|  
       "Gegen die Konkurrenz- 
        und Standortlogik und gegen ihre Akzeptanz durch die Gewerkschaften" 
      Von Kolleginnen und Kollegen der 
        "Standorte"-Gruppe bei Opel in Bochum (5.9.1995) 
      (1) Die neuen Strategien, die die Unternehmensmanager 
        derzeit unter dem Namen "Lean production" in den Betrieben einzuführen 
        versuchen (Stichworte: Gruppenarbeit, KVP, neue Entlohnungssysteme, Arbeitszeitflexibilisierung, 
        Fremdvergabe und Auslagerungen, neue Formen der Zuliefereranbindung), 
        bedeuten Rationalisierungsangriffe gegen die Beschäftigten mit krankmachender 
        Arbeitsintensivierung und massivem Arbeitsplatzabbau. Verbunden sind diese 
        Strategien mit dem Versuch, Herz und Verstand der Beschäftigten zum 
        freiwilligen Mitgestalten dieser Rationalisierung zu gewinnen und unter 
        Kontrolle zu bringen, propagiert mit der altbekannten Behauptung, daß 
        allein durch die Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber Belegschaften 
        anderer Betriebe und Länder die eigene Lohn-, Arbeitsplatz- und Lebensabsicherung 
        erreicht werden könne. Die Unternehmer fordern gesamtgesellschaftliche 
        Akzeptanz dieser Strategien. 
      (2) Diese Rationalisierungsangriffe geschehen zu 
        einer Zeit anhaltender Massenarbeitslosigkeit und verschärfen diese 
        gleichzeitig massiv. Erwerbslose und Sozialhilfeempfänger gelten 
        als tote Kosten, werden verarmt und unter Druck gesetzt, jede Arbeit anzunehmen. 
        Für alle Beschäftigten steigen Konkurrenz und Anpassungsdruck. 
      (3) Diese Rationalisierungsangriffe sind Ausdruck 
        von Verwertungsproblemen für das Kapital, die sich seit Ende der 
        70er Jahre verschärft haben. "Wer von Arbeit und Arbeitslosigkeit 
        redet, muß sich mit den globalen Verhältnissen von Geld und 
        Kapital auseinandersetzen" (E. Altvater). 
      Dazu einige Stichworte: 
      
        - Krisenentwicklung in den 70er Jahren mit zyklisch steigender Arbeitslosigkeit
 
        -  Internationalisierung von Produktion und Vermarktung, durch EDV/Mikroelektronik 
          wie nie zuvor ermöglicht, durch Zugriff auf die ehemaligen Ostblock-Staaten 
          beschleunigt.
 
        - Zunehmende Infragestellung von produktiven Investitionsentscheidungen 
          und selbst von nationalstaatlichen Entscheidungen im Sektor Sozialpolitik 
          und Finanzen durch einen nicht kontrollierten, hoch spekulativen monetären 
          Weltmarkt. Down-Regulierung und gesellschaftliche Spaltung als Programm.
 
       
      (4) Manager charakterisieren ihre Situation selber 
        als "weltweiten Konkurrenzkrieg". Ihre Konkurrenz um maximale 
        Profitraten ist Ausdruck ihres Zwangs, das eigene Kapital erhalten und 
        vermehren zu müssen, bei Strafe ihres Kapital- und Machtverlustes, 
        wenn sie sich in diesem Konkurrenzkampf nicht behaupten. 
      
        -  Dieser Konkurrenzzwang verbietet den Unternehmern auch die Rücksichtnahme 
          auf die lokale Ansiedlung ihrer Produktionsstätten. Deren "Standort", 
          der Ort des Kapitaleinsatzes, ist nach Profitgesichtspunkten festzulegen, 
          unabhängig von dem Interesse der Beschäftigten wie Arbeitssuchenden, 
          an ihrem "Standort", ihren Heimatorten,- regionen oder -ländern 
          weiterleben zu wollen.
 
