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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Krise sind immer die anderen ... und wir sind wieder wer? Eine Polemik von Ingo Schmidt* Wir sind wieder wer. Modell Deutschland. Wie in den 1970er-Jahren: Während andere Länder mit Wirtschaftskrise, steigender Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit kämpfen, ist Deutschland ein Vorbild wirtschaftlicher Stabilität. So lautet die Botschaft von Bild-Zeitung bis Tagesschau. Handelsblatt und Financial Times lesen sich ähnlich. Dort kommen aber auch kritische Stimmen zu Wort, die vor einer Konjunkturabschwächung in den USA, chinesischer Konkurrenz und drohenden Währungs- und Finanzkrisen warnen. Die Behauptung, dass Deutschland ein Modell für andere Länder sei, wird durch solche Warnungen freilich noch unterstrichen. Hätten die USA, Griechenland & Co so leistungsstarke Unternehmen und Belegschaften wie die Deutschen, bräuchten sie sich nicht mit ausufernder Staatsverschuldung, Rezession und steigender Arbeitslosigkeit herumschlagen. Wäre Chinas Regierung ihrer weltwirtschaftlichen Verantwortung ebenso bewusst wie Merkel, Schäuble und die Deutsche Bundesbank, würden Außenhandel und Wachstum der Weltwirtschaft nicht durch Unterbietungskonkurrenz und Ungleichgewichte zwischen Ländern mit Exportüberschüssen und Defizitländern bedroht. Von Deutschland lernen, heißt siegen lernen. Oder etwa nicht? Die Zahlen, mit denen Regierung und Unternehmerlager ihre Erfolge zu illustrieren suchen, lassen sich auch zurückhaltender deuten. Wirtschaftspolitik, Investitions- und Absatzstrategien der Deutschen sind zudem mitverantwortlich für weltwirtschaftliche Ungleichgewichte und Rezessionsgefahren. Und schließlich: Unabhängig von der weiteren Wirtschaftsentwicklung hat die gegenwärtige Konjunktur eine soziale Schattenseite. Hartz IV, Rente mit 67 und die massive Zunahme von Niedriglohnbeschäftigung haben die Zahl derer, die auch von einer positiven Konjunkturentwicklung keine Verbesserung ihrer eigenen Lage erwarten können, drastisch in die Höhe getrieben. Geh‘n sie mit der Konjunktur Tatsächlich war das Wirtschaftswachstum in Deutschland zuletzt höher als in anderen EU-Ländern, den USA oder Japan. Verantwortlich hierfür waren Exporte und Investitionen, die im zweiten Quartal dieses Jahres um 19,1 bzw. 9,5 Prozent zugenommen haben. Das Bruttoinlandsprodukt insgesamt ist im selben Zeitraum um 4,4 Prozent gewachsen, der private Konsum aber um 0,7 Prozent gesunken. Für den rückläufigen Konsum gibt es zwei Ursachen: Die Zahl der armen Haushalte, die wenig bis nichts auszugeben haben, steigt beständig an. In vielen anderen Haushalten, die ein ganz ›ordentliches‹ Einkommen beziehen, steigt die Angst, dass die nächste Krisenwelle statt Kurzarbeit Arbeitslosigkeit und Einkommensverlust bringen wird. Deshalb wird mehr Geld in den Sparstrumpf gesteckt. Kürzungen bei den Rentenbezügen und ein Anstieg der Krankenversicherungsbeiträge tun ihr übriges. Wer es sich irgendwie leisten kann, stopft die Versorgungsmängel der Sozialversicherung mit privaten Spargroschen. Entsprechend ist die Sparquote der privaten Haushalte seit der Konjunkturkrise 2001 und den ab 2003 umgesetzten Hartz-Reformen von 9,2 Prozent 2001 auf 11,7 Prozent 2009 angestiegen, im ersten Halbjahr 2010 wurde ein Wert von 13,1 Prozent erreicht. Nur Konsum und Ersparnis der Reichen sind von der Wirtschaftskrise unberührt geblieben. Für einen gehobenen Lebensstil reicht ihr Geld allemal; auf die Gesamtwirtschaft schlägt der Konsum der Reichen allerdings nicht durch, weil diese nicht so