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Updated: 18.12.2012 15:51
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Der EU-Kandidat Pascal Lamy wird Chef der Welthandelsorganisation WTO

"Stahlblick, Kahlschädel und spitze Ohren": Mit diesen charakteristischen Zügen beschreibt der Wiener ’Standard` den neuen Chef der Welthandelsorganisation WTO, Pascal Lamy. Bei internationalen Verhandlungen in seiner früheren Funktion als EU-Kommissar hat er sich in Brüssel solche, nicht unbedingt schmeichelhaften, Spitznamen wie "Exocet" (die Exocet-Rakete ist ein Produkt der französischen Rüstungsindustrie) oder "der Rottweiler" zugezogen.

Seine französischen Landsleute nennen ihn bevorzugt einen moine-soldat, einen Soldatenmönch, wegen seines angeblich asketischen Lebensstils ­ als bekannter Frühaufsteher und Marathonläufer, der aber auch seine fünf Zigarillos pro Tag nicht verschmäht ­ und seines geradlinig-unbeirrbaren Eintretens für einen Glauben. Sein Religionsersatz, das ist die Vorstellung, dass mit Spielregeln, die aus technischer Rationalität und ökonomischem Effizienzstreben erwachsen und von internationalen Großorganisationen festgelegt werden, eine Verbesserung der Welt möglich sei. Die "Entwicklungsländer", so lautet das Credo des Monsieur Lamy, könnten davon nur profitieren, so dass der kommende ökonomische Aufschwung die Armut zurückdrängen werde.

Der 58jährige Franzose wurde am vorigen Donnerstag, den 26. Mai in seinem neuen Amt bestätigt, das er am 1. September dieses Jahres in Genf antreten wird. Drei Mitbewerber um den Posten bei der Organisation, die sich hauptsächlich um die Förderung des internationalen Freihandels und den Abbau von Schranken für Kapital- und Warenflüsse kümmert, hatten im Laufe der mehrwöchigen "Sondierungsgespräche" aufgegeben. Die WTO hat 148 Mitgliedsstaaten, die im Konsens entscheiden müssen, oder eher: durch allmähliches Ausscheiden der am wenigsten konsensfähigen Lösungen. Deswegen ging der Ernennung des neuen WTO-Generaldirektors keine offene, eventuell kontrovers geführte politische Debatte voraus, sondern eine lange Abfolge von Kamingesprächen und "Green Room negotiations". Als letzter Gegenkandidat gegen Pascal Lamy, der durch die Europäische Union unterstützt wurde, schied vor 14 Tagen der Uruguayaner Carlos Perez del Castillo aus dem Rennen. Bereits zuvor hatten Luis Felipe de Seixas Correa aus Brasilien und Jayen Cuttaree, von der Insel Mauritius, wegen erkennbarer Chancenlosigkeit das Handtuch geworfen.

Paris versus Pascal Lamy

Nun ist Pascal Lamy einer der wohl de facto mächtigsten Männer des Planeten. Dabei hatte er zuvor den Sprung in andere internationale Ämter verpasst, weil es ihm zu Hause an Unterstützung seitens von Staatspräsident Jacques Chirac fehlte. Im vorigen Jahr hatten die wirtschaftsliberalen Regierungschefs Gerhard Schröder, Tony Blair und der irische Premierminister Bertie Ahern den Franzosen zum neuen Präsidenten der EU-Kommission, als Nachfolger des Italieners Romano Prodi, aufbauen wollen. Doch Chirac wollte auf diesem Ohr lieber taub bleiben, wie die französische Wochenzeitung ’Le Canard enchaînéŒ in ihrer jüngsten Ausgabe vom 25. Mai enthüllt. Und auch den Chefposten beim IWF verfehlte Lamy aus ähnlichen Gründen, nachdem er am Ende seiner Amtszeit als EU-Kommissar für den Außenhandel in der Prodi-Kommission (1999 bis 2004) zu erkennen gegeben hatte, dass er für eine weitere internationale Karriere "zur Verfügung stehe".

