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Updated: 18.12.2012 15:51
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Gewerkschaften und Arbeitsbeziehungen in Europa

Liebe Kolleginnen und Kollegen !

Der Arbeitskreis "Kultur & Politik" (AK) ist ein Zusammenschluss von 5 bis 6 ver.di - Mitgliedern, die Interesse an gewerkschaftlicher Politik über die Gremien und Fachgruppenarbeit hinaus haben. Alle Mitglieder sind aus der Region Offenbach.

Eine erste erfolgreiche Aktion des Arbeitskreises war die Veranstaltung am 17. Oktober 2002 zur "Zukunft der Arbeit - Zukunft der Politik" im Stadtverordnetensitzungssaal des Offenbacher Rathauses.

Themenschwerpunkte des AK waren und sind. Mindestlohn, Lebensarbeitszeit, Privatisierung, und gewerkschaftliche Strategien. Die inhaltliche Arbeit wurde immer mit der Fragestellung gewerkschaftlicher Handlungsmöglichkeit verknüpft. Ausgehend von Fragestellungen zur Zukunft der gewerkschaftspolitischen und tarifpolitischen Arbeit von ver,di und der Gewerkschaften insgesamt und weiter angeregt durch eine Diskussionsveranstaltung des Landesfachbereiches 07 Gemeinden Anfang 2005 zum gleichen Themenkomplex (mit Werner Sauerborn und Frank Steibli als Referenten) hat sich der AK seitdem verstärkt um die gewerkschaftliche Arbeit in den europäischen Mitgliedstaaten der EU gekümmert. Anhand von spärlichem Material zur Gewerkschaftsarbeit und dem Kollektivrecht in den einzelnen Mitgliedstaaten versuchten wir Erkenntnisse zu sammeln die für unsere Strategien und Perspektiven von Bedeutung sein können. Ein Ergebnis wie: "machen wir es wie die Franzosen" etc, war nicht zu erwarten. Dennoch führte die ausführliche Beschäftigung zur Ernüchterung und zurück zu unseren eigenen Organisation und den Perspektiven gewerkschaftlichen Handelns vor Ort. Der nachfolgende Text soll unseren Stand der Diskussion wiedergeben Anregung und Aufregung sein, damit wir weiter arbeiten und streiten können.

Die Betrachtung der Gewerkschaftsbewegungen verschiedener europäischer Länder hat ergeben, dass die verschiedenen nationalen Rahmenbedingungen historischer, industrieller, wirtschaftlicher bzw. rechtlicher Art sehr verschiedene Arten von Gewerkschafts-, Tarif- und Mitbestimmungspolitiken dieser Länder bedingen.

Zwar haben die Gewerkschaften der verschiedenen Länder gemeinsam, dass sie sich in der Defensive befinden, weil sie alle durch die europäische sowie die jeweils nationalen Politiken der Deregulierung, Liberalisierung, Privatisierung, der Dominanz des Shareholder Value, der restriktiven Haushalts- und Geldpolitik und des Standortwettbewerbs betroffen sind.

Der abstrakten Einsicht, dass die Europäisierung der Tarif- und Mitbestimmungspolitik ein Weg darstellt die eigene strategische Situation entscheidend zu verbessern stehen mehrer Umstände entgegen, die diesen Weg nur sehr eingeschränkt begehbar machen: Das Arbeits- und Sozialrecht steht in der EU unter dem subsidiären Vorbehalt des jeweils nationalen Rechts. Das EU-Recht bietet dagegen nur geringe Möglichkeiten die gewerkschaftlichen Handlungsspielräume auf europäischer Ebene durchschlagsfähiger zu machen: Der Soziale Dialog ist rein konsensorientiert; europäische Betriebsräte haben lediglich Informationsrechte und befördern bei großen Konzernen angesichts des Fehlens einer handlungsfähigen tarifpolitischen Handlungsebene in Europa mitunter *betriebssyndikalistische" Tendenzen; die europäische Tarifpolitik beschränkt sich umständehalber auf erste Ansätze der Koordination der Tarifpolitik bestimmter Länder und Branchen.

