Auskommen mit Einkommen

Folge 5: Gegenmacht

Ich weiß nicht wie es bei Ihnen ist. Dort, wo ich arbeite, thronen Vorgesetzte in Ihren Büros. Für einen Schwatz ist der Flur oder das Zimmer der Untergebenen akzeptabel. Relevante Gespräche werden jedoch wie Audienzen inszeniert. Im Thronzimmer des Vorgesetzten oder im Konferenzraum.

Die einzige Kulisse, vor der ich ähnlich aristokratisches Verhalten erlebe, ist meine Familie. Allerdings sind dort die Rollen umgekehrt. Hier thronen meine Frau und ich, zitieren zu Themen, die wir durchsetzen wollen, an den Esstisch. Das ist Erwachsenenrevier.
Die Gegenreaktion ist entsprechend. „Ich will fernsehen. Ich will Süßes. Ich will fernsehen. Ich will Süßes“, skandiert der vierjährige Pöbel fleißig und blockiert den Zugang zum Wohnzimmer. – Umgang ist eine Frage der Macht.

Will ich mich dagegen wirklich auf die Situation und die Perspektive meiner achtjährigen Tochter einlassen, dann klopfe ich höflich an ihre Zimmertür und setze mich zu ihr aufs Bett. Dann höre ich mir erst mal an, was sie zu sagen hat. So wie ich es von einem guten Vorgesetzten erwarte (naja, an mein Bett müsste er nicht kommen).

Stattdessen Einzeltermine oder Teamrunden in Thronzimmern. Die berufliche Realität ist offenbar ein Abziehbild der familiären. Sind solche Chefs und Chefinnen zu bemitleiden, weil sich ihre Mamas und Papas nie zu ihnen ans Bett gesetzt haben? Wäre das eine Entschuldigung? Ist es umgekehrt für mich eine, wenn ich mit meinen Kindern von oben herab umgehe?

Also versuche ich es eines Abends kooperativ. Vielleicht nicht perfekt, aber ein Anfang.
„Es ist Zeit fürs Bett. Soll ich euch Harry Potter vorlesen?“
Dreistimmiges „Ja!“
„Dann putzt euch die Zähne und zieht die Schlafanzüge an.“
Zwei flitzen begeistert davon. Der Dritte trottet langsam hinterher. Wenn sich alle einig sind, geht es ja doch.
„Papa...“ Das Lächeln gefällt mir gar nicht. „Ich geh’ nicht ins Bett. Ich find’ Harry Potter blöd.“

Bjørn Jagnow – www.bjoernjagnow.de