequenzen führenden -, politischen Motivation Rwandas weist dessen Führung aber auch eine ökonomische Motivation auf. Rwanda, ein Agrarland, besitzt so gut wie keine eigenen Bodenschätze. Es tritt aber auf den Weltmärkten als Verkäufer etwa von Koltan und anderen Mineralien auf, und erlebt in den letzten Jahren einen regelrechten Wirtschaftsboom. Die Antwort auf die dadurch aufgeworfene Frage liegt auf der Hand: Rwanda profitiert vom Abtransport der Rohstoffe aus dem Osten Kongos, in die Häfen Ostafrikas, der über sein Territorium führt. Dafür braucht es im Prinzip keine irgendwie geheime Verschwörung, denn die Routen (auf dem Landweg) nach Osten und zu den dortigen Häfen führen zum Gutteil über das ostafrikanische Nachbarland. Dass ein Rwanda freundlich gesonnener Warlord oder Rebellenführer dabei die Zone kontrolliert, in der die Schürforte liegen (oder genauer: die nächsten urbanen Zentren, die von dort aus zu erreichen), erleichtert den Rwandern dabei natürlich das Geschäft - an dem, neben den Rebellen, zahlreiche Zwischenhändler verdienen.

Internationale Einmischung: ein Konflikt nach kolonialen Schnittmustern

Zum dritten Punkt: Diese vorgenannten, politischen oder ökonomischen, Motivationen der lokalen oder regionalen Akteure sind wiederum in einen internationalen Kontext eingebettet. Letzterer lässt sich, seit Anfang der neunziger Jahre, als eine Art "neuer Kalter Krieg" analysieren. Denn ab 1990, mit dem Ende der bipolaren Weltordnung und dem Wegfall der "Bedrohung" durch den sowjetischen Block (der mit einem Teil der "Dritten Welt"-Staaten verbündet gewesen war), gingen die USA auf dem afrikanischen Kontinent in die Offensive. Sie wollten Frankreich nicht länger frag- und kampflos seine bisherige Einflusszone - in seinem postkolonialen "Hinterhof", der einen Großteil Nord-, West- und Zentralafrikas ausmacht - überlassen. Die US-Administration begann, einige autoritäre und korrupte Regimes, die bislang vom gesamten "Westen" unterstützt worden waren, zu kritisieren und Druck auf die Einrichtung von Mehrparteiensystem auszuüben, um einen Austausch der regierenden Eliten anzustreben. Später, ab dem Jahrtausendwechsel, kam China als wirtschaftlich und politisch handelnder Akteur auf dem Kontinent hinzu: Der Handel Pekings mit den afrikanischen Ländern wächst seit dem Jahr 2000 exponentiell an. Die Chinesen versprechen den dortigen Bevölkerungen leichteren Zugang zu Konsumgütern - dank billiger Importware, die freilich einheimische Konkurrenten gefährdet - und den Regimes, sie nicht mit Nachfragen nach "Demokratie und Good Governance"(also finanzieller Transparenz im Sinne des IWF und der Gläubiger) zu nerven.

Die zentral- und ostafrikanische Krisenzone kam in diesem Kontext in Bewegung. Die damalige Guerillaarmee (und jetzige Regierungspartei) RPF griff Rwanda ab Oktober 1990 vom Staatsgebiet Ugandas - wo sie von dorthin geflüchteten und in Uganda lebenden Tutsi gebildet worden war - aus an. Uganda aber ist englischsprachig, und die Kader der RPF sind es ebenfalls. Ihr General Paul Kagamé, jetzt der Staatspräsident Rwandas, hatte einen Teil seiner militärischen Ausbildung im US-Bundesstaat Kansas genossen. Das offizielle Frankreich, damals unter Präsident François Mitterrand, witterte eine Verschwörung gegen die französische Einflusssphäre in Afrika, die darauf ziele, die anglo-amerikanische Einflusszone zu erweitern. Aus diesem Grunde, hauptsächlich, unterstützte die französische Politik das Völkermordregime im Jahr 1994 politisch und militärisch - bis zu bitteren Ende. Die französische Unterstützung erleichterte massiv die Durchführung des Genozids, indem sie den Vormarsch der Guerillaarmee RPF gegen das Völkermörderregime aufhielt, und Paris zugleich beide Augen über die Vorgänge auf rwandischem Boden - den ablaufenden Massenmord - zudrückte.

