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Updated: 18.12.2012 15:51
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Tarifrunde Metall 2007: Die 50% werden zur Richtschnur

Mindestens seit 15 Jahren waren die Ausgangsbedingungen für die Durchsetzung einer Tarifforderung in der Metallindustrie nicht mehr so günstig wie in diesem Jahr. Aber dem IG Metall-Vorstand war ein schneller Abschluss wichtiger als alles andere.

Die durchschnittliche Kapazitätsauslastung in der Metall- und Elektroindustrie beträgt zurzeit 90%. Konkret bedeutet dies: Weitere Aufträge können nicht mehr angenommen werden, in vielen Betrieben hat sich ein bedeutsamer Rückstand entwickelt (sie sind zum Teil um Wochen im Lieferverzug) usw. Nicht für umsonst hat der Chef von Gesamtmetall Kannegießer erklärt: "Früher konnten wir die Produktionsausfälle von Warnstreiks nachholen. Heute ist das nicht möglich." Wie günstig soll die Situation eigentlich noch werden?

Der IG Metall-Vorstand wollte einen Abschluss ohne Kampf, also ohne Risiko für die ruhigen Kreise der Bürokratie und die Kasse der Organisation. Zwar musste ein verkaufbares Ergebnis her (im Herbst ist Gewerkschaftstag und der zweite Vorsitzende B. Huber, zuständig für die Tarifpolitik, muss was vorzeigen können), aber es sollte so abgeschlossen werden, dass gleichzeitig zwei Bedingungen erfüllt werden:

  • Die gestiegene Erwartung der KollegInnen musste mindestens dem Schein nach befriedigt werden.
  • Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie soll nicht gefährdet werden. Deshalb musste ein Abschluss mit dem berühmten Augenmaß her.

Hilfe von Gesamtmetall

Gesamtmetall kennt natürlich diese Einstellung der IGM-Bürokratie und war sich mit dem IGM-Vorstand in einem entscheidenden Punkt einig: Wie schafft man es, den Belegschaften ein Ergebnis zu präsentieren, das sie ohne zu murren schlucken und das gleichzeitig möglichst wenig kostet. Linie von Gesamtmetall war es jedenfalls nicht, die Gewerkschaft oder die Beschäftigten zu provozieren. Das Angebot von 2.5% (plus Konjunkturbonus von 0,5%, die nicht in die Tabelle eingehen) musste natürlich erst mal niedrig gehalten werden, um zu sehen, ob die Gewerkschaft überhaupt noch was mobilisieren kann.

Schon vor Auslaufen der Friedenspflicht kamen auf den diversen Kundgebungen recht viele KollegInnen zusammen und die Stimmung war gut. Das spürten auch die Vertreter von Südwestmetall und Hessenmetall, die sich den DemonstrantInnen stellten. Die ab dem 29. April angelaufene Warnstreikwelle machte ausreichend deutlich, dass gehörig Dampf im Kessel war. Auch was die Einstellung der KollegInnen betraf, waren also die Bedingungen für eine erfolgreiche Auseinandersetzung, bei der dem Kapital wirklich etwas abgerungen wird und mit der die Nützlichkeit der Gewerkschaft unter Beweis gestellt wird, sehr günstig.

Aber schon am Mittwoch, den 2. Mai, wurde in Funktionärskreisen bekannt, dass sowohl Kannegießer von Gesamtmetall wie auch Peters und Huber vom IGM-Vorstand am 3. Mai zum Verhandlungsort nach Stuttgart reisen würden, um hinter den Kulissen den Abschluss zu erleichtern. Genau genommen hatte es bis zur Entscheidung, dass man sich einigen will, also nur 3 Warnstreiktage gegeben. So schnell ist seit vielen Jahren nicht mehr abgeschlossen worden.

Die Eile beim Abschluss, noch bevor überhaupt in allen kampfstarken Bezirken Warnstreiks stattgefunden hatten, zeigt, dass es der Bürokratie eben nicht um die Wiedereroberung von Glaubwürdigkeit geht. Wichtig war und ist ihr nur, ohne großen Aufwand ein verkaufbares Ergebnis hinzubekommen. Dabei hat ihr Gesamtmetall geholfen:

Es wurde wieder mal ein verschachtelter Abschluss erzielt, der es den meisten KollegInnen nicht ermöglicht, auf Anhieb die Begrenztheit des Abschlusses zu erkennen.