        - Dieser Konkurrenzzwang zur Kapitalvermehrung auf der Seite der Kapitaleigner 
          zwingt alle diejenigen, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen 
          sind, in Konkurrenz untereinander, besonders verschärft durch die 
          anhaltende und wachsende Massenarbeitslosigkeit.
 
        - Von Unternehmerseite wird dieser systembedingte Konkurrenzzwang benutzt, 
          
            - erstens innerhalb ihrer Betriebe Konkurrenz zwischen einzelnen, 
              Fertigungsgruppen oder Abteilungen zu schüren, vor allem Belegschaften 
              ihres eigenen Konzerns gegeneinander zu hetzen, auszuspielen und 
              zu erpressen.
 
            -  Die Manager der multinationalen Konzerne benutzen diesen Konkurrenzzwang 
              zweitens zur Ausspielung und Erpressung der Zuliefererunternehmer 
              (die den Druck wiederum an ihre Belegschaften weitergeben),
 
            -  drittens zur Subventions- und Downregulierungserpressung gegen 
              Regierungen von Regionen, Nationalstaaten und Kommunen.
 
           
         
       
      (5) Akzeptiert man diesen Konkurrenzzwang gemeinsam 
        mit den Unternehmern und ihren Managern, als sei dieser Zwang sozusagen 
        naturgegeben, kann man weder "Vollbeschäftigung", noch 
        "Sicherung des Standorts" im Sinne von Lebensort und Lebensstandard 
        der Lohnabhängigen anstreben, noch erst recht eine ökologisch 
        und ökonomisch vernünftige und humane Produktion und Verteilung 
        der Produkte zwecks möglichst bester Bedürfnisbefriedigung der 
        Menschen. 
      (6) In den Gewerkschaften hat eine fatale Anpassung 
        an die beschriebene Entwicklung stattgefunden. Von jahrzehntelang betriebener 
        Politik der Sozialpartnerschaft zum Co-Management: wir erleben die Gewerkschaften 
        heute hilflos und unfähig, sich den veränderten Bedingungen 
        zu stellen. Ihre Vorschläge beruhen auf falschen Analysen, die zu 
        falschen Schlußfolgerungen führen müssen: 
      
        -  Die Konkurrenzprobleme der Unternehmer sind nicht auf 
          "falsche Politik" der Regierung zurückzuführen 
          (so z.B. IGM). Die beklagte "Deregulierungsorgie der 80erJahre" 
          war nicht Ursache "für das Anwachsen der Bedeutung von 
          internationalen Finanztransaktionen" (ebenfalls IGM), sondern 
          Reaktion darauf.
 
       
      Insofern ist eine auf nationale Rettung, "Standort 
        Deutschland sichern", angelegte Gewerkschaftspolitik eine völlig 
        hilflose Reaktion auf die Zwänge und Strategien des Kapitals. 
      Und wenn Gewerkschaften propagieren: "Tatenlos 
        sieht die Regierung zu, wie andere Länder ... ihre Märkte brutal 
        nach außen dichtmachen... Und jetzt drängen auch noch die Koreaner 
        auf den Weltmarkt..." (so IGM) oder: "Wollen wir tatenlos 
        warten, bis das erste amerikanische oder japanische Drei-Liter-Auto in 
        Bremerhaven angelandet wird?" (IGM), dann wird vielmehr ein 
        übler und gefährlicher Nationalismus als "Ausweg" 
        propagiert, der die Hoffnungen der Gewerkschaftsmitglieder an die Sicherung 
        "deutscher" Unternehmerprofite auf dem Weltmarkt bindet. (Wobei 
        die Nationalitätsbestimmung eines multinationalen Konzerns immer 
        fragwürdiger wird und solche Gewerkschaftsstrategie die Mitglieder 
        in "nicht-deutschen" Konzernen zum Abschuß freigibt - 
        IGMetaller/innen arbeiten auch z.B. bei Toyota, GM oder Ford...) 
      
        -  Ebensowenig stimmt die unablässig von Gewerkschaftsfunktionären 
          aufgetischte Behauptung, "Mißmanagement" sei 
          die Ursache für die nationalen wie globalen Probleme der Kapitalverwertung 
          (so IGM). Gemessen an ihrem Auftrag der Profitmaximierung haben die 
          Manager meist sehr gute Arbeit geleistet...
 
