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Updated: 18.12.2012 16:00
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»Turnaround« oder Selfservice?

Slave Cubela zum neuen »Troublemaker's Handbook 2«

Welchen »Mitgliederservice« die Gewerkschaftsbewegung gegenwärtig braucht, um der eigenen Krise und dem anhaltenden Mitgliederschwund zu begegnen, ist ohne Zweifel eine wichtige Frage. Während aber die bundesdeutschen Gewerkschaften davon träumen, dieser Krise im großen Stil durch die Schaffung eigener Serviceagenturen zu begegnen, in denen dann neue Zielgruppen durch Karriere- und Weiterbildungsberatung sowie Jobvermittlung erreicht werden, hätte ihnen womöglich ein genauerer Blick in das gelobte Land der Dienstleistung, die USA, helfen können, um die neueste erfolgversprechende und zudem billigere Variante des gewerkschaftlichen Service zu entdecken. Genauer gesagt: Statt »geheime« Studien mit der Unternehmensberatung McKinsey auszuarbeiten, um sie sogleich im schönsten angelsächsischen Neusprech »turnaround« [1] zu betiteln, hätte ein wenig Warten genügt, um jetzt endlich mit dem frisch herausgekommenen »Troublemaker's Handbook 2« der Detroiter Zeitschrift »Labor Notes« eine Idee davon zu bekommen, wie aktueller gewerkschaftlicher »Service« in den USA aussieht.

Der Kunde »Troublemaker«

Doch inwiefern kann, so ließe sich fragen, ein Handbuch für Unruhestifter als zeitgemäßer gewerkschaftlicher Service erscheinen? Hören wir die Herausgeber des Handbuchs: »Mit »Unruhestiftern« meinen wir all jene Gewerkschaftsaktivisten, die sich für ihre eigenen und die Rechte ihrer Kollegen einsetzen. Häufig bedeutet dies, Wellen zu schlagen und für Unannehmlichkeiten bei all den Managern, Co-Managern und sonstwie Angepassten zu sorgen. Allein: Unseres Erachtens sind es die Arbeitgeber und Manager, die sowohl für Ärger am Arbeitsplatz sorgen als auch innerhalb der Gesellschaft, indem sie den Arbeitsdruck erhöhen, uns respektlos behandeln und letztlich alles dafür tun, den Profit zu erhöhen. Deshalb ist es das Ziel dieses Buches, all jenen Arbeitern Möglichkeiten der Selbstorganisation vorzustellen, die Gerechtigkeit von ihrem Arbeitgeber verlangen und Kontrolle über ihr Leben am Arbeitsplatz und darüber hinaus suchen.« (S. VII) Also: der besondere Service des neuen »Troublemaker's Handbook« richtet sich zunächst einmal an all jene, die - aus welchem Grunde auch immer - ein größeres oder kleineres Problem mit oder an ihrem Arbeitsplatz haben. Seien dies wache Geister, die überzeugt sind, dass es an der Zeit ist, den eigenen Kampf für soziale Rechte und gegen den wirtschaftsliberalen Zeitgeist langsam, aber sicher voranzutreiben; seien dies ängstlichere Zeitgenossen, denen es vor allem um Missstände an ihrem Arbeitsplatz geht oder die um selbigen fürchten müssen; oder aber jene stillen Sympathisanten von Anti-Hartz-Demos und spontaner Arbeitsniederlegungen wie bei Opel-Bochum, die jedes Zeichen des Widerstandes gegenüber »denen da oben« zu schätzen wissen - sie alle bekommen mit dem »Troublemaker's Handbook« die Möglichkeit, sich Hilfe zur sozialen Selbsthilfe zu sichern, wie sie reichhaltiger, übersichtlicher und genauer kaum sein könnte.

Servicedetails

Ohne lange Vorreden bekommt der Leser auf knapp 380 Seiten im DIN A4-Format und insgesamt 25 Kapiteln wirklich alles geboten, was er sich als »Troublemaker« wünschen kann. Ideen für Kampfformen gesucht? Nun, knapp ein Drittel des Handbuches widmet sich explizit diesem Thema. Man findet genaue Tipps etwa für legale Widerstandsstrategien während der gewöhnlichen Arbeitszeit, für besonders ausgefallene oder künstlerisch-kreative Strategien, für alle erdenklichen »klassischen« Streikformen oder auch für Kampagnen aller Art, um z.B. unter Einbeziehung der Kunden und Geschäftspartner ganze Unternehmen gezielt unter Druck zu setzen oder um das eigene Ziel mit Hilfe sozialer Bündnisse mit Umweltgruppen, Kirchen, Studierenden o.a. zu erreichen, und vieles, vieles andere mehr. Diskriminierungsprobleme am eigenen Arbeitsplatz? Ein eigenes Kapitel widmet sich den verschiedenen Erscheinungsformen von Mobbing, Rassismus oder Sexismus und der Art und Weise, wie man ihnen wirkungsvoll entgegentreten kann. Sorgen wegen Lean Production und Outsourcing? Egal, ob es um zweischneidige Optimierungsangebote von Seiten des Arbeitgebers, um Privatisierungsversuche im Öffentlichen Dienst oder um die schleichende Stilllegung eines Betriebs durch Nicht-Investitionen geht, auch hierzu gibt es mehr als einen wichtigen Hinweis im »Troublemaker's Handbook«. Womöglich Interesse an internationaler Solidarität? Adressen internationaler Arbeiter-Organisationen, Hinweise, wie man z.B. Kontakte aufbaut und festigt oder wie man mit globalisierungskritischen Organisationen in Verbindung tritt, sind reichlich vorhanden.

Fügt man diesem viel zu knappen Überblick noch hinzu, dass all dies durch kurze historische und systematische Exkurse, diverse Check-Listen, viele Visualisierungen und Bilder, aber auch durch eine große Anzahl von Erfahrungsberichten aus den USA und Kanada abgerundet und nie langweilig in Szene gesetzt wird, so kann hier nur die Aufforderung ergehen, sich diesen großartigen gewerkschaftlichen »Service« durch einen Besuch der Internetseite der »Labor Notes« (www.labornotes.org externer Link) zu sichern.

Selfservice oder Serviceagenturen?

Wenn überhaupt fallen allenfalls zwei kleine Schatten auf dieses wunderbare Buch. Erstens: Es konzentriert sich - aus naheliegenden Gründen - auf den nordamerikanischen »Troublemaker«, d.h. es enthält immer wieder Passagen - etwa wenn rechtliche Fragen in den Mittelpunkt treten oder wenn, wie im letzten Kapitel, weiterführende Organisationen, Zeitschriften, Netzwerke, Bücher oder Internetseiten aufgeführt werden -, die dem Leser hierzulande nur eingeschränkt nutzen werden. Zweitens: Man hätte sich doch ein Kapitel gewünscht, das allgemeiner angelegt sowohl die sozialökonomischen Bedingungen von Arbeiterwiderstand und gewerkschaftlicher Gegenmacht als auch die historischen Entwicklungstendenzen derselben zum Gegenstand hätte, insofern so einerseits der häufig anzutreffende Glaube, Unternehmer und Manager handelten lediglich aus >böser Absicht< oder charakterlicher Schwäche entkräftet und andererseits zugleich die gegenwärtige Defensive der globalen Arbeiterbewegung verstehbar werden könnte.

Doch sind dies Gründe, um weiter zu warten, bis auch die deutschen Gewerkschaften diesen neuesten Servicetrend aus den USA entdeckt und adaptiert haben werden? Will man erst noch die geplanten gewerkschaftlichen Serviceagenturen [2] ausprobieren und dabei womöglich Gefahr laufen, Beratungsräume zu betreten, in denen - umgeben von in syndikalem Rot gehaltenen Teppichen und Lichtern und unterlegt von einer leicht funkig-souligen Version der Internationalen als Hintergrundmusik - junge, attraktive GewerkschaftsserviceaktivistInnen, einheitlich gut angezogen und den Vornamen ans Revers geheftet, den potentiellen »Gewerkschaftskunden« Orangensaft und Hochglanzbroschüren für die Wartezeit anbieten? Damit einem dann eine warme, verständnisvolle Stimme mit gepflegtem Blick gewerkschaftliche Bewerbungstipps, einen Rhetorikkurs oder vielleicht ein unbezahltes Praktikum beim gewerkschaftlichen Kooperationspartner McKinsey anbietet? Nein, Nein, Nein. Der beste gewerkschaftliche Service war und ist immer noch der Self-Service im Kampf. Und wem das zu traditionalistisch vorkommt, der höre zum Schluss einen gut ausgebildeten und gewiss serviceorientierten Ingenieur des US-Flugzeugherstellers Boeing, der im »Troublemaker's Handbook« beschreibt, welche Folgen es hatte, dass er und seine Kollegen bei einem Streik im Jahr 2000 eine multifunktionale und umweltfreundliche »Streiktonne« für die kalten Nächte vor dem besetzten Werk entwarfen: »Die brennende Tonne machte den Aufenthalt bei den Streikposten angenehmer, besonders nachts und bei Regen. Wir haben auch sehr viel gemeinsam gekocht - Eier am morgen, mittags Chili und Schmorgerichte am Abend. Ich treffe immer noch viele Leute in den Hallen von Boeing, die ich seit dem Streik nicht mehr gesehen habe, aber sie erinnern sich dann sofort an die schönen gemeinsamen Erfahrungen an der neuen Streiktonne.« (S. 110) So schön kann doch nur Self-Service sein...

Jane Slaughter (Hrsg.): »Troublemaker's Handbook 2, How To Fight Back Where You Work - And Win!«, 380 S., 24 US-Dollar, Kontakt/Bestellung: www.labornotes.org externer Link

Der express bietet eine Sammelbestellung an, um die Versandkosten zu reduzieren! InteressentInnen melden sich bitte bei der Redaktion:

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Postfach 10 20 63
63020 Offenbach
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Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 3/05


1) S.C. bezieht sich hier auf die interne DGB-Studie »turnaround« über die Krise der Gewerkschaften, die bislang noch nicht veröffentlicht wurde. Wir fordern hiermit alle LeserInnen auf, sie beim DGB anzufordern. [Die Studie liegt im Labournet Germany vor!!!!]

2) Das im Folgenden beschriebene Szenario bezieht sich ebenfalls auf das »turnaround«-Konzept.


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