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Updated: 18.12.2012 15:51
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Mit letzter Kraft - Tarifverträge im Einzelhandel durchgesetzt

Am 10. Juli 2008 konnte ver.di nach 18 Monaten Tarifauseinandersetzungen in Baden-Württemberg als erstem Bundesland für den Einzelhandel den Entgelttarifvertrag rückwirkend zum 1. April 2007 mit einer Laufzeit bis 31. März 2009 und den Manteltarifvertrag rückwirkend zum 1. Januar 2007 (Laufzeit bis 31. Dezember 2010) durchsetzen.

Inzwischen wurden vergleichbare Tarifabschlüsse in den westlichen Landesbezirken vereinbart - mit Ausnahme von Schleswig-Holstein und Berlin, die mit Mecklenburg-Vorpommern bzw. Brandenburg gemeinsame Tarifverträge haben. Sie sind ebenso noch tariflos wie Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Zentrale Punkte in der bisher härtesten Tarifauseinandersetzung im Handel waren die bisher gültigen Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit sowie die Erhöhung der Gehälter, Löhne und Azubi-Vergütungen. Die Forderung der Arbeitgeber nach Streichung dieser Zuschläge rief eine bis dahin nicht gekannte Streikwelle hervor. Mehrtägige Streiks und Tarifaktionen waren vor dieser Tarifrunde eine seltene Ausnahme einzelner Belegschaften. 2007/2008 streikten jedoch z.B. in Mannheim/Heidelberg 19 Belegschaften an insgesamt 385 Tagen. »Spitzenreiter « waren die real-Märkte in Mannheim-Sandhofen und Neu-Edingen mit je 43 Tagen und IKEA Walldorf mit 35 Tagen. Letztendlich bewirkten die am 23. Juni 2008 unbefristet ausgerufenen Streiks in ca. 50 Betrieben Baden-Württembergs das Einlenken der Arbeitgeber.

Arbeitskämpfe wegen Ladenschluss

Dieser 18-monatige Arbeitskampf hat seine wesentliche Ursache neben dem Profitstreben der Handelskonzerne in der Abschaffung des früher bundesweiten Ladenschlussgesetzes. Im Rahmen der sog. Föderalismusreform wurde der Ladenschluss von CDU und SPD zur Ländersache erklärt mit dem Ergebnis, dass in den Bundesländern sog. Ladenöffnungsgesetze mit weit gehenden Rund-um-die-Uhr-Ladenöffnungen erlassen wurden. Vorreiter dabei waren 2006 die sog. rot-roten Regierungskoalitionen von SPD und Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin. Die Einzelhandelskonzerne und ihre Arbeitgeberverbände nahmen diese politischen Entscheidungen zum Anlass bzw. zur Begründung ihrer Forderung, die tariflichen Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit im Einzelhandel abzuschaffen, da es sich jetzt ja um politisch gewollte Normalarbeit handle.

Schon 1989 bei der ersten Durchlöcherung des Ladenschlusses um 18.30 Uhr, der Einführung eines »Dienstleistungsabends « am Donnerstag bis 20.30 Uhr, konnte HBV erstmals bundesweit spürbare Tarif- und Streikaktionen zur Verteidigung des frühen Feierabends organisieren. Was 1989 vielerorts einen Ruck hin zu größerer Arbeitskampffähigkeit im Einzelhandel brachte, entwickelte sich jetzt zur Antriebskraft einer bis dahin im deutschen Einzelhandel unbekannten Streikfähigkeit. Die Verteidigung der Zeitzuschläge durch relevante Teile vieler Belegschaften bedeutete neben dem Wehren gegen eine ungerechte Behandlung durch Arbeitgeber und Politiker vor allem eine Verteidigung der bisherigen Arbeits- und Freizeitsysteme in den Betrieben. Angesammelte Zeitzuschläge erlauben bei einer Ladenöffnung von sechs Tagen in der Woche die Vereinbarung von 4- bzw. 5-Tage-Arbeitswochen und damit zusammenhängende Freizeiten. Die Lage sowie Beginn und Ende der Arbeitszeit spielen vor allem für die vielen Frauen – 75 Prozent der im Verkauf Beschäftigten, darunter viele Alleinerziehende - eine wichtige Rolle und erklären auch deren große Aktionsbereitschaft.