        -  Ebensowenig bedeuten die neuen Rationalisierungsstrategien 
          für die Belegschaften "Überwindung der tayloristischen 
          Arbeitsteilung", "Dezentralisierung der Arbeit", noch 
          sind sie - was ja wirklichen Entscheidungs- und Machtzuwachs zur Voraussetzung 
          hätte - mit "mehr Verantwortung der Beschäftigten bei 
          Fragen von Angebot und Nachfrage nach den Produkten ihrer Arbeit und 
          mit einer stärkeren Einbindung der Beschäftigten in die Unternehmensplanung 
          verbunden." Wer im Anschluß an diese Behauptung dann noch 
          schlußfolgert "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und 
          die Betriebs- und personalräte werden mehr und mehr zu unternehmerisch 
          mitdenkenden Co-Managern" (DGB-Bundesvorstand), der versucht 
          die Beschäftigten an die Unternehmerpropaganda zu binden. Hier 
          scheint eher der Wunsch der Vater des Gedanken zu sein: als ob "Mitbestimmung" 
          durch die neuen Rationalisierungsstrategien sozusagen "automatisch" 
          installiert wird... Daß durch diese Art von Mitbestimmung als 
          "Co-management" die Macht der Unternehmer gefestigt wird, 
          haben die längst erkannt: "Die Mitbestimmung, wie sie 
          die IG Metall vertritt, akzeptiert die handlungspolitische Funktion 
          des Gewinns und der Wettbewerbsfähigkeit", urteilt der 
          VW-Personalvorstand Peter Hartz aufgrund seiner Unternehmererfahrungen 
          mit der IGM.
 
       
      (7) Praktische Konsequenzen der falschen Analyse 
        für die aktuelle Gewerkschaftspolitik: 
      
        -  Die Gewerkschaften müssen ihre programmmatische 
          Zielvorstellung umdefinieren, wie sie z.B. noch in der Entschließung 
          1 vom Gewerkschaftstag der IG Metall 1992 nachzulesen ist: "Es 
          ist offenkundig, daß der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen 
          Verfassung ... kein Zukunftsmodell sein kann. Eine Gegenmacht, die die 
          Interessen der Menschen an sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit der Lebenschancen 
          und ökologischer Erneuerung durchsetzt, bleibt ... erforderlich." 
          Eine "gerechte Weltordnung" und "internationale Solidarität" 
          (E1) kann eine Gewerkschaft nicht mehr fordern, die den Konkurrenzsieg 
          der "deutschen Wirtschaft" auf dem Weltmarkt mitgestalten 
          will.
 
        -  Aktuell wird die Vorstellung von gewerkschaftlicher 
          Gegenmacht (selbst im kapitalistisch positiv zu verstehenden Sinne von 
          mitregulierender Ordnungsmacht, die verschiedenen Branchenkapitalien 
          eine gleiche Konkurrenzchance ermöglicht) aufgekündigt zugunsten 
          von sog. "Gestaltungsmacht" (so der DGB-Chef). Gibt 
          aber der Nationalstaat im Zusammenhang mit der Globalisierung der Wirtschaft 
          seinen Gestaltungsanspruch im Sinne von sozialstaatlicher Regulierung 
          mittels antizyklischer Konjunktur- und Beschäftigungspolitik auf, 
          verliert auch die Gewerkschaft ihre Funktion als national anerkannter 
          "Gestaltungsmacht".
 
       
      "Gestaltungsmacht" reduziert sich dann nur auf 
        Mitgestalten von Erhalt und Verbesserung der Wettbewerbssituation der 
        Unternehmer, auf Profitsicherung. Angesichts der Weltmarktzwänge 
        kann das nur als Mitgestaltung des eigenen Funktionsverlustes als Gewerkschaft 
        und zu Lasten der Lohnabhängigen funktionieren. 
      Die Parole "Gewerkschaft als Gestaltungsmacht" 
        wird übrigens dringend gebraucht zur Vorbereitung des nächsten 
        Entwicklungssprungs der Arbeitsorganisation nach lean production: zur 
        Vorbereitung der fraktalen Fabrik, der virtual company, der industriellen 
        Produktion im Rahmen eines zeitlich begrenzten, wie eine Film-Produktion 
        organisierten Projekts. Dabei sind natürlich Flächentarifverträge 
        unmöglich. Sie werden derzeit schon von den Gewerkschaftsführungen 
        immer mehr aufgegeben. 
      
