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Updated: 18.12.2012 15:51
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»Keine Kompensation«

Thomas Böhm und Wolfgang Günther zur Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes

In der laufenden Tarifauseinandersetzung fordert ver.di acht Prozent, mindestens jedoch 200 Euro für die Beschäftigten von Bund und Kommunen. Die »Arbeitgeber« haben demgegenüber ein Angebot von fünf Prozent vorgelegt. Nach Berechnungen von ver.di schrumpft dieses Angebot angesichts der Laufzeit von 24 Monaten und anderer Verrechnungskomponenten jedoch auf 2,5 Prozent in 2008 und 0,4 Prozent in 2009. Bei den letzten Tarifverhandlungen am 6./7. März haben die »Arbeitgeber« ein besseres Angebot an die Erhöhung der Arbeitszeiten geknüpft und verlautbaren lassen, die Tarifregelungen zur Arbeitszeit zu kündigen – anscheinend mit dem Ziel, die 40-Stunden-Woche im gesamten Öffentlichen Dienst durchzusetzen. Nachdem ver.di die Verhandlungen für gescheitert erklärt hat, sind nun die Schlichter gefragt. Zur Kommission gehören acht VertreterInnen von ver.di, drei von der – ein Novum – dbb tarifunion und ein Mitglied der GEW. Man darf gespannt sein, wie in dieser Konstellation mit der absehbaren Verrechnung von Arbeitszeit gegen Lohn umgegangen wird. Unterdessen vermeldet ver.di Rekordbeteiligungen an den bisherigen Warnstreiks. Wir wollten genauer wissen, welche Auswirkungen die Privatisierungen im Öffentlichen Dienst auf Streikwilligkeit und -fähigkeit der Beschäftigten haben und wie diese zu dem Deal der »Arbeitgeber« stehen. Dazu haben wir Thomas Böhm, Personalratsvorsitzender im Stuttgarter Klinikum und ver.di-Vorsitzender im Bezirk Stuttgart, und Wolfgang Günther, ver.di-Sekretär im Bereich Kommunen, Ver- und Entsorgung im Bezirk ver.di Südhessen, befragt.

express: Wie ist die Stimmung bei den Beschäftigten, und wie schätzt Ihr die Streikbereitschaft ein? Könnt Ihr Unterschiede bei den verschiedenen Beschäftigtengruppen ausmachen? Welche spezifischen Belastungen im Bereich der Kommunen bzw. des Gesundheitswesens prägen die Arbeitssituation der Beschäftigten im Moment, z.B. in Bezug auf Arbeitszeiten, Niedriglöhne, Dienstplangestaltung?

Thomas Böhm: Die Stimmung unter den Beschäftigten kann man eigentlich mit einem Satz zusammenfassen: »Uns reicht’s, jetzt sind wir dran«. Das bezieht sich sowohl auf den ständigen Reallohnabbau, als auch sehr stark auf die zunehmende Arbeitsbelastung und den Druck, der insbesondere in den Krankenhäusern ausgeübt wird, um immer mehr Patienten mit immer weniger Personal durchzuschleusen. Er bezieht sich aber auch auf die allgemeine gesellschaftliche Situation, die Auseinanderentwicklung von Arm und Reich, die zunehmend als tiefe Ungerechtigkeit begriffen wird. Dementsprechend ist die Streikbereitschaft sehr hoch, nicht nur in Arbeiterbereichen, sondern gerade auch in der Pflege, die jetzt endlich aufwacht und aufhört, den »guten Samariter« zu spielen und sich alles gefallen zu lassen, weil man ja »die Patienten versorgen muss«.

