Home > Diskussion > Wipo > Finanzen > Finanzmarktkrise 2008 > Gewerkschaft > naber
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Keynesianismus?

Geert Naber* zur Debatte über Gewerkschaften in der Krise

Der folgende Beitrag ist ein Kommentar zu der in der November-Ausgabe des express veröffentlichten Kritik des AK Weltwirtschaftskrise von ver.di Baden-Württemberg an den bis dahin zurückhaltenden Reaktionen von DGB-Gewerkschaften auf die so genannte Finanzkrise sowie auf die Replik von Ralf Krämer aus der Abteilung Wirtschaftspolitik des ver.di- Hauptvorstandes in der letzten Ausgabe des express. Wir freuen uns über die Fortsetzung der Debatte und dokumentieren:

Die Reaktionen des DGB und seiner Mitgliedsorganisationen auf die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise führen ein weiteres Mal vor Augen: Ein linker Ratschlag über Probleme, Sackgassen und Perspektiven gewerkschaftlichen Handelns tut Not. Dass der express Platz für diese Debatte bietet, ist deshalb zu begrüßen. Zumal es sich bei den bisher veröffentlichen Diskussionsbeiträgen um lohnenswerte Lektüre handelt. Sowohl der Text des AK Weltwirtschaftskrise (ver.di Baden-Württemberg) als auch das von Ralf Krämer (ver.di-Abteilung Wirtschaftspolitik) Geschriebene liefern Ansichten, die zum Nachdenken und Kommentieren anregen. Mein Statement zu den beiden Beiträgen konzentriert sich, wie die folgenden Zeilen zeigen werden, auf den Aspekt »Keynesianismus«.

Der AK Weltwirtschaftskrise skizziert recht anschaulich die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise für Lohnabhängige. Auch die Passagen, wo der Arbeitskreis auf die Besorgnis erregende Handlungsschwäche der Gewerkschaften zu sprechen kommt, liefern eine Reihe nachvollziehbarer Befunde. Probleme bereiten mir hingegen einige Argumentationsstränge im Perspektivabschnitt. Dort wird der »Nationalkeynesianismus« als ein antiquiertes und vom globalisierten Kapital instrumentalisierbares Politikkonzept charakterisiert. Für durchaus realistisch und unterstützenswert hält der AK Weltwirtschaftskrise aber anscheinend einen von der Europäischen Union gestützten »Eurokeynesianismus«. Wirklich gewerkschaftsfreundlich mutet das aktuelle Krisenmanagement der EU-Entscheidungszentralen freilich nicht an. Und ob eine europaweite Vernetzung der Gewerkschaften daran in absehbarer Zeit etwas ändern würde, wage ich zu bezweifeln. Das institutionelle Gefüge in Brüssel hat im Laufe der 1980er und 90er Jahre einen politischen Entscheidungsmechanismus ausgeformt und verfestigt, dem bis in den Mainstream der Politikforschung hinein eine hartnäckige Privilegierung von Kapitalinteressen attestiert wird.

Ist eine »nationalkeynesianische« Strategie aus gewerkschaftlicher Perspektive womöglich doch erfolgsträchtiger? Ralf Krämer ist offenbar dieser Ansicht. Er diagnostiziert eine »günstige Diskurslage«: In vielen Nationalstaaten, nicht zuletzt in der Bundesrepublik, sei sowohl bei den Regierten als auch bei den Regierenden eine Abkehr vom Neoliberalismus beobachtbar. Darauf müssten die Gewerkschaften reagieren: Krämer sieht die Chance, mittels »Druckentwicklung auf die nationalen Regierungen« nicht nur einer (so-zial-)staatlichen Re-Regulierung des Kapitalismus den Weg zu ebnen, sondern auch die Voraussetzungen zu schaffen »für weitergehende Veränderungen im Interesse der abhängig Beschäftigten und der Mehrheit der Bevölkerung«. Plädiert wird also, ganz im Stile klassischer Juso-Positionen, für einen »antikapitalistischen Keynesianismus«. Der war in der SPD der 1970er Jahre ziemlich populär, stieß aber damals auch auf viel Kritik von links. Sie artikulierte sich insbesondere in der staatstheoretischen Debatte. Die linke Kritik des Linkskeynesianismus bezweifelte, dass ausgerechnet der eng mit den kapitalistischen Verhältnissen verwobene Staat zu einer letztlich gegen die Profitlogik gerichteten Wirtschaftspolitik willens und in der Lage wäre.

Diese Zweifel sind meines Erachtens nach wie vor berechtigt: Schon vor dem Ausbruch der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise hatte der orthodoxe, sich betont marktbegeistert und antistaatlich gebärdende Neoliberalismus seinen Zenith überschritten. Blickt man auf die aktuellen Wirtschaftspolitiken, ist aber von einem linkskeynesianischen Aufbruch nichts zu sehen. Auf dem Vormarsch scheint in vielen Staaten ein neokeynesianischer Ansatz zu sein, der auf einer »pragmatischen Synthese« neoklassischer und keynesianischer Vorstellungen beruht und den kriselnden Kapitalismus durch eine regulierungsfreudige Standortpolitik wieder in Schwung bringen will. Es ist gut möglich, dass der Neokeynesianismus auf »Druckentwicklung« reagiert und für das eine oder andere gewerkschaftliche Anliegen ein offenes Ohr zeigt. Er wird aber trotzdem wenig mit dem gemein haben, was sich Gewerkschaftslinke à la Ralf Krämer unter alternativer Wirtschaftspolitik vorstellen.

Mein Fazit: Die Gewerkschaftslinke sollte ihre Ressourcen nicht auf die Erstellung links- oder eurokeynesianischer Politikentwürfe konzentrieren. Andere Aufgaben erscheinen mir angesichts der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise dringlicher. Zum Beispiel, gegen eine verkürzte Kapitalismuskritik Widerspruch anzumelden. Dass »Heuschrecken« und »Spekulanten« der Kern allen Übels seien, ist ein populäres Muster der Krisendeutung – gerade in den Reihen der Gewerkschaften und ihrer Bündnispartner. Umso wichtiger ist es, dass die Gewerkschaftslinke – ohne oberlehrerhaft daherzukommen – elementare Funktionslogiken kapitalistischer Herrschaft und Ausbeutung thematisiert. Vielleicht kommt ihr dabei ja das vielerorts wiedererwachte Interesse an der Marxschen Theorie zu Gute.

* Geert Naber arbeitet bei der Deutschen Post und ist ver.di-Mitglied.

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/09


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang