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Updated: 18.12.2012 15:51
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Mikrofinanzen - Konkurrenz schafft keine Armut ab

Anmerkungen zu einer entwicklungspolitischen Strategie

Mikrofinanzen und vor allem Mikrokredite erfreuen sich mehr und mehr entwicklungspolitischer Beliebtheit. Mal schleichend leise, mal mit Presserummel setzt das Konzept seinen Siegeszug durch die Welt fort. Unternehmensnamen wie Pro-Credit, Vision Microfinance und Oikocredit geistern durch die Medien. Kritische Auseinandersetzungen oder empirische Belege über die Wirksamkeit von Mikrofinanzen als Instrument der Armutsbekämpfung finden sich kaum. Die wenigen kritischen Beiträge, die sich finden lassen, beziehen sich lediglich auf einzelne Ausgestaltungsfragen. Welche ideologischen Botschaften mit diesem scheinbaren Allheilmittel gegen Armut transportiert werden, wird dabei nicht beleuchtet.

Das Konzept der Mikrokredite reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Der US-amerikanische politische Philosoph und Unternehmer namens Lysander Spooner verfasste bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Abhandlungen über die fördernde Wirkung kleiner Kredite an Unternehmen. Entwicklungspolitische Popularität erhielten Mikrokredite aber erst vor ca. zehn Jahren. Die Vereinten Nationen erklärten das Jahr 2005 zum "Jahr der Mikrofinanzen" und sorgten für ein gesteigertes Interesse der Medien, das seinen vorläufigen Höhepunkt fand, als Muhammed Yunus, Gründer der Grameen Bank (Bangladesh) und Mikrofinanzpionier, 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Der Begriff "Mikrofinanzen" bezeichnet zunächst nur den Zugang von armen Menschen zu Finanzdienstleistungen, wie Kontoführung, bargeldlosem Geldverkehr, Sparangeboten, Versicherungen oder Krediten. Der wesentlich populärere Begriff der Mikrokredite kennzeichnet kleine bis kleinste Darlehen (je nach Land und Institut zwischen 10 und 10.000 Dollar), die es den KreditnehmerInnen ermöglichen sollen, einen Weg in die wirtschaftliche Selbstständigkeit zu finden. Es geht also um Anschubfinanzierungen für EinzelunternehmerInnen, die sich auf dem Markt etablieren sollen.

Mittlerweile gibt es mehr als 1.000 Mikrofinanzinstitute (MFI) in mehr als 100 Ländern auf allen Erdteilen. Dabei reicht das Spektrum der Institutionen von kleinen Kreditvergabestellen, die auf Non-Profit-Basis arbeiten und von NGOs geleitet und finanziert werden, bis hin zu kommerziellen Einrichtungen, die nach und nach verschiedene Teile der Erde mit ihren Dienstleistungen versorgen wollen. Die Praxis der verschiedenen MFI variiert dabei nicht nur im Angebot der Finanzdienstleistungen, sondern vor allem bei den Modi der Kreditvergabe. So gibt es Institute, die ausschließlich Gruppenkredite vergeben. Die Gruppe ist als Gesamtschuldner verantwortlich für die Rückzahlung des Kredits, selbst wenn das Geld auf die einzelnen Mitglieder verteilt wurde. Dieser Modus setzt darauf, dass Überwachungs- und Kontrollmechanismen innerhalb der Gruppen entstehen. Die Kosten für die Überwachung der KreditnehmerInnen beim Finanzinstitut werden gespart.

Fordern und Fördern in der Entwicklungshilfe

Mit dem Instrument der Mikrokredite hat eine kapitalistische Lösungsstrategie Einzug in die Entwicklungspolitik gehalten, die eine nachhaltige Milderung der Armut verspricht, wenn man denn an "heilende Kräfte" von Märkten glaubt. So lässt sich das schlechte Gewissen der Ersten Welt beruhigen, ohne Spenden überweisen zu müssen, nein, es kann sogar noch Zins gezogen werden. Es scheint, als handele es sich um eine klassische Win-Win-Situation. Die fehlenden empirischen Studien, die eine armutslindernden Wirkung nachweisen, mindern die Euphorie kaum.

Mit den klassisch kapitalistischen Prinzipien erhält auch die neoliberale Rationalität Einzug in neue politische Bereiche. Die in der BRD unter dem Label "Fordern und Fördern" im Zuge der Hartz-Gesetzgebung und der Neoliberalisierung des Sozialsystems eingeführte Logik findet sich nun in der vormals philanthropisch geprägten Entwicklungshilfe wieder.

Die Verantwortung gerade der Ersten Welt, mit ihrer kolonialistischen und imperialistischen Vergangenheit und den neokolonialistischen Tendenzen ihrer gegenwärtigen Politik gegenüber den armen Ländern dieser Erde wird verschoben auf die Ärmsten selbst. Die immanente Logik ist so simpel wie falsch: In jedem Menschen steckt eine UnternehmerIn, die sich wirtschaftlich selbst verwirklichen will. Man muss ihr nur eine Chance dazu geben. Sollte sie diese Chance nicht nutzen können (oder gar wollen), ist dies selbst verschuldet. Die Transformation der Subjekte zu AkteurInnen des Marktes scheint gelungen. Strukturelle Benachteiligungen werden entweder nicht mehr problematisiert oder mit der unzureichenden Freiheit des Marktes begründet. Das Bild des "unternehmerischen Selbst" erreicht als ideologisches Exportgut nun auch die ganz Armen.

