Home > Diskussion > Gewerkschaftsstrategien > real > rotgruen > rotgruen_rm
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Nach der Wahl ist grad' egal?

Eher Kontinuität als Zäsur: Das Ende von Rot-Grün und die Gewerkschaften

Es gab wohl keine wichtige Landtagswahl, die so schnell publizistisch abgewickelt wurde wie die NRW-Wahl 2005. Schröder macht's möglich - zum letzten Mal vermutlich, denn im September ist aller Voraussicht nach Schicht. Nicht gestürzt durch eine mächtige soziale Protestbewegung, sondern gestolpert über eine Zahl. Mehr als fünf Millionen Arbeitslose auf Grund einer Fehlkalkulation der Hartz IV-Strategen, dies war dann doch etwas zuviel. Wer wie Schröder dauernd betont, es gebe keine Alternativen, er könne »keine andere Politik«, und dazu eine penetrante Verflachung und Personalisierung der öffentlichen Debatte betreibt, braucht sich eigentlich nicht wundern, wenn am Ende zwar kein prinzipiell anderes Programm, aber ein neues Gesicht gewählt wird. Wenn nichts gravierendes dazwischen kommt, regiert also ab Oktober die CDU alleine, in einer Koalition mit der FDP oder in einer Großen Koalition mit der SPD als Juniorpartner.

Die letztgenannte Variante wird trotz aller gequält demonstrativen Schulterschlüsse von Rot-Grün von relevanten Teilen des SPD-Establishments als die günstigste aller denkbaren Wahlausgänge favorisiert. Hierin werden ihnen auch etliche in den Gewerkschaften folgen. Ein Teil, weil er - wie die IGBCE-Spitze - schon 1989 diese Option bevorzugt hätte, um die Grünen außen vor zu halten, und andere, weil sie sich realpolitisch kein anderes kleineres Übel vorstellen können.

Eine Wahlempfehlung des DGB zu Gunsten der SPD, so Michael Sommer in der Zeit vom 25. Mai 2005, werde es nicht geben. Schließlich seien einige Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Agenda 2010 noch nicht vergessen. Bei der CDU entdeckt er widersprüchliche, ergo auch positive Signale, und als erklärter Hauptgegner ist die FDP ausgemacht. Trotz partieller Sympathien mit Oskar Lafontaine lehnt Sommer ebenso wie Jürgen Peters ein Wahlbündnis aus PDS und WASG ab. Dies spalte nur die Linke, so ihr Verdikt.

Und dies angesichts einer vermeintlich bevorstehenden Schicksalswahl. lG BCE Vorsitzender Schmoldt, der als schnellster aus der ersten Reihe der Gewerkschaften noch am Wahlabend Schröder für die »einzig richtige Entscheidung« lobte, sieht die nächste Bundestagswahl als Grundsatzentscheidung zwischen einer »sozialen Marktwirtschaft mit zum Teil schwierigen Reformen« und einer »Marktwirtschaft pur« mit viel schlimmeren Auswirkungen für Beschäftigte und Arbeitslose. Auch Frank Bsirske, der sonst selten mit Schmoldt auf einer Linie steht, sieht die Bundesrepublik im Herbst am Scheideweg: entweder, so Bsirske im Tagesspiegel, gehe es danach noch tiefer in die Krise oder mit Wachstumsimpulsen aus ihr heraus. Leider lässt er völlig im Dunkeln, welche Partei denn für die zweite Alternative stehen soll. Schwarz-Gelb, so Bsirske, sei gleichbedeutend mit dem Rückfall in die 50er Jahre, von einer solchen Koalition erwarte er eine »Kampfansage an Arbeitslose und Arbeitnehmer«. Rot-Grün hingegen habe durch eine Umverteilung von unten nach oben eine Werteverschiebung herbeigeführt, und zwar vom »modernen Sozialstaat« hin zum »Fürsorgestaat, in dem die Bürger in eine Bittstellerrolle gegenüber dem Staat gedrängt werden«.

So weit so einheitsgewerkschaftlich. Es kennzeichnet die gegenwärtige Bedeutung der Gewerkschaften, dass derlei Stellungnahmen nur mäßige Aufmerksamkeit und Resonanz finden. Angesichts der vorgestellten Positionen drängt sich auf: »Und dies ist auch gut so«.

