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Updated: 18.12.2012 15:51
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Die neuen Streiks. Geschichte. Gegenwart. Zukunft.

Die neuen Streiks. Geschichte. Gegenwart. Zukunft.»Der Streik kehrt zurück« titelte die anarchosyndikalistische »Direkte Aktion« bereits 2006. Der einjährige Streik bei dem Flughafen-Caterer >Gate Gourmet<, die Streiks der Bosch-Siemens-Haushaltgerräe in Berlin, bei AEG, der wilde Streik 2004 bei Opel Bochum und viele andere Beispiele scheinen das zu bestätigen. Auch nach 2006 hat es das Phänomen Streik mit den Arbeitskämpfen bei der Telekom und insbesondere mit dem Arbeitskampf der GDL in die Medien geschafft. Das Unwort >Streik< ist selbst in konservativen Medien wieder sagbar geworden, die Methode hat Konjunktur. Die Art und Weise, die Motivation, die Ziele und die Akteure heutiger Streiks haben sich aber massiv verändert und vielerorts erscheint Streik zwar als gute Idee, aber immer noch nicht durchführbar. In einer Mischung aus Einzelbeiträgen und gemeinsamer Reflexion und Diskussion lassen die AutorInnen die Geschichte des Streiks Revue passieren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem aktuellen Streikgeschehen. Darüber hinaus wird versucht, aus der Veränderung des Streikgeschehens praktische Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen." So die Verlagsinformation (Unrast) zum gerade erschienenen (Oktober 2008) Buch, herausgegeben von Torsten Bewernitz (ISBN-13: 978-3-89771-480-9, ca. 192 Seiten, 14.8 Euro). Siehe dazu:


Torsten Bewernitz

Vorwort

»Der Streik kehrt zurück« titelte die anarchosyndikalistische >Direkte Aktion< bereits 2006. Zu diesem Zeitpunkt waren ein wilder Streik bei Opel Bochum gelaufen, die IG Metall hatte flächendeckend in Ostdeutschland gestreikt - und war gescheitert-, es liefen spektakuläre Streiks bei dem Flughafen-Caterer Gate Gourmet in Düsseldorf und bei der AEG in Nürnberg. [1]

Danach ist noch einiges passiert, was wir - leider unvollständig - in diesem Buch reflektieren möchten. So wird euch LeserInnen sicherlich noch der Streik der GDL bei der DB AG -fast ein Jahr lang ein immer wieder kehrendes Thema der deutschen Medien - und das Projekt >Strike Bike< in Erinnerung sein, das ebenfalls recht hohe mediale Wellen schlug.

Medien sind das nächste Stichwort: Der Streik ist nicht nur in die Realität der ArbeiterInnen zurückgekehrt, sondern auch als öffentlicher Diskurs - man spricht wieder von ihm. Während dieses Vorwort entsteht, bestreikt ver.di die Lufthansa und schafft es damit nicht nur in den Wirtschaftsteil, sondern auch auf die Titelseiten der Zeitungen. Dieser Streik, so wurde in der Diskussion während der Erstellung dieses Buches mal gesagt, war ohne den Streik der GDL nicht denkbar.

Auswirkungen davon sieht man auch auf dem (linken) Büchermarkt. Selten sind so viele Bücher zum Thema >Streik< erschienen wie in den letzten zwei Jahren. Hervorheben möchte ich Peter Birkes historische Untersuchung >Wilde Streiks im Wirtschaftswunder< und den im Mai 2008 erschienenen, von Holger Marcks und Matthias Seiffert herausgegebenen Sammelband >Die großen Streiks<.

>Die neuen Streiks<

Der Titel dieses Buches zeigt es an: >Die neuen Streiks< versteht sich als Weiterführung des Projektes >Die großen Streiks<. Nicht zufällig behandelt unser Buch die aktuellen Streiks, die Holger Marcks und Matthias Seiffert in ihrem Vorwort benennen (Marcks/Seiffert 2007: 9).Sie haben eine Diskussion eröffnet, zu der wir gerne beitragen möchten.