Ein weiterer geopolitischer Beweggrund dafür war, dass man in Paris fürchtete, im Falle eines Sturzes des rwandischen Regimes werde die "Einfallspforte" für Zaire - dessen Regime unter Mobutu damals durch Frankreich und Belgien noch gestützt wurde - aufstoßen. Auch das Regime in Kinshasa werde in der Folgezeit fallen. So kam es im übrigen auch, da sich eine im Osten des damaligen Zaire formierende einheimische Rebellenarmee militärisch mit Rwanda - das 1996 dem Treiben von Ostzaire aus gegen sein Staatsgebiet agierender Milizen der Hutu-Rassisten ein Ende setzen wollte - und dessen Unterstützer Uganda verbanden. Die US-Administration Clinton gab daraufhin grünes Licht für den Sturz Mobutus.

Heute sind US-Amerikaner und Briten noch immer enge Verbündete Rwandas, auch wenn das Regime derzeit im Kongo inzwischen zumindest teilweise als Aggressor qualifiziert werden kann. Frankreich hat in der Region viel an Einfluss verloren, da Rwanda - aus gut nachvollziehbaren Gründen - seine Kontakte zu Paris mehr und mehr abgebrochen hat. Im Oktober 2008 hat Rwanda nun erstmals Französisch als Amtssprache abgeschafft und durch das Englische ersetzt. Seit anderthalb Jahren bemüht das ostafrikanische Land sich nun auch um Aufnahme in den Commonwealth, und 2007 sowie Anfang 2008 verrichtete der britische Ex-Premierminister Blair Beratermissionen bei Präsident Kagamé. Insofern bestehen nur geringe Zweifel daran, dass die anglo-amerikanischen Eliten derzeit unter den Konfliktparteien, die in der RDC mitmischen, vor allem Rwanda unterstützt.

Hinzu kommt, neben der neueren Anbindung an den anglo-amerikanischen Machtblock, auch eine (dazu parallel verlaufende) regionalpolitische Dimension: Rwanda verließ im Juni 2007 die Wirtschaftsgemeinschaft zentralafrikanischer Staaten - ihre französische Abkürzung lautet CEEAC -, der das Land bis dahin angehört hatte und die nach dem Sturz Mobutus rund um die RDC gegründet worde war. Stattdessen schloss Rwanda sich im Jahr 2008 der "Ostafrikanischen Gemeinschaft", in englischer Sprache abgekürzt: EAC, an. Ihr gehören, nunmehr neben Rwanda, auch u.a. Kenya, Uganda und Tanzania an. Verkehrsspreche in der EAC ist Englisch, in der CEEAC hingegen Französisch. Auch die Handelsrouten, auf denen die Rohstoffe abtransportiert werden, sind unterschiedliche: Für die EAC führen sie über die Häfen Tanzanias und Kenyas zum Indischen Ozean, und die Staatengemeinschaft wird - neben Briten und US-Amerikanern - auch durch Indien (das seinerseits außenpolitisch mit den USA liiert ist) unterstützt. Im Falle der CEEAC hingegen führen die Handelsrouten durch das Staatsgebiet der Demokratischen Republik Kongo zu den Atlantikhäfen. Von dort verlaufen dann die Schiffsfahrtsrouten nach Europa, oder China.

