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Updated: 18.12.2012 15:51
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Mitglieder und ver.di selbst werden verraten und verkauft

Der Abschluss im öffentlichen Dienst macht deutlich: mit dem gewerkschaftsschädigenden Kurs von Bsirske und Co muss scharf gebrochen werden. Eine schlagkräftigen ver.di-Opposition ist bitter nötig!

Mit der Unterschrift unter die Tarifreform öffentlicher Dienst hat ver.di-Chef Bsirske Geschichte geschrieben: Das sind die härtesten Verschlechterungen, die die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst seit Jahrzehnten eingesteckt haben - und das ohne jede Gegenwehr. Im Gegenteil: Bsirske und Co haben die Arbeitgeberlogik so weitgehend übernommen, dass sie den Mitgliedern diese Kapitulation als Erfolg verkaufen wollen.

Abschluss ohne Mitgliederdiskussion

Wie undemokratisch der Abschluss zustande kam, wird sich in den nächsten Monaten zeigen: Denn erst dann werden die KollegInnen zu spüren bekommen, worüber sie von der ver.di-Spitze nie informiert wurden: Langfristige Verluste bei den realen Einkommen, neue Niedriglöhne, Leistungslöhne aus dem bisherigen Lohn- und Gehaltsvolumen, Arbeitszeitflexibilisierung, Abschaffung von Familienzuschlägen, Reduzierung von Überstundenzuschlägen, Öffnungsklauseln hin zur 40-Stunden-Woche und Aufgabe des Flächentarifvertrags.

Dazu wurden die Mitglieder nie befragt, diesem Ausverkauf haben wir nie zugestimmt!

Der Abschluss im Einzelnen: Lohnverlust und Arbeitszeitverlängerung

„Aber sicherlich wird es keine Verlängerung der Arbeitszeit geben und keine Nullrunde“, verkündete Frank Bsriske im Tagesspiegel am 12. Dezember 04. Fakt ist jetzt: Dieser Abschluss bringt massive Reallohnverluste, die Arbeitszeit wird angegriffen:

Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 35 Monaten (Mindestlaufzeit bis 31. Dezember 07, die Überleitung erfolgt zum 1. Oktober 2005). In diesen knapp drei Jahren gibt es in West-Deutschland Einmalzahlungen (in der Summe pro Jahr 300 Euro, für Azubis 100 Euro). Die Ausgangslage für die Tarifrunde 2008 liegt damit auf dem Null-Niveau des jetzigen Abschlusses. Die Preissteigerungen der nächsten drei Jahren drücken sich in vollem Umfang als Reallohnverlust aus.

Der tabellenwirksamen Erhöhung der Ost-Gehälter (von 92,5 auf 97 Prozent, bei bislang 1,5 Stunden Mehrarbeit) steht das Einfrieren der Jahressonderzahlung auf 75 Prozent des West-Niveaus gegenüber. Auch Ende 2007 – 17 Jahre nach der deutschen Einheit – gibt es im Osten für längere Arbeitszeiten weniger Lohn.

Neue Entgeltgruppen: Im ersten Jahr erhalten Beschäftigte zukünftig weniger, nach dem ersten Jahr zunächst mehr Lohn, um dann wieder – gegenüber dem bisherigen Modell – abzusinken. Auf das Lebenseinkommen bezogen sind die absoluten Verlierer Menschen mit Kindern.

Die Arbeitgeber beziffern das Volumen des Abschlusses auf ein Prozent – ver.di schweigt dazu. Ein Prozent mehr bedeutet auch für 2005 weniger Kaufkraft für die Beschäftigten: Zur Inflationsrate (in den letzten Monaten 2004 zwischen 1,8 und 2,1 Prozent) kommt im Juli die Entlastung der Arbeitgeber um 0,9 Prozent der Lohnkosten, da der Arbeitgeberanteil zu Krankengeld und Zahnersatz voll von den ArbeiterInnen und Angestellten – auch im öffentlichen Dienst – übernommen werden muss.

