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Updated: 18.12.2012 15:51
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Verzicht als Krise

Was als Finanzkrise begann, hat sich schnell zu einer Weltwirtschaftskrise gemausert. Nicht nur Banken brechen zusammen, auch die Bänder der Automobilindustrie stehen wochenlang still. Kapitalistischer Albtraum oder der Traum aller Antikapitalisten? Katastrophe oder ökologischer Durchbruch? Albtraum und Katastrophe, schallt es unisono und zwar auch aus den Gewerkschaftshäusern. Es geht die Angst um. Angst um das angeblich alternativlose Mittel zur Existenzsicherung: Angst um den Lohnarbeitsplatz. Eine (noch?) vielfach verdrängte Angst, denn nicht nur Banken und Konzerne, auch jede/jeder Lohnabhängige hofft in diesem verschärften Verdrängungswettbewerb, zu den Gewinnern der Krise zu zählen.

Dies gilt allerdings nur für diejenigen Lohnabhängigen, die immer noch zur Zielgruppe gewerkschaftlicher Interessenvertretung zählen, nämlich diejenigen aus den geschrumpften Stammbelegschaften. LeiharbeiterInnen, die oft bis zu einem Drittel der Belegschaft ausmachen, wurden als erste entlassen, verbliebene befristete KollegInnen haben so gut wie keine Chance. Die gewerkschaftliche Empörung ist nur eine symbolische, denn schließlich ist dies genau die Funktion prekär Beschäftigter, die von ihnen geduldet wenn nicht gar aktiv akzeptiert wurde: Ein Flexibilitätspuffer zu sein.

Nun sind fast alle Flexibilitätspuffer geschmolzen, während sich die Meldungen häufen, in denen von Schließungen, Entlassungen und Kurzarbeit die Rede ist. Auch die verlängerte Kurzarbeit - dem Wahlkampf sei dank! - läuft irgendwann aus. Diese Kurzarbeit selbst stellt ein (letztes?) Puffer vor der drohenden und absehbaren Massenarbeitslosigkeit bisher ungeahnten Ausmaßes, dar - auch wenn berücksichtigt wird, dass die Erwerbslosenzahlen schon immer kosmetischen Eingriffen unterworfen waren, durch die Hartz-Gesetze mehr denn je.

Was tun Organisationen der Lohnabhängigen, die keine Alternativen zur Lohnabhängigkeit kennen (und wollen), wenn die Angst um den Arbeitsplatz und vor den Hartz-Bedingungen der Erwerbslosigkeit umgeht? Sie suchen nach weiteren Puffern, um das Unheil abzuwenden oder zumindest hinauszuzögern. Da zum Wesen der Abhängigkeit Unterwerfung gehört, können die Puffer nur bei den Abhängigen selbst gesucht und folgerichtig auch gefunden werden. Die IG Metall (und sie soll hier lediglich als Beispiel verstanden werden) hat dafür - schon vor Jahren, bei der vor-vor-vor-vorletzten Welle der "Beschäftigungssicherung" in der Automobilindustrie - den Begriff "share the pain" eingeführt. Sprich: Die Kostensenkung ist ein Sachzwang, die Belastung für die Beschäftigten also folgerichtig und unabwendbar. Solidarität heißt in einem solchen Fall, dass diese Lasten / der Verzicht "gerecht" unter den KollegInnen verteilt werden müssen, national wie international.

Die in ihren Auswirkungen noch nicht absehbare Weltwirtschaftskrise erweist sich nun als eine große Chance für sozialpartnerschaftlich eingestellte Gewerkschaften, sich den vor Jahren weg gelaufenen Sozialpartner zurück zu holen und sich als für den "sozialen Frieden" unentbehrliche Co-Manager, ja oftmals die besseren Manager, zu beweisen.

Wie sieht also "share the pain" in der Weltwirtschaftskrise aus? Ganz kurz? Nur Kostensenkung - und zwar nur der Arbeitskosten, denn auch staatliche Bürgschaften und Hilfen werden von den Lohnabhängigen finanziert - kann Arbeitsplätze sichern/retten. Wie sieht diese Logik, die - deutschen - Arbeitsplätze durch Lohndumping über die Krise zu retten, en detail aus?

a) Jobs retten durch Kurzarbeit und Prekarisierung?

Noch greift überwiegend die Kurzarbeit - ohnehin eine staatliche Übernahme des unternehmerischen Risikos. Um die Zahl der anschließenden Entlassungen zu minimieren, sollen die Kosten der Kurzarbeit (die ja eine drastische Lohnsenkung bedeutet) für die Unternehmen gesenkt werden. Dem dient ein Vorstoß der IG Metall Baden-Württemberg, der erfahrungsgemäß Schule machen dürfte. In Baden-Württemberg bestand die bundesweit einzige Tarifregelung zur Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, die nun mit dem "Krisen-Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung" weitgehend aufgehoben wurde. Die Arbeitgeber können Zuschüsse für Kurzarbeiter verringern, und Arbeitnehmer können künftig vier statt zwei Jahre befristet beschäftigt werden. Dies bedeutet mehr Flexibilität, als das Gesetz vorsieht, und zwar zu Lasten der befristet Beschäftigten, um die Jobs der Stammbelegschaften etwas länger zu retten.

b) Jobs retten durch (erneute/weitere) Lohnsenkung?