Beide Bücher haben eine lange Vorgeschichte: >Die großen Streiks< ist aus einer Serie gleichen Namens in der >Direkten Aktion< entstanden. Das vorliegende Buch ist das Ergebnis eines gleichsam langen Prozesses in anderen Diskussionszusammenhängen. Den Auftakt machte ein Beitrag in der österreichischen Zeitschrift bild.punkt. Aus diesem wurde ein Jahr später ein Vortrag zur >Zukunft des Konzeptes Streik< auf der Promovierendentagung der Hans Böckler-Tagung in Springe 2007. Anfang 2008 erschien gekürzt der Buchbeitrag, der darauf basierte - das Skript war allerdings damals schon ein halbes Buch, und noch viele Fragen waren offen.

Diese zu lösen, so habe ich schnell festgestellt, brauchte aber eine Menge Erfahrungen, gleichzeitig blieb die Zeit nicht stehen und das Streikgeschehen ging weiter. Allein war das nicht mehr zu bewältigen. Das Ergebnis dieses Prozesses haltet ihr in der Hand.

In wesentlichen Aspekten unterscheidet sich dieses Buch von >Die großen Streiks<. Erstens ist der wesentliche Teil die Beschreibung der aktuellen Arbeits- und ArbeiterInnenkämpfe. Zweitens - und leider - sind diese fast ausschließlich Kämpfe in der Bundesrepublik Deutschland. Wir halten das für legitim, denn in einem Buch könnten wir kaum anhand von Beispielen die globalen Arbeits- und ArbeiterInnenkämpfe darstellen und beurteilen, wir schreiben aus unserem Erfahrungshorizont und, da dieses Buch auf Deutsch erscheint, für ein deutschsprachiges Publikum - auch wenn wir selbstverständlich hoffen, dass es darüber hinaus wahrgenommen wird.

Was ist >neu< an den >neuen Streiks

Der Buchtitel >Die neuen Streiks< soll nichts anderes benennen als die Aktualität der Streiks des beginnenden 21. Jahrhunderts. In meinem einführenden Beitrag benenne ich zwar konkrete Aspekte dieses Wandels - die Akteure, die Gegnerschaft, die Krise der Gewerkschaften, veränderte Methoden, Ziele und die Rolle der UnterstützerInnen - aber ob diese wirklich neu oder im ökonomischen Regime des Kapitalismus immer wiederkehrend sind, ist zu überprüfen. Dieser Sammelband versucht, eine solche Überprüfung anhand der beschriebenen Beispiele vorzunehmen.

Einer der ersten Streiks, die wieder mediale Aufmerksamkeit erfahren haben, war der Streik bei Opel Bochum 2004 gegen die drohende Entlassung von 4.000 ArbeiterInnen, den Jochen Gester, Co-Herausgeber des Buches >Sechs Tage der Selbstermächtigung< (Gester/Hayek 2005), ausführlich darstellt. Gester beschreibt diesen Streik als ein wiederkehrendes Selbstbewusstsein der ProduzentInnen, das aber, trotz aller Solidarität, auf den Betrieb in Bochum beschränkt war und daher noch in den >Kinderschuhen< steckt.

Alix Arnold und Christian Frings stellen den Streik beim Flughafen-Caterer Gate Gourmet (vgl. auch Flying Pickets 2007) in Düsseldorf dar. Obwohl es sich bei diesem tariflichen, unter Aegide der NGG geführten Streik, um einen längsten der bundesdeutschen Geschichte handelt, war es diskursiv seltsam still um ihn. Dabei ist gerade dieser Streik nahezu paradigmatisch für die >neuen< Streiks. Arnold und Frings haben das in ihrem Beitrag bedacht und stellen den Streik in den Kontext einer neuerlichen Streikdebatte und der Frage nach der Rolle der Gewerkschaften.

Herbert Münchow liefert eine ausführliche Analyse der Streikbemühungen der Gewerkschaft deutscher Lokführer (GDL). Er reagiert insbesondere auf den oft gehörten Vorwurf, die Streikbemühungen der GDL seien ein >ständischer< und damit >spalterischer< Streik und zeigt auf, dass dieser Streik, der mit der DGB-Gewerkschaft nicht zu führen war, eine Notwendigkeit darstellte.

Der GDL-Streik war durchaus so relevant, dass er zwei Beiträge in diesem Band verdient, Uwe Krugs Beitrag ist darüber hinaus der einzige Bericht eines Streikaktivisten im vorliegenden Buch. Er fügt der offiziellen medialen Beschreibung, die uns von den Titelseiten der Zeitungen bekannt ist, die Innenansicht hinzu. Dabei wird offenbar, dass die angeblich so horrend hohen Forderungen - die berühmte 31-prozentige Lohnerhöhung - und der Einsatz für die Rechte der ArbeiterInnen nichts weiter war als ein politisch-strategische Manöver, um als GDL endlich wieder eine Rolle im Tarifroulette spielen zu dürfen. Die Streikenden selber frustrierte das schnell, dennoch blieben sie aktiv. Uwe Krug setzt daher die Selbstorganisierung der Streikenden gegen den Organisationsapparat der Gewerkschaften.

Mit einem vermeintlich wilden Streik bzw. einer Betriebsversammlung (Opel), einem klassischen Tarifstreik von außerordentlicher Länge (Gate Gourmet), mit neuen Methoden und, wie beim BSH-Streik (vgl. Gester 2007), einer neuen Klientel sowie dem machtvollen Streik einer >ständischen< Gewerkschaft (GDL) haben wir drei verschiedene Streiktypen, die ich für paradigmatisch halte, dargestellt. Die Darstellung der >neuen< Streiks schließt mit Folkert Mohrhofs Vorstellung der Strike-Bike-Aktion bei Bike Systems Nordhausen. Den bisherigen Konzepten - wilder Streik, Tarifstreik und ständischer Tarifstreik - fügt er damit eine Methode hinzu, die zwar nicht ganz neu, aber für deutsche Verhältnisse um so ungewöhnlicher ist: die Übernahme der Produktion in Selbstverwaltung. Folkert Mohrhof war als Sprecher der Solidaritäts-AG der FAU (Freie ArbeiterInnen Union) nahe am Geschehen, deckt die Hintergründe der ökonomischen Vorgänge auf, verweist auf Fehler bei diesem ersten Versuch und betont die oft unrühmliche Rolle, die die IG Metall in diesen Vorgängen spielte.

Perspektiven aktueller ArbeiterInnenkämpfe<

Streiks sind gerade im heutigen Zustand des Kapitalismus aber bei weitem nicht das einzige Mittel von ArbeiterInnenkämpfen. In vielen prekären Beschäftigungsverhältnissen und Berufen mit geringem Organisationsgrad werden andere Methoden des Widerstands immer notwendiger. Im zweiten Teil dieses Buches sollen daher >Perspektiven aktueller ArbeiterInnenkämpfe< diskutiert werden.

Mag Wompel, Redakteurin des virtuellen >Treffpunkts für Ungehorsame< labournet.de , stellt Überlegungen zu alternativen Möglichkeiten des Arbeitskampfes an: Streik benötigt neben einer manifesten ArbeiterInnenmacht auch den Willen zu einer gemeinsamen, und sei es nur kurzfristigen, Organisierung. Die Sabotage, über die Wompel sich in ihrem Beitrag Gedanken macht, ist auch individuell möglich. Mag Wompel plädiert dennoch dafür, dieser einen kollektiven Charakter zu geben, indem sie an Beispielen - vor allem aus Frankreich - kollektive Sabotageaktionen benennt, die teilweise auch gewerkschaftlich unterstützt wurden. Da die Möglichkeiten der Sabotage nicht einer bestenfalls organisierten ArbeiterInnenmacht bedürfen, bieten sie auch Möglichkeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen und für Erwerbslose.

