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Updated: 18.12.2012 15:51
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Die Hürden der Organisierung

Workshop zu kollektiven Handlungsmöglichkeiten migrantischer Hausarbeiterinnen

Bezahlte Hausarbeit, sei es Putzen, Pflegearbeit oder Kinderhüten, ist für Frauen, die in der Migration leben, einer der wichtigsten Arbeitsmärkte. Ihre prekäre Lebens- und Arbeitssituation wird zunehmend Thema in manchen Massenmedien und wissenschaftlichen Kontexten. Auffallend ist dabei, dass kaum über kollektive Handlungsmöglichkeiten berichtet wird, mit denen die Frauen für ihre Rechte kämpfen (können). Der Workshop "Organisierung zwischen Autonomie und Pflegenotstand", der im September in Hamburg stattfand, wollte diese Leerstelle füllen.

Der Workshop, der vom Institut für soziale Infrastruktur , Preclab und dem Projekt Prekarisierung und kollektive Organisierung organisiert worden war, verfolgte das Anliegen, unterschiedliche Strategien sichtbar zu machen, mit denen die Lebenssituation migrantischer Hausarbeiterinnen verbessert werden kann. Er sollte ein Raum des Austausches über Möglichkeiten der (Selbst-)Organisierung und mögliche gewerkschaftliche, feministische und andere Formen institutioneller Unterstützung sein. Das überraschend große Interesse an dem Workshop - etwa 60 Personen nahmen daran teil - lässt darauf schließen, dass an solchen Diskussionen über Organisierung, die Fragen nach Migration und Geschlecht als Ausgangspunkt nehmen, ein großer Bedarf besteht. Allerdings ließ der Workshop zugleich recht wenig Platz, die Strategien, Widersprüche und Vermittlungsprobleme, die es hinsichtlich einer politischen Auseinandersetzung über migrantische Hausarbeit(erinnen) gibt, vertiefend zu diskutieren. Einige davon sollen im Folgenden benannt werden.

Die Diskussion über Ansätze zur Selbstorganisierung von Migrantinnen, der die ersten Teile des Workshops gewidmet waren, verdeutlichte, dass die Frage nach den spezifischen Organisierungsmöglichkeiten als Hausarbeiterinnen zwar notwendig ist, aber zugleich auch Gefahr läuft, den Blick zu verengen. Die Fokussierung auf die Arbeitsbedingungen in diesem Bereich macht insofern Sinn, als Tätigkeiten in diesem Bereich (neben der Sexarbeit und der Gastronomie bzw. Unterhaltungsindustrie) aufgrund der hiesigen aufenthalts- und arbeitspolitischen Regulierungen für viele Frauen die einzige Möglichkeit zur Existenzsicherung darstellen. Ob (oft trotz fehlender Arbeits- und Aufenthaltsrechte) Widerstandsmöglichkeiten gegen Lohnraub, sexuelle und/oder psychische Übergriffe durch die Arbeitgeber gefunden werden können, kann für ihre Lebensqualität insofern existenzielle Bedeutung haben.

Zugleich stellt die Frage nach den Arbeitsbedingungen in Privathaushalten oft nur eine Facette der Selbstorganisierung von Migrantinnen dar. An einer Organisierung vor allem als Hausarbeiterinnen bestünde, so erläuterte Luzenir Caixeta von dem Linzer Projekt Maiz , auf Seiten der Frauen wenig Interesse, weil sie meist zwischen verschiedenen Tätigkeitsbereichen pendeln. Zwar seien diese alle im Bereich der Sorge um individuell-körperlich-sinnliche Bedürfnisse angesiedelt, darin aber gebe es im Alltag der Frauen einen fließenden Wechsel zwischen Sexarbeit, Reinigungs- und Pflegetätigkeit und der Gastronomie bzw. Unterhaltungsindustrie. Marylou Hardillo-Werning von Babaylan e.V., dem europaweiten Netzwerk philippinischer Migrantinnen, wies darauf hin, dass viele philippinische Frauen - aufgrund der restriktiven Einwanderungsbestimmungen - als Heiratsmigrantinnen nach Europa gekommen sind. Zwar gehe es in dieser Heiratsmigration auch oft um den Tausch von Sorge- und Sexarbeit gegen ökonomische und/oder rechtliche Sicherheit. Allerdings werde die juristische und soziale Situation, innerhalb der die Frauen leben, von ihrem Status als Ehefrauen bestimmt.

