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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Kommt gute Arbeit unter die Räder? Hermann Kocyba* zum »Mehrwert der Wertedebatte« Tritt Arbeitsplatzsicherheit gerade in der Krise an die Stelle inhaltlicher Ansprüche an die eigene Arbeit? Geht also Sicherheit vor Selbstverwirklichung? Ist »gute Arbeit« unabhängig von einem »guten Leben« bestimmbar? Ist für die Verwirklichung des guten Lebens der Staat zuständig, und muss die gute Arbeit sich entsprechend auf die Ökonomie beschränken? Lässt sich »gute Arbeit« überhaupt definieren und objektiv messen, oder wird das »Gute« nicht erst in der Auseinandersetzung damit, was abgelehnt, abgewehrt und wogegen gekämpft wird, deutlich? Wir dokumentieren im Folgenden Anmerkungen von Hermann Kocyba zum IGM-Konzept »Gute Arbeit« und zu einigen jüngeren Veröffentlichungen zu diesem Thema. Trotz der öffentlichen Resonanz des Themas »Gute Arbeit« schieben sich vor dem Hintergrund der »realwirtschaftlichen Auswirkungen der Finanzkrise« derzeit wieder die Themen Kostenreduktion und Standortsicherung in den Vordergrund. Handelt es sich nicht um ein typisches »Schönwetterthema« – so fragt beispielsweise Klaus Pickshaus (Sozialismus 4/2009) –, das angesichts der rauen Wirklichkeit der Krise jetzt in die Defensive gerät und möglicherweise zu Recht in den Hintergrund zu treten hat? Macht das »Durchschlagen« der Krise auf den Arbeitsmarkt Kampagnen wie »Meine Zeit ist mein Leben«, »Besser statt billiger« bis hin zu »Gemeinsam für ein gutes Leben« zu Makulatur? »Gutes Leben gleich sicherer Job«, so resümiert Henrike Rossbach in der FAZ vom 4. Juli 2009 die Ergebnisse einer im April 2009 gestarteten Befragungsaktion der IG Metall (siehe auch www.gutes-leben.de; dort kann die Broschüre »So wollen wir leben!« herunter geladen werden): »Ein gutes Leben – das bedeutet für die Deutschen offenbar vor allem ein Leben in wirtschaftlicher Sicherheit. Die größte deutsche Gewerkschaft, die IG Metall, hat von April bis Juni Arbeitnehmer, aber auch Rentner, Arbeitslose, Studenten, Schüler, Selbständige und Auszubildende gefragt, was sie von einem guten Leben erwarten. 450000 haben sich beteiligt – in den Unternehmen, auf der Straße und im Internet. Das Ergebnis, das die Gewerkschaft am Freitag in Berlin vorstellte, offenbart, dass sich die Menschen vor allem nach Sicherheit sehnen, in all ihren Facetten. Fast neun von zehn Befragten sagen, ihnen sei es sehr wichtig, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben. Einen höheren Wert erzielt keine andere Aussage in der Umfrage. 83 Prozent legen besonderen Wert darauf, mit ihrer Rente im Alter gut auszukommen; knapp 80 Prozent wollen unbedingt abgesichert sein, um ihre Zukunft planen zu können und verlangen vom Staat eine Absicherung für den Fall, dass sie arbeitslos oder krank werden. Dass die Arbeit auch Spaß macht, fanden nur zwei Drittel der Befragten ›sehr wichtig‹. Selbst Schüler und Studenten – auch wenn ihr Anteil an allen Befragten mit 2,6 Prozent eher gering war – ziehen die Sicherheit der Freude am Job scheinbar vor: Nur knapp 64 Prozent der befragten Schüler und Studenten finden den Spaß an der Arbeit sehr wichtig, die sichere Stelle schätzen dagegen fast 77 Prozent. Auch gerechte Bildungschancen liegen den Menschen der Umfrage zufolge weniger stark am Herzen als die Arbeitsplatzsicherheit.