Chirac und die bürgerliche Regierung in Paris verziehen dem Mann nur schwer, dass er in seiner Brüsseler Amtszeit das Freihandels-Credo ­ etwa im Agrar- und Kulturbereich ­ oder das Festhalten am mittlerweile aufgeweichten "Stabilitätspakt" auch dann konsequent weiter verfolgte, wenn französische Interessen dabei unter die Räder zu geraten drohten. Pascal Lamy erklärte beispielsweise im August 2003 wörtlich: "Es gibt keinen Grund, ewig die europäische Landwirtschaft zu subventionieren. Die Europäer müssen lernen, ihren Wein in Australien oder Kalifornien zu kaufen, ihr Fleisch in Argentinien oder Mexiko, ihren Weizen in der Ukraine oder in den USA." Abgesehen vom Irrsinn, der in einer solchen Vorstellung von einer auf die Spitze getriebenen internationalen Arbeitsteilung steckt (allein schon, wenn man an die ökologischen Konsequenzen des erforderlichen Transportvolumens denkt), beinhaltet dies auch einen direkten Angriff auf französische "nationale Interessen". Denn die Landwirtschaft und Agroindustrie des Landes bilden nicht nur eine wichtige politische Lobby für die regierenden Konservativen, deren unmittelbare Bedeutung freilich abnimmt, da auch die Zahl der Bauern im Zuge der Konzentration zur Agroindustrie stark zurückgeht (jedes Jahr geben 30.000 landwirtschaftliche Betriebe auf, und nur 6.000 neue entstehen). Sie bilden auch einen wichtigen Exportfaktor für Frankreich.

Die Agrarsubventionen der EU in ihren bestehenden Form sind zweifellos kritikwürdig, da sie darauf hinauslaufen, besonders die exportorientierte Agroindustrie und die Großbetriebe zu unterstützen. Aber an ihre Stelle eine Vorstellung vom Agro-Welthandel wie jene Pascal Lamys zu setzen (die überall ein auf Monokulturen, Hyperproduktivismus und Exportorientierung basierendes Agrarindustriemodell durchsetzen würde) bedeutet auch vom sozialen und ökologischen Gesichtspunkt her eindeutig, die Dinge noch zu verschlimmern.

Chirac, der seine Karriere in den 1960er Jahren als Landwirtschaftsminister begonnen hat und diesem Sektor emotional verbunden bleibt, widersetzte sich Lamy freilich eher vom Gesichtspunkt des "nationalen (Epxort-)Interesses" her, und natürlich nicht vom kapitalismuskritisch-ökologischen Standpunkt aus. Dennoch hätte dies Pascal Lamys weitere Karriere beinahe behindert.

Doch dann zeichnete sich ein Kuhhandel zwischen den USA und der EU ab, nachdem die Europäer bei der von Washington betriebenen Ernennung von Paul Wolfowitz zum neuen Weltbank-Präsidenten stillgehalten hatten. Im Gegenzug deutete sich an, dass die Nordamerikaner bereit wären, einen durch die EU unterstützten Kandidaten für die WTO-Spitze zu unterstützen. Lamy ging auf internationale "Wahlkampf"-Tournee und warb etwa in Kairo und Dakar, wo man auf gute Wirtschaftsbeziehungen zur EU dringend angewiesen ist, für seine Kandidatur.

Pascal Lamy, Absolvent der beiden französischen Elitehochschulen HEC (Handel) und ENA ­ eine Kaderschmiede für Verwaltung und Politik -, hat seit 1969 eine Mitgliedskarte bei den französischen Sozialdemokraten. Er gilt als politisches Ziehkind von Jacques Delors, der 1985 als Kommissionspräsident nach Brüssel ging und dem Lamy dorthin als Kabinettschef folgte. Sein politisches Programm besteht aus einer Mixtur aus Glauben an technokratische "Regulierungen" der Wirtschaft und Unterstützung für den ungezügelten Freihandel. Die ’Financial Times Deutschland` bezeichnet ihn deswegen als "französischen Freihändler", der ’Standard` als "Propheten des Freihandels".

Tatsächlich konnte Lamy sich gerade mit diesem Credo bei den Regierungen des Südens beliebt machen, indem er ihnen glaubhaft machte, damit auch den Finger auf die Widersprüche im Verhalten der hochentwickelten Staaten des Nordens zu legen.

Die Rolle der EU im Welthandel: Egoismus und Widersprüchlichkeit

Denn deren Regierungen sind regelmäßig Anhänger des Freihandelsprinzips, solange es darum geht, von anderen ­ und vor allem von wirtschaftlich schwächeren ­ Ländern eine Öffnung ihrer Märkte und den Abbau von Schutzmaßnahmen für ihre Ökonomien zu sorgen.

