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Updated: 18.12.2012 15:51
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MANIFEST VON PORTO ALEGRE
Eine andere Welt ist möglich: Zwölf Vorschläge


Seit dem im Januar 2001 in Porto Alegre abgehaltenen ersten Weltsozialforum haben sich die Sozialforen auf alle Kontinente ausgebreitet, sogar bis auf die nationale und lokale Ebene. Mit dem WSF ist ein die Erde umspannender öffentlicher Ort für die Bürgerrechte und die Kämpfe zu deren Durchsetzung entstanden. Es hat die Ausarbeitung von Vorschlägen für politische Alternativen zum Diktat der von den Finanzmärkten und den multinationalen Konzernen vorangetriebenen neoliberalen Globalisierung, deren bewaffneter Arm die imperiale Macht der Vereinigten Staaten ist, ermöglicht. Inzwischen hat die Bewegung für eine andere Welt auf Grund ihrer Vielfalt und der Solidarität der an ihr teilnehmenden Aktivisten und sozialen Bewegungen eine Stärke erreicht, die weltweit ins Gewicht fällt.

Von den unzähligen Vorschlägen, die auf den Foren entwickelt worden sind, finden sehr viele breite Anerkennung innerhalb der Sozialbewegungen Die Unterzeichner des Manifests von Porto Alegre, die hiermit nur ihrer persönlichen Meinung Ausdruck geben und keineswegs vorgeben, im Namen des Forums zu sprechen, haben zwölf Vorschläge herausgearbeitet, die zusammengenommen sowohl Sinn machen als auch die Grundlagen zum Aufbau einer anderen Welt darstellen. Würden sie umgesetzt, könnten die BürgerInnen dadurch endlich damit beginnen, sich gemeinsam ihre Zukunft wieder anzueignen.

Diese Minimalplattform wird den WSF-Teilnehmern und den sozialen Bewegungen aller Länder zur Beurteilung vorgelegt. Denn sie werden es sein, die die zu ihrer Verwirklichung erforderlichen Kämpfe auf sämtlichen Ebenen – auf der Ebene des gesamten Planeten, der Kontinente, auf nationaler und lokaler Ebene – werden führen müssen. Wir machen uns nämlich keine Illusion über den tatsächlichen Willen der Regierungen und internationalen Institutionen, diese Vorschläge von sich aus umzusetzen, auch wenn sie aus reinem Opportunismus die Begriffe daraus entlehnen.

I.Eine andere Welt ist möglich:

Mittels neuer Regeln in der Wirtschaft wird für alle Menschen das Recht auf Leben geachtet. Dafür sind folgende Maßnahmen erforderlich:

1. Streichung der Staatschulden der Länder der südlichen Hemisphäre. Diese Schulden sind bereits mehrmals bezahlt worden. Für die Gläubigerstaaten, die Kreditinstitute und die internationalen Finanzinstitutionen stellen die Schulden das beste, wirksamste Mittel dar, um den überwiegenden Teil der Menschheit zu bevormunden und sie in Elend zu halten. <I>Damit muß die Rückzahlung der Riesensummen einhergehen, welche korrupte Führer ihren Völkern vorenthalten haben.<I> (*)

2.Einführung einer internationalen Besteuerung der Finanztransaktionen (insbesondere die Tobin-Steuer auf die Devisenspekulation), der Direktinvestitionen im Ausland, der konsolidierten Gewinne der multinationalen Firmen, des Waffenhandels und der Tätigkeiten mit starkem Ausstoß von Treibhausgasen. <I>Dazu käme eine staatliche Entwicklungshilfe, die in verbindlicher Höhe von 0,7% des Bruttoinlandsprodukts der reichen Länder erreichen muß. Die hiermit freigestellten Mittel müssen zur grenzüberschreitenden Seuchenbekämpfung (darunter AIDS) eingesetzt werden sowie zur Sicherstellung des Zugangs aller Menschen zu Trinkwasser, Wohnung, Energie, Gesundheitsversorgung und Medikamenten, zur Bildung und zu der sozialen Sicherung.<I>

3. Schrittweise Auflösung sämtlicher Formen von Steuer-, Recht- und Bankkonto-Oasen, die einen Schlupfwinkel für organisierte Kriminalität, Korruption, illegalen Handel jeder Art, für Betrug, Steuerflucht und strafbare Geschäftsabwicklungen von Großunternehmen und sogar von Regierungen darstellt.
<I>Diese Steueroasen beschränken sich nicht auf bestimmte Staaten, die als rechtsfreie Zonen gelten, zu ihnen gehört auch die Gesetzgebung bestimmter entwickelter Länder. In einem ersten Schritt erscheint es sinnvoll, die Kapitalbewegungen stark zu besteuern, die in diese „Oasen“ hinein- oder aus ihnen herausfließen, sowie die Kreditinstitute und die Teilnehmer, Finanzleute und Andere, die diese Unterschlagungen in großem Stil möglich machen<I>

4. Das Recht jedes Bewohners dieser Erde auf Arbeit, Sozialsicherung und Rente unter Beachtung der Gleichheit zwischen Mann und Frau als verbindlicher Bestandteil jeder innerstaatlichen sowie zwischenstaatlichen Politik.

5. Förderung sämtlicher Formen fairen Handels durch Ablehnung der Freihandels-Regeln der WTO und die Einrichtung von Mechanismen, die schrittweise eine Angleichung der sozialen und umweltbezogenen Normen nach oben bei der Produktion von Gütern und der Erbringung von Dienstleistungen schaffen (wie in den Vereinbarungen der Internationalen Arbeitsorganisation vorgesehen). Bildung, Gesundheit, Sozialdienste und Kultur müssen vollständig vom Gültigkeitsbereich des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) der WTO ausgeklammert werden.
In dem Abkommen über die kulturelle Vielfalt, das derzeit in der UNESCO verhandelt wird, muß das Recht auf Kultur und auf eine öffentliche Politik zu Gunsten der Kultur ausdrücklich dem Handelsrecht übergeordnet werden.