Folglich findet Gewerkschaftspolitik immer noch vornehmlich im nationalen Rahmen statt. Ansätze europäischer regionaler, grenzüberschreitender Politiken sind - im Gegensatz zur Raum- und Verkehrspolitik - im Hinblick auf Sozial- und Tarifpolitik nur rudimentär entwickelt (vgl. z.B. Ansätze in der Region Saar/Lor/Lux). Angesichts der enormen Hürden ist derzeit nicht zu erwarten, dass dies sich auf absehbare Zeit ändern könnte.

Insbesondere die deutschen Gewerkschaften müssen ihre ausgeprägte Institutionalisierung als trügerische Chance erleben, die ihnen nicht nur ihre Existenz sondern auch ein Mindestmaß an Macht, Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten garantiert. Trügerisch weil sie traditionell Ordnungsfaktor und Gegenmacht zugleich sind. Über allem anderen dem sozialen Frieden verpflichtet, vertreten und repräsentieren sie nicht nur die Mitgliederinteressen sondern sind gleichzeitig Makler und Moderator zwischen ihren Mitgliedern wie zwischen Arbeitgebern und Politik. In Zeiten eines verschärften Klassenkampfes von oben bedeutet diese Rolle eben nicht die durchgängige Organisation entschiedenen Widerstandes. Vielmehr besteht die Taktik in der Moderation zwischen Mitgliederinteressen und Arbeitgeberforderungen. Im Interesse der Ersteren werden gewisse Grausamkeiten verhindert, hinausgeschoben oder gemildert. Nur um dies zu erreichen werden gelegentlich auch die Mitglieder mobilisiert. Allerdings führt diese Taktik zu einem zunehmenden Glaubwürdigkeitsverlust beim eigenen Klientel. Insoweit trägt diese Taktik ganz entscheidend mit dazu bei Mitgliederverluste nicht zu verhindern; im Gegenteil sie versperrt auch den Weg durch Mobilisierung diesen zu stoppen und den Trend umzukehren.

Gewerkschaften, insbesondere ihre Spitzenfunktionäre, aber auch Betriebs- und Personalräte werden deshalb oft nicht zu unrecht als kaum abgrenzbaren Teil des politischen Establishments wahrgenommen und leiden infolgedessen unter der verbreiteten (Politik) Verdrossenheit an der herrschenden Politik.

Deshalb ist zu befürchten, dass der Trend von Mitglieder- und Einflussverlusten bis zur Gefährdung der Existenz immer weiter fort schreitet. Die überwiegend sozialdemokratisch geprägte Schicht der gewerkschaftlichen Spitzenfunktionäre und hauptamtlichen Sekretäre scheint weder in der Lage noch wirklich Willens zu sein, diese Entwicklung und ihre aktuelle Rolle darin kritisch zu überdenken und ernsthaft nach Alternativen dazu zu suchen. Dies ist übrigens ein Grund dafür, dass elitäre Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (z.B. Ärzte, Piloten, Fluglotsen, Ingenieure) sich von den Einheitsgewerkschaften lossagen um in eigenen Kleingewerkschaften ihre Interessen "effektiver" zu vertreten. Anderen Gruppierungen von Beschäftigten mögen hierfür die Voraussetzungen fehlen. Die individuelle Abwendung dieser Beschäftigten ist deshalb nicht weniger (effektiv) bemerkenswert, wenn auch nicht so spektakulär.

Eine Alternative dieser Krise quasi von unten zu begegnen, könnte in der Schaffung von Netzwerken der Kritik, des Widerstandes und der Solidarität bestehen, die vor Ort, in den Betrieben, innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften beginnen für eine andere Art der Interessenvertretung zu mobilisieren, indem sie einfach damit beginnen. Auch damit beginnen, ausgetragene Konflikte zu unterstützen, die Betroffenen in ihrer Auseinandersetzung nicht allein zu lassen, die Auseinandersetzung möglichst zum (wenn vielleicht auch nur begrenzten) Erfolg zu führen und langfristig zu stabilisieren.

Arbeitskreis Politik und Kultur
Offenbach, 02.05.2006


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