« (Rossbach, a.a.O.) Vor dem Hintergrund der Krise bedeutet, so lässt sich der Zusammenfassung der FAZ entnehmen, gutes Leben anscheinend eher sichere Arbeitsplätze als gute Arbeit im Sinne sinnvoller und befriedigender Arbeit. Sicherheit geht vor Selbstverwirklichung; die Arbeitnehmer, die Angst um ihren Arbeitsplatz verspüren, sind, wie die Ökonomie schon seit Längerem kopfschüttelnd feststellt, »risikoavers«. Diese Präferenz für Sicherheit und Kalkulierbarkeit der beruflichen Existenz steht der ja nicht nur im Wirtschaftsteil der FAZ geforderten Bereitschaft zu Flexibilisierung des Arbeitseinsatzes und zur Deregulierung der Arbeitsmärkte im Wege. Allerdings übersehen die Kommentatoren bei ihrer Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsschelte, dass die Unternehmen gerade von der »Risikoaversion« der Belegschaften profitieren, da diese die Beschäftigten ja sowohl bei Entgeltfragen als auch beim Thema Arbeitsgestaltung erpressbar macht. Das Ergebnis, dass für die Mehrzahl der Arbeitnehmer Beschäftigungssicherheit vor der Selbstverwirklichung in der Arbeit kommt, ist nicht wirklich überraschend. Sie ist auch kein Resultat der aktuellen Krise. Bereits eine von Tatjana Fuchs 2004 durchgeführte Untersuchung zum Thema »Was ist gute Arbeit? – Anforderungen aus der Sicht von Erwerbstätigen« (in: Borchers/ Pape 2009, S. 33-57) platziert an erster Stelle ein »festes, verlässliches Einkommen« (92 Prozent der Befragten), gefolgt von »Sicherheit des Arbeitsplatzes« (88 Prozent). An dritter und vierter Stelle standen damals allerdings bereits die Forderungen »Arbeit soll Spaß machen« (85 Prozent) und »Behandlung als ›Mensch‹ durch Vorgesetzte« (84 Prozent). Sie sind jetzt anscheinend in den Hintergrund getreten. Das kann natürlich auch damit zusammen hängen, dass in die aktuelle Befragung auch Schüler und Rentner einbezogen wurden, denen diese Themen noch nicht oder nicht mehr besonders wichtig sind. Es könnte allerdings auch Ausdruck davon sein, dass gerade in der Krise Probleme von Beschäftigungs- und Einkommenssicherheit andere Aspekte in den Hintergrund drängen. Und darüber hinaus kann – das lässt sich aber aus den veröffentlichten Ergebnissen nicht wirklich erkennen – die Frage nach dem guten Leben ja auch so verstanden werden, dass Arbeit nicht als Teil des guten Lebens verstanden wird, sondern als wirtschaftliche Voraussetzung eines guten Lebens außerhalb der Arbeit. Dann reduzierte sich die Auseinandersetzung im Kern auf Entgeltfragen und die Sicherung des Arbeitsplatzes, ohne dass Arbeit selbst als gute Arbeit begriffen und ihr ein Selbstentfaltungspotenzial zugesprochen würde. »Kein gutes Leben auf der Basis schlechter Arbeit« Auch wenn die Formel »Gutes Leben gleich sicherer Job« die Zusammenhänge nur verkürzt wiedergibt, die Sicherheit des Arbeitsplatzes und des Entgelts stellen entscheidende Aspekte eines umfassenden Verständnisses guter Arbeit dar. Martin Allespach, Dieter Staadt und Lothar Wenzel betonen in einem programmatischen Artikel gegen die sozial entleerte Freiheitsrhetorik der Neoliberalen: »Wer jeden Tag ums Überleben kämpfen muss, kann nicht frei sein. Freiheit erfordert materielle Sicherheit, Planbarkeit des Lebens, genügend Zeit, über die man selbst verfügt, gute Arbeit, Bildungschancen, Mitbestimmung und vieles mehr.« (»Vom Mehrwert der Wertedebatte«, in: Sozialismus 3/2009). Materielle Sicherheit und Planbarkeit des Lebens allein reichen als Grundlage guten Lebens nicht aus. Es gibt, so könnte man einen bekannten Satz abwandeln, kein gutes Leben auf der Basis schlechter Arbeit. Gute Arbeit umfasst aus der Sicht der Befragten auch die vorhandenen Handlungsspielräume: die Möglichkeit, kreative Fähigkeiten in die Arbeit einzubringen, eigene Fähigkeiten weiter entwickeln zu können, die für immerhin gut zwei Drittel der Befragten wichtig sind (Fuchs 2000, S. 39); die Beschäftigten wollen auf die eigene Arbeit stolz sein können (73 Prozent); ebenso viele fordern »Arbeit soll als sinnvoll empfunden werden«; nur unwesentlich seltener wird der Wunsch nach Anerkennung durch Vorgesetzte genannt (66 Prozent) und nach kollegialen Beziehungen am Arbeitsplatz. Ein entscheidender Punkt ist weiterhin die Achtung bzw. der Schutz der Gesundheit am Arbeitsplatz. Auch