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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Unser soziales Europa ? Die meisten Versuche, eine Art Aufbruchstimmung zur europäischen
Einigung entweder zu erzeugen, oder doch wenigstens zu simulieren, sind
aufgegeben worden: 1.Kurze Bemerkungen zur Vorgeschichte und Verlauf der Osterweiterung Was nun am 1.Mai 2004 vollzogen wird, der Beitritt 10 weiterer Staaten, wovon 7 ehemals im Mitglieder des "Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe" und einer Bestandteil Exjugoslawiens waren, war beispielsweise Ungarn einst bereits für 1996 "versprochen" worden. Hannes Hofbauer fasst in seinem Beitrag "Peripherisierung"
Der von den bürgerlichen Analysten ausgemachte Reformstau
ist immer wieder zentrales Thema sowohl der Verschiebungen der Beitrittsdaten
gewesen, als er auch heute herangezogen wird, die nächsten Massnahmen
vorzuschlagen.
Noch am 28.April 2004 schreibt Tobias Daniel in einem für
das Portal "europa-digital.de" verfassten Beitrag
"Von
Reformstau und Minderheitenproblemen" Eine Bilanz des Prozesses seit dem Zerfall des RGW zieht
Michael Dauderstädt in einem Beitrag für "Euro-Kolleg Online" bei der
Friedrich Ebert Stiftung
"Europas Schwieriger Osten: Konkurrent oder Armenhaus" Noch einmal Hannes Hofbauer im oben bereits zitierten Beitrag: "Vielsagender als solche Momentaufnahmen ist der soziale Prozeß, wie er sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren entwickelt hat. Der Wegfall staatlich verordneter und betrieblich verankerter sozialer Sicherheiten ging in allen osteuropäischen Ländern mit einer - für Friedenszeiten - unvergleichbaren Schnelligkeit vor sich. Entsolidarisierungen großen Ausmaßes waren die Folge. Der Wegfall betrieblicher und staatlicher Vorsorge, die Einstellung von Subventionen der unterschiedlichsten Art - von der Energie, dem öffentlichen Verkehr über das Wohnen bis zu den Grundnahrungsmitteln - sowie Deindustrialisierung, Privatisierung und anschließende betriebliche Rationalisierungen haben zu einer enormen sozialen Deregulierung geführt. Diese ist statistisch schwer faßbar, doch jedem leicht zugänglich, der einen Blick auf Regionen außerhalb der wenigen neuen Wachstumspole in Osteuropa wirft. Wer ins polnische Niederschlesien nach Walbrych, ins oberschlesische Katowice, ins ungarische Tatabanya oder in die Mittelslowakei nach Martin reist, der braucht keinen wissenschaftlichen Beweis für die soziale Entrechtung, die sich der dort lebenden Menschen bemächtigt hat." 2.Ein Europa. Ein Problem: Kapitalismus Dass die Entwicklung je nach Bedarf für die je eigene Argumentation
eingesetzt wird, ist auch in der Diskussion um die EU Ostererweiterung
Fakt. Legen die einen mehr Gewicht auf die Übernahme von produktiven Einheiten
durch (meist) westliche Unternehmen, so haben andere den Schwerpunkt ihrer
Analyse im vorherigen Niedergang der "Planwirtschaft". Wobei die Zwänge
von denen oft die Rede ist, durchaus auch sehr konkrete politische Forderungen
waren. So schreibt Klaus-Peter Schmid in einem Beitrag für die "Zeit"
vom 11.März 2004
"Aufbruch im Osten" Die Entwicklung bundesdeutscher Investitionsstrategien -
zumindest grosser Unternehmen - beurteilt Dr. Rudolf Welzmüller in der
Broschüre