  1. Der Abschluss liegt nur optisch bei 4,1 %. Die unterschiedlichen Beträge, die längere Laufzeit und die Nullmonate verschleiern das, was der Abschluss den Kapitaleignern kostet.
  2. Gesamtmetall konnte mit dem Konjunkturbonus, der auch in der Darstellung des Abschlusses so benannt wird, durchsetzen, dass als Maßstab für Lohnabschlüsse die Konjunkturlage akzeptiert wird, und nicht das, was die KollegInnen brauchen oder wollen und dann durchsetzen. Der Konjunkturbonus geht nicht in die Tabellen ein und ist deswegen in der gegenwärtig außergewöhnlich guten Ertragslage der Unternehmen mit Leichtigkeit wegzustecken. Was für die Zukunft zählt ist also nur die tabellenwirksame Erhöhung, und die ist eher mager.

Nur optisch 4,1%

Der Abschluss setzt sich im Wesentlichen folgendermaßen zusammen: Die Monate April und Mai sind Nullmonate, für sie wird nur ein Einmalbetrag von 400 Euro gezahlt. Ab Juni erhöhen sich die Entgelte um 4,1% und im nächsten Jahr ab Juni um weitere 1,7% (tabellenwirksam). Hinzu kommt im nächsten Jahr eine Einmalzahlung von 3,98% für die 5 Monate Juni bis Oktober, die aber ebenfalls nicht in die Tabelle eingehen. Die Gesamtlaufzeit beträgt 19 Monate.

Lässt man also den Konjunkturbonus von diesem und dem nächsten Jahr beiseite, so muss man in Übereinstimmung mit Gesamtmetall folgende Rechnung aufmachen:

Für die ersten 14 Monate sind es aufs Jahr umgerechnet 3,51%. Hierauf addieren sich dann die 1,7% und wir sind dann bei 5,21% für die 19 Monate. Aufs Jahr umgerechnet sind das also 3,29% (Gesamtmetall erklärt seine Rechnung nicht, kommt aber offiziell auf "3,3%").

Die 3,29% sind genau 50,61 % der aufgestellten Forderung (6,5%)! Das holt die Gewerkschaft also in einer extrem günstigen Wirtschaftslage raus, in der die Unternehmer eine höllische Angst vor einem Streik, ja sogar schon vor Warnstreiks hatten. Die Gewerkschaftsführung hat dem Kapital den großen Gefallen getan und die Sache sich "nicht zuspitzen lassen".

Schlussfolgerungen

Die Gewerkschaftslinke hatte zwar unmittelbar vor dem 1. Mai, rechtzeitig zur Warnstreikwelle, ein Flugblatt herausgegeben, aber es wird wohl kaum zum Einsatz gekommen sein. So schnell ging alles dieses Mal. In den entsprechenden Gremien, also den Tarifkommissionen, ist die Gewerkschaftslinke mehr als schwach vertreten, so dass dort kein großer Widerspruch zu erwarten ist. Und in den Belegschaften wird das Ergebnis geschluckt werden, manche werden sogar "positiv überrascht" sein, eben weil sie erstens die real so bescheidene Erhöhung nicht durchschauen und zweitens weil die zwei Einmalbeträge ebenfalls erst mal ruhig stellen.

Der Kampf in der IG Metall muss in den nächsten Monaten und Jahren verstärkt um folgende Fragen geführt werden: Wie kann die IG Metall eigentlich ihre Nützlichkeit - und ihre Notwendigkeit - unter Beweis stellen? Wenn Tarifabschlüsse mit so wenig Beteiligung der Masse der KollegInnen zustande kommen, und wenn diese Abschlüsse so schnell und friedlich ablaufen, warum sollen dann die KollegInnen überhaupt noch in der Gewerkschaft sein und Mitgliedsbeiträge zahlen?

Und: Welchen Sinn gibt eigentlich die Aufstellung einer bestimmten Forderung? Etwa nur den, den die KollegInnen seit geraumer Zeit von sich aus immer wieder äußern: Damit wir wissen, was nachher rauskommt, denn die gar nicht mehr so heimliche Marke liegt wohl bei 50%?! Die Rechnung von Gesamtmetall wird schließlich den KollegInnen nicht verborgen bleiben.

D. Berger, 6.5.07, im Vorabdruck aus Avanti vom Juni 2007


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