Frankreich und (inzwischen) Peking unterstützen dagegen - wie anfänglich alle westlichen Mächte - die sich stabilisierende Zentralregierung in Kinshasa. Letztere wird jedoch aufgrund ihrer Bemühungen um eine gewisse Autonomie gegenüber den westlichen Hauptstädten (April 2007: Abschluss günstigerer Wirtschaftsverträge mit Peking) dort inzwischen weniger gern gesehen. Frankreich war das einzige europäische Land von Gewicht, das - ab Ende Oktober und im Anblick des Vormarschs der Rebellen unter Laurent Nkunda - Truppen der Europäischen Union (mit eigener Beteiligung) "zum Friedensstiften" in die RDC entsenden wollte. Weil Frankreich, das sich derzeit beiden Rwandern nicht blicken lassen kann, dabei am meisten zu verlieren haben sollte...? In Ansätzen wurde diese Anregung des französischen Außenministers Bernard Kouchner nur noch von Belgien als früherer Kolonialmacht im Kongo geteilt, das jedoch alsbald darauf verzichtete (der Vorschlag sei "nicht realistisch"). Alle anderen EU-Staaten wollten jedoch davon absehen und hielten das für eine Schnapsidee. Auch der Elysée-Palast, also Präsident Sarkozy, hat sich inzwischen übrigens von dieser ursprünglichen diplomatischen Initiative seines Außenministers Bernard Kouchner distanziert: "Zu heiß" befand Sarkozy Ende November (einer ähnlichen Argumentation folgend wie zuvor schon französische Medien, etwa die Tageszeitung Libération ). Denn falls Frankreich mit militärischen Mitteln "dort an der Grenze zu Rwanda" operiere, drohe erst recht eine Eskalation: In Rwanda habe man die Vorwürfe an Paris aufgrund der französischen Rolle beim Völkermord von 1994 nicht vergessen. Eh non...!

Seit Mai 2008 und einem Besuch von Präsident Nicolas Sarkozy in Luanda, der Hauptstadt Angolas, das als neuer Ölförderstaat eine wachsende ökonomische Bedeutung genießt (und von Paris ebenso wie von Peking umworben wird), bemüht Frankreich sich auch um einen guten Draht zum angolanischen Präsidenten Eduardo dos Santos. Jüngst, im November 2008, konferierten Sarkozy und dos Santos erneut, dieses Mal explizit "zur Krise im Osten der RDC". Hartnäckige Gerüchte besagen unterdessen, Angola habe Truppen zur Stützung der Zentralregierung in Kinshasa in den Kongo entsandt (wie einige Jahre zuvor, während des "afrikanischen Weltkriegs").

Streit um die Aufstockung der UN-Truppe MONUC

Vor diesem Hintergrund erklärt sich nicht zuletzt auch das Tauziehen um die Frage der Aufstockung der UN-Mission im Kongo (UNMIC), sowie ggf. der daran beteiligten Nationen. Die UNMIC stellt, mit 17.600 entsandten Soldaten, derzeit den größten internationalen Militäreinsatz unter Führung der Vereinten Nationen dar. Die größten Kontingenten an der UNMIC stellen die südasiatischen Staaten - Indien (rund 4.400 Soldaten), Pakistan (3.300 Mann) und Bangladesh (1.400 Mann) -, gefolgt von Urugay mit 1.300, Südafrika mit 1.100 und Nepal mit 1.000 Soldaten. Aufgrund der Tatsache, dass sie das stärkste Einzelkontingent sowie fast sämtliche Kampfhubschrauber des Einsatzes stellen, nehmen die Inder die Kommandoposten ein.

Unlängst wurde der MONUC nun Untätigkeit, angesichts der - unter anderem - durch die Rebellen von Laurent Nkunda begangenen Massaker, vorgeworfen. Tatsächlich kamen solche Vorwürfe immer wieder auch aus der örtlichen Bevölkerung (sofern die internationalen Medien richtig darüber berichten, die Grundinformation dürfte aber zutreffen): In Goma kam es zu Schusswaffeneinsatz bei einer Protestversammlung aufgebrachter Menschen vor der dortigen MONUC-Zentrale, und die Pariser Abendzeitung ,Le Monde' zeigte Mitte November ein Foto, auf dem man Steine auf UN-Panzer werfende Kongolesen sehen kann. Teile der ortsansässigen Bewohner werfen der UN-Truppe heftig vor, nicht für ihren Schutz zu sorgen und deswegen "nutzlos" zu sein.