Dies tut auch das >Forum der Ausgebeuteten< chefduzen.de . Markus Lawrenz erläutert die Geschichte und Funktion dieses Forums exemplarisch für die Möglichkeiten des world wide web im Klassenkampf. Im Gegensatz zu rein symbolischen Streiks in virtuellen Welten (vgl. den Beitrag von Bewernitz) bietet chefduzen eine reale Angriffsfläche gegen die jeweiligen Arbeitgeber, aber auch, wie die von Mag Wompel vorgeschlagenen Konzepte, für Erwerbslose.

Sowohl für die von Wompel wie auch für die von Lawrenz vorgeschlagenen Ergänzungen zum traditionellen Arbeits- oder ArbeiterInnenkampf gilt, dass sie Möglichkeiten dafür bieten, nicht aus der Anonymität der Masse aufzutauchen und die reellen und verständlichen Ängste des/der einzelnen ArbeiterIn vor einer Kritik am >Arbeitgeber< zu kompensieren. Peter Birke (2007) hat darauf hingewiesen, dass >Öffentlichkeit< oftmals nicht im Sinne der Akteure des konkreten Kampfes ist. Dies gilt gerade für ArbeiterInnen, die wenig reelle und keine organisatorische ArbeiterInnenmacht haben.

Um Letzteres zu ändern, haben sich insbesondere US-amerikanische Gewerkschaften das Konzept des >Organizing< zu eigen gemacht, die konkrete, durchaus langfristige Erforschung von Arbeitsbedingungen und das konkrete Ansprechen von ArbeiterInnen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Hae-Lin Choi stellt in ihrem Beitrag den größten und im Vergleich erfolgreichsten aus einer solchen Organizing-Aktion entstandenen Streik vor, den Streik der Reinigungskräfte in Houston/Texas, einer zuvor gewerkschaftsfreien Region.

In der BRD stecken solche Organisierungsbemühungen in den Kinderschuhen. Ver.di Hamburg hat sich in den letzten Jahren bemüht, auf diese Weise neue Mitglieder zu gewinnen (vgl. Bremme 2007). Alles in allem ist den deutschen Gewerkschaften diese Art der Mitgliedergewinnung jedoch recht fremd, denn aufgrund der bisherigen Gewerkschaftsstruktur in Deutschland ist die Mitgliedergewinnung Sache der Betriebsräte und Vertrauensleute. Die Gewerkschaften des DGB bleiben deshalb in vergleichsweise alten Strukturen stecken und organisieren nur männliche, weiße Industriearbeiter im Vertrauen auf einen von Kapitalseite längst gebrochenen Gesellschaftsvertrag. Der DGB verfügt aber aufgrund dieser Struktur über eine recht hohe politisch nutzbare Organisationsmacht. Kleinen Gewerkschaften wie der FAU (Freie ArbeiterInnen-Union) sind die Methoden des >Organizing< in Anlehnung an die IWW (Industrial Workers of the World) nicht neu, weil sie allein vom Kampfeswillen ihrer Mitglieder leben.

Der Status des DGB in der BRD ist auch einem global nahezu einzigartigen Modell einer Einheitsgewerkschaft geschuldet. In den meisten Staaten der Welt lassen sich Richtungs- oder auch nur Betriebsgewerkschaften finden, die entsprechend um ihre Mitglieder konkurrieren, daher zwar einerseits über weniger Organisationsmacht, dafür aber über eine aktivere Mitgliederstruktur verfügen. Der DGB braucht keine StudentInnen, KassiererInnen oder LeiharbeiterInnen um seine organisatorische Macht aufrecht zu erhalten. Gerade jene ArbeiterInnen, denen diese Struktur fremd ist, bleiben dieser Struktur daher oft fern, und dies sind insbesondere migrantische Menschen und Frauen. Ihnen ist aber, wie die beschriebenen Beispiele im ersten Teil dieses Buches deutlich machen, eine besondere Rolle in den konkreten ArbeiterInnenkämpfen zuzuschreiben - u.a. deswegen, weil sie auf dem Hintergrund anderer Erfahrungen kämpfen (wenn sie kämpfen).