        -  Auf betrieblicher Ebene bedeutet diese Strategie der 
          "Mitgestaltung": Im dualen System der deutschen Arbeitnehmervertretung 
          (Gewerkschaften/Betriebsräte) Delegation aller Verantwortung an 
          die ans Betriebsverfassungsgesetz samt Friedenspflicht und Pflicht zu 
          vertrauensvoller Zusammenarbeit gebundenen Betriebsräte, zum Mitgestalten 
          der "Wettbewerbsfähigkeit" im Rahmen der betriebswirtschaftlichen 
          Logik der Manager unter der Parole der "Standortsicherung". 
          Daraus resultieren dann Betriebsvereinbarungen, die oft bestückt 
          sind mit Zugeständnissen ungeheuren Ausmaßes (Stichworte: 
          Konzessionen zur Produktivitätserhöhung durch Pausendurchfahren, 
          KVP-Mitgestalten u.v.a., Konzessionen bezüglich Lohnabsicherung 
          durch nur teilweise Übernahme von Tariferhöhungen, Lohnverzicht 
          bei Arbeitszeitverkürzung oder neue Lohnsysteme, Konzessionen zur 
          angeblichen Investitionsermöglichung wie z.B. Regelarbeitszeit 
          für Reparatur an Samstagen etc.). Oft werden dabei bestehende Tarifverträge 
          bereits auf Betriebsebene ausgehebelt.
 
       
      (8) Fazit: Gewerkschaft als Organisation für 
        unsere gemeinsame Interessenvertretung wird von oben aufgegeben. Mit der 
        Aufforderung, die kapitalistische Wirtschaftsordnung als alternativlos 
        zu bejahen und die einzige Chance darin zu sehen, im Konkurrenzkrieg mitzukämpfen 
        und andere Lohnabhängige auf die Verliererseite zu zwingen, wird 
        in die schrumpfende Mitgliedschaft der Gewerkschaften Resignation und 
        Mutlosigkeit getragen. 
      (9) Aus dem bisher Gesagten ergeben sich für 
        uns folgende Anforderungen: 
      1.	Die Notwendigkeit von Gewerkschaften ergab 
        sich aus ihrer Funktion, die Konkurrenz der Lohnabhängigen durch 
        ihren organisierten Zusammenschluß ein Stück weit aufzuheben. 
        Solidarität ist für uns nicht nur ein moralisches Prinzip, sondern 
        lebensnotwendig.  
      Die Orientierung an Wettbewerbsvorteilen "beläßt 
        uns Beschäftigte in einer Tretmühle, in einem Rennen, das wir 
        nicht gewinnen können..., es bedeutet Konzessionen heute und noch 
        mehr Konzessionen morgen" (CAW, Canad. AutoWorkers). Sie führt 
        uns in eine Abwärtsspirale, in der immer mehr Standards, die durch 
        einen gemeinsamen und organisierten Kampf erreicht wurden, abgebaut werden. 
      Wir wollen Gewerkschaften, die den Konkurrenzzwang, dem 
        die Kapitaleigner unterliegen, nicht als Leitlinie ihrer eigenen Überlegungen 
        und Aktivitäten akzeptieren. 
      Praktisch bedeutet das für uns zum Beispiel: 
      
        -  Wir müssen Hintergründe und Ursachen für die Konkurrenzproblematik 
          in den Belegschaften und Gewerkschaften diskutieren und die sog."Standortlogik" 
          als gegen uns gerichtete Unternehmerpropaganda sorgfältig und kontinuierlich 
          entlarven.
 