Tatsächlich hat die MONUC auf Angriffe der Rebellentruppe Laurent Nkundas oft nicht reagiert, und ihrem indischen Kontingent wird gar vorgeworfen, einen Waffenhandel mit dessen Anhängern zu betreiben. Dabei dürften verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Zum Einen vermögen UN-Soldaten, die theoretisch eine "Puffertruppe" zum Auseinanderhalten verfeindeter Streitparteien bilden sollen, keinen eigenen "Feind" ausmachen und sich nur relativ schwer zum Töten und Sterben motivieren. Dies ließ sich oft auch bei anderen UN-Einsätzen in der Vergangenheit beobachten. Zudem verhält sich die Soldateska der regulären Armee der Regierung in Kinshasa - so werfen ihr jedenfalls ,Human Rights Watch' und andere Menschenrechtsorganisationen vor - konkret vor Ort ähnlich wie jede x-beliebig andere bewaffnete Bande. Ihren Soldaten wird vorgeworfen, zu plündern, zu rauben und zu vergewaltigen - ohne freilich gegen die Rebellen zu kämpfen, vor denen sie oftmals einfach abhauen. In einem solchen Kontext ist es nicht einfach, die UN-Soldaten zu motivieren, "parteiisch" zu werden und gegen die Rebellen zu kämpfen, während die Regierungsarmee selbst es nicht einmal tut (bis auf "Widerstandsnester", die von einzelnen, besser ausgebildeten und bezahlten Eliteeinheiten gebildet werden). Und eine andere frühere Rebellengruppe als jene Laurent Nkundas, die inzwischen an der Regierungskoalition in Kinshasa beteiligt ist, wird zur selben Zeit ihrerseits massiv beschuldigt, in der Vergangenheit Massaker begangen zu haben: Auf dem Grundstück eines ihrer Anführer im Ostkongo wurden im November 2008 rund 2.000 Leichen ausgegraben. Laurent Nkunda und seine Anhänger haben also offenkundig kein Monopol auf Grausamkeiten inne.

Dies ist aber nicht alles. Denn der wahre Hintergrund für den Streit um die Aufstockung, und - falls ja - die zukünftige Zusammensetzung der UN-Truppe liegt in politischen Faktoren, die auf der Ebene der Regierungen und nicht bei den Soldaten im Einsatz vor Ort angesiedelt sind. Besonders die indische Regierung, deren Militärs Kommandofunktionen bei der MONUC innehaben, wird durch Kinshasa verdächtigt, auch auf politischer Ebene Partei für die "Sache" der Rebellen Laurent Nkundas zu ergreifen.

Daraus resultiert auch der jüngste Konflikt: Um auf die Vorwürfe wegen "Untätigkeit" und "passiven Zusehens bei Massakern" gegen die MONUC zu reagieren, hat die UN-Zentrale in Aussicht gestellt, die Blauhelmtruppe von derzeit 17.600 Soldaten um weitere 3.000 auf über 20.000 Mann (und Frau) aufzustocken. Daran sollten die Inder wiederum am stärksten beteiligt werden. Dagegen erfolgte aber alsbald ein ausdrückliches Veto aus Kinshasa: Indien wird verdächtigt, politisch ein unsicherer Kantonist zu sein und es eher mit den (durch Rwanda unterstützten) Rebellen zu halten.


Diese Vorwürfe haben durchaus einen Sinn, ebenso wie die Strategie der indischen Regierung. Denn ihr Verhalten - dem tatsächlich eine Sicht zugrunde liegt, in der die Rebellen besser wegzukommen scheinen als die regulären Regierungstruppen der RDC - lässt sich auf dem Schachbrettmuster des "neuen Kalten Krieges um Afrika" durchaus interpretieren und nachvollziehen. Die wichtigsten ostafrikanischen Staaten (Rwanda, Uganda, Kenya) sind englischsprachig und verfügen, als "natürlichen" Wirtschaftsraum, über eine Anbindung zum Indischen Ozean. Damit sind sie, gerade auch für ein Land wie Indien, wichtige potenzielle Handelspartner. Die USA wiederum unterstützen Staaten wie Rwanda - unter anderem auch, um einen Ring von pro-amerikanischen Staaten rund um den Sudan (der wiederum durch China unterstützt wird) zu ziehen. Rwanda aber unterstützt die Rebellen im Ostkongo.