Dass die Gründung eines sozialdemokratischen Wahlbündnisses - und um nichts anderes würde es sich bei einer gemeinsamen Kandidatur von PDS und WASG handeln - angeblich die Linke spalte, zeigt, wo Peters und Sommer trotz allen Gemotzes über die neoliberale Politik der SPD selbige verorten. Die Alternative soziale oder pure Marktwirtschaft, die Schmoldt beschreibt, nimmt lediglich die Grundlinie des sozialdemokratischen Wahlkampfs vorweg und stimmt die Mitglieder schon mal drauf ein, dass »schwierige Reformen« in jedem Fall zu erwarten sind. Da werden manche, so wie bereits in NRW, dann doch lieber gleich für Marktwirtschaft pur und die Partei mit den besseren Beziehungen zum Chef votieren. Von Schmoldts Statement unterscheidet sich die Dramatisierung der Neuwahlen im September durch Bsirske. Hier, so scheint es zumindest, wird tatsächlich geglaubt, dass es im September um Entscheidendes geht - nicht zuletzt für die Gewerkschaften.

Aber ist dies wirklich so?

Bsirskes Szenario hat einen entscheidenden Mangel: Die von ihm behaupteten Alternativen stehen sich im September doch gar nicht als oppositionelle Blöcke gegenüber. Sein Wunsch nach einer keynesianisch angehauchten Wende in der Wirtschaftspolitik wird wahlprogrammatisch am besten von PDS/WASG bedient werden, wobei angesichts der Politik des rot-roten Berliner Senats gegenüber den Gewerkschaften und speziell gegenüber ver.di euphemistisch ausgedrückt auch keine wahre Freude aufkommen kann - von der Haltung zu Hartz IV ganz zu schweigen. Da Bsirske diese Formation aber wohl nicht meint, stellt sich die Frage, wen er dann meint. Rot-Grün und CDU/CSU, FDP haben doch längst einen breiten neoliberalen Konsens gefunden. Streng genommen hat sich dabei Rot-Grün nicht einmal den Konservativen und Marktliberalen angepasst, sondern hat zumindest deren alte Programmatik derartig praktisch rechts überholt, dass Merkel und Westerwelle (letzterer weniger als erstere) zwischenzeitlich Mühe hatten, das politische Abstandsgebot wieder herzustellen. Kurz: Rot-Grün hat das politische Spektrum nach rechts verschoben. Die eigentliche Zäsur in der bundesdeutschen Nachkriegspolitik findet nicht als Folge eines schwarz-gelben Wahlsieges statt, sondern sie ist bereits über die Bühne gegangen.

In der einstmals für die Gewerkschaften nicht unwichtigen Friedensfrage hat Rot-Grün die Militarisierung der Außenpolitik unter dem unsäglichen Diktum Fischers, dass dies die Lehre aus Auschwitz sei, entschieden vorangetrieben. Die viel akklamierte und von fragwürdigen Motiven geleitete deutsche Abstinenz im letzten Golfkrieg wurde gerade auf Gewerkschaftsseite heftig begrüßt. Das Statement von Struck, die Verteidigung der Bundesrepublik beginne jetzt am Hindukusch, wurde dagegen eher überhört.

Selten ging es den Unternehmen so gut wie unter Rot-Grün. Während, wie auch Bsirske feststellt, kräftig von unten nach oben umverteilt wurde, wurden zugleich die Kommunen und die öffentliche Hand systematisch entreichert. Zur Agenda 2010 ist in dieser Zeitschrift schon so viel gesagt worden, dass hier auf Details verzichtet werden kann. Rot-Grün hat in der Tat für Nachhaltigkeit gesorgt, wenn auch nicht beim Atomausstieg, worüber sich manche bei ver.di und der IG BCE sogar freuen werden. Nachwirken wird die Privatisierung von Beschäftigungs- und Lebensrisiken, die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und vor allem der Einstellungswandel gegenüber denjenigen am unteren Ende der Ausbeutungspyramide. »Jeder ist seines Glückes Schmied«, und »wer arbeiten will, findet auch welche«, gelangten zu erneuerter Prominenz, der Arbeitslose wurde wieder zum Faulenzer und als sozial gilt, was Arbeit schafft. Verteilungsgerechtigkeit wurde zur Chancengerechtigkeit und Reform zum Begriff für bessere Markt- und schlechtere Lebensbedingungen. Die »Kapitalismuskritik« von Müntefering schloss problemlos am ideologischen Flachpassspiel von Rot-Grün an. Und, nicht zu vergessen schließlich: die von der SPD-Spitze aktiv betriebene politische Demontage der Gewerkschaften.

Dass all dies vor dem Hintergrund sich verändernder ökonomischer Rahmenbedingungen stattfand, soll nicht unterschlagen werden, doch bleibt, dass eine Regierung weder lediglich Gefangene der Umstände noch schiere Weisungsempfängerin der Unternehmen ist. Sie hat Spielräume, und Rot-Grün hat sie zur sozialpolitischen Wende genutzt. Sie hat dadurch nicht zuletzt für Anschlussfähigkeit gesorgt.