Die Hauptbelastungen liegen im dauernden Personalabbau bei ständig zunehmender Zahl von Patienten. Im Klinikum wurden in den letzten Jahren nahezu 160 Pflegestellen abgebaut, und die Zahl der Patienten ist deutlich angestiegen, so dass insgesamt eine Erhöhung der »Produktivität« um ca. 25 Prozent stattgefunden hat. Diese vermehrte Arbeitsbelastung führt dazu, dass die Pflege nicht mehr vernünftig durchgeführt werden kann, dass nicht nur menschliche Zuwendung fehlt, sondern auch die Grundpflege gefährdet ist. Das belastet die Beschäftigten sehr und hat natürlich dann auch noch weitere Folgen, z.B. dass Beschäftigte aus ihrer Freizeit zu Diensten gerufen werden, dass sie Überstunden aufbauen müssen, die dann vielleicht aufgrund des Personalmangels nicht abgefeiert werden können – die ganze Palette.

Wolfgang Günther: Die Stimmung der Beschäftigten, wahrscheinlich nicht nur derjenigen im Öffentlichen Dienst, ist geprägt von der Erfahrung der tagtäglichen Demütigung, der eigenen Ohnmacht. Die gesellschaftlichen Verhältnisse scheinen zementiert, die Bundestagsabgeordneten erhöhen sich die Diäten um 650 Euro, Zumwinkel & Co hinterziehen Steuern in Millionenhöhe. All das lässt sich bis auf die einzelbetriebliche Ebene nachvollziehen: Beim EAD (Eigenbetrieb Abfallwirtschaft und Stadtreinigung der Stadt Darmstadt) wurden einer Beschäftigtengruppe nach langen Auseinandersetzungen Zulagen, die über Dienstvereinbarungen abgesichert waren, durch Spruch einer Einigungsstelle weggenommen. Gleichzeitig wurde bekannt, dass die Dienststellenleiterin einen leistungsorientierten Vertrag hat, der sich am Betriebsergebnis bemisst: die klassische Umverteilung von unten nach oben, die Einsparung von Personalkosten erhöht das Einkommen der Dienststellenleiterin. Diese tagtägliche Demütigung, die Erfahrung, dass über Arbeit die Situation nicht veränderbar ist, zu der auch ver.di im Öffentlichen Dienst mit einem Absenkungstarifvertrag, nämlich dem TVöD beigetragen hat, diese Stimmungslage wird über die aktuelle Tarifrunde transportiert: Jetzt sind wir dran! Die hohe Streikbereitschaft hier in Südhessen fällt nicht vom Himmel: Seit Ende letzten Jahres haben wir versucht für die Tarifrunde zu mobilisieren. Mit unzähligen Veranstaltungen, Mitgliederversammlungen, Vertrauensleutekonferenzen etc. haben wir den Streik vor- bereitet – und wir waren erfolgreich. Seit Oktober 2007 haben wir im Fachbereich Gemeinden in Südhessen eine positive Mitgliederentwicklung, d.h. wir haben seit langer Zeit mal wieder mehr Eintritte als Austritte. Zur Zeit haben wir in Südhessen ca. 4200 Mitglieder im Fachbereich Gemeinden. Seit dem 1. Februar bis heute haben wir über 200 Neueintritte zu verzeichnen. Zur Zeit haben wir gerade unsere ersten Aktionen.

Mein Eindruck ist, dass die eigene Belastungssituation nicht die Haupttriebfeder für die Handelnden ist. Natürlich lässt sich die Belastung objektiv beschreiben. Im Gesundheitswesen, wo die Personalkosten durch Gesetzgebung gedeckelt sind, oder in den KITAs, wo die Arbeitszeitverlängerung von 38,5 auf 39 Stunden zu weniger Personal geführt hat, im Entsorgungsbereich, wo den Reinigungskräfte durch den TVöD die Stundenlöhne von 9,53 auf 7,68 Euro gekürzt wurde etc. Aus der Ohnmachtserfahrung in Handeln wechseln zu können, zumindest kurzfristig eine Perspektive zu haben und Selbstwertgefühl zu entwickeln, das sind für mich die Triebfedern.

express: Wie weit ist die Privatisierung der Trägerschaft von Leistungen der Öffentlichen Daseinsvorsorge bzw. der Krankenhäuser fortgeschritten, inwiefern wird mit einer weiteren Privatisierung gedroht? Hat dies für Euch einen erkennbaren Einfluss auf die Streikfähigkeit bzw. -willigkeit? Welche Strategien gibt es bei Euch, um insbesondere die Beschäftigten bereits privatisierter Unternehmen des ÖD einzubinden?