Die Zentralregierung in Kinshasa wiederum optiert für eine bevorzugte Route für den Abtransport der Rohstoffe, der nicht über die Häfen Ostafrikas (und über den Indischen Ozean, nach Indien oder in die USA) führt, sondern über das Landesinnere zum Atlantik. Dabei erhält sie eine, wenn auch relative, Unterstützung von Frankreich sowie von Peking, wobei China an einer Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur im Landesinneren arbeitet. China, das bereits einen wichtigen ökonomischen Einflusspol im Nachbarstaat Congo-Brazzaville unterhält und von dort aus etwa Tropenhölzer über die Atlantikhäfen (Pointe Noire) abtransportiert, könnte wohl - obwohl östlich von Afrika gelegen - mit einer Route über die westlich gelegenen Häfen gut legen. Jedenfalls dann, wenn sein Rivale Indien dabei ausgestochen wird. Fügen wir hinzu, dass das offizielle Indien eine eher pro-US-amerikanische Politik verfolgt (ein gigantischer Nukleardeal mit der Bush-Administration sorgte für den Auszug einer der indischen Kommunistischen Parteien aus der Regierungskoalition), während China sich trotz erklärter Partnerschaft zunehmend zum Rivalen der USA aufschwingt.

Ach ja, ,last but non least': Unerwähnt bleiben sollte auch nicht, dass Laurent Nkunda die Kündigung oder mindestens Revision der mit China abgeschlossenen Verträge fordert. Sie seien, seiner Auffassung nach, nicht vorteilhaft genug für das kongolesische Volk. Dabei fallen sie in Wirklichkeit eher vorteilhafter für das Land aus, da Peking sich - neben einer Bezahlung der Rohstoffe, über deren Höhe man sich streiten kann - auch Investitionen in den Straßenbau im Lande verspricht, im Gegensatz zu bisherigen westlichen Investoren. Eine andere Frage ist freilich, was von den aus diesen Verträgen resultierenden Vorteilen und von den Preisen für die Rohstoffe auch vor Ort im Ostkongo ankommt - und was bei notorisch korrupten Eliten in Kinshasa hängenbleibt. Insofern hat es durchaus einen rationalen und für die örtliche Bevölkerung gut nachvollziehbaren Kern, wenn Nkunda sich über einen ausbleibenden Nutzen für die Bevölkerung im Ostkongo beschwert. Die Frage ist nur, wie seine Alternative zu den Verträgen mit Peking aussähe. Über andere, etwa westliche "Handelspartner" hört man bislang weniger Kritik von ihm...

Fazit und Ausblick

Nichts ist also in den aktuellen Konflikten auf "Zufall" zurückzuführen. Der internationale und weltpolitische Kontext darf nicht vernachlässigt werden - auch wenn die afrikanische Akteure keineswegs nur passive Schachfiguren auf dem Spielbrett auswärtiger Mächte darstellen, sondern durchaus eigene, rational gefasste Interessen und Strategien verfolgen.

Ein rationales Angebot, um den Konflikt herunterzukochen, hat unterdessen die Zentralregierung der RDC in Kinshasa an Rwanda unterbreitet: Ihm bot die kongolesische Regierung an, gemeinsame militärische Operationen gegen die FDLR - die Milizen der Hutu-Rassisten und früheren Völkermörder - durchzuführen. Ein im November frisch geschlossenes Abkommen sieht vor, dass militärische Ausbilder und Instrukteure aus Rwanda den regulären Truppen der RDC im Ostkongo zugeteilt werden, um den Kampf gegen die FDLR anzuleiten und zu überwachen. Bis dahin hatten sowohl Rwanda als auch Laurent Nkunda und seine Leute der kongolesischen Regierung in Kinshasa vorgeworfen, sie dulde die Milizen der FLDR, um sie gegen die Rwander kämpfen zu lassen. Auf diese Weise versucht Kinshasa nun, die äußere Einmischung des rwandischen Staates und seine Unterstützung für die Rebellen als Konfliktfaktor zu neutralisieren: Das berechtigte Sicherheitsinteresse Rwandas, die Milizen der früheren Völkermörder von seinen Landesgrenzen fernzuhalten, wird aufgegriffen. Gleichzeitig wird dadurch jedoch dem mutmaßlichen Streben Rwandas nach den Rohstoffreserven im Ostkongo der Anschein politischer Legitimität genommen.

Es bleibt zu hoffen, dass diese Initiative zur Deeskalation des Konflikts beiträgt, und der Einmischung äußerer Mächte - von Frankreich über die USA bis Indien und China - den Boden entzieht. Hinzu kommen müssten, längerfristig, Vorschläge für die Entwaffnung der Rebellen und ihre Eingliederung ins zivile Leben sowie, natürlich, für die Bestrafung der Völkermörder von 1994.

Bernard Schmid, Paris, 09.12.2008


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