        -  Bei den typischen Managementerpressungen von Konzessionen zwecks 
          angeblicher Investitionssicherung müssen wir: breitmöglichst 
          darüber informieren, welche Investitionen mit welchen Auswirkungen 
          vom Management geplant werden und welche Konzessionen an welchen Standorten 
          damit erpreßt werden sollen.
 
        -  Die Ausspielerei der Belegschaften müssen wir öffentlich 
          anprangern, möglichst in Absprache und parallel mit unseren KollegInnen 
          der anderen betroffenen Betriebe und Länder.
 
        -  Wir müssen uns auf gemeinsame Ablehnung von Zugeständnissen 
          einigen und dabei die Rückendeckung unserer Gewerkschaften einfordern.
 
        -  Für gemeinsame Widerstandsaktionen gegen die Konzessionserpressungen 
          müssen wir möglichst breite öffentliche Unterstützung 
          organisieren, da meist viele Menschen in den Kommunen und Ländern 
          von den Investiitonsentscheidungen mitbetroffen sind.
 
        -  In den praktischen Auseinandersetzungen um die Einführung der 
          "Lean Production" müssen wir die Chance nutzen, daß 
          die Unternehmer zur Erreichung ihrer Ziele auf "Mitgestaltung", 
          Motivation und Engagement der Beschäftigten angewiesen sind. Ständige 
          Arbeitsintensivierung sowie Arbeitsplatzabbau auch noch selber "mitzugestalten", 
          wird umso schneller als unerträglich und würdelos erkannt, 
          je konsequenter wir diese Erfahrungen mit "lean production" 
          aufgreifen, verallgemeinern und Widerstand mobilisieren. Dabei müssen 
          wir Mut machen durch Veröffentlichung von positiven Beispielen 
          des Widerstands in aller Welt. Diese Herangehensweise bedeutet das Gegenteil 
          von der überwiegend anzutreffenden Gewerkschafts-und Betriebsratspraxis, 
          die die Rücksichtnahme auf die "Wettbewerbssicherung" 
          zur Leitlinie macht.
 
        -  Für unsere eigene Praxis müssen wir uns neu besinnen auf 
          die Bedeutung von eigenen Aktionen der Betroffenen und kritische Korrektur 
          des eigenen "Stellvertreter"-Handelns besonders als Betriebsäte 
          und Betriebsrätinnen. Die Konfrontation mit dem Kapital innerhalb 
          der Betriebe müssen wir auch nach außen offensiver bekanntmachen.
 
        -  Die Mobilisierung von Kolleginnen und Kollegen für einen derartigen 
          Kampf in den Betrieben erfordert wohl auch neue Überlegungen, wie 
          wir insbesondere jüngere KollegInnen einbeziehen können, erfordert, 
          den Blick nicht nur auf die unmittelbaren Lohninteressen zu richten.
 
       
      2. Dabei müssen wir Gewerkschaften als Interessenorganisation 
        aller einrichten, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft zur Sicherung 
        ihres Lebensunterhalts angewiesen sind, besonders angesichts der Tatsache, 
        daß immer weniger Menschen einer "normalen" Beschäftigung 
        nachgehen.  
      Praktisch bedeutet das für uns zum Beispiel: 
      
        -  Bei gewerkschaftlichen Forderungen wie Aktionen sind 
          möglichst viele Gruppen von Menschen auch außerhalb der Betriebe 
          bewußt einzubeziehen. "Ein Unrecht gegen einen oder eine 
          von uns ist ein Unrecht gegen alle". Umgekehrt müssen 
          wir uns bei sozialen Bewegungen, die auf emanzipative Ziele ausgerichtet 
          sind, zum Engagement mitaufgerufen sehen und unsere Erfahrungen dabei 
          in die betriebliche und gewerkschaftliche Diskussion bringen. Außerbetriebliche 
          und außergewerkschaftliche Bewegungen sind auch darum von besonderer 
          Bedeutung, weil sie den Gedanken einer neuen Bewertung von Arbeit und 
          Leben in eine solidarische Gesamtbewegung tragen können.
 