Chois Beitrag zeigt auch, welches Potential die Organisierung von MigrantInnen in ArbeiterInnenkämpfen hat. Stefan Paulus beschließt den vorliegenden Band, indem er den geschlechtsspezifischen Aspekt des Klassenkampfes - insbesondere die Notwendigkeit der Reproduktion für die Produktion und damit auch die Möglichkeiten, dieses Produktions- und Akkumulationsregime als ReproduzentIn zu stören - beschreibt. In Anlehnung an die Beschreibung des Arbeitskampfs der GDL von der wildcat-Redaktion (wildcat 80) in lässt sich der Streik dadurch definiere n, dass er (volks)wirtschaftlichen Schaden anrichtet. Gerade jener Aspekt, der offiziell an Streiks kritisiert wird und ihn auf die Titelseiten der Tageszeitungen bringt, ist seine Essenz. Viele Aktionen, die sich Streiks nennen, entbehren genau dieser Essenz, aber die Anwendung der Methode ist dennoch keineswegs nur im traditionellen Produktionssektor möglich. -

Streik ist nicht nur die in Deutschland traditionelle und gesetzlich geregelte Routine im Rahmen von Tarifverhandlungen und Friedenspflicht. Er ist ein Mittel zur Durchsetzung der Interessen der ArbeiterInnen, und gerade weil sie ArbeiterInnen sind, können sie ihn anwenden. Dass ein Streik überhaupt diese Möglichkeit bietet, liegt einzig und allein daran, dass er wirtschaftlichen Schaden anrichtet. Diese Erkenntnis ist in Deutschland - zumindest in den Augen jener, die diese Aussicht in Panik versetzt - neu bzw. wird gerade wiederentdeckt.

Die konstruktive Seite des Streiks

Streik ist, genau wie die Ausbeutung im Kapitalismus, nichts anderes als materielle Gewalt. Neben diesem destruktiven Charakter hat der Streik aber auch ein konstruktives Gesicht. Bleiben wir in der Beschreibungsform von Kampf und Gewalt, so müssten wir fast alle der in diesem Band beschriebenen Streiks als gescheitert betrachten. Eine solche Betrachtungsweise legt aber - um im militärischen Sprachgebrauch zu bleiben - eine Kapitulation nahe. Auch die Herausgeber von >Die großen Streiks< betonen, dass die meisten der von ihnen dargestellten Streiks in ihren konkreten Forderungen gescheiteter sind. Aber:

» Wir haben auch Streiks dargestellt, die sich im konkreten historischen Moment als Niederlage dargestellt haben, aber teilweise neue Impulse gesetzt haben und langfristig historische Zäsuren darstellen, z.B. wenn daraus ein neuer Arbeiterkampfzyklus ausgelöst wurde. Bei anderen vorgestellten Streiks wurden die konkreten Forderungen zwar nicht durchgesetzt, aber führten dazu, dass etablierte Gewerkschaften, die vorher erstarrt waren, durch die Bewegung in Zugzwang gerieten und ein unheimlicher Reformierungsprozess begann, was auch eine Grundlage sozialer Verbesserungen war« (Marcks bei Bewernitz/Gehling 2008).

Warum wird aus einem gescheiterten Streik eine Bewegung? In Gesprächen mit ArbeiterInnen wurde immer wieder deutlich, dass ein gemeinsamer Streik, sei er auch verloren, wenigstens eine Anekdote wert ist, eher aber sogar eine relevante Erzählung für die eigene Identität darstellt. Der Umstand, dass man überhaupt gemeinsam gekämpft hat, ist diese Erzählung wert, dies wird im vorliegenden Buch insbesondere im Beitrag Uwe Krugs deutlich.