Der Tarifabschluss – ein Erfolg

Auch noch vier Wochen danach begreifen die allermeisten der Aktiven den erreichten Tarifabschluss als Erfolg. Je größer deren Aktivitäten waren, umso klarer sind sie in ihrer Einschätzung. Dabei gibt die weitgehend erreichte Verteidigung der Zuschläge den Ausschlag. »Es denen da oben gezeigt zu haben «, prägt das Selbstbewusstsein. Die erreichte Erhöhung der Entgelte wird kritisiert, aber hingenommen. Dass für das Tarifjahr 2007 schon wieder nur eine Einmalzahlung ohne Erhöhung der Tarifentgelte erreicht wurde und dass die 3-prozentige Erhöhung ab 1. April 2008 deutlich unter der Preissteigerungsrate liegt, ist allen bewusst. »Es war nicht mehr drin nach 18 Monaten Tarifkampf «, ist diesmal keine Aussage von Gewerkschaftsfunktionären, sondern in vielen Betrieben die persönliche Erfahrung aufgrund eigener Aktivitäten.

Das monatliche Bruttoeinkommen von über 80 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten im Einzelhandel beträgt zwischen 1 800 und 2 500 Euro. Nur noch 50 Prozent aller in 2007 Beschäftigten des Einzelhandels arbeiten in Vollzeit, 22 Prozent in sozialversicherungspflichtiger Teilzeit und inzwischen 28 Prozent als geringfügig Beschäftigte in Minijobs. Die Tarifeinkommen des Einzelhandels sind fast 20 Prozent niedriger als die durchschnittlichen Einkommen insgesamt und rangieren seit langem mit am Ende der Skala der Angestellteneinkommen. Die offizielle Preissteigerungsrate für Einkommen bis 1 700 Euro netto liegt bei 5,4 Prozent und somit deutlich höher als die viel zitierte Inflationsrate von derzeit 3,3 Prozent für den 4-Personen-Haushalt. Von der hohen Preissteigerungsrate sind die meisten Beschäftigten im Einzelhandel betroffen.

Armut trotz Arbeit und Altersarmut gehören zum Einzelhandel dazu wie die reichsten Deutschen. Die Aldi-Brüder, die Versandhändler-Familien Otto und Schickedanz, Dieter Schwarz (Lidl-, Kaufland- und Handelshof-Konzern) sowie die drei Großaktionäre des Metro-Konzerns (u.a. Kaufhof, real, extra, Metro C+C) - die Familien Haniel und Schmidt-Ruthenbeck sowie die Otto Beisheim-Erben - sind unter den zehn reichsten Deutschen zu finden.

Mit steigender Tendenz entwickelt sich der Einzelhandel zum Niedriglohnsektor für viele und zur Ansammlung von einer wachsenden Anzahl von Milliardären.

Die in den vielen Streiks und Tarifaktionen neu gewonnenen Mitglieder, die in erstmals bestreikten Betrieben selbstbewusst auftretenden Aktiven, die langjährig Aktiven, die vielerorts den Ausschlag für den langen Atem im 18-monatigen Arbeitskampf gaben, die fast unbekümmert streikenden Jüngeren vor allem im Textilhandel wie H&M haben neue und oft erstmals diese Erfahrungen gemacht. Deren Einschätzung, dass der Arbeitskampf erfolgreich beendet wurde, kann eine wichtige Grundlage für die kommenden Auseinandersetzungen sein. Teil ihrer Einschätzung ist allerdings eine zum Teil harsche Kritik an der Bundesspitze von ver.di. Diese Kritik muss ernst genommen werden.

Flächentarifvertrag verteidigt!?

Die Verteidigung des Flächentarifvertrageswar in dieser Tarifrunde vor allem ein Argument von Führungskräften. Deren Befürchtung, in einer Branche mit ca. 2,6 Millionen Beschäftigten ohne Tarifverträge zu bleiben, war groß und unüberhörbar. Wie ernst zu nehmen entsprechende Äußerungen der Arbeitgeberverbände waren, ist umstritten. Wenn nun die für den Handel zuständige stellvertretende ver.di-Vorsitzende Margret Mönig-Raane am Tag nach dem ersten diesjährigen Abschluss sagt: »Unser Ziel, den Flächentarifvertrag zu erhalten, ist erreicht «, lässt dies nichts Neues und nichts Gutes erwarten. Angesichts der tatsächlichen Tarifbindungen im Einzelhandel hätte die Aussage eher lauten müssen »diesen Flächentarifvertragzu erhalten, ist erreicht «. Die Liste nicht tarifgebundener Unternehmen liest sich nämlich inzwischen wie ein Branchenverzeichnis. Bekannte Unternehmen sind entweder nicht Mitglied in einem Arbeitgeberverband oder »Mitglied ohne Tarifbindung «. Beispiele: C&A, Peek & Cloppenburg, Woolworth, dm, Douglas, Globus, Hagebaumärkte, Hornbach, Ihr Platz, IKEA, KiK, Drogerie Müller, Netto, Norma, Rossmann, Wöhrl, Tchibo, Toom Baumarkt. Der jetzige Tarifvertrag ist seit Jahren durchlöchert wie ein Schweizer Käse.