Thomas Böhm: Bei uns im Klinikum Stuttgart ist relativ wenig privatisiert. Der Reinigungsbereich, der teilweise privatisiert war, wurde vorletztes Jahr wieder mit eigenen Kräften besetzt. Auch der Versuch der konservativen Mehrheit des Gemeinderats, das Klinikum als Ganzes in eine GmbH umzuwandeln, wurde erfolgreich abgewehrt. Es besteht jetzt ein Vertrag zwischen Stadt, ver.di und Personalvertretung zur Entschuldung des Klinikums, der jedoch klar festlegt, dass die Entschuldung nicht über tarifliche Eingriffe, Absenkungstarifverträge oder Ähnliches und auch nicht über Kündigungen durchgeführt werden darf. Bei uns besteht deshalb eher der Eindruck, dass die erfolgreiche Abwehr dieser Privatisierungsversuche die Beschäftigten gestärkt hat in ihrer Kampfkraft und das Privatisierungsdrohungen kein Hemmnis sind. Da gibt es im Reinigungsbereich eine gewisse Sonderentwicklung. Dort wurden viele Kolleginnen neu eingestellt, haben viele nur befristete Verträge, und sicherlich haben auch viele Angst, dass sie ihren Arbeitsplatz wieder verlieren, wenn sie streiken. Die »Altbelegschaft« macht mit, die Neuen müssen erst noch überzeugt werden.

Wolfgang Günther: Die Tarifrunde ist seit einem halben Jahr bestimmendes Moment unserer Arbeit, alles andere tritt in den Hintergrund. Die Privatisierung von Strom und Nahverkehr ist schon vor Jahren erfolgt. Wir hatten in den letzten Jahren eine breite Debatte zu Public Private Partnership und haben uns dazu auch positioniert: PPP ist die Plünderung öffentlicher Kassen durch Private! Diese Positionierung haben wir zunächst auf hessischer Ebene, dann auch auf dem Bundeskongress durchgesetzt – natürlich mit anderen MitstreiterInnen. Dass es einen Beschluss gibt, mit der Bertelsmann-Stiftung keine gemeinsamen Veranstaltungen mehr durchzuführen, hat in ver.di für einige Unruhe gesorgt. Das kam auch aus unserer Richtung. Die Privatisierung erfolgt in der Regel schleichend, Aufträge werden fremdvergeben, weil dafür kein Personal mehr eingestellt wird, größere Projekte hat es bei uns in letzter Zeit nicht gegeben. Es gibt zum Teil Tendenzen zu einer Rekommunalisierung im Reinigungsbereich, weil durch die Absenkung der Stundenlöhne im TVöD die Arbeit so billig gemacht wurde wie die von Privaten. Und die Qualität der Leistung ist, wenn eigenes Personal vorhanden ist, immer besser, dies merken auch die öffentlichen Arbeitgeber. Im Fachbereich Gemeinden, in dem ich tätig bin, gibt es keine privatisierten Unternehmen, deren Beschäftigte von uns eingebunden werden müssten, insofern haben wir dazu auch keine Strategie.

express: 2006 habt Ihr wochenlang gegen die 40-Stunden-Woche gekämpft. Nun wollen die Arbeitgeber erneut die Verlängerung der Arbeitszeit. Welche Nachwirkungen hat der letzte Streik auf die jetzige Tarifrunde? Wie schätzt Ihr die Bereitschaft unter den Beschäftigten ein, die Verrechnung von Lohn gegen Arbeitszeit zu akzeptieren?

