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Updated: 18.12.2012 15:51
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Zuwanderung im Zeichen der GlobalisierungZuwanderung im Zeichen der Globalisierung. Migrations-, Integrations- und Minderheitenpolitik

Einleitung

In den Massenmedien schlägt das Thema "Migration und (mangelnde) Integration von Zuwanderern" gerade wieder einmal hohe Wellen. Anknüpfungspunkte einer Debatte, die Integration fast nur noch als mit harten Sanktionsdrohungen durchgesetzte Zwangsveranstaltung begreift und besonders Muslimen immer mehr Vorleistungen im Hinblick auf Sprachkurse sowie Einbürgerungstests abverlangt, waren der sog. Karikaturenstreit, seine gewalttätigen Folgewirkungen und sich wechselseitig hochschaukelnde Interviewäußerungen von Politikern verschiedener Parteien.

Am 30. September 2005 hatte die dänische Tageszeitung Jyllands-Posten unter dem Titel "Die Gesichter Mohammeds" zwölf Karikaturen des Propheten veröffentlicht, obgleich man diesen nach islamischen Glaubenssätzen nicht bildlich darstellen darf. Wiewohl sie noch Monate später unter Muslimen in aller Welt zum Teil militante Proteste und Massendemonstrationen auslösten, wurden die Mohammed-Karikaturen von mehreren anderen westlichen Blättern nachgedruckt. Bei dem Konflikt ging es nicht nur um die Grenzen der Pressefreiheit und die Schutzwürdigkeit religiöser Gefühle, sondern auch um die Möglichkeiten eines friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Nationalität, ethnischer Herkunft und Religionszugehörigkeit.

"Jetzt droht Kampf der Kulturen" (Rheinische Post v. 4.2.2006) lautete eine typische Schlagzeile zum sog. Karikaturenstreit, wie man sie seinerzeit in fast allen Tageszeitungen der Bundesrepublik finden konnte. Zwar suchte der Kölner Stadt-Anzeiger am 20. Februar 2006 im Aufmacher "Warnung vor einem Kampf der Kulturen" die Gemüter im fortdauernden "Streit zwischen westlicher und islamischer Welt" zu beschwichtigen, im eklatanten Widerspruch hierzu stand allerdings der Titel des Leitartikels. Verfasst vom Chefredakteur, verkündete dieser nämlich apodiktisch und reißerisch: "Das ist der Krieg der Kulturen". Auf eine demoskopische Untersuchung gestützt, konstatierte die führende Lokalzeitung der Domstadt am 18. Mai 2006, das Gefühl der Bedrohung durch den Islam wachse, das Image der Muslime habe sich drastisch verschlechtert und die Toleranz "der Deutschen" (als ob es keine deutschen Muslime gäbe und es sich um einen Gegensatz zwischen "denen" und "uns" handle!) ihnen gegenüber nehme ab. Als mögliche Ursache dafür nannte ein Repräsentant der Muslime, dessen Stellungnahme der Kölner Stadt-Anzeiger zum Teil wörtlich wiedergab, die Berichterstattung "mancher Medien" über den Islam und zum "Kampf der Kulturen". Ob sie womöglich selbst durch ihre oben zitierten Formulierungen mit zu dem beklagten Umfrageergebnis beigetragen hatten, fragten die Redakteure sich und ihre Leser/innen freilich nicht.

Bei dem von Wissenschaftlern, Politikern und Publizist(inn)en gleichermaßen beschworenen "Kampf der Kulturen" handelt es sich um ein Deutungsmuster sozioökonomischer Konflikte, das an den Kalten Krieg erinnert, weil die Projektion von Feindbildern erneut an die Stelle der Bereitschaft zur Kooperation zwischen großen Teilen der Menschheit tritt. Eine von wenigen Fundamentalisten, rechten Scharfmachern und religiösen Fanatikern inszenierte Konfrontation, die letztlich nur der Provokation von Andersdenkenden bzw. -gläubigen dient und zur (militärischen) Eskalation einlädt, wird als unausweichliche, der ganzen islamischen Religion/Kultur zugeschriebene Auseinandersetzung von wahrhaft historischer Tragweite interpretiert. Ein solches Paradigma reduziert, wenn es sich in den Köpfen festsetzt, die Chancen für Kompromisse und das friedliche Zusammenleben aller Erdenbürger/innen auf ein Minimum, was seine Urheber offenbar bezwecken oder zumindest billigend in Kauf nehmen.