        - Die Strategie der Fremdvergabe und Auslagerung sowie die neuen rigiden 
          Formen der Anbindung der Zuliefererbetriebe- und belegschaften an die 
          Herstellerbetriebe macht offenbar, daß das Prinzip der Branchengewerkschaften 
          immer mehr in Frage zu stellen ist. Einheitsgewerkschaft im Sinne politischer 
          und organisatorischer Stärkung des DGB zu fordern, wird allerdings 
          zu sehr grundsätzlichen und harten Auseinandersetzungen innerhalb 
          der Gewerkschaften führen.
 
        - Dabei wird eine komplizierte kritische Aufarbeitung der Verbürokratisierung 
          der Gewerkschaftsarbeit nicht zu umgehen sein.
 
       
       
      
        - a) Wie schätzen die Gewerkschaftsmitglieder zum 
          Beispiel die tagtägliche Arbeit der Betriebsräte ein? Werden 
          auch die BR-Mitglieder unter uns nicht meist eher als verlängerter 
          Arm der Personalabteilung denn als Organisatoren gewerkschaftlichen 
          Widerstands angesehen? Haben sich die Betriebsräte durch langjährige 
          Funktionärstätigkeit, zum Teil finanzielle und arbeitsmäßige 
          Privilegien (Freistellung, Büro-Jobs, Seminare und Reisen, Stellvertreter- 
          und Spezialistenbewußtsein etc.), durch Distanz zu den Alltagserfahrungen 
          und in Lebenseinstellung wie Lebensstil nicht selber zu weit von der 
          Masse der KollegInnen entfernt, so daß sie die BRe eigentlich 
          nicht mehr zu den ihren rechnen?
 
       
      
      
        - b) Das gilt ebenso bei einer kritischen und konsequenten 
          Analyse der Gewerkschaftsbürokratie: Die Gewerkschaftsführungen 
          gaben in den frühen Nachkriegsjahren die politische Debatte über 
          Alternativen zum Kapitalismus auf und konzentrierten sich auf die Minderung 
          der negativen Auswirkungen der kapitalistischen Marktwirtschaft. Mit 
          dieser Entwicklung ging eine "Entmündigung der einfachen 
          Mitglieder einher" (Oskar Negt). Viele Funktionäre der 
          oberen Ebenen hatten ihre Vertragsmachterfolge; die Mitglieder wurden 
          immer mehr bevormundet, hatten auf den Warnstreikpfiff zu reagieren. 
          Wobei es um Kampfziele ging, deren Inhalte und Kompromißlinien 
          von vornherein nicht von der Diskussion und Kampfbereitschaft der Mitgliedermassen 
          ausging, sondern von der "Finanzierbarkeit" seitens der Kapitalseite. 
          "Wir mobilisieren nicht, um unsere Forderungen durchzusetzen, 
          sondern um einen Kompromiß möglich zu machen, der erkennbar 
          unter dem liegen wird, was wir für berechtigt und gerecht halten" 
          (H.J. Arlt, DGB-Bundesvorstand) - "Also ein Demokratiedefizit 
          in der Mitgliedschaft, mit dem wir es noch heute zu tun haben." 
          (O. Negt)
 