Fokussierung auf Hausarbeit ist problematisch

Aus diesen verschiedenen Tätigkeiten innerhalb des "Sex-Pflege-Kontinuums" (1) entstehen für die Frage nach der Organisierung der Frauen spezifische Anforderungen: Über rassistische und geschlechtsspezifische Zuschreibungen wird an die Frauen unabhängig von ihren tatsächlichen Neigungen und Ausbildungsstand - viele von ihnen haben eine akademische Ausbildung - die Zuständigkeit für diesen Bereich der Sorge delegiert, der sowohl in ihren Herkunfts- als auch in den Zielländern gesellschaftlich gering bewertet wird und als Ausdruck natürlicher Fähigkeiten gilt. Die Übernahme bezahlter Hausarbeit ist oft eine Notlösung, die zwar ökonomisch ihre Funktion erfüllt. Die Tätigkeit selbst lädt aber wenig dazu ein, von ihr ausgehend kraftvolle politische Identitäten und Ausdrucksformen zu entwickeln. Zugleich stellen die (z.T. intimen) Begegnungen mit den ArbeitgeberInnen in deren Privatbereich eine spezifische Bedingung dar; hier muss die individuelle Handlungsfähigkeit der Frauen erweitert werden, sofern man sich individuelle Selbstbehauptung und -ermächtigung als wichtiges Moment jeder Form kollektiver Organisierung denkt. Man kann davon ausgehen, dass diese Zuschreibung natürlicher Eigenschaften als Frau und Migrantin und die Verknüpfung aus Lohnverhältnis und persönlich-körperlicher Begegnung zwischen Arbeiterin und Arbeitgeber für Gewerkschaften wie auch für andere mögliche Formen institutioneller Unterstützung eine der Hürden darstellt, wenn es darum geht, die Anliegen der Hausarbeiterinnen als politische Anliegen zu artikulieren. Offenbar gilt dies auch für die Frauen selbst. Mehrere Referentinnen berichteten, dass Migrantinnen dort, wo ihnen die Möglichkeit zur Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft gegeben wird, aufgrund dieser Mitgliedschaft oft ein stärkeres Bewusstsein als Arbeitende, die auf bestimmte Rechte bestehen können, entwickeln.

Marylou Hardillo-Werning beschrieb, dass wichtige Orte, an denen Babaylan e.V. Kontakt zu neuen Frauen herstellt, Workshops zu Themen wie Sexualität oder Möglichkeiten des Umgangs mit alltäglichem Rassismus sind. Dies ist in der Diskussion um Organisierung nicht als Randbemerkung zu verstehen, sondern wirft eher die Frage auf, inwiefern für viele Migrantinnen Lohnhöhe und Arbeitszeit (als klassische gewerkschaftliche Organisierungsziele) nicht unbedingt im Vordergrund der eigenen Unterdrückungserfahrungen und Emanzipationsstrategien stehen.

Von anderen Gruppen wurden Formen des Theaterspielens nach Augusto Boal und andere Formen der Kulturproduktion als wichtige Formen der Selbstorganisation und des Widerstands beschrieben. Diese kulturellen Praxen haben offensichtlich immer eine doppelte Funktion: Sie stellen einen Prozess der kollektiven Auseinandersetzung über die eigenen Denk-, Fühl- und Handlungsweisen und damit zugleich eine Zurückweisung gesellschaftlicher Bilder dar, in denen die Frauen wahlweise als "putzende Perle" oder als bemitleidenswerte Opfer krimineller Machenschaften auftauchen. Indem diese an die Öffentlichkeit getragen werden, greifen sie zugleich in gesellschaftliche Diskurse ein und stellen - sofern sie auf entsprechende Offenheit stoßen - Angebote zur Kommunikation (mit Gewerkschaften und feministischen und anderen Netzwerken) dar, die von einem selbstbestimmten Standpunkt aus geführt werden kann.

Fe Jusay, die zugleich als Vertreterin der Womens Programme of the Commission for Filipino Migrant Workers (CFMW) in den Niederlanden und als Vertreterin der europäischen Initiative Respect Europe am Workshop teilnahm, beschrieb die hohe Bedeutung von Trainings, in denen Migrantinnen lernen, sich gegenseitig im Umgang mit Arbeitgebern zu unterstützen und gemeinsam gesellschaftlich zu artikulieren. Die Anfänge entsprechender Praxen liegen im Falle der niederländischen Netzwerke in den 1990er Jahren. Ihre Ursprünge haben sie in der hohen Zahl an Anfragen, in denen um Beratung gebeten wurde, und der oft nur eine kleine Anzahl von Aktiven gegenüberstand. Immer mehr Frauen zu befähigen bzw. darin zu unterstützen, sich selbst mit anderen zusammen in eigener Sache zu artikulieren, wurde so schnell zum notwendigen Moment der politischen Arbeit, in der Ressourcen für andere, hierarchischere Strukturen fehlten. Auch die Entwicklung und die Erfahrungen von Maiz und von Babaylan ließen erkennen, dass in der gegenwärtig in vielen (vor allem gewerkschaftlichen) Kontexten etwas aufgeregten Debatten über "Organizing" als neuer Strategie im Umgang mit prekarisierten Verhältnissen Ansätze beschrieben werden, die vielerorts schon jahr(zehnte)lang gepflegt werden.