MikrokreditgeberInnen bedienen sich dabei des aus der Entwicklungszusammenarbeit bekannten Mottos "Hilfe zur Selbsthilfe". Dass dieses Prinzip allerdings schnell an seine Grenzen kommt, wird ausgeblendet. Mit Bezug auf eine biblische Metapher beschreibt Dieter Rucht, tätig am Wissenschaftszentrum Berlin, diese Grenzen: "Lehre die Hungernden das Fischen, anstatt ihnen jeden Tag einen Fisch zu geben! Was aber, wenn ihnen der Zutritt zum See verwehrt wird, weil dieser in Privatbesitz ist? Oder wenn die Fische durch Chemikalien vergiftet sind? Oder die Fischer für einen Hungerlohn auf einem Boot arbeiten müssen, das ihnen nicht mehr gehört?"

Das "unternehmerische Selbst" als Exportgut

Solch strukturelle Probleme können durch Maßnahmen, wie Mikrokreditvergabe, kaum gelöst werden. Im Gegenteil, es steht zu befürchten, dass die Universalisierung marktwirtschaftlicher Prinzipien und die Zunahme von Konkurrenz, zu ökologisch und sozial unverträglichen Wirtschaftsformen führen. Ein regulierender Staat oder eine regulierende Infrastruktur wird durch Mikrofinanzen nicht gefördert. Im Gegenteil, Kleinstkredite führen dazu, dass EinzelunternehmerInnen in Konkurrenz zueinander treten. Anstatt einen selbstverwalteten Nähbetrieb zu gründen, der vielleicht 100 NäherInnen sichere und erträgliche Arbeit verschafft, stehen 100 NäherInnen in direkter Konkurrenz zueinander.

So liegt eine große Gefahr dieser neoliberalen Strategie darin, regionale, auf Selbstverwaltung und Autonomie gegründete Lösungsansätze abzuwerten. Althergebrachte Möglichkeiten wie kollektives oder solidarisches Wirtschaften oder Spareinlagen auf dörflicher oder kommunaler Ebene können vor allem durch Kleinstkredite an Einzelpersonen verdrängt werden.

Ein viel gelobter Vorteil von Mikrokrediten soll darin bestehen, die Armen aus der paternalistischen Alimentierung der Spende zu befreien und sie zu würdevollen Subjekten wirtschaftlichen Handelns zu machen. Diese Gegenüberstellung suggeriert, Mikrokredite hätten einen emanzipatorischen Charakter. Zuerst sollte doch gefragt werden, ob Alimentierung zwangsläufig paternalistisch sein muss. Weiter geht es darum, was eine Emanzipation wert ist, die allein auf finanzieller Anteilnahme am Wirtschaftsleben beruht und die zudem noch geliehen ist. Eine "emanzipatorische Qualität", die allein darauf fußt, unter Marktbedingungen mit anderen in Konkurrenz treten zu können, sollte sich nicht Emanzipation nennen.

Das gängige Argument neoliberaler FürsprecherInnen, Menschen müssten erst einmal dem Handlungsdruck des Marktes (oder eines repressiven Staates) ausgesetzt werden, um leistungsfähig zu sein, ist an mindestens zwei Stellen zu hinterfragen. Die Definition von "leistungsfähig" ist lediglich eine Umschreibung von profitabel, und die Mär des an sich untätigen Menschen offenbart ein Menschenbild, das der Realität entbehrt und schlicht abzulehnen ist.

NGOs bewegen sich in einem Paradox

Durch das Konzept der Mikrofinanzen ist es gelungen, vermeintliche Entwicklungshilfe mindestens Kosten deckend und teilweise sogar rentabel zu gestalten. Mit den bisher niedrigen Ausfallquoten dieser Finanzierung auf Darlehensbasis geht quasi kein Kapital verloren. Viele Mikrofinanzinstitute erwirtschaften sogar Gewinne, die, je nach Institut, reinvestiert oder als Gewinne an KapitalgeberInnen ausgezahlt werden. Als KapitalgeberInnen für Mikrofinanzinstitute fungieren Banken, Unternehmen, Stiftungen, kirchliche Einrichtungen sowie eine wachsende Zahl mehr oder weniger reicher Privatpersonen, die den in ärmeren Ländern erwirtschafteten Gewinn einstreichen. So werden die Bemühungen vieler NGOs zu einem Paradox, wenn sie auf der einen Seite einen Schuldenerlass der ärmsten Staaten fordern und auf der anderen Seite mindestens argumentativ daran mitwirken, die breite Verschuldung der Armen zu privatisieren.

Alternativen wie die Vergabe von zinsfreien Darlehen anstatt verzinster Kredite, verstärkte staatliche Organisation und Kontrolle von MFI und letztlich eine verantwortungsvollere Ausrichtung der Politiken gegenüber Zweit- und Drittweltländern müssen von linken Bewegungen eingefordert werden. Entwicklungspolitik braucht keine Ausrichtung auf (kurzfristige) Rentabilität und kapitalistische Organisationsprinzipien, sondern eine konsequente Ausrichtung auf Nachhaltigkeit und auf solidarische, strukturelle und regionale Lösungsstrategien. Gerade der partizipative und gleichberechtigte Einbezug regionaler Organisationen und der Menschen vor Ort in strukturelle entwicklungspolitische Entscheidungen könnte auch die Bevormundungsproblematik traditionellerer Entwicklungshilfemaßnahmen beseitigen, ohne die neoliberale Empowermentvariante zu beschwören.

Artikel von Henning Wellmann, erschienen in ak - zeitung für linke debatte und praxis - vom 21.3.2008. Wir danken der Redaktion!


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