Für Sparrunden ist Opel seit Jahrzehnten ein hervorragendes Beispiel (siehe unten). Die neueste lautet: Zehn Prozent bei Managern (bei rund 300 Managern einige Millionen Euro) - eine Milliarde bei Belegschaft. Für diesen symbolischen Verzicht des Managements wurde gerade eine europäische Rahmenvereinbarung gekündigt (durch den Streik der Bochumer Belegschaft 2000 erkämpft), was zudem nun betriebsbedingte Entlassungen und Standortschließungen ermöglicht. Nun bietet der Betriebsrat angeblich auch ein Unterschreiten des Flächentarifs an.

Was Opel kann, kann auch Daimler schon lange und muß es in diesem Kostensenkungswettbewerb auch. Den Bilanz-Verlust von rund 1,4 Milliarden Euro im ersten Quartal 2009 gleicht nun die Belegschaft durch erneute Senkung der Arbeitskosten aus und mehr als dies: Das durch den Gesamtbetriebsrat durchgewunkene Rationalisierungsprogramm soll in diesem Jahr insgesamt vier Milliarden Euro einsparen. VW, Ford müssen folgen, von den Zulieferern ganz zu schweigen - und dies gilt national wie international.

c) Jobs retten durch Mitbestimmung?

Als sich die Milliarden schwere Familie Schaeffler mit der feindlichen Übernahme des ebenfalls Automobilzulieferers Conti verhoben hat, demonstrierte die Belegschaft Arm in Arm mit der Chefin sowie Berthold Huber, Erstem Vorsitzenden der IG Metall, um deren Ruf nach staatlichen Bürgschaften zu unterstützen. Der Dank: IG Metall und Schaeffler beschließen eine Zukunftsvereinbarung, in der Verzicht durch Mitbestimmung und ein Beteiligungsprogramm für die Belegschaft belohnt wurde. Nun steht - dennoch? - ein Stellenabbau von bis zu 4500 Arbeitsplätzen ins Haus. Angeblich und glaubhaft fühlen sich die KollegInnen nun "veräppelt" - ob nur von der Firmenleitung?

Wie wenig der Fakt der Mitbestimmung über deren Qualität und arbeitspolitischen Effekte aussagt, hat allein der Skandal um den Personalchef Peter Hartz und den Gesamtbetriebsrat Klaus Volkert bei VW gezeigt. Und doch kann der Drang nach der Mitbestimmung des Elends auch zur direkten Beteiligung führen, wie im Falle der US-amerikanischen Automobilgewerkschaft UAW. Nach milliardenschweren Zugeständnissen für den Gesundheitsfonds der Betriebsrentner und drastischer Senkung der Lohnkosten wird nun versucht, die Arbeitsplätze bei Chrysler und nun auch die bei GM durch gewerkschaftliche Beteiligung an den Konzernen - zu Lasten eben dieser Pensionsfonds, denn die Unternehmensanteile kosten die UAW je rund die Hälfte der ausstehenden Zahlungsverpflichtungen der Konzerne - zu retten. Diese gewerkschaftliche Beteiligung erfolgt dabei unter ausdrücklichem Verzicht auf mehrheitliche Mitbestimmung an der Firmenpolitik.

Und diese "Lösung" findet prompt Nachahmer bei der deutschen GM-Tochter Opel. Betriebsratschef Klaus Franz schlug diese Tage zur Rettung des Konzerns eine gemeinsame Beteiligung der Belegschaft und der Händler von Opel vor. Hierfür könne eine Milliarde Euro durch einen (weiteren, siehe oben) Lohnverzicht der Belegschaft und weitere 500 Millionen Euro durch den Rettungsfonds der rund 4000 Opel-Händler aufgebracht werden - auch hier sei keine Mehrheitsübernahme geplant.

Wie bei einem etwas früheren Vorstoß der IG Metall, Lohnverzicht durch Aktienbeteiligung der Belegschaft zu erkaufen, scheint das Zeitalter, in dem die Lohnabhängigen für das "Privileg" eines Arbeitsplatzes auch noch Geld mitbringen, längst angebrochen.

d) Jobs retten durch Verzichtspakte?

"Was gilt ein Versprechen in der Krise?" fragt das Handelblatt vom 03.05.2009 im Zusammenhang mit Beschäftigungspakten. Als Antwort reicht eigentlich eine Gegenfrage: Was galten solche Versprechen schon vor der Krise?