Urlaubs- und Weihnachtsgeld wird zusammengefasst – und ab 2007 gesenkt.

Der Leistungslohn in Höhe von acht Prozent des Lohnes kommt. Aber nicht wie durch die ver.di-Verhandlungsführer angekündigt „on top“, also zusätzlich auf den Lohn, sondern als Lohnvariante von 96 bis 104 Prozent. Der willkürliche Bonus für die einen bedeutet automatisch die Schlechterstellung von anderen: Der erste Schritt 2007 dazu – im Volumen von einem Prozent der Löhne – soll zum Beispiel aus bisherigen Kinderzuschlägen (0,2 Prozent) und der Jahressonderzahlung (0,8 Prozent) bezahlt werden.

Die Arbeitszeiten werden flexibilisiert: 45 Stunden die Woche und zwölf Stunden am Tag sind allgemein möglich. Bisher dafür anfallende Überstundenzuschläge zwischen 6 und 20 Uhr – sie sind weg.

Arbeitszeiten im Bund (170.000 Beschäftigte): Die West-Beschäftigten sollen in Zukunft eine halbe Stunde länger (unbezahlt), die Ost-Beschäftigten eine Stunde weniger arbeiten. Auch das ein Geschäft zugunsten der Arbeitgeber, dessen Einsparpotential Innenminister Schily, Verhandlungsführer für den Bund, mit 0,7 Prozent beziffert.

Arbeitszeiten für die Kommunen (knapp 2 Millionen Beschäftigte): Erst einmal bleibt die 38,5-Stunden-Woche. Doch auf Landesbezirks-Ebene kann mit ver.di nachverhandelt werden: Die 40-Stunden-Woche ist das Maximum.

Weitere Arbeitszeitverlängerung und Lohnraub durch die Hintertür? Die ver.di-Verhandlungsführer unterschrieben eine „Meistbegünstigungsklausel“: Schließt ver.di bei einem oder mehrern Ländern eine schlechtere Regelung zu Arbeitszeiten oder Löhnen ab, so kann diese sofort im Bund und in den Kommunen übernommen werden. Die Tarifrunde geht also weiter im Bereich der traditionell am schlechtesten organisierten Beschäftigten der Länder – ohne jegliche Kampfmöglichkeiten der kommunalen oder Bundesbeschäftigten aber mit voller Rückwirkung auf sie.

Schlag gegen gewerkschaftliche Kampfkraft

Dieser Abschluss verschlechtert damit massiv die Arbeits- und Lebensbedingungen der 2,1 Millionen direkt davon betroffenen Beschäftigten, die Ausgangslage der 900.000 ArbeiterInnen und Angestellten bei den Ländern und der weiteren mehr als drei Millionen ArbeitnehmerInnen bei Wohlfahrtsverbänden und Kirchen, die bisher in Anlehnung an den BAT / BMT-G gearbeitet und verdient haben.

Der Abschluss ist aber auch ein Schlag ins Gesicht jedes Gewerkschafters und verschlechtert die zukünftigen Auseinandersetzungen: „Zum Verzichten brauche ich keine Gewerkschaft“ - nach diesem Motto drohen nun weitere Austritte aus ver.di.

Öffnungsklauseln und die Verhinderung des gemeinsamen Kampfes mit den Landesbeschäftigten – die nun alleine stehen – schwächen die Kampfkraft. Bisher kampfstarke Bereiche, wie der Nahverkehr, die Müllabfuhr usw., wurden und werden mit Absenkungs- oder Spartentarifverträgen aus der gemeinsamen Front herausgebrochen. Weitere „Notlagentarifverträge“ sollen z.B. im Gesundheitswesen folgen.

Statt einer Vereinheitlichung bringt das neue Tarifwesen weitere Unterschiede für Beschäftigte in einem Betrieb: Neue KollegInnen arbeiten zu anderen Bedingungen als bisher eingestellte.