Im gemeinsamen Nichts-Tun des Streiks offenbart sich die Möglichkeit eines Erfahrungsaustauschs. Die vermeintlich öffentliche und die vermeintlich private Ebene treffen aufeinander. Familien der Streikenden, engagierte Studierende oder Erwerbslose, solidarische KollegInnen aus anderen Betrieben kommen zu Besuch und haben oder nehmen sich die Zeit, miteinander zu diskutieren. Kreative Methoden werden gemeinsam besprochen und erprobt, und im besten Falle wird, wie im Falle Strike Bike, bereits der Versuch unternommen, die Produktion in die eigene Hand zu nehmen. Die Streikenden der Bahn in Melbourne 1990 haben nicht die Arbeit niedergelegt, sondern sind ihre Bahnen weiter gefahren, ohne Fahrkarten zu verkaufen oder zu kontrollieren (vgl. Simmons 2008) und haben damit den >öffentlichen Dienst< selber organisiert. Ähnliches haben die streikenden BusfahrerInnen in Münster 2002 diskutiert. Solche Methoden der Anrichtung von wirtschaftlichem Schaden werden in der zunehmenden >Dienstleistisierung< des Kapitalismus immer relevanter: Die einfache Niederlegung der Arbeit richtet den notwendigen wirtschaftlichen Schaden nicht an, es gilt also, gemeinsam neue, kreative Wege zu gehen.

Aus diesem Grund entsteht im Streik das gemeinsame Bewusstsein, das man Klassenbewusstsein nennen darf. Dieses Klassenbewusstsein muss keineswegs >politisch<' sein, aber es bietet die Gelegenheit dazu. Die Streiks bei Gate Gourmet Düsseldorf und den Bosch-Siemens-Hausgerätewerken Berlin haben, davon können wir ausgehen, zu einem Zusammenrücken männlicher und weiblicher wie auch deutscher und ausländischer KollegInnen geführt. In Nordhausen wäre die Idee der Selbstverwaltung wahrscheinlich nicht aufgekommen, wenn die längste Betriebsversammlung in der Geschichte der BRD nicht die Möglichkeit gegeben hätte, solche Möglichkeiten überhaupt ins Auge zu fassen.

>Organische< Intellektuelle?

Die meisten AutorInnen dieses Sammelbandes - zum Glück nicht alle - entstammen linken oder intellektuellen Kreisen, die diese Streiks von außen betrachten. Der Schluss liegt nahe, dass sie sich mit einem Thema, mit dem sie eigentlich nichts zu tun haben, als >ExpertInnen< aufspielen oder etablieren wollen. Die Arbeitenden und Streikenden wären dann mal wieder >die Anderen<, über die etwas gewusst wird. Im besten Falle wären die AutorInnen davon überzeugt, eine Rolle als >organische Intellektuelle< (Gramsci) zu spielen und durch dieses Buch >Bewusstsein< zu wecken.

Wir sind uns klar darüber, dass Theorien und Schriften über Streiks keine Arbeits- und ArbeiterInnenkämpfe auslösen, ein Buch wie dieses ist aber fähig, einen Erfahrungsaustausch über geographische und ideologische Grenzen hinweg zu präsentieren und Inspiration zu sein, wie auch die dargestellten Streiks diese Inspiration liefern.

Im Streik kann kollektives Bewusstsein entstehen. Über Streiks, ob gewonnen oder verloren, sprechen die TeilnehmerInnen noch jahrelang und konstituieren damit ein gemeinsames Bild von sich selber und ein gemeinsames Wissen.

In erster Linie haben wir kein Wissen über Streiks, sondern wir haben das Wissen der Streikenden gesammelt, nicht um >andere< zu belehren, sondern um diese Erfahrungen für uns nutzbar zu machen (vgl. Birke 2008: 4).

Die AutorInnen und HerausgeberInnen sind selber Teil der Klassengesellschaft, selber lohnabhängig, ausgebeutet, >prekär<. Die eigene Situation im ökonomischen System wird aber im >politischen< Engagement zu häufig nicht behandelt. >Die Arbeiter<, >die Fabrik< oder auch >die Arbeiterklasse< werden oft als etwas Äußeres gesehen, das von einem >Wir< erst motiviert werden muss.