wenn angesichts der Wirtschaftslage Fragen der sozialen Sicherheit im Vordergrund stehen, gibt es keine Hinweise darauf, dass die Parole nunmehr »sichere statt guter Arbeit« lauten würde. In einer Situation, in der viele auf dem Markt weder gute Arbeit – hier im Sinne von Mitgestaltungsmöglichkeiten verstanden, noch sichere Arbeit finden, sondern froh sein müssen, wenn sie schlecht bezahlte, unsichere und mit wenig Gestaltungsspielräumen versehene Tätigkeiten ausüben dürfen, ist die Sicherheit des Beschäftigungsverhältnisses eine entscheidende Komponente guter Arbeit. Das Konzept »guter Arbeit« verknüpft unterschiedliche Bewertungsdimensionen und stellt insofern keine Gegenposition zu tarifpolitischen Forderungen dar. Kritisch gilt es allerdings festzuhalten, dass immer wieder auch tarifvertragliche Regelungen dazu beigetragen haben, Formen »schlechter Arbeit« gesellschaftlich zu zementieren. Hierzu gehört die Idee, sich gesundheitliche Belastungen und Gefährdungen bei bestimmten Tätigkeiten durch entsprechende Zuschläge »abkaufen« zu lassen. Dies geht in aller Regel langfristig zu Lasten der Beschäftigten. Gute Arbeit umfasst die Forderung nach einem gerechten und ausreichenden Einkommen, nach einem dauerhaften Arbeitsplatz, nach Schutz vor Leistungsüberforderung und Fehlbeanspruchung, nach Arbeit, die Freude macht und als Bewährung und Bestätigung erfahren werden kann, die ohne gesundheitliche Probleme bis zur Rente ausgeübt werden kann. All dies benennt Facetten guter Arbeit, die nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, wenn man nicht den Sinn dieses Konzepts insgesamt in Frage stellen will. Oft ist es allerdings leichter, Verletzungen dieser Ansprüche zu dokumentieren, als vorab eine eindeutige Merkmalsliste zu erstellen, durch die die Definitionskriterien guter Arbeit ein für alle Mal festgelegt würden. Was wir als gute Arbeit betrachten, können wir vielfach erst dort klar erkennen, wo wir uns konkret gegen bestimmte Formen »schlechter Arbeit« engagieren. Das macht es indes schwierig, den »Mehrwert der Wertedebatte« ohne Bezug auf konkrete Konflikte und Auseinandersetzungen deutlich zu machen. Gegen einen durch Befragungen ermittelten Merkmalskatalog zum Thema »gute Arbeit« oder »gutes Leben« lassen sich nicht nur dann Einwände erheben, wenn einem die ganze Stoßrichtung ohnehin nicht passt. Gerade dann, wenn man die Auseinandersetzung wichtig findet, ist es entscheidend, die zugrunde liegenden Konzepte nicht einfach unbesehen aus der sozialphilosophischen Diskussion zu übernehmen. Wenn Allespach u.a. zustimmend betonen, für Aristoteles »hatte der Staat die Aufgabe, die Voraussetzungen für ein gutes Lebens zu schaffen« (a.a.O.), mit Martha Nussbaum erklären, eine »demokratische Entwicklung benötige ein zuverlässiges Angebot öffentlicher Güter« (a.a.O.) und mit Amartya Sen die Idee eines »ermöglichenden Staates« verfechten, mit der »das öffentliche Handeln in den Dienst der menschlichen Fähigkeiten gestellt wird« (a.a.O.), dann sind das ja durchaus sympathische Konzepte. Aber kommt das wirklich den »gewerkschaftlichen Zielen sehr nahe« (a.a.O.)? Ist der »Mehrwert der Wertedebatte« am Ende so zu verstehen, dass zwar der ordinäre Mehrwert in der Produktion, der Wert des »guten Lebens« aber in der Sphäre der staatlichen Ordnungssetzung erzeugt wird? Vielleicht wäre es doch wichtig, in der Wertedebatte eine Engführung zu vermeiden, die Gefahr läuft, einerseits primär die staatlichen Akteure zu Adressaten des neuen Wertediskurses zu machen und andererseits Ergebnisse der Umfrageforschung an die Stelle politisch artikulierter Auseinandersetzungen treten zu lassen. An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, von der Abstraktionshöhe des »guten Lebens« ein Stück näher an das Thema »Arbeit« zurück zu steigen. Hier erweisen