Möge mal wieder Opel, Standort Bochum, als Beispiel dienen: Opel gehörte - neben Ford - zu den Vorreitern bei betrieblichen "Wettbewerbsbündnissen" bzw. "Standortsicherungsvereinbarungen" in Deutschland. Die erste "Zukunftssicherung" bei Opel war 1993 (u.a. Anrechnung übertariflicher Entgeltbestandteile auf die Tariferhöhungen, Senkung der Abwesenheitszeiten), die zweite 1995 (u.a. erneute Reduzierung der Lohnerhöhungen), die dritte 1997 (u.a. Lohnkürzungen und "sozialverträglicher" Abbau von über 3.000 Arbeitsplätzen), die vierte 2001 (u.a. Reduzierung des Weihnachtsgeldes und der Lohnerhöhungen) sowie die fünfte 2005 (u.a. "sozialverträglicher" Abbau von 9500 Arbeitsplätzen, Arbeitszeitflexibilisierung und Anrechung übertariflicher Entgelte auf die Lohnerhöhungen). Alle diese Vereinbarungen beinhalteten zusätzliche Arbeitsintensivierung und versprachen lediglich den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, und auch dies nur, sofern sich die Wirtschaftslage nicht drastisch ändert. In diesem Zeitraum schmolz die Bochumer Belegschaft von ca. 20.000 auf knapp 4.000 KollegInnen zusammen, die nun erleben, dass der letztjährige "Zukunftsvertrag 2016" jetzt schon Makulatur ist. Bei Opel wackelt jeder fünfte Job und egal, wer der neue Besitzer wird, Stellen wollen alle Investoren abbauen.

Wie leichtgläubig - diesen Erfahrungen in Tausenden von Betrieben zum Trotz - die IG Metall dennoch und immer noch ist, zeigt die zu Beginn der sich abzeichnenden Weltwirtschaftskrise vereinbarte Öffnungsklausel im Tarifvertrag von 2008 für die Metall- und Elektroindustrie - nicht die erste solcher Öffnungsklauseln allerdings. Der Tarifvertrag lässt den Betrieben die Möglichkeit, die zweite Stufe der Erhöhung bis Dezember 2009 zu verschieben, sofern sie krisenbedingt in Schwierigkeiten geraten. Dies geschehe lt. IG Metall Baden-Württemberg nun nur in etwa 20 Prozent der Betriebe -und auf solche Ausnahmefälle hat diese offenbar auch gehofft. Nach Ergebnissen der gleichen Umfrage nutzen weitere 15 Prozent der Betriebe diese Option des laufenden Entgelt­abkommens für einen kürzeren Zeitraum oder verrechnen die Erhöhung mit übertariflichen Bestandteilen - eigentlich schlimm genug. Und soweit es zu einer Verschiebung käme, würden in der Regel Gegenleistungen der Arbeitgeber ausgehandelt, bei fast der Hälfte dieser Vereinbarungen nämlich betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen - wow! Doch das Kapitallager hat es bekanntlich nicht mehr nötig, uns anständig zu belügen und korrigiert diese Meldung. Südwestmetall-Chef Jan Stefan Roell widersprach nämlich im der "Stuttgarter Zeitung" (03.05.2009) der IG-Metall-Führung: "70 Prozent der Betriebe verschieben Tariferhöhung". Roell erwartet zudem - nicht unerwartet, aber erstaunlich offenherzig - einen weiteren Schub durch die Krisenvereinbarung bei Daimler (siehe oben). Sparpakete wie bei dem krisengeschüttelten Automobilbauer hätten durchaus Einfluss. "Viele Unternehmen schauen, was die ganz Großen machen, sodass deren Regelungen salonfähig werden", sagte er ebenda.

(Deutsche) Jobs retten durch Protektionismus ("GM ist schuld an Opels Problemen" bzw. "angloamerikanischer Shareholder-Value-Kapitalismus gegen deutsche soziale Marktwirtschaft"), Jobs retten durch Binnennachfrage - trotz Lohnsenkung ("Umweltprämie" und Konjunkturprogramme) - die Liste ließe sich lange fortsetzen. Die Alternative lautet in jedem Fall, die immer weniger zur Existenzsicherung ausreichenden Jobs retten oder die Lebensqualität der lohnabhängigen Menschen? Unsere Jobs zu Lasten wessen Jobs? So stärkt die Finanzkrise das Kapital und schwächt die Arbeiterbewegung.

Kurzum: Die Gewerkschaftsführungen gebärden sich hilflos mit protektionistischen Konjunkturprogrammen, Tarifkonzessionen und korporatistischer Solidarität mit den Banken, nicht ihren lohnabhängigen Opfern. Doch Menschen brauchen Güter und Infrastruktur, sie brauchen weder Geld noch Lohnarbeit, noch eine "Realwirtschaft", die sich um diese Bedürfnisse nicht kümmert und keine Produktionsweise, die diesen Bedürfnissen entgegensteht. Die Macht des Kapitalismus über Produktion wie Konsum, die Ökonomisierung unserer Gefühle und Bedürfnisse, unserer Kommunikation und zwischenmenschlichen Beziehungen muss - gerade in dieser Krise - gebrochen werden. Entweder die Gewerkschaftsbewegung trägt diese menschlichen Ansprüche in die notwendigen - internationalen - Kämpfe, oder sie geht unter.

Artikel von Mag Wompel - eine Kurzfassung ist gerade erschienen ist in den "Nachrichten und Stellungnahmen der Kath. Sozialakademie Österreichs" 05/2009


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