Gegen diese Sichtweise versteht sich dieses Buch als Sammlung von Erfahrungen, die von und für die AutorInnen selbst als Mitglieder der kapitalistischen Gesellschaft anwendbar sind (oder sein könnten). In diesem Sinne habe ich mich bemüht, möglichst vielfältige Erfahrungen zu sammeln. Ihr findet syndikalistische, operaistische, marxistische, allgemein gewerkschaftliche Positionen und solche, die sich gar nicht zuordnen lassen. Die AutorInnen sind Mitglieder verschiedenster Gewerkschaften oder auch gar keiner. Wenn wir in dieser Zusammensetzung der Beiträge und AutorInnen Erfahrungen an Rahmenbedingungen koppeln und sie verschieden interpretieren lassen, dann tun wir das, um Konsequenzen für unser aller Handeln zu ziehen.

Diese gewünschte und auszuhaltende Heterogenität ist dem Buch anzumerken: Einig sind sich die AutorInnen in der Gewichtung der Streiks für die Streikenden selber, einig auch darin, dass die existierende Gewerkschaftsstruktur der Notwendigkeit der Streiks nicht adäquat ist. Aber schon hier findet sich erster Diskussionsbedarf: Die Frage, ob die Konsequenz daraus eine Reform der bestehenden Gewerkschaften, der Aufbau einer radikal anderen Gewerkschaftsstruktur und eigener Gewerkschaften oder aber der Verzicht auf Gewerkschaften ist, bleibt ungeklärt, diese strategische Diskussion ist m. E. noch zu führen, und auch dazu möchte das vorliegende Buch beitragen.

In den 1970er und 80er Jahren sind >Linke< aus verschiedensten Zusammenhängen oftmals zu Streiks gezogen, um diesen ihren Stempel aufzudrücken. Heute kommen wir als vom selben System Ausgebeutete. »Ihr Kampf ist unser Kampf« - eine Parole, die von deutschen ArbeiterInnen in Bezug auf die sogenannten >Ausländerstreiks< der frühen 1970er Jahre formuliert wurde, gilt für uns - wobei die Unterscheidung zwischen >ihnen< und >uns< es nicht trifft.

Danksagung

An dieser Stelle will ich Peter Birke, Helge Döhring, Wolfgang Feikert, Michael Halfbrodt und Sara Lohoff (die außerdem den Titel gestaltet hat) danken, die historische Beiträge geschrieben oder zur Verfügung gestellt haben, die leider nicht erschienen sind, weil wir schweren Herzens aus Platzgründen - also aus ökonomischen Gründen - auf den historischen Teil verzichten mussten. Achtet auf ein evtl. Nachfolgeprojekt zur Geschichte des Streiks, das - wenn es nach uns geht - unbedingt erscheinen wird!

Bedanken möchte ich mich zweitens bei allen weiteren AutorInnen, weil sie nicht nur in der Ablieferung ihrer Texte sehr zuverlässig waren, sondern Arbeiten übernommen haben, die in den Rahmen der HerausgeberInnenschaft fallen. Sowohl die erst genannten HistorikerInnen wie auch die AutorInnen haben einen wesentlichen Teil an Korrekturen übernommen und jederzeit intensiv mit uns Inhalte und Vorgehensweise diskutiert.

Jens Kastner ist als Herausgeber der Zeitschrift bild.punkte daran Schuld, dass aus einem kurzen Aufsatz ein Buch geworden ist, Christoph Haug, Rudi Maier und Berit Schröder haben dazu beigetragen, dass das Projekt an Kontur gewann.

Die FAU - insbesondere Mitglieder der Lokalföderationen Bremen, Bielefeld, Hamburg, Münster und Moers - haben die Entstehung dieses Buches sehr kritisc


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