       
      "In den offiziellen Gremien ist der Umgang ritualisiert... 
        Als Nachweis erfolgreicher Kommunikationsweise dienen die unterdrückten, 
        nicht die ausgetragenen Konflikte. Wo sie dennoch auftreten, sind Treue 
        und Verrat die entscheidenden Wertmaßstäbe für das Verhalten 
        der Kontrahenten... Drohung, Moralisierung und Belehrung bestimmen das 
        Klima." (H.J. Arlt) (Wieweit geht diese Haltung von Funktionsverlustangst, 
        "Treue"-Zwang schon auf Betriebsebene in BR-Gremien wie Vertrauenskörpern?!) 
      "Bereits in ihren Lebensstilen haben sich mit Sicherheit 
        sehr viele Funktionäre als Teil dieses Systems betrachtet und nicht 
        als Gegenpart" (O. Negt). Bei diesen Führungsmitgliedern, 
        oft bis auf die Orts-und Betriebebene, hat sich auf der Grundlage ihres 
        Mitbestimmungsbewußtseins und oft aus Minderwertigkeitsgefühlen 
        heraus eine Imitation von Lebensstilen von Politikern, Bankern, Managern 
        entwickelt, "eine Art Spießertum, das sich auch im gewerkschaftlichen 
        Bereich durchsetzte." 
      War der tiefe Fall von Franz Steinkühler ein Einzelfall? 
        Daß er kein Unrechtsbewußtsein hatte, braucht uns doch ebenso 
        wenig zu verwundern wie die verkrampften Bemühungen damals seitens 
        vieler oberer Gewerkschaftsfunktionäre, ihn "aus Solidarität" 
        in seiner Funktion zu retten. 
      Jetzt mehr Mitsprache der Mitglieder in den Gewerkschaften 
        zu fordern und systematisch zu organisieren, auch mit der Zielrichtung 
        von mehr Streitkultur und von mehr demokratischer Kontrolle durch die 
        Basis, wird oft zu einem verbissenen Abwehrkampf der Betroffenen zur Sicherung 
        ihrer Jobs, ihrer Macht und ihrer Lebensstile führen. 
      
        -  Soziale, ökologische wie politisch progressive Bewegungen müssen 
          wir als Chance zur Stärkung auch der Gewerkschaftsbewegung unterstützen.
 
        - Alle Möglichkeiten betrieblicher, branchenbezogener und die Zuliefererbelegschaften 
          einbeziehender, wie über die Einzelgewerkschaften hinausgreifender, 
          lokaler, regionaler wie internationaler Vernetzung müssen wir nutzen 
          zum Erfahrungsaustausch wie zur Organisation gemeinsamer Aktionen.
 
       
      3. Die Zukunft der Gewerkschaften ist international. 
        Den veränderten ökonomischen Bedingungen kann nur eine Gewerkschaftsstrategie 
        gerecht werden, die nicht auf nationale oder regionale - z.B. europazentrierte 
        - Absicherung der Unternehmerwirtschaft setzt. 
      Praktisch bedeutet das für uns zum Beispiel: 
      
        -  Es müssen systematisch Schritte zu internationalem 
          Zusammenschluß der Gewerkschaften im Sinne einer Weltgewerkschaftsbewegung 
          in Gang gesetzt werden. Das kann nur als Internationalismus der Basis 
          angestrebt werden. Zum Bsp.: 
          
            - durch breite Information über gewerkschaftliche Kämpfe 
              in anderen Ländern und deren praktische Unterstützung 
              durch Solidaritätsaktionen,
 
            - durch Austausch von Erfahrungen und programmatischen Überlegungen 
              unter Einbeziehung möglichst vieler Mitglieder, und damit durch 
              den Versuch, sich punktuell auf gemeinsame Forderungen und Aktionen 
              zu einigen.
 
            - "Global denken - lokal handeln" muß ebenso zum 
              Prinzip werden wie umgekehrt der Versuch, global zu handeln, in 
              international abgesprochenen Aktionen für gemeinsame Interessen, 
              um lokal Erfolg zu haben.
 
           
         
       
      4. Die global sichtbaren Bedrohungen von Massenarbeitslosigkeit, 
        sozialer Verelendung, Kriegen und ökologischen Katastrophen zwingen 
        uns mehr denn je dazu, in unseren Gewerkschaften und Belegschaften die 
        breite Debatte um gesellschaftliche Alternativen zur kapitalistischen 
        Privatwirtschaft einzufordern und voranzutreiben. Diese Debatte muß 
        inhaltlicher Bestandteil unseres Ausbaus von Vernetzung sein. 
      
      Fragen für die Perspektivendebatte sind zum Beispiel: 
       
      
        -  Wo zeigen sich die Widersprüche zwischen vergesellschafteter 
          Produktion und privater Aneignung heute am deutlichsten, sozusagen als 
          breit erkennbare und von uns zu nutzende Bruchpunkte der Entwicklung. 
          Ist mit einer neuen Stufe der globalen Vergesellschaftung der Arbeit 
          auch eine neue Chance geplanter Produktion mit dem Ziel der möglichst 
          besten Bedürfnisbefriedigung aller ermöglicht? Mit einer neudefinierten 
          Vorstellung von "Wachstum": "ökologisch vernünftig, 
          möglichst global zukunftssicher, global emanzipativ, massendienlich...?
 