Vor diesem Hintergrund protestierten Mark Terkessidis und Yasemin Karakaso g lu, von zahlreichen anderen Migrationsforscher(inne)n unterstützt, am 2. Februar 2006 in der Zeit gegen Bücher wie "Die fremde Braut" von Necla Kelek oder "Ich klage an" von Ayaan Hirsi Ali, die - so scheint es - deshalb reißenden Absatz finden, weil sie Stimmung gegen (muslimische) Migranten machen sowie das Klima zwischen der Mehrheitsgesellschaft und ethnischen Minderheiten vergiften. Tatsächlich bestätigt Keleks Buch, das wie sein Nachfolger "Die verlorenen Söhne. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland" die Bestsellerlisten stürmte, deutschen Leser(inne)n nur, was sie zahlreichen Medienberichten entnehmen konnten: Die muslimischen Migranten, Türken zumal, verschanzen sich hierzulande in "Parallelgesellschaften", unterdrücken ihre Frauen und passen einfach nicht "zu uns", gehören vielmehr dorthin, wo sie herkommen und ihrer fremdartigen Kultur gemäß leben können.

Kelek konterte den von 60 Wissenschaftler(inne)n unterzeichneten Offenen Brief, dem die Zeit -Redaktion als "Weckruf" den Titel "Gerechtigkeit für die Muslime!" gegeben hatte, in der nächsten Ausgabe mit dem Vorwurf, ihre "Kritiker aus der gut ausgestatteten Welt der öffentlich finanzierten Migrationsforschung" hätten "in den vergangenen Jahrzehnten Zeit, Mittel und Assistenten gehabt, die Fragen von Zwangsheirat, arrangierten Ehen, Ehrenmorden und Segregation sowohl quantitativ wie qualitativ zu untersuchen", dies aber tunlichst vermieden und dazu lieber geschwiegen, "weil solche Fragen nicht in ihr ideologisches Konzept des Multikulturalismus passen und weil sie die Menschenrechtsverletzungen nicht sehen wollten und wollen. Damit haben sie aber auch das Tabu akzeptiert und das Leid anderer zugelassen."

Über das Thema entspann sich eine hitzige Kontroverse, die Bedeutung von Zuwanderung sowie Migrations- und Integrationsforschung betreffend. Unterstellte die Welt den kritischen Wissenschaftler(inne)n am 8. Februar 2006 gleichfalls, eine notwendige Debatte verhindern zu wollen, so fuhr das FAZ-Feuilleton einen Tag später weit schwereres Geschütz auf. Während man Necla Kelek den "Wunsch nach Aufklärung" attestierte, denunzierte man die Unterzeichner/innen des Offenen Briefes als "Zwangsheiratsschwindler" und warf ihnen "Hochstapelei" vor, weil sie zwar als Migrationsforscher aufträten, sich aber nie mit der hier zur Diskussion stehenden Materie (Zwangsheiraten und "Ehrenmorden") beschäftigt hätten. Den polemischen und hasserfüllten Ton verschärfte Alice Schwarzer noch, als sie die Bremer Hochschullehrerin Yasemin Karakaso g lu am 11. Februar 2006 in einem FAZ-Artikel bezichtigte, engstens "mit der islamistischen Szene in Deutschland verbandelt" zu sein, im Vormonat "mal wieder auf einem Podium mit den Freunden und Freundinnen der bärtigen Brüder" gesessen zu haben und als "sogenannte Migrationsforscherin" einer "Branche" anzugehören, "die unter den Fittichen rot-grüner Multi-Kulti-Förderung boomte." Dagegen hätten Ayaan Hirsi, Necla Kelek und Seyran Ates zwar subjektiv berichtet, aber objektiv informiert, eine Emanzipationsbewegung junger Musliminnen in Westeuropa initiiert und dabei ihr Leben riskiert: "Ihrem Mut verdanken wir alles", war das Pamphlet der Emma -Chefredakteurin überschrieben.