EU - Osterweiterung" Was dies für die soziale Lage der meisten Menschen in den Beitrittsländern bedeutet fasst wiederum Hannes Hofbauer (siehe oben) so zusammen: "Mehr noch als die Arbeitslosenzahlen gibt die Beschäftigungsstatistik Auskunft über die Verlierer der Wende. Gleichsam als Voraussetzung für ausländisches Investment und Privatisierung ist in allen EU-Beitrittsländern ein Arbeitsmarkt geschaffen worden, der die kommunistischen Beschäftigungsverhältnisse auf den Kopf gestellt hat. Vor allem Frauen, unter den KP-Arbeitszwangsregimen in aller Regel auch Lohnarbeiterinnen, sind an den Herd zurückgedrängt worden; ältere Arbeiter, Roma und andere soziale Randschichten gingen im großen Stil der Möglichkeit verlustig, einen bezahlten Arbeitsplatz zu erhalten. So verloren in Ungarn von 5,3 Millionen Menschen, die 1990 beschäftigt waren, bis zum Jahr 2002 1,4 Millionen ihren Arbeitsplatz, das sind 26 Prozent aller Lohnabhängigen; in Tschechien beträgt der Rückgang in der Beschäftigungsstatistik zehn Prozent (500 000 Tausend), in Polen 7,5 Prozent (1,2 Millionen). Einzig Slowenien konnte seinen Beschäftigtenstand fast halten. Bildung und Gesundheitsvorsorge haben sich parallel zur fortgesetzten Peripherisierung der Ostregion verschlechtert. In den Ex-RGW-Ländern hat sich die Anzahl der Grundschulgänger teilweise drastisch reduziert. Gingen beispielsweise in Polen im Jahr 1990 von 10 000 Einwohnern 1 380 in die Grundschule, waren es zehn Jahre später nur noch 833. In Ungarn verringerte sich der Plichtschüleranteil an der Bevölkerung von 1 092 (bei 10 000 Einwohnern) auf 957, in der Slowakei von 1 362 auf 1 245. Die Gründe dafür sind vielfältig und haben oft mit dem vorzeitigen Abbruch der Schule zu tun, der vor allem in Polen häufig ist." Kapitallogischerweise hatten und haben solche Prozesse auch ihre Entsprechungen in den traditionellen EU Staaten, insbesondere jenen mit relativ hohen Arbeitskosten, wie etwa Deutschland. Bereits 1998 schrieb Georg Worthman in "Der Bauarbeitsmarkt unter Veränderungsdruck: Kontrolldefizit in Folge der Transnationalisierung". (In: Institut Arbeit und Technik: Jahrbuch 1997/98. Gelsenkirchen, S. 70-85) folgende generelle Einschätzung, der zuzustimmen ist, auch wenn die Überwachungsstaatslösung nicht geteilt wird : "Die gegenwärtig stattfindende Entsendung von Arbeitskräften betrifft vor allem die Baubranche. Die dortigen Produktionsbedingungen unterscheiden sich in einem wesentlichen Merkmal von den Bedingungen anderer Branchen: Die Ortsgebundenheit der Produktion. Die z.B. in der Automobilindustrie häufig praktizierte Auslagerung der Produktion in ausländische Produktionsstätten mit niedrigerem Lohnniveau ist in der Baubranche nicht möglich, da die Bauproduktion an den Ort der späteren Nutzung des Produktes gebunden ist. Produktionsmittel und insbesondere Personal sind jedoch mobil und können - auch aus dem Ausland - an den Ort der Produktion gebracht werden. Auf diese Weise können u.a. die niedrigeren Lohnkosten vom ausländischen Unternehmen als Wettbewerbsvorteil genutzt werden. Die Entsendung von ausländischen Arbeitnehmern stellt demzufolge ein Pendant zur Auslagerung der Produktion in anderen Branchen dar". Und demzufolge, in umgekehrter Richtung bei der Automobilindustrie,
zusammengefasst beispielsweise in einem redaktionellen Beitrag der "Tagesschau"
mit letztmaligem Update 28.April 2004
"Automobil-Industrie: Chancen und Risiken in Osteuropa" Die bereits angeführte IG Metall Broschüre fasst dies so
zusammen: "Automobilindustrie in den Beitrittsländern Was auch für andere Staaten und andere Branchen zutrifft.