        - Wie ist solch ein System von Produktion und Verteilung auf der Grundlage 
          heutiger Technologie, Produktion und Verteilung und ihrer globalen Vernetzung 
          vorstellbar? 
 
        - Welche Bedeutung käme dabei den Großregionen, Ländern, 
          Kommunen zu?
 
        -  Wie ist die Enteignung und Entmachtung der Kapitaleigner und ihrer 
          politischen Vertretung auf globalem Niveau vorstellbar?
 
        -  Welche Organisationsformen für demokratische Gegenmacht und 
          perspektivischer Organisation einer von Kapitalzwängen befreiten 
          globalen Gesellschaft sind vorstellbar?
 
        -  Wie weit sind globale Reformbewegungen -z.B. für Frieden, ökologische 
          Forderungen, gegen Rassismus und Sexismus, für soziale und politische 
          Forderungen- gerade von uns als GewerkschafterInnen mit voranzutreiben 
          und mit Hilfe welcher Organisationen (Nicht-Regierungs-Organisationen? 
          ILO? Rolle von UN-Organisationen? etc), und wo liegen ihre Grenzen? 
          -
 
       
      "Ein globaler (oder auch nur makro-regionaler) 
        Sozialstaat, d.h. aber auch das Projekt eines globalen Reformismus, ist 
        ebenso utopisch wie die Weltrevolution." (E.Altvater, in "Operationsfeld 
        Weltmarkt oder: Vom souveränen Nationalstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat", 
        PROKLA 97, Dez.94, S.525) Andererseits E. Altvater: "In gewissem 
        Sinne gibt es die Institutionalisierung globaler Staatlichkeit tatsächlich: 
        in Gestalt von Weltbank, IWF, GATT/WTO, UNO... Aber ... ohne die Regelungskompetenzen 
        von Nationalstaaten tatsächlich zu ersetzen." (a.a.O S.537 
        f.) Und: "Auch auf dem Detroiter Gipfel der G7 im März 1994 
        wurde zum erstenmal...Arbeitslosigkeit und Beschäftigungspolitik 
        thematisiert, - ein Indiz dafür, daß sich jenseits des Keynesianismus, 
        aber auch jenseits des neoklassischen Marktliberalismus ein neues politisches 
        Projekt staatlicher Regulation und Koordinierung von Wettbewerbspolitik 
        herausschält. Dies zielt offensichtlich auf die Erhaltung eines beschäftigungspolitischen 
        Minimalkonsenses, an dem alle Staaten, gleichgültig wie sehr sie 
        gegeneinander konkurrieren, doch interessiert sind." (in: "Beschäftigungspolitik 
        jenseits von Nationalstaat und 'Arbeitszentriertheit'", WSI-Mitteilungen 
        6/94,S.350) 
      Solch eine widersprüchliche Hoffnung auf ein "neues 
        politisches Projekt" globaler Regulation scheint sich heute zu verbreiten. 
        (vgl auch J.Brecher, T.Costello, "Global Village or global Pillage", 
        Boston 1994). Hoffnungsträchtiger mehr Menschen sich in der Auseinandersetzung 
        um unsere Alltagskonflikte wie um unsere Zukunft in Bewegung setzen. Und 
        das hängt eben auch von uns ab.  
      Ist unsere Zukunftsperspektive allerdings, wenn wir uns 
        all den angesprochenen grundsätzlichen Fragen des Wirtschafts- und 
        Gesellschaftssystems stellen und darauf setzen, daß wir uns den 
        Lösungen am ehesten nähern, je mehr Menschen sich in der Auseinandersetzung 
        um unsere Alltagskonflikte wie um unsere Zukunft in Bewegung setzen. Und 
        das hängt eben auch von uns ab. 
       |