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Updated: 18.12.2012 15:51
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Wolfgang Pomrehn: Quicklebendig Rekordbesuch beim V. Weltsozialforum.
Diskussionen über die Perspektiven der Foren


Eines ist sicher: Die Weltsozialforumsbewegung, so diffus und vielschichtig sie auch erscheinen mag, ist quicklebendig und zudem reichlich resistent gegen allerlei Vereinnahmungs- und Zähmungsversuche. Über 150 000 Teilnehmer und Beobachter haben die Organisatoren gezählt – was ein neuer Rekord wäre – und es könnten noch mehr gewesen sein. Die knapp vier Euro Tagungsbeitrag sind nämlich für den durchschnittlichen brasilianischen Arbeits- oder Landlosen viel Geld. Das mag sich mancher gespart haben, indem er ohne Registrierung teilnahm. Wie sehr die Teilnehmerschaft von Basisaktivisten mit geringem Budget geprägt war, zeigt unter anderem die Tatsache, daß in der ganzen Stadt die Turnhallen belegt waren, zum Teil sogar überfüllt. Auch das Jugendcamp hat noch einmal rund 30 000 nicht nur jugendliche Menschen aufgenommen. Die Vertreter europäischer und nordamerikanischer NGOs und Gewerkschaftsapparate hingegen haben die Hotels und zum Teil auch die Programmhefte gefüllt, in der Masse der Teilnehmer waren sie hingegen fast eine Randerscheinung. Man mag sich also ärgern, daß zum Beispiel Deutschland hauptsächlich durch wohldomestizierte Gewerkschaftsfunktionäre und durch Stiftungen von Parteien vertreten war und zum Beispiel die Sozialbündnisse und Montagsdemonstranten gänzlich fehlten. Aber Grund zur Sorge für die Zukunft des Weltsozialforums gibt es nicht.

Allerdings muß man sich in Deutschland unbedingt überlegen, wie die hiesigen sozialen Kämpfe – zum Beispiel gegen „Hartz IV“ und Co. – besser mit den internationalen Bewegungen zu verbinden sind. Auch die deutsche Friedensbewegung könnte sich auf den Sozialforen mehr einbringen, die ja immerhin in den vergangenen Jahren eine wichtige Rolle in der Entwicklung des internationalen Protestes gegen die US-amerikanischen Aggressionen gespielt haben.

Der große Star des diesjährigen Weltsozialforums war Venezueals Präsident Hugo Chavez, dem auf der – neben Auftakt und Abschluß – einzigen Großveranstaltung rund 40 000 Menschen zujubelten. Brasiliens Präsident Lula (Luis Inácio da Silva) war zwei Jahre zuvor kurz nach seiner Wahl noch ein ähnlicher Empfang bereitet worden, doch dieses Jahr wurde er vergleichsweise frostig empfangen. „7:0 für Chavez“ titelte eine brasilianische Zeitung, die die Zahl der stehenden Ovationen gezählt hatte. Chavez Politik ist offensichtlich für viele Aktivisten in Lateinamerika die große Hoffnung. Die rasche Abwendung von Lula, dem Langzeitidol der brasilianischen Bewegungen, die bereits in eine beachtliche Austrittswelle aus der Arbeiterpartei gemündet ist, zeigt hingegen, daß die Begeisterung keineswegs blind ist, wie unterkühlte deutsche Skeptiker meinen könnten. Der Jubel für Chavez hält die lateinamerikanischen Linken nicht davon ab, genauer hinzuschauen. Die Gefahr der Vereinnahmung ist also eher gering, auch wenn im nächsten Jahr die lateinamerikanische Ausgabe des dann erstmalig dezentralisierten Weltforums in Venezuelas Hauptstadt Caracas tagen wird.

Eine andere Konfliktlinie verläuft entlang der Frage „Politische Plattform oder offener Raum?“ Den Sozialforen wird sowohl von außen als auch von einem Teil der Organisatoren in letzter Zeit verstärkt vorgeworfen, sie hätten kein politisches Profil, es bedürfe einer gemeinsamen Plattform, um die Bewegungen zu einem globalen Akteur zu machen. Einige prominente Intellektuelle – hauptsächlich „Männer europäischer Abstammung“, wie eine Kritikerin anmerkte – haben daher in Porto Alegre einen Vorstoß unternommen, um eine entsprechende Plattform einzubringen. Die Initiative stieß allerdings nicht nur auf Gegenliebe (siehe Seite 6).

Zweierlei wird von denjenigen, die mehr Profil fordern übersehen: Zum einen bietet das Forum schon jetzt jede Menge Raum für internationale Aktions-Netzwerke aller Art, von denen manches durch die Sozialforen entstand. Kampagnen werden diskutiert und vorbereitet, gemeinsame Schwerpunkte festgelegt, wichtige Informationen und Erfahrungen ausgetauscht. In den Versammlungen der sozialen Bewegungen, die regelmäßig zum Ende des Weltforums und der kontinentalen Foren abgehalten werden, laufen diese Diskussionen in einer gemeinsamen Erklärung zusammen. Keine Erklärung des Sozialforums, aber jener, die gemeinsame Kampagnen und Aktionen wollen. In der politischen Praxis spielt dieser feine Unterschied kaum eine Rolle, aber für die Vitalität der Foren ist er wichtig, um sich nicht in unnötigen Grabenkämpfen über die Details inhaltlicher Erklärungen zu verlieren.

Zum anderen ist fraglich, welchen Wert eine programmatische Erklärung des Forums hätte. Der legendäre globale Aktionstag am 15. Februar 2003, als in aller Welt rund 15 Millionen Menschen gegen den damals noch bevorstehenden Angriff auf den Irak auf die Straßen gingen, brauchte kein ausformuliertes Programm. Die Forderungen „Nie wieder Krieg!“ und die Ablehnung der US-geführten Aggression hat spontan Dutzende Millionen Menschen in aller Welt vereinigt. Wichtig war allerdings das Wissen voneinander und die zeitliche Koordination der Aktionen, was durch die Sozialforen und das Internet ermöglicht wurde. Bei anderen Themen mag das Entstehen eines solchen internationalen Bewußtseins schwieriger sein. Aber wichtig dafür sind vor allem Austausch von Erfahrungen und Informationen sowie grenzüberschreitende Kommunikation, die nicht nur einigen Funktionären, sondern allen Interessierten offen steht. Diesen Rahmen bieten die Foren und der kann durch keinerlei Programm ersetzt werden.

Wolfgang Pomrehn


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