Entsprechende Praxen knüpfen an autonome Selbstorganisierung und individuelle Widerstandsformen der Frauen an, die Hausarbeiterinnen auch unabhängig von institutioneller Unterstützung entwickeln (müssen), um ihr Überleben zu sichern. Angebote, die die Migrantinnen durch individuelle Beratung unterstützen, und solche Ansätze, die die Entwicklung kollektiver Handlungsmöglichkeiten verfolgen, stehen sich in der konkreten Arbeit von und für Migrantinnen bisweilen als Gegensätze gegenüber, obschon beide notwendiges Moment einer solidarischen Unterstützung sind. Das Spannungsverhältnis zwischen beiden Polen der politischen Arbeit lässt sich dabei nie abschließend bearbeiten; es dient vielmehr immer wieder (abhängig von der politischen Situation, den Ressourcen der Gruppen und auch dem sich verändernden Bedarf der Migrantinnen selbst) als notwendiger Ausgangspunkt neuer Strategien und Schwerpunktsetzungen.

Strategien zur Selbstermächtigung

Im Falle des niederländischen Netzwerkes kann entsprechendes Training auch mit gewerkschaftlicher Unterstützung angeboten werden: Seit Juni 2006 können migrantische Hausarbeiterinnen in der Abvakabo FNV ( Federatie Nederlandse Vakorganisaties ) unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus Mitglied werden, was bereits 200 Frauen getan haben. Jusay bezeichnete dies als wichtigen Durchbruch, wobei sie zugleich darauf hinwies, dass erst der regelmäßige Dialog zwischen der Gewerkschaft und ihren neuen Mitgliedern zeigen wird, was hieraus konkret folgen wird. Neben der Überzeugungsarbeit in und mit Gewerkschaften sieht Respect Europe eine wichtige Strategie in den Begleitprozessen, die sich um das CEDAW-Übereinkommen (Convention for the Elimination of all forms of Discrimination against Women) der Vereinten Nationen herum organisieren. Ähnlich wie in Deutschland wird zum offiziellen Bericht der niederländischen Regierung, in der über die Umsetzung des Übereinkommens berichtet wird, derzeit von einigen Nicht-Regierungs-Organisationen ein ergänzender Schattenbericht verfasst. Fe Jusay sieht hierin die Chance, die Situation für migrantische Arbeiterinnen weiter sichtbar zu machen und deren Rechte explizit festzuschreiben.

Staatliche Regulierung als Perspektive?

In dem Teil des Workshops, der sich einer allgemeineren Politik um Sorgearbeit widmete, stand das Ringen um (finanziell, arbeits- und aufenthaltsrechtlich) existenzsichernde Arbeitsplätze als zentrale realpolitische Perspektive im Raum. Allerdings wurde von Barbara Thiessen ( Deutsches Jugendinstitut, München) zugleich vorgeführt, dass alle staatlichen Versuche der letzten Jahre, den Bereich der bezahlten Hausarbeit zu regulieren, weitgehend gescheitert sind, da es sowohl auf ArbeitgeberInnenseite als auch bei den Arbeitenden das Interesse gibt, diese Arbeit weiter informell zu regeln. Problematisch war, dass relativ wenig benannt wurde, dass eine Politik zur existenzsichernden Regulierung der Hausarbeit auf relativ enge Grenzen stoßen wird, solange sie innerhalb gesellschaftlicher Verhältnisse verwirklicht wird, in denen jegliche menschliche Regung ökonomisiert wird oder werden soll.

Entgrenzte Zugriffe der Unternehmen auf die Arbeitskraft ihrer Angestellten treffen zunehmend sowohl Männer als auch Frauen; zugleich werden sozialstaatliche Einrichtungen und Leistungen abgebaut. Wo auch die Sorgearbeit durch entsprechende staatliche Regulierung marktförmig gestaltet wird, stellt der Rückgriff auf die Arbeitskraft anderer, die deutlich schlechter bezahlt sein muss als die eigene, nicht bloß ein Privileg, sondern fast schon eine ökonomische Notwendigkeit dar. Die prekarisierten Arbeits- und Lebensverhältnisse von Migrantinnen im Bereich privater Haushalte sind insofern eine Voraussetzung für ein erfolgreiches und selbstbestimmtes Handeln ihrer ArbeitgeberInnen innerhalb der - in anderer Weise - prekarisierten Verhältnisse, in denen letztere leben. Ob sich hieraus realpolitische Bündnisse schmieden lassen, die der neoliberalen Logik und zugleich der patriarchalen Abwertung von Sorgetätigkeit Einhalt bieten, diese Frage hatte auf dem Workshop leider keinen Raum. Dies würde einerseits die Erneuerung feministischer Strategien, andererseits die verstärkte Berücksichtigung bereits existierender feministischer Kritik in gewerkschaftlicher Arbeit voraussetzen.

Artikel von Iris Nowak aus ak - zeitung für linke debatte und praxis vom 19.10.2007 - wir danken der Redaktion!

Anmerkung:

1) Der Begriff wurde von der spanischen Gruppe Precarias a la Deriva geprägt, um die fließenden Übergänge zwischen den unterschiedlichen Bereichen der Sorge, die die spezifische Verortung von Frauen in prekarisierten Verhältnissen ausmacht, begrifflich zu fassen.


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