Aber auch in tarifgebundenen Betrieben fallen inzwischen durch Out- und Insourcing, Fremdfirmen, LeiharbeitnehmerInnen, Praktikanten usw. 30-40 Prozent der im Betrieb Arbeitenden nicht mehr unter die Tarifverträge des Einzelhandels. Die Auswirkungen waren deutlich sichtbar bei den Streiks. Mit diesen Arbeitskräften sowie mit Führungskräften und Streikbrechern konnte vielfach »Verkaufsbereitschaft « hergestellt bzw. vorgetäuscht werden.

Alle gewerkschaftsinternen Versuche, diesen unbefriedigenden und wegen der Auswirkungen in der im Einzelhandel herrschenden Vernichtungskonkurrenz für die bestehenden Tarifverträge gefährlichen Zustand strategisch anzugehen, blieben seit Jahren ohne nachhaltigen Erfolg. Die verständliche Erleichterung über den erneuten Tarifabschluss erlaubt jedoch nicht, erneut die Augen zu verschließen.

Der jetzige Tarifvertrag findet in wichtigen Betrieben keine Anerkennung und erreicht damit auch keine Verallgemeinerung der Konkurrenzbedingungen, weder in der ganzen Branche Einzelhandel noch in den einzelnen Teilbranchen wie SB-Warenhäuser, Discounter, Drogerieketten, Textil- und Möbelhäuser. Dies könnte über eine durch ver.di verstärkte politische Einforderung der Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge (AVE) im Einzelhandel eher erreicht werden als über Diskussionen für einen Mindestlohn oder über tarifbezogenen Häuserkampf. Der bei der AVE federführende Bundesarbeitsminister Scholz könnte sich und die SPD damit profilieren und die Wettbewerbsbedingungen im Handel re-regulieren.

Tarifkampf in der Krise

Seit Jahren stagnieren im Einzelhandel die nominalen Umsätze. Auch nach Berücksichtigung der Preissteigerungen ist der Gesamtumsatz rückläufig. Dennoch werden gleichzeitig Milliarden Euro an Gewinnen erwirtschaftet, an die Aktionäre und Eigentümer ausgeschüttet. ‚Erfolgreiche’ Manager gehören zu den Spitzenverdienern, ‚erfolglose’ Manager kassieren Topabfindungen. Horrende Gewinne auf der einen Seite und Unternehmen in der Krise auf der anderen.

Trotz oder gerade wegen des realen Rückgangs des Branchenumsatzes nehmen der Konzentrationsprozess und die (Vernichtungs-)Konkurrenz zu. Die Umsatzanteile der Discounter, Fach- und Verbrauchermärkte mit ihren wegen der Selbstbedienung niedrigen Personalkosten wachsen unaufhörlich. Die neuen, verlängerten Ladenöffnungszeiten erhöhen die »komparativen Kostenvorteile « dieser Vertriebslinien. Verlierer in diesem Vernichtungswettbewerb sind die Beschäftigten der Kauf- und Warenhäuser sowie der Innenstadt-Fachgeschäfte. Die ehemaligen Töchter des Karstadt-Konzerns Hertie, Sinn-Leffers und Wehmeyer sind in ihrer Existenz ebenso bedroht wie zahlreiche Karstadt-Häuser. Der Metro-Konzern will die zu wenig profitträchtigen Kaufhöfe verkaufen und seine real-Märkte profitsanieren: Zahlreichen real-Märkten droht der Verkauf oder die Schließung. Gerüchte über einen Totalverkauf der real- und extra-Märkte sind an der Tagesordnung. Mit Plus – von Tengelmann an Edeka verkauft – hat es den ersten großen Discounter erwischt.

Diese Konzentrationsprozesse bedeuten für die Beschäftigten den Verlust von Arbeitsplätzen und die Minderung ihrer Einkommen. Entsprechend groß ist die Angst, nicht nur in den unmittelbar betroffenen Belegschaften. Alle wissen, dass es im Einzelhandel kaum noch zu besetzende Vollzeitarbeitsplätze gibt. Die Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt sind, wenn überhaupt: Teilzeit und Minijobs... Wenn nicht, dann droht Hartz IV.