sich die Beiträge in dem von Borchers und Pape herausgegebenen Band »Gute Arbeit« als interessanter Ausgangspunkt. Verlust der Maßstäbe? Dieter Sauers Beitrag »Von der ›Humanisierung der Arbeit‹ zur Debatte um ›Gute Arbeit‹. Die gesellschaftliche Diskussion um Arbeitsbedingungen« zeichnet die Vorgeschichte der aktuellen Diskussion über gute Arbeit nach und verweist auf die »verlorenen Jahre« eines »arbeitspolitischen Stillstands« und den »Prozeß gesellschaftlicher De-Thematisierung«, die eine fokussierte Auseinandersetzung mit dem Thema »Qualität der Arbeit« mehr als ein Jahrzehnt behinderten. Was ist neu an der aktuellen Diskussion? »Humanisierung der Arbeit« sollte wissenschaftliches Wissen zur menschengerechten Gestaltung von Arbeitsprozessen einsetzen. Im Idealfall ergab sich eine Win-Win-Situation, die sowohl dem Unternehmen als auch den Beschäftigten Vorteile bringen sollte, also gleichzeitig Humanisierung und Rationalisierung war. Vorrangig ging es um »die Verbesserung gesundheitsgefährdender Arbeitsbedingungen. Thema waren in erster Linie Belastungen aus schwerer körperlicher Arbeit, Umgebungsbelastungen (wie z.B. Lärm) und die negativen Auswirkungen restriktiver monotoner Arbeit«. (S. 15) Es handelte sich meist um Belastungen, die sich im Prinzip mit Hilfe objektiver Indikatoren messen lassen. Durch geeignete technische Innovationen sollten dann Beanspruchungen etwa durch Über-Kopf-Arbeiten reduziert oder beseitigt werden. Heute handele es sich dagegen verstärkt um Belastungen, die nicht einfach anhand so genannter objektiver Indikatoren wie Lärm, Hitze, Zugluft, Kontakt mit Gefahrstoffen, Muskel- und Skelettbelastungen usw. erhoben werden könnten oder für die es feststehende Grenzwerte gäbe. Sauer konstatiert einen »Verlust der Maßstäbe von Leistung« und rückt den »Paradigmenwechsel in der Arbeitspolitik«, den er im Übergang von der Programmatik einer »Humanisierung der Arbeit« hin zur Forderung nach »Guter Arbeit« ausmacht, in den Zusammenhang eines Übergangs »von objektiven zu subjektiven Bewertungen« (S. 27). Hiermit, so könnte man anfügen, ergeben sich neue Anforderungen beispielsweise an eine Gefährdungsbeurteilung, die immer weniger von der technischen Infrastruktur des Arbeitsplatzes her argumentieren kann, sondern die subjektiven Belastungserfahrungen der Beschäftigten einbeziehen muss. Die Schwierigkeiten einer »ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung« macht im gleichen Band der Beitrag von Karoline Kleinschmidt am Fall gesundheitsgefährdender Belastungen deutlich, die sich – lange Zeit unbemerkt – durch das Aufsummieren einer Vielzahl »kleiner« Belastungen ergeben. Eine Schwierigkeit, die sich aus der von Sauer konstatierten Tendenz hin zu subjektiven Bewertungen ergibt und die in einer Reihe von Beiträgen deutlich wird, ist die, dass Indices, die sich auf Befragungsdaten zu sozialen Bestimmungsgrößen der Arbeitssituation stützen, nicht dieselbe Art von Objektivität beanspruchen können, wie dies bei technischen Parametern, die aus einer sozial etablierten Expertenperspektive heraus definiert wurden, der Fall war. Ein wichtiges Problem stellt indes nicht nur die im Vergleich zu rein ergonomisch ansetzenden Belastungsstudien geringere Objektivität der erhobenen Daten dar. Das Problem der Erhebung subjektiver Daten besteht vielfach gerade darin, dass sich herkömmliche Formen der Befragung als nur teilweise geeignet erweisen. Welche Ansprüche jemand an Gerechtigkeit und Fairness in der Arbeitswelt hat und an welchen Gerechtigkeitsvorstellungen er sich dabei orientiert, wird – so lässt sich aus der Studie des französischen Soziologen Francois Dubet »Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz« (Hamburg 2008) lernen – aus Missachtungserfahrungen, aus den Reaktionen auf erfahrene Ungerechtigkeiten besser erfassbar