Einen guten Monat später erschien unser Sammelband in der ersten Auflage, die sicher nicht zuletzt aufgrund seiner tagespolitischen Aktualität und der skizzierten Kontroversen über das Thema "Massenmedien, Migration und Integration" schon nach wenigen Wochen vergriffen war. Wir glauben, darin mit der nötigen Sorgfalt belegt zu haben, dass Medienmacher/innen häufig in einer skandalisierenden und diffamierenden Weise über Zuwanderer berichten, hoffen jedoch, gleichzeitig Alternativen der Migrationsberichterstattung aufgezeigt zu haben. Vielleicht trägt die zweite Auflage zur Verstetigung der notwendigen Diskussion hierüber wie zur Versachlichung der wenig fruchtbaren Auseinandersetzungen unter den Migrationsforscher(inne)n bei.

Journalist(inn)en beeinflussen maßgeblich die öffentliche Meinungsbildung, nicht nur im Hinblick auf das Thema "Migration und Integration". Vermutlich weltoffener, toleranter und liberaler als deutsche Durchschnittsbürger/innen, dürften sie rassistischen Stereotypen in den seltensten Fällen bewusst Vorschub leisten. Trotzdem werden die Medienmacher/innen ihrer Verantwortung für den sozialen Frieden oft nicht gerecht: Durch eine fragwürdige Wortwahl und eine unsensible, manchmal sogar unseriöse Migrationsberichterstattung verdirbt man das gesellschaftliche Klima. Dies trägt entscheidend dazu bei, dass Zuwanderern und Angehörigen von (ethnischen) Minderheiten im Alltag vielfach der Respekt verweigert wird. Beschimpfungen, Beleidigungen und Benachteiligungen von Migrant(inn)en gibt es nicht nur in den ost deutschen Bundesländern, die nach Medienberichten über rechtsextreme Wahlerfolge wie rassistisch motivierte Gewalttaten um ihr Ansehen fürchten.

Wenn sich durch die Migrationsberichterstattung und Medienbilder der Eindruck verfestigt, dass Zuwanderer eine Außenseitergruppe bilden, die "uns" in der (Rütli-)Schule, bei Behörden, im Strafvollzug oder auf der Straße nur Probleme bereitet, muss ihre ökonomische, soziale und politische Integration scheitern. Umso wichtiger wäre es, dieser hierzulande erneut um sich greifenden Tendenz der Ausgrenzung "fremder" Minderheiten konsequenter als bisher entgegenzuwirken und die Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft als Haupt verantwortliche für das multikulturelle Projekt zu gewinnen. Medienmacher/innen und Migrationsforscher/innen sollten dabei in Zukunft möglichst an einem Strang ziehen, weil sich die Erfolgschancen für eine Integration, die mehr sein muss als Subordination unter eine "deutsche Leitkultur" oder Assimilation, hierdurch spürbar verbessern würden. Dabei geht es um die gleichberechtigte Teilhabe aller Wohnbürger/innen am gesellschaftlichen Leben, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft oder Religionszugehörigkeit der Betreffenden.

Köln/Fulda, im Frühsommer 2006

Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges

Zum Buch:

  • Buch "Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung" - herausgegeben von Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges - völlig überarbeitet und mit mehreren neuen Beiträgen in 3. Auflage. (Wiesbaden (VS - Verlag für Sozialwissenschaften) 2006, 294 Seiten, ISBN 3-531-14957-1 Ladenpreis: 18,90 EUR).
  • Infos beim Verlag externer Link

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