Niederiglöhne „gegen“ Privatisierungen machen Ausgründungen erst recht profitabel und bereiten die nächsten Angriffe vor.

Leistungslöhne schaffen nicht nur Willkür, sie sind ein Instrument gegen unliebsame KollegInnen, zum Beispiel gewerkschaftliche AktivistInnen; auch sie schaffen Ungleichheit, vergiften das Klima, schwächen die Solidarität.

Es gibt keinerlei Perspektive, ohne gemeinsamen Kampf, irgendeinen Abschluss bei den Ländern herbeizuführen, der die Interessen der Beschäftigten sichern könnte. Und in diesem Bereich können nun Abschlüsse getätigt werden, die (dank „Meistbegünstigungsklausel“) sofort für alle Beschäftigte auch bei Bund und Kommunen voll wirksam werden können.

Für eine kämpferische Opposition in ver.di!

All das macht deutlich: Die ver.di-Wirtschaftsabteilung analysiert prächtig, dass die öffentlichen Kassen nicht leer sind, sondern für die Reichen und die Unternehmer geleert wurden. Doch bei allen konkreten Verhandlungen, akzeptiert die heutige ver.di-Führung Kahlschlag und Kürzungen auf Kosten der Mitglieder. Mehr noch: Die ver.di-Führung ging zur „Modernisierung“, das heißt dem Ausverkauf der Mitglieder und der Gewerkschaft selbst in die Offensive. Sie ordnet sich der Politik der rot-grünen Regierung unter. Sie akzeptiert die neoliberale Wettbewerbslogik und die Aufgabe des öffentlichen Dienstes. Diese Führung gehört abgewählt. Doch dafür müssen demokratische Strukturen erst noch erkämpft werden.

Die Bundestarifkommission hat versagt, sie muss neu gewählt werden. Ihre Mitglieder müssen in Zukunft ihr Mandat direkt in den Bezirken erhalten, dort rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar und ersetzbar sein.

Nötig ist ein außerordentlicher Bundeskongress von ver.di, um die Tarifpolitik zu diskutieren und den Bundesvorstand ab und einen neuen zu wählen.

Bezirks-, Landes-, und Bundes-Fachbereichskonferenzen im Fachbereich 3 (umfasst unter anderem Krankenhäuser) müssen einberufen werden, da hier weitere Verhandlungen – der nächste Ausverkauf (Rahmenbedingungen für „Notlagentarifverträge“) angeleiert wird: Die Mitglieder müssen genau wissen, was der Stand ist, was passieren soll. Es darf keine Entscheidung geben, ohne Diskussion und Zustimmung der Mitglieder.

Das offizielle ver.di-Jubelflugblatt zu diesem Ausverkauf kann nicht verteilt werden. Die Bezirke müssen eigene, kritische Materialien dazu erstellen.

Kämpferische AktivistInnen in ver.di müssen sich viel enger zusammenschließen und Bsirske und Co organisiert entgegen treten: mit eigenen Flugblättern und Broschüren, mit Kampagnevorschlägen, mit Gegenkandidaten und mit konkreten Aktionen von unten um die Blockade gegen ernsthafte Gegenwehr, gegen Arbeitsniederlegungen und Streiks von unten zu durchbrechen. Das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di hat den den selbstmörderischen Kurs der ver.di-Oberen immer bekämpft. Doch unsere Strukturen müssen dringend gestärkt werden: Werdet aktiv:

Wir brauchen starke Gewerkschaften. Die (noch) Millionen Mitglieder und die für einen kämpferischen Kurs erreichbaren KollegInnen auserhalb von ver.di sind zu wichtig, um sie der heutigen Gewerkschaftsführung zu überlassen. Deshalb: jetzt aktiv werden in ver.di und mit uns eine kämpferische Opposition aufbauen!

Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di

Infos, Kontakt & ViSdP: Stephan Kimmerle, Roseggerstr. 39, 12059 Berlin, 0178 7 24 24 42, info@netzwerk-verdi.de
www.netzwerk-verdi.de


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