"Spediteure:
Große Chancen in den neuen EU-Ländern" 3.Polen im Mittelpunkt - zumindest für Deutschland Das geht einerseits aus den Berichten und Schwerpunkten
der Medien ganz allgemein hervor, die bereits zitierte IG Metall Broschüre
führt dazu zahlreiche Daten an (Seite 20 vor allem). Resultat der Kombination
aus Grösse und wirtschaftlichem Potenzial. Eben aufgrund seiner Grösse
und der Geschichte nimmt polen dabei, zumindest in der deutschen Wahrnehmungssteuerung
eine nochmals besondere Rolle ein. Schliesslich ist Polen nicht nur traditionell
das Land mit der höchsten Arbeitsemigration - es waren nicht nur die Zechen
an der Ruhr, sondern auch jene etwa in Nordfrankreich die vor allem auf
der Basis polnischer Migranten funktionierten - weshalb es auch immer
schon eine (oft gewollte) Reduzierung des Blickwinkels bedeutet von Zuwanderung
in Deutschland etwa erst ab 1960 zu reden. Polen stellt auch heute mehr
als die Hälfte der Einwohnerzahl aller 10 Beitrittsstaaten. "Der wilde
Osten" ist ein politisches Produkt der Deregulierung, die Julian Auleytner
und Miroslaw Grewinski in ihrem Beitrag "Die soziale Lage von Arbeitnehmern
in ausländischen Firmen (am Beispiel von Supermärkten in Polen)" in "Die
soziale Gestaltung der Osterweiterung der EU - Zur Verantwortung von EU,
Staaten und Zivilgesellschaft" (Dokumentation einer Tagung an der Evangelischen
Akademie Mülheim 2001) so zusammenfassen: "Das Ausmaß und die Art der
Regelwidrigkeiten in vielen Supermärkten, die oft zu westlichen Konzernen
und Ketten gehören, ist so groß, dass die staatliche Arbeitsinspektion
und das Arbeitsamt eine Initiative vorgeschlagen haben, dass man die Vorschriften
der Beschäftigungsgesetze und die Arbeitslosigkeitsbekämpfung im Bereich
der nicht erteilten und zurückgenommenen Einverständnisse und die Führung
von wirtschaftlicher Tätigkeit für Ausländer, die krass und oft die Gesetze
brechen, ändern sollte." Nun sind Regierungen und Behörden sowohl Polens
als auch der beiden anderen Staaten beileibe nicht als Gegner des Kapitalismus
bekannt - im Gegenteil. In Tschechien mehr noch als in Polen wurde noch
jede Regierung an ihren Versprechen gemessen - und abgewählt (in Tschechien
immer, in Polen oft, ebenso in Ungarn). wenn also bereits diese Behörden
Vorschläge zur Eindämmung machen, ist leicht vorstellbar, wie die Zustände
sein müssen. In dem Überblick von Julian Auleytner und Miroslaw Grewinski
wird auch jene berüchtigte Sendung von TV Polonia zitiert, in der Kassiererinnen
sich über die Regelung "ein Toilettengang pro Schicht" ausliessen - dass
viele eben mit Windeln an der Kasse sitzen. Auch die nicht eben kritische
"Warsaw School of Economics" führte im Mai 2003 eine Erhebung über irreguläre
Bedingungen in Privatunternehmen durch und kam zu folgenden Ergebnissen:
"Notably, many employers, especially in the private sector, pay wages
to their employees only on an irregular basis - for example, unpaid back
wages was the main cause of a major strike in the clothing industry in
2002 (at the Odra plant in Szczecin). Furthermore, it is relatively common
for employers not to pay the full obligatory social security contributions
to the Social Insurance Institution" - was bedeutet, dass 9% aller noch
Beschäftigten ihre löhne verspätet bekommen und 17% bei den Sozialabgaben
betrogen werden.
"Unfair employer practices examined" Polen ist, nachdem der Grossteil des massiven Privatisierungsprogramms
realisiert ist, das Beitrittsland mit der höchsten Erwerbslosenquote:
sie schwankt offiziell um die 20%. Nachdem Anfang der 90er Jahre die Gewerkschaftsbewegung
- dominiert von der "Regierungsgewerkschaft" Solidarnosc - aktiver Träger
des Privatisierungsprogramms gewesen war, hat sich dies erst in den letzten
Jahren etwas verändert. Notgedrungen auch, denn etwa die groben Zahlen
des "european industrial relations observatory" zeigen, dass Polen mit
18% den niedrigsten gewerkschaftlichen Organisationsgrad aller Beitrittsländer
hat: 40% in der Slowakei und je ca 33% in Ungarn und Tschechien. Aus
Problems facing the trade union movement analysed" Die beiden grossen Gewerkschaftszentralen NSZZ Solidarnosc und die OPZZ (die sich etwa gegen die polnische Beteiligung am Irak-Krieg wandte) haben dabei - entgegen dem Trend unter der Militärregierung Jaruzelski in den 80er Jahren - etwa gleichviele Mitglieder. 2002 entstand mit der FZZ "Trade Unions Forum" eine dritte Föderation (vor allem durch Verlassen des OPZZ), die mit über 300.000 Mitgliedern ebenfalls die Voraussetzung erfüllte, an der "Nationalen dreiseitigen Komission" teilnehmen zu dürfen - bevor die neue Zulassungsbestimmung verabschiedet wurde, hatten 7 verschiedene Gewerkschaftsorganisationen an dieser Institution der Sozialpartnerschaft teilgenommen. Insgesamt haben die beiden grossen Zentralen das Problem,
dass sie - entsprechend ihrer Politik - je mit der konservativen bzw neuen
sozialdemokratischen Regierungen identifiziert wurden und somit auch deren
Popularitätsveränderungen ausgesetzt waren. Und dementsprechend arbeiteten
sie lange Zeit auch prinzipiell gegeneinander.