Schwächen im Arbeitskampf

In dieser wirtschaftlich schwierigen Situation ging ver.di vollmundig in die Tarifrunde 2007: »… die Zeit der Zurückhaltung bei unseren Entgelten und Ausbildungsvergütungen ist vorbei... Deshalb ist der Erhalt und Ausbau der Zuschläge notwendig…Unser Ziel ist in 2007 eine Erhöhung der Realeinkommen… Mit Einmalzahlungen lassen wir uns nicht abspeisenUnser Ziel ist eine stärkere Anhebung der unteren Tarifgruppen… Gemeinsam streben wir eine maximal 12-monatige Laufzeit an… Wir streben eine Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge an… Bei der Planung und Durchführung von Aktionen ist auf allen Ebenen darauf zu achten, dass es auch zu einer engen Verzahnung mit dem Großhandel und anderen ver.di-Fachbereichen (u.a. Druckindustrie und Telekom) kommt. « (Hervorhebungen A.K.) So lautete der schon am 19. April 2006 verabschiedete Beschluss der bundesweiten Koordinierungskonferenz auf Empfehlung der zentralen Führungskräfte. Und im März 2007 fasste die stellvertretende Bundesvorsitzende Margret Mönig-Raane zusammen: »Ein deutliches Plus muss her «. »Kein Anlass für Bescheidenheit «, lautete die zentrale Devise.

Das alles war schön und gut gemeint. Alles ist auch einfach und gut zu begründen. Wenn die darin zum Ausdruck kommenden Ansprüche allerdings als Grundlage für die Bewertung des Ablaufs der Tarifrunde und für die Bewertung des Tarifabschlusses genommen werden, sieht es schon anders aus.

Aus allen Ecken der Republik – Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Stuttgart, Mannheim/Heidelberg, um nur wenige zu nennen – gibt es seit vielen Monaten Kritik. Es gab von den zentralen Führungskräften weder eine wirksame Koordination der Streikaktivitätenim Einzelhandel noch eineKoordination in ver.di, z.B. mit der Telekom und dem Arbeitskampf im Öffentlichen Dienst. Koordination gab es vor Ort. Der Begriff »solidarische Tarifpolitik « schien ein Fremdwort. Eine zentral gesteuerte Öffentlichkeitskampagne wurde schon im Mai/Juni 2007 eingefordert und bis zum Schluss/Juli 2008 nicht praktiziert. Der Frust und die Kritik waren vor allem bei den Aktiven riesengroß. Der Einzelhandel tätigt seine Geschäfte in aller Öffentlichkeit, doch die Tarifrunde findet – mangels entsprechender Unterstützung aus der Zentrale - kaum bzw. nicht in dieser Öffentlichkeit statt. Hoffnung keimte auf, als die ver.di-Kampagne für den Öffentlichen Dienst überall sicht- und spürbar wurde. »Jetzt geht’s auch im Einzelhandel los «, so drückte sich die dann doch nicht erfüllte Hoffnung aus. Die Kritik an ver.di wuchs bis hin zu Diskussionen, wie sinnvoll die Beteiligung von HBV bei der ver.di-Fusion war. Dass dann endlich im Frühjahr 2008 der Auftrag für eine Öffentlichkeitskampagne im Einzelhandel gegeben wurde, wurde vielerorts – weil zu spät - nur noch kopfschüttelnd und schimpfend zur Kenntnis genommen. Als dann im Juni 2008 – mitten in einer erneuten heißen Streikphase mit unbefristeten Streiks in Baden-Württemberg – von Margret Mönig-Raane verkündet wurde, dass diese Kampagne im Herbst beginne, verstärkten sich die Diskussionen über notwendige Rücktritte von zentralen Führungskräften. »Während wir streiken, verkünden andere die Sommerpause «, das waren noch die freundlicheren Äußerungen.

Nach monatelangem Arbeitskampf kamen vielen Zweifel, ob die alleinige gewerkschaftliche Kampfkraft im Einzelhandel ausreicht. Aber eine versuchte Politisierung dieser Tarifauseinandersetzung war ebenso wenig auszumachen wie der Versuch, Prominente zu gewinnen oder soziale Netzwerke aufzubauen, um den Druck auf die Arbeitgeber zu erhöhen. Hier und da wurden vor Ortneue Arbeitskampfformen entwickelt.EinErfahrungsaustausch unterblieb ebenso wie die Organisierung von Ideenwerkstätten zur Aufarbeitung und Verbreiterung dieser Erfahrungen.