Selten hat eine Regierung die Geschäftsübergabe an die Konkurrenz so gut vorbereitet wie diese. Die entscheidenden Breschen sind geschlagen, eine neue Regierung kann da anschließen, wo Rot-Grün aufgehört hat. Was die Gewerkschaften anbelangt, so sind die Grundlagen gelegt, nach der politischen auch deren institutionelle Schwächung einzuleiten - Stichworte: Günstigkeitsprinzip, gesetzliche Öffnungsklauseln bei Tarifverträgen, Einschränkung der Mitbestimmung.

Jetzt, wo nun ganz plötzlich auch offiziell Schluss ist mit dem einstmals vielbeschworenen »rot-grünen Projekt«, steht die einstmalige Reformhoffnung nackt da - mit dem Dosenpfand in der Hand. Eine Überzeichnung? Wiegen Homoehe und eine bei Lichte besehen doch eher dünne Reform des Staatsbürgerschaftsrechts tatsächlich die »Reformen« auf? Hätten es »die anderen« wirklich noch schlimmer gebracht, oder ist es nicht umgekehrt so, dass vieles genau nur mit Rot-Grün relativ reibungsfrei durchzusetzen war?

Natürlich kann nicht ernsthaft bestritten werden, dass es bezüglich der Frage, wie mit den Gewerkschaften umgegangen werden soll, bei aller Annäherung durchaus noch Unterschiede zwischen den Parteien gibt, und die Vorstellung, Westerwelle könnte mal so richtig durchziehen, hat in der Tat beunruhigende Aspekte. Der unangenehmste ist, dass zur Zeit kaum vorstellbar erscheint, dass die Gewerkschaften überhaupt in der Lage wären, sich gegen die von Bsirske befürchtete Kampfansage von Schwarz-Gelb effektiv zur Wehr zu setzen. Der tarifpolitischen Offensive von Unternehmen und öffentlichen Arbeitgebern haben sie zusehends weniger entgegenzusetzen. Nicht die abgelaufene Stahltarifrunde, in der die Unternehmen angesichts einer blendenden Konjunktur vor der Urabstimmungsdrohung einknickten und zugleich die IG Metall - ganz montanmitbestimmte Ordnungsmacht - auf den großen Streik verzichtete, sondern die noch laufende Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder ist repräsentativ für das gesellschaftliche Kräfteverhältnis. Die »dokumentierte Ohnmacht« ermutigt, wie Oskar Negt zu Recht feststellt, die Hardliner im Unternehmerlager (Sozialismus, April 2005). Zugleich sorgt sie aber auch für eine zunehmende Erosion der verbliebenen Organisationsmacht der Gewerkschaften - wahrgenommene Schwäche ist kein Beitrittsgrund.

An ihrer Situation haben die Gewerkschaften natürlich auch ihre eigenen Anteile. Sie waren keineswegs nur blind gegenüber der Entwicklung von Rot-Grün, sondern haben lange Zeit deren Politik mitgetragen. Als im Kern sozialdemokratisch-konservative Massenorganisationen sind die Gewerkschaften geprägt vom Spagat zwischen Mitverantwortung für den Standort und der damit verbundenen Hoffnung, vom Sieg im internationalen Konkurrenzkampf partizipieren zu können, und der Ablehnung einzelner Konsequenzen dieser Politik. Die unsäglich hohlen Positionen von Müntefering stoßen auf bedauerlich große Resonanz. Verkürzte »Kapitalismuskritik« gehört bei vielen FunktionärInnen zum langjährig geübten politischen und rhetorischen Repertoire. Das Titelbild der Mai-Ausgabe von Metall, in der ein als Stechmücke dargestellter, selbstverständlich amerikanischer Kapitalist als Blutsauger karikiert wird, ist hierfür beredte Illustration. Die etwas niveauvollere Kapitalismuskritik, die sich ja durchaus auch innerhalb der Gewerkschaften finden lässt, ist hier bisher so minderheitlich verankert wie in der Gesellschaft. Dass die Unternehmer nach 1989/90 zunehmend weniger Grund zur Sozialpartnerschaft alten Stils sehen, sondern nun schiere Unterwerfung wollen, hat die Gewerkschaftsspitzen ebenso irritiert wie große Teile der Basis. Das gleiche gilt für den Bruch der SPD mit den Gewerkschaften, den manche nun schon wieder in einer gemeinsamen Opposition gegen Schwarz-Gelb gekittet sehen wollen und dabei dessen Tiefe unterschätzen.

Auf die aktuellen Herausforderungen eine dem gewandelten Kapitalismus angemessene, handlungsfähige Antwort zu finden, ist wichtiger für die Zukunft der Gewerkschaften, als der Wahlausgang im September. Auch wenn Schwarz-Gelb gewinnt, geht es nicht zurück in die 50er Jahre, sondern ins nächste Jahrzehnt. Wem die Gewerkschaften nicht egal sind, den beschleicht das ungemütliche Gefühl, dass sie darauf nicht wirklich gut vorbereitet sind.

R. Müller

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/05


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang