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Updated: 18.12.2012 15:51
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Die Gewerkschaftspolitik der Regierung: Attacke!

Der nationale Vorstand der COB war seit langem ein Morales-kritischer Pol, weswegen es auch nicht überrascht, dass die Regierungspartei MAS alles unternahm, um einen anderen Vorstand der COB zu bekommen. Was ihr auch gelang: Allerdings setzte die MAS nicht jene Vertreter durch, die sie wollte. Ein Interview zur Entwicklung der COB "COB - Wohin?" von August 2006

COB - Wohin?

Jesus Angel Prieto ist 48 Jahre alt - und eigentlich erwerbslos. Einer der vielen, die im Zuge der Privatisierung bolivianischer Zinnminen ihre Arbeit verloren haben. Beschäftigt aber ist er vor allem damit, seine über 30-jährigen Aktivitäten in der Bergarbeitergewerkschaft FSTMB fortzusetzen - was ihn nicht daran hindert, deren Rolle auch durchaus kritisch zu sehen...

Ist die Regierung und ist die MAS zufrieden mit dem Ergebnis des Kongresses, dass es eine neue Leitung der COB gibt?

Nein, sind sie nicht: Klar, damit dass Solares nicht mehr Sekretär ist, damit schon. Aber was jetzt herauskam, waren nicht die Leute, die sie wollten - ihre eigenen. Pedro Montes mag gemässigter sein, als Solares, aber er ist kein "oficialista", kein sozusagen Regierungsvertreter. Und sie haben ja auch die weitere Verschiebung des Kongresses nicht erreicht, die sie haben wollten, auch wenn das vielleicht nur ihrer taktischen Dummheit zuzuschreiben ist, die nicht beachtet hat, dass viele schon sehr unzufrieden waren mit der Überschreitung der Kongressfrist durch die bisherige Exekutive. So hat Minister Rada denn auch gleich "bedauert" dass die neue COB Leitung leider nicht repräsentativ sei, und es deswegen schwer haben werde. Und sie nehmen die Vorlage, die der Kongress ihnen gegeben hat, dankbar auf: Die Wahl Angel Durans in den Vorstand - der mit der Regierung Sanchez Losada zusammengearbeitet hat. Natürlich, um die COB witzigerweise "rechts von sich" ansiedeln zu können.

Aber wie kommt es, dass jemand wie Duran in den doch sozusagen weltweit als "links" bekannten COB-Vorstand gewählt werden kann?

Das hat viel mit den Strukturen der COB zu tun: die sind einfach starr, die sind noch von früher, als fast 40.000 Mann in den Bergwerken das Rückgrat der Bewegung waren, das ist schon lange vorbei, und darauf aufbauend wurden im Prinzip kann man sagen Quoten vergeben, und wenn Du dann eine Gewerkschaft oder eine soziale Bewegung hast, in der sich nicht viel bewegt, dann überleben solche Leute eben politisch. Aber es gibt jetzt eine Suspendierung und eine Untersuchung, ob er wirklich Geld von Goni, also Sanchez Losada, bekommen hat - wobei die Regierung sagt, sie habe der COB alle Dokumente bereits übergeben.

Du sagst, die Zeit in der solche Strukturen geschaffen wurden, seien lange vorbei - wie sieht das denn konkret aus?

Nun, dazu muss man wissen, dass einst Zinn das AundO in Bolivien war: und in den 50er Jahren war nicht nur alles staatlich, sondern die entsprechenden staatlichen Organe waren auch mit Gewerkschaften besetzt. Wenn Du in einem kleinen, armen Land wie Bolivien solch einen Einfluss hast, dann dauert das, biss Du bereit bist, zu registrieren, dass die Verhältnisse eben jetzt andere sind - nicht zuletzt durch politische Niederlagen, die wir erlitten haben. Wenn es statt 40.000 Bergarbeitern in staatlichen Unternehmen heute noch etwa 6.000 gibt, die Mehrheit davon in Privatunternehmen, dann ist das einfach etwas ganz anderes, oder etwa nicht? Und wenn ich dann ganz lange so weiter mache wie gehabt, dann führt das in eine Katastrophe. Dann gibt es - wie wir es hatten - plötzlich zwei Vorstände - und dann gibt es auch die Chance für eine Regierungspartei, die als links gilt - und die in ihren Versuchen, zu beeinflussen, auch durchaus richtige Forderungen aufgreift, wie etwa nach einer grösseren Vertretung der Landarbeiter usw - diesen Gewerkschaftsbund, den nicht wenige als einen hohlen Koloss bezeichnet haben, ernsthaft zu beeinflussen und damit zu schädigen.