"MANIFESTATION OF HEALTH CARE EMPLOYEES WHICH HAS BEEN TRANSFORMED INTO
THE FIRST INTER-UNION PROTEST" "Die Mehrzahl der etwa 80 Teilnehmenden, die sich im Kulturhaus von Miastko einfinden, ist erwerbslos. In diesem Teil Polens beträgt die Arbeitslosenquote 36%,in Masuren sogar 57%; landesweit offiziell 17,6%. Die anwesenden Männer und Frauen, mehrheitlich im mittleren Alter, waren vor der Wende meist auf den großen Staatsfarmen und in der angegliederten Nahrungsmittelindustrie beschäftigt. Ihre Geschichte ähnelt fatal der Ostdeutschlands. Überall trifft man auf Industriebrachen; gerade die gutlaufenden, produktiven Betriebe wurden dicht gemacht, nur wenige von ausländischen Besitzern übernommen. Miastko war einmal ein bedeutendes Lederzentrum, in dem3-4.000 Menschen Arbeit fanden; die besseren Zeiten sieht man der Kleinstadt an. Heute ist das Unternehmen in italienischem Besitz und zählt gerade noch 200 Beschäftigte". So schreibt Angela Klein im "ATTAC - EU - Newsletter" Nr 3 in ihrem Bericht "Reise nach Kaschubien" von der Gründung des pommerschen Sozialforums. Ein Bericht, der nicht nur deutlich macht, wie es in Polen - wie in den anderen Beitrittsländern auch - nochmal ein inneres Gefälle gibt, sondern in dem auch erstmals vertreter der Gewerkschaftszentrale OPZZ an einem solchen Forum teilnehmen. 4.Ungarn mit Vorsprung Auch in Ungarn sind in den letzten Jahren zahlreiche Gesetzesänderungen
vor allem im Arbeitsbereich auf Anforderungsdruck vorgenommen worden -
die jedoch wie in Polen, nur nachvollzogen, was etwa juristisch bereits
etabliert war. Der Bericht vom european industrial relations observatory
on-line
"New legislation on fixed-term and part-time work in force" Auch in anderen Bereichen hatte Ungarn weniger zu reformieren, als andere ehemalige RGW Staaten: Das Monopol der Zentralbank etwa war schon Mitte der 80er Jahre aufgehoben worden, was die Etablierung einer sogenannten Finanzwirtschaft einleitete. Der grösste Gewerkschaftsverband MSZOSZ hat, wie alle anderen
grösseren Gewerkschaften der Beitrittsländer im Prinzip auch, eine positive
Haltung zur EU, wie auch im Mai 2000 im Dokument
"Civil Country Report - or a view from below" 5.Abschliessendes zu Migrantinnen und Gewerkschaften Länder wie Ungarn und Tschechien werden in der hysterisch
angeheizten Migrationsdebatte kaum erwähnt. Die - zumindest in Kernzonen
- vorhandenen industriellen Traditionen inklusive qualifizierter "Arbeitskräfte"
lassen da eher Verlagerungsszenarien aufkommen. Aber dennoch müssen
sie mindestens die Aussengrenzen "sichern". Andreas Dietl schreibt
in seinem Beitrag
"Willkommen im Club" Wie in Deutschland auch, haben sich die Gewerkschaften diverser
Beitrittsländer voll zu einer Politik der Verhinderung von freiem Zugang
gewandt - erst recht natürlich an den "Aussengrenzen der Gemeinschaft",
mit derselben Argumentation: Dies sei nötig wegen der Gefahr des "Sozialdumpings".
Ein Beitrag von Renate Krauß-Pötz bereits in der Nummer 10 von 1998
"Gewerkschaftsarbeit im Postsozialismus - Schlaglichter von einem Besuch
der Öffentlichen Dienst-Gewerkschaften in der Tschechischen und der Slowaksichen
Republik" Dass schliesslich der Schwerpunkt von Gewerkschaftsarbeit
darin bestehen wird, das "deutsche Modell" zu exportieren wird auch aus
dem Überblick
"Die EU wird größer - was bedeutet das für den EBR?" |