als durch die direkte Frage nach den jeweiligen Gerechtigkeitsvorstellungen. Ähnlich könnte man vermuten, dass die Vorstellungen von guter Arbeit, die jemand wirklich vertritt, möglicherweise aus Aussagen über als skandalös empfundenen Formen schlechter Arbeit besser deutlich werden als durch direkte Fragen nach allgemeinen Definitionsmerkmalen »guter Arbeit«. Dass Erhebungsstrategien, die detaillierte Merkmalslisten durch direkt und explizit formulierte Fragen zu erheben versuchen, oftmals nur ein unvollständiges Bild ergeben, wird auch an dem für das Thema »Gute Arbeit« sehr zentralen Zusammenhang von Arbeit und gesundheitlichen Belastungen deutlich. Diesem Problem sind Stephan Voswinkel und ich in einem von der Hans-Böckler-Stiftung finanzierten Projekt zum Thema »Krankheitsverleugnung: Betriebliche Gesundheitskulturen und neue Arbeitformen« (Düsseldorf 2007) unter anderem am Fall der Gefährdungsanalysen nachgegangen. Unfassbare Verhältnisse? Gefährdungsanalysen, die am Arbeitsplatz und den Arbeitsmitteln ansetzen, laufen in der Praxis leider allzu oft Gefahr, wesentliche Faktoren, die erst im praktischen Betrieb erkennbar werden, von vornherein zu übersehen. Belastungen durch ausufernde Arbeitszeiten, durch die erzwungene Flexibilisierung der Arbeitszeiten, durch Termindruck, unklare Vorgaben, Konkurrenz unter den Beschäftigten, ineffiziente Handlungsstile, Konflikte zwischen beruflichen und familiären Beanspruchungen werden so nicht erfasst oder einfach als Zeichen für geringe Stresstoleranz einzelner MitarbeiterInnen verbucht. Die Auswirkungen reichen von Erschöpfungszuständen, Depressionen und Burn-Out-Symptomen über Herz-Kreislauf-Probleme, Magengeschwüre, chronische Rückenleiden, Hörsturz und Tinnitusleiden bis zu Diabetes, Schwächung des Immunsystems und Beeinträchtigungen des Hormonhaushalts. Sie treten in der Regel nach Belastungen und Beanspruchungen über einen längeren Zeitraum auf und variieren von Fall zu Fall erheblich. Sie ereilen nicht selten Menschen, die sich lange Zeit für unverwundbar hielten, sich nie beklagten, die plötzlich in eine Motivations- und Selbstwertkrise geraten, denen plötzlich die Identifikation mit der eigenen Arbeit zerbricht. Scheinbar ohne Vorwarnung ereilt sie der Zusammenbruch. Ein Problem, das sich hier stellt, besteht darin, dass bestimmte Belastungsformen nicht nur mit klassischen objektivistischen Verfahren, sondern auch durch die Befragung der Betroffenen nicht erfasst werden können (vgl. Hermann Kocyba, Stephan Voswinkel: Krankheitsverleugnung: Betriebliche Gesundheitskulturen und neue Arbeitsformen. Hans-Böckler-Stiftung, Arbeitspapier 150, 2007). Wir haben in diesem Zusammenhang unterschiedliche Formen der »Krankheitsverleugnung« identifiziert: Mit dem Begriff der »Krankheitsverleugnung« beziehen wir uns nicht nur auf betriebliche Strategien des sanktionierenden Umgangs mit gesundheitlichen Belastungen, die von schlichter Ignoranz (a.a.O., S. 22ff.) bis hin zur »Jagd auf Kranke« (Mag Wompel, Offenbach 1998) reichen, sondern auch auf Blockaden auf Seiten der Beschäftigten. Relativ einfach liegt das Problem im Falle des Verschweigens: Der gesundheitlich Belastete weiß um seine Krankheitssymptome, könnte auch darüber Auskunft geben, wagt jedoch nicht, dies Kollegen und/oder Vorgesetzten gegenüber zu artikulieren und sich arbeitsunfähig zu melden. Dies ist oft in der Sorge um den Arbeitsplatz, um Karrierechancen oder auch um das Ansehen als einsatz- und leistungsfähiger Mitarbeiter begründet. Komplexer ist der Fall des Ignorierens: Der Belastete fühlt die Krankheitssymptome, versucht sie jedoch zu ignorieren oder zu verharmlosen. Konsequenzen werden in die Zukunft verschoben, auf den Zeitpunkt, an dem man sich die Krankheit glaubt leisten zu können, einen Zeitpunkt, der jedoch immer wieder neu in die