Was sagst Du als langjähriger Aktivist denn zu dem "hohlen Koloss"?

Am liebsten gar nichts. Aber, wenn man sich die Ereignisse im Lande in den letzten Jahren anschaut, dann ist die Sachlage natürlich vielschichtig: Dass heute die Energiewirtschaft im Zentrum steht, ist unbestreitbar, wie auch, dass die Nachbarschaftsvereinigungen in den diversen Kämpfen gegen die Wasserprivatisierung eine entscheidende Rolle gespielt haben, und nicht etwa die Gewerkschaften. Auf der anderen Seite haben die Gewerkschaften - auch unsere - in den beiden letzten Jahren wieder eine grössere Mobilisierungskraft bewiesen, als es zwischenzeitlich der Fall war. Aber das war natürlich auch in der allgemeinen Stimmungslage einfacher.

Und wie schätzst Du das mit der Mobilisierungskraft für die nähere Zukunft ein?

Also grundsätzlich denke ich, weiss ich, dass eine grosse zahl von Menschen in Bolivien ihre Hoffnung in die MAS und ihre Regierung setzen - nach wie vor. Das ist eine Grundtatsache, davon müssen wir ausgehen. Klar kann man das sehr kritisch sehen - wie alle diese linken Regierungen in Südamerika, mit Ausnahme vielleicht von Chavez, ist auch die von Evo nicht bereit, einen Bruch mit dem Weltsystem zu provozieren. Ich glaube, wenn sie es wollten, gemeinsam könnten sie es schon, weil es ja eine Reihe von Ländern, in Wirklichkeit ein ganzer Erdteil wäre, aber naja... Wichtig ist mir aber schon folgendes: Was immer diese Regierungen auch tun - oder eben auch nicht tun - dass sie gewählt worden sind, drückt aus, dass viele Menschen Veränderungen im sozialen Sinne wollen, sie haben diesen Kapitalismus ziemlich satt. Darauf muss man aufbauen - aber man muss eben auch bereit sein, alte Strukturen beiseite zu werfen. Gewerkschaften in Bolivien, wie überall auf der Welt, sind immer auch eine konservative Veranstaltung, auch wenn sie links sind, weil sie alles mögliche bewahren. Was auch zur bewahrung der eigenen Strukturen führt - und konkret etwa dazu, dass die ganzen Auseinandersetzungen in der COB im Rahmen jener Gremien stattfinden, die dazu eingerichtet wurden - und damit an der Mitgliedschaft, der vielbeschworenen Basis oft genug vorbeigehen. Und wenn ich sage, konservativ, dann meine ich auch, dass sie vor allem und oft genug ausschliesslich die Interessen jener Minderheit vertreten, die in grösseren Unternehmen mit einigermassen stabiler Beschäftigung arbeiten - das mag bei euch in Europa noch eine Weile so gehen, hier in Südamerika ist es nahezu selbstmörderisch.

Ist eine neue Verfassung möglich?

Ja, die wird es geben - aber ob sie etwas bedeutet, mehr als Papier, das wird man noch sehen müssen - bisher ist es doch so, dass beispielsweise die gesellschaftlichen Freiheiten und politischen Rechte für unsereins sehr unterschiedlich sind, je nachdem, wo man lebt, arbeitet und zu kämpfen versucht. In El Alto ganz anders als in Santa Cruz, wo manche beinahe klandestin arbeiten müssen.

Und wie siehst Du dann konkret die Rolle, die die COB in Zukunft spielen wird?

Ich denke eigentlich nicht, dass es der MAS gelungen ist, die COB zu ihrem Transmissionsriemen zu machen, das soll hoffentlich - nach allen Erfahrungen - nie wieder jemand irgendwo auf der Welt gelingen. Aber der Druck daraufhin wird weitergehen. Und für die COB selbst und alle einzelnen Gewerkschaften wird es wichtig sein, sich endlich den neuen Entwicklungen zu stellen. Denn dass man beispielsweise das Kongressdatum um beinahe ein Jahr überschritten hat, war natürlich für alle Kritiker Solares ein willkommenes Festessen, da konnten sie auch Menschen für sich gewinnen, die politisch anders denken - aber es war eben auch ein Ergebnis des bürokratisierten Zustands der nun mal eben nicht sehr Bewegung. Unabhängigkeit und Erneuerung - das sind die beiden Voraussetzungen die die COB haben oder bewahren oder erreichen muss, um eine wesentliche Rolle in den kommenden Auseinandersetzungen zu spielen, und diese Auseinandersetzungen werden kommen, weil es bisher weder eine wirkliche Energiewirtschaftsreform noch eine ernsthafte Landreform noch sonst besonders viel gibt.

(Die Fragen stellte hrw)


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