zahlreich auftreten wie Hartz IV-Empfänger und 1-Euro-Jobber. Dank staatlicher Beihilfen haben auch die Ersparnisse bzw. die daraus finanzierten Investitionen der Reichen die Krise schnell überstanden. Das Börsenbarometer DAX war von 8067 Punkten, einem Rekordwert vom Frühjahr 2008, auf 3666 Punkte ein Jahr später abgestürzt, hat sich aber bereits wieder auf Werte um 6600 berappelt. Der kürzeste Weg zur Konjunktur führt also schon wieder zur Börse – und von dort in alle Welt. Ein erklecklicher Teil des Vermögens, das Deutschlands obere Zehn- oder Hunderttausend besitzen, wird nämlich im Ausland angelegt; in US-amerikanischen Staatspapieren – aus alter Gewohnheit – oder, wer es etwas riskanter mag, in den Goldgräbermärkten Chinas, Brasiliens und Indiens. Mit gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten zwischen neun und zehn Prozent erinnert die Wirtschaftsentwicklung dieser Länder an das deutsche Wirtschaftswunder der 1950er-Jahre, der guten alten Zeit, als man sein Geld noch nicht vor APO-Revoluzzern, Gewerkschaftsbossen und Umweltschützern in Sicherheit bringen musste. Am Investitionsboom der Dritt-Welt-Aufsteiger will auch das in Deutschland beheimatete Kapital mitverdienen – auch um den Preis zunehmender Weltmarktkonkurrenz. Der Mix aus Investitionen und Exporten, der den Deutschen gegenwärtig einen Miniboom verschafft hat, wird von diesen Aufsteigerländern – durchaus in Analogie zum deutschen Wirtschaftswunder – nämlich als langfristige Strategie verfolgt. China ist auf diesem Weg bereits soweit vorangekommen, dass es mit Deutschland um den Titel des Exportweltmeisters konkurriert. Mit einem Außenhandelsüberschuss von 208 Mrd. US-Dollar in den vergangenen zwölf Monaten liegen die Deutschen gegenwärtig aber wieder vor den Chinesen mit 182 Mrd. Dollar, während der ehemalige Exportstar Japan mit 87 Mrd. Dollar weit abgeschlagen hinter den Öl-Lieferanten Russland und Saudi-Arabien liegt. Brasilien und Indien konzentrieren sich gegenwärtig noch auf den Aufbau industrieller Kapazitäten, die sie in naher Zukunft in die Weltmarktschlacht zu werfen hoffen. Beim Säbelrasseln sind sie aber schon dabei. Immerhin war es der brasilianische Finanzminister Mantega, der im September das Wort vom Währungskrieg in die Runde warf, das von seinen Kollegen aus den Finanzministerien und anderen Wirtschaftslenkern sogleich aufgegriffen wurde und seither in der internationalen Wirtschaftspolitik herumgeistert. Für ein paar Dollar mehr Das Problem beim Währungskrieg besteht darin, dass er nicht erklärt werden kann. Alte und neue Exportmächte sind auf Auslandsnachfrage angewiesen, an der es ihnen im Inland mangelt, weil Staatsausgaben zusammengestrichen werden und die Löhne hoffnungslos der Produktivitätsentwicklung hinterherhinken. Außenhandelsüberschüsse sind deshalb die einzige Möglichkeit, eine Depression im Inland zu verhindern. Über Jahrzehnte waren Exportländer wie Deutschland, Japan und seit den 1990er-Jahren China daran gewöhnt, ihre Produktionsüberschüsse in den USA abzusetzen. Dort konnten die Löhne zwar auch nicht mit der Produktivität Schritt halten, dafür vergaben die Banken aber bereitwillig Kredit an Haushalte fast aller Einkommensklassen und heizten auf diese Weise Konsum und Importe an. Und der Staat ließ sich auch nicht lumpen: Während US-Universitäten Heerscharen staatsfeindlicher Ökonomen der neoliberalen Schule ausbildeten, nahm das US-amerikanische Finanzministerium in der ganzen Welt Kredit auf, kaufte dafür aber auch rund um den Globus Waren und Dienstleistungen ein. Auch jetzt – im dritten Jahr der großen Krise – trägt das Defizit in der US-amerikanischen Handelsbilanz mit 621 Mrd. US-Dollar zur Konjunkturstabilisierung in anderen Ländern bei. Ohne den Importweltmeister USA wären die gegenwärtigen Exporterfolge Deutschlands, Chinas und einiger anderer nicht möglich. Lange Zeit war dies ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Exportländer fanden in den USA die Kundschaft, die ihnen daheim fehlte, und die USA machten den Rest der Welt von sich abhängig, weil die Weltwirtschaft ohne amerikanische Importe zum Stillstand kommen würde. Und beide Seiten taten so, als würden die Auslandsschulden, die mit den US-amerikanischen Handelsbilanzdefiziten notwendigerweise anstiegen, irgendwann zurückgezahlt. Dieser Glaube ist jetzt im Schwinden begriffen. Unter dem Druck schwächelnder Inlandskonjunktur und drastisch gestiegener Arbeitslosigkeit – von 4,6 Prozent 2007 auf gegenwärtig 9,6 Prozent bzw. unter Berücksichtigung der stillen Reserve 17,5 Prozent – ist die US-Zentralbank dazu übergegangen, massiv Dollar in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen. Die großzügige Liquiditätsversorgung soll die Zahl der Insolvenzen von privaten Haushalten und Unternehmen begrenzen. Es gibt ohnehin mehr Pleiten, als einer Konjunkturerholung förderlich sind. Eine steigende Pleitewelle würde unweigerlich zu neuerlicher Rezession und einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit führen. Dass diese Liquiditätsflut den Wechselkurs des Dollar drückt, nehmen US-Zentralbank und Regierung billigend in Kauf, weil sie sich davon eine Verringerung des Importdefizits erhoffen und sich Auslandsschulden in billigen Dollars leichter zurückzahlen lassen. Und genau das ärgert die Exportländer. Diese fürchten, sich nach neuer Kundschaft umschauen zu müssen, wissen aber nicht, wo und sitzen zudem auf US-Dollarvermögen, deren Kaufkraft sinkt. In ihrer Not schimpfen sie über den Währungskrieg, den die USA der Welt angeblich erklärt haben, müssen aber feststellen, dass sie sich auf Gedeih und Verderb in eine von den USA organisierte und dominierte Weltwirtschaft verstrickt haben. Angesichts der Überkapazitäten, die dem Gerangel um Weltmarktanteile zugrunde liegen, lautet die Frage gegenwärtig nicht, ob dem Kriseneinbruch 2008/9 eine zweite Rezession folgen wird, sondern nur noch wo. Das wissen übrigens auch Regierung und Unternehmerverbände in Deutschland. Die wirtschaftlichen Probleme, die hier in polemischer Kürze beschrieben wurden, sind in aktuellen Gutachten von Wirtschaftsforschern und Zentralbankern wissenschaftlich trocken dargestellt. Man darf daher vermuten, dass die Medien nicht aus Überzeugung auf Optimismus machen, sondern aus Angst vor den sozialen Folgen der nächsten Krise. Die Erfahrungen vergangener Krisen legen zwar nicht die Vermutung nahe, dass es objektive Schwellenwerte von Arbeitslosigkeit und Ungleichheit gibt, bei deren Überschreiten die Arbeiterklasse den Aufstand vorbereitet. Dass es aber jede Menge unausgegorener Unzufriedenheit gibt, dass diese in den letzten Jahren zugenommen hat und damit den Boden für linke oder rechte Protestbewegungen bereitet hat, ist auch in Kanzleramt und Chefetagen bekannt. In das Bild vom Modell Deutschland passen weder die US-amerikanische Tea-Party noch französische oder griechische Streikposten. Sogar im nominal-kommunistischen China kommt es immer häufiger zu Arbeitskämpfen. * Ingo Schmidt leitet das Labour Studies Program der Athabasca University in Vancouver Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10-11/10 express im Netz unter: www.express-afp.info , www.labournet.de/express |