Der am Sonntag in Frankreich abgelehnte Verfassungsvertrag der EU sieht beispielsweise in seinem Artikel III-314 explizit einen Beitrag der EU zur "Entwicklung des Welthandels, zur zunehmenden Abschaffung von Hemmnissen für den internationalen Austausch und für Direktinvestitionen" vor. Gleichzeitig sieht der umstrittene Text etwa in seinem Artikel I-3 als "Ziele der Union" vor, "in ihren Beziehungen zum Rest der Welt ihre Werte und Interesse zu befördern".

Damit ist vor allem gemeint, dass die Länder des Südens für die Wirtschaftsinteressen des hochentwickelten Europa "offen" zu sein haben. Aber sobald Produkte aus den Ländern des Südens die europäischen Märkte zu "erobern" drohen, wie etwa Agrarerzeugnisse oder aktuell die chinesischen Textilien, greift auch die EU häufig zu protektionistischen Maßnahmen oder subventioniert ihre eigene Agroindustrie. Darin liegt tatsächlich ein gerüttelt Maß an Heuchelei. Indem er letztere zu attackieren vorgab und für eine Förderung der Exporte aus asiatischen oder lateinamerikanischen Ländern nach Europa eintrat, konnte Lamy bei vielen dortigen Regierungen ein offenes Ohr und Unterstützung für seine WTO-Bewerbung gewinnen. Nicht übersehen werden darf dabei jedoch die Kehrseite seines Programms, soweit er es ernst damit meint: Die von Lamy proklamierte Ankurbelung der Exportindustrien des Südens bedeutet auch eine schädliche Zurichtung der Ökonomien dieser Länder, die darauf hinaus läuft, etwa Monokulturen ­ wie den Erdnussanbau in der Sahelzone oderdie Sojaproduktion in Brasilien ­ zu fördern und eine Konzentration der « unterentwickelten » Länder auf ihre eigene Bedürfnisse zu verhindern.

Dabei ist im Übrigen auch Lamy keineswegs ein wirtschaftsliberaler "Internationalist", sondern denkt stets daran, die EU als wirtschaftliche Großmacht zu stärken. So tritt er etwa für eine ’préférence communautaire`ein, also eine "Bevorzugung von Gemeinschaftsprodukten", die zur Ankurbelung des Handels vorrangig innerhalb der EU führen soll. Die Webpage www.liberalismus.at - die für einen konsequent marktfundamentalistischen Wirtschaftsliberalismus wirbt - schimpft deswegen auch über Lamy, dieser sei ein "Edelbürokrat", ja sogar ein "kollektivistischer Merkantalist", was als eine schlimme Beschimpfung gemeint ist.

Unter Elefanten

In einem Interview im 'Figaro', in dem Lamy vor sechs Wochen die renitenten Franzosen zur Annahme des EU-Verfassungsauftrags aufrief, blickte der Mann auf seine Zeit in Brüssel zurück: "Als ich EU-Kommissar war, verbrachte ich die Hälfte meiner Zeit außerhalb Europas. Ich weiß, was für Hoffnungen der Aufbau Europas in Lateinamerika, Afrika und sogar in Asien weckt: Eine Welt, in der nicht nur Amerikaner, Chinesen und Inder ein Gewicht haben". In einer globalisierten "Welt von Elefanten", so Lamy, sei "Europa" von Nöten. Das bedeutet ungefähr so viel wie: Wir basteln uns eine Großmacht.

Seine Elefanten-Metapher hatte Pascal Lamy bereits 2001 schon einmal verwendet, in einem Gespräch mit einem Gespräch mit dem konservativ-liberalen Wochenmagazin 'L¹Express'. Damals äußerte er sich kritisch zur nordamerikanischen Freihandelszone, die "ein ungleiches Spiel" darstelle: "Auf der einen Seite ein Elefant, die USA, und auf der anderen Seite zwei wesentlich kleinere Tiere: Kanada und Mexiko." Das stimmt natürlich, gilt aber insbesondere auch für die Wirtschaftsbeziehungen der EU. In diesem Licht sind Lamys schöne Worte in einem weiteren Interview mit 'L`Express' vom Februar 05 auszulegen: "Bei der WTO gibt es 148 Mitgliedsländer. (...) Alle Länder sind gleichberechtigt, aber einige sind gleicher als die anderen."

Artikel von Bernard Schmid, erschienen unter dem Titel "Prophet des Freihandels" am 26.05.2005 in telepolis, für das Labournet erweitert am 30.5.05


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