6. Sicherstellung des Rechts jedes Landes oder Länderverbunds auf Ernährungssicherheit und –souveränität durch die Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft. Dies verlangt sowohl die vollständige Aufhebung von Subventionen für die Ausfuhr landwirtschaftlicher Produkte, in erster Linie durch die Vereinigten Staaten und die Europäische Union, als auch die Möglichkeit, die Einfuhren zu besteuern, um Dumping-Praktiken zu verhindern. Ebenfalls sollte jedes Land oder Länderverbund über das uneingeschränkte Recht verfügen, Herstellung und Einfuhr von zur Ernährung bestimmten, gentechnisch veränderten Organismen zu verbieten.

7. Verbot von jeder Form einer Patentierung des Wissens und des Lebens (sei es menschliches, tierisches oder pflanzliches Leben), sowie jeglicher Privatisierung der Gemeingüter der Menschheit, insbesondere des Trinkwassers.

II. Eine andere Welt ist möglich: Auf der Ebene der Menschheit das „Zusammenleben“ in Frieden und Gerechtigkeit fördern.

Dafür sind folgende Maßnahmen erforderlich:

8. In erster Linie Bekämpfung durch verschiedene politische Maßnahmen von jeder Form von Diskriminierung, von Sexismus, Fremdenfeindlichkeit, von Rassismus und Antisemitismus. Vollständige Anerkennung der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Rechte (einschließlich der Kontrolle über ihre natürlichen Bodenschätze) der Urvölker.

9. Ergreifen von Sofortmaßnahmen, um der Zerstörung der Umwelt und der Gefahr von gravierenden Klimaveränderungen, die durch den Treibhauseffekt bedingt sind und in erster Linie durch die immer weitere Ausdehnung des motorisierten Individualverkehrs und die Verschwendung der nicht erneuerbaren Energien entstehen, Einhalt zu gebieten. Die Umsetzung der bestehenden Vereinbarungen, Abkommen und Verträge fordern, auch wenn sie unzureichend sind. Mit der Verwirklichung eines anderen Entwicklungsmodells beginnen, das weltweit auf einer energiesparenden Lebensweise und der demokratischen Kontrolle über die natürlichen Bodenschätze, insbesondere dem Trinkwasser, gründet.

10. Die Auflösung der Militärstützpunkte derjenigen Länder fordern, die über solche außerhalb ihrer Grenzen verfügen, und den Rückzug sämtlicher ausländischer Truppen, außer auf ausdrücklichen Auftrag der UNO hin. <I>Das gilt in erster Linie für den Irak und für Palästina.<I>

III. Eine andere Welt ist möglich: Die Demokratie auf lokaler und globaler Ebene fördern.

Dafür sind folgende Maßnahmen erforderlich:

11. Sicherstellung des Rechts der BürgerInnen auf Information und auf die Weitergabe von Information durch die Gesetzgebung, welche
- der Konzentration der Medien in gigantischen Kommunikationskonzernen ein Ende setzen soll
- die Selbständigkeit der Journalisten gegenüber den Aktionären sicherstellen soll;
- und eine nicht gewinnorientierte Presse, insbesondere die alternativen und gemeinschaftlich organisierten Medien fördern soll.
Die Beachtung dieser Rechte setzt den Aufbau von Gegenmächten durch Bürger voraus, insbesondere in Form von nationalen und internationalen Medienbeobachtungsstellen.

12. Die internationalen Organisationen grundlegend reformieren und demokratisieren und dort im Sinne einer Weiterführung der Allgemeinen Menschenrechtserklärung die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte durchsetzen. Diese Prioritätensetzung verlangt die Einbeziehung der Weltbank, des IWF und der WTO in das Entscheidungssystem und die Entscheidungsmechanismen der Vereinten Nationen. Bei Weiterbestehen von Verletzungen der internationalen Gesetzgebung durch die Vereinigten Staaten wird der Sitz der Vereinten Nationen von New York weg in ein anderes Land verlegt werden müssen, vorzugsweise in den Süden.

Porto Alegre, den 29. Januar 2005

Tariq Ali (Pakistan), Samir Amin (Ägypten), Walden Bello (Philippinen), Frei Betto (Brasilien), Atilio Boron (Argentinien), Bernard Cassen (Frankreich), Eduardo Galeano (Uruguay), François Houtart (Belgien), Armand Mattelart (Belgien), Adolfo Pérez Esquivel (Argentinien), Riccardo Petrella (Italien), Ignacio Ramonet (Spanien), Samuel Ruiz Garcia (Mexiko), Emir Sader (Brasilien), José Saramago (Portugal), Roberto Savio (Italien), Boaventura de Sousa Santos (Portugal), Aminata Traoré (Mali), Immanuel Wallerstein (Vereinigte Staaten).

Textoriginal:
http://www.ipsterraviva.net/tv/wsf2005/Manifesto/Manifesto1.html externer Link
http://www.observatoire-medias.info/article.php3?id_article=363 externer Link
s. auch http://www.weltsozialforum.de externer Link

Übersetzung: coorditrad@attac.org, Angelika Gross, Michèle Mialane, Redaktion <I>Sand im Getriebe<I>
(*)Die kursiven Textabschnitte sind weder in der spanischen Version noch in der französischen Version vom „Observatoire des Média“s enthalten,13.2.2005, mdv, <I>SiG<I> Redaktion


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