In den meisten Streikbetrieben litten die Aktiven wegen der trotz Streik geöffneten Läden. Die seit über 20 Jahren erlebbare »neue Unübersichtlichkeit « in den Einzelhandelsgeschäften durch die weiter oben schon beschriebene Zusammensetzung des im Verkauf tätigen Personals ist noch immer nicht aufgearbeitet. Schlagzeilen in den Zeitungen wie »Unbemerkter Arbeitskampf «, »Streiks im Einzelhandel unsichtbar und wirkungslos « schwächen die Kampfkraft. Publizistisch sowie organisations- und gewerkschaftspolitisch dagegen zu halten ist unabdingbar. Wo wurde eine Auswertung des letzten BAG-Urteils zu Solidaritätsstreiks vorgenommen und zur Umsetzung angeboten? Wo fand eine bewusste Diskussion über Boykottmaßnahmen statt, um die Kampfkraft der Streikenden durch solidarische Kunden zu vergrößern?

Ein Großteil dieser Probleme und Fragen sind seit Jahren bekannt und harren einer Antwort.

Tarifabschluss ohne Forderung

Eine Neuerung brachte dieser Tarifabschluss schon jetzt. Für den Abschluss des Entgelttarifvertrages zum 1. April 2008 gab es keine Forderung von ver.di. Weder wurde wahrnehmbar eine Forderung diskutiert, noch wurde die Große Tarifkommission zur Diskussion eingeladen.

Einzelhandelsabschluss

Die wichtigsten Ergebnisse in Kürze

  1. Ab 1. April 2008 werden für zwölf Monate alle Entgelte um 3 Prozent erhöht. Für die Zeit von April 2007 bis März 2008 gibt es eine Einmalzahlung ohne Tabellenwirksamkeit von 400 Euro, für die Teilzeitkräfte anteilig. Auszubildende erhalten 150 Euro.
  2. Die Zuschläge von 20 Prozent für die Spätarbeit von Montag bis Freitag zwischen 18.30 Uhr und 20 Uhr bleiben ebenso unangetastet wie der Zuschlag von 50 Prozent für Nachtarbeit zwischen 20 Uhr und 6 Uhr. Ab 1. Juli 2008 gibt es an Samstagen Spätöffnungszuschläge von 20 Prozent nur noch für Arbeit zwischen 18.30 und 20 Uhr; vorher wurden diese ab 14.30 Uhr gezahlt. Für diese vier Stunden nun zuschlagsfreie Arbeitszeit erhalten Vollzeitkräfte im Verkauf in den Jahren 2009 und 2010 eine Kompensation von je 150 Euro –Teilzeitkräfte anteilig – wahlweise als Warengutschein oder für die tarifliche Altersvorsorge. Der neue Manteltarifvertrag mit diesen Zuschlägen kann erstmals zum 31. Dezember 2010 gekündigt werden.

Ohne einen Forderungsbeschluss wurde verhandelt und gestreikt. Offensichtlich war es auch den Arbeitgebern schnuppe. Dass diesen wenigen Damen und vielen Herrn Demokratie nicht besonders wichtig ist, kann allerdings für die innergewerkschaftliche Demokratie kein Vorbild sein.

Maßregelungsklausel wirkungslos?

In diesem 18-monatigen Arbeitskampf kam es zu vielfältigem Druck gegen Aktive und Streikende. Bekannt sind Kündigungen und Kündigungsversuche: in Berlin kündigt Kaisers Kaffee eine Kassiererin, in Ludwigsburg bei Stuttgart soll der Betriebsratsvorsitzende eines Baumarktes gekündigt werden, in Großostheim bei Bamberg kam durchH&M ein Streikender unter Druck, in Walldorf bei Heidelberg will IKEA die Betriebsratsvorsitzende kündigen (siehe Artikel auf Seite 1 und S. 3-4 unten). In keinem dieser vier Fälle spielte die Beteiligung am Arbeitskampf eine Rolle in der Begründung. Und dennoch sind es Kündigungsversuche in einem monatelangen, heiß geführten Arbeitskampf. ver.di ist in der Pflicht.

Anton Kobel

Der express hat mehrfach ausführlich – zuletzt in den Ausgaben 4/08 und 5/08 – über den Tarifkampf im Einzelhandel berichtet.

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Nr. 8/08


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