Thomas Böhm: Die Streiks gegen die 40-Stunden-Woche haben uns – obwohl es sich ja nur um die Abwehr von noch größeren Verschlechterungen handelte – doch deutlich gestärkt. Im Laufe dieser Auseinandersetzung sind Etliche neu in ver.di eingetreten. Es hat sich ein stabiler Kern herausgebildet, der jetzt als Vertrauensleutekörper arbeitet und den laufenden Streik vorbereitet hat. Die Einschätzung unter den Aktiven, aber auch unter dem ganzen Rest der Belegschaft ist eindeutig: Niemand will eine Arbeitszeitverlängerung, alle sind bereit, dagegen zu kämpfen, insbesondere auch weil alle wissen, dass Arbeitszeitverlängerung nur weiteren Stellenabbau und noch mehr Arbeitshetze für die Verbliebenen bedeutet.

Wolfgang Günther: Der Kampf um die Arbeitszeit in anderen Bundesländern hat aus meiner Sicht keine Nachwirkungen auf die jetzige Tarifrunde in Hessen, wir haben aus der Ferne Solidarität geübt, mit Delegationen und Soli-Adressen, aber letztendlich waren wir nicht beteiligt. Die Frage nach der Bereitschaft zur Verrechnung von Lohn gegen Arbeitszeit verweist wieder auf das Problem der Ohnmachtserfahrung, unsere Position in Südhessen ist deshalb: keine Kompensation. Wir hoffen natürlich, dass unsere Position auch durchgehalten wird.

express: Noch eine Frage zum Bereich Gesundheitswesen, in dem sowohl ver.di als auch der Marburger Bund vertreten sind: Welche Bedeutung hatten oder haben die Streiks der GDL für die Krankenhausbeschäftigten? Hat man diese ähnlich gesehen wie die Alleingänge und »Streiks« der Ärzte, die beim MB organisiert sind, oder wurden sie begrüßt. Und hat man sich mit ihnen solidarisiert, weil sie im Recht waren – auch in ihrer Argumentation gegenüber der Politik der Transnet?

Thomas Böhm: Die Spaltung zu den Ärzten ist dieses Mal nicht so schlimm. Viele Assistenzärzte unterstützen den Streik. Der Marburger Bund verfolgt ja offensichtlich die Strategie, jetzt zunächst mal die Tarifrunde von ver.di abzuwarten, um dann noch eins oben drauf zu satteln. Damit ist aber auch klar: Wenn ver.di tief landet, kann der Marburger Bund auch nicht mehr sehr hoch fliegen, so dass es insofern eine Übereinstimmung der Interessen gibt. Hinzu kommt, dass sicherlich viele Mitglieder des Marburger Bunds doch relativ enttäuscht sind von dem letzten Tarifergebnis und von der Tatsache, dass dabei vornehmlich die Oberärzte bedient wurden, während die jüngeren KollegInnen und älteren Assistenzärzte nicht gerade zu den Hauptgewinnern der letzten Tarifrunde zählten. Dennoch verweigert der Marburger Bund bisher gemeinsame Aktionen und verlegt sich aufs passive Unterstützen oder Dulden. Besser wäre es, wenn sie gemeinsam mit den KollegInnen aus den anderen Berufsgruppen Aktionen durchführen würden.

Die Streiks der GdL wurden sicherlich mit großem Wohlwollen gesehen, obwohl man – wenn man die Problemlage vom Grundsätzlichen her analysiert – zugleich sehen muss, dass hier auch die Gefahr einer Spaltung und Entsolidarisierung angelegt ist. Doch auch hier ist die Basis der Entwicklung, dass viele KollegInnen nicht mit den Aktivitäten der Transnet zufrieden sind. Ähnliches war ja auch die Ursache für die Auseinandersetzungen mit dem Marburger Bund. Der TVöD ist ein Absenkungstarifvertrag, und die Ärzte waren nicht bereit, das zu akzeptieren. Dennoch bleibt es ein Januskopf, dass die berechtigte Kritik am Verhalten von ver.di und am TVöD aus meiner Sicht kein ständisches Vorgehen gegen die anderen Beschäftigten rechtfertigt und dass ein solches Vorgehen die Front insgesamt schwächt. Aber wie gesagt, dieser Konflikt mit dem MB, der beim letzten Streik sehr zugespitzt war, spielt zumindest im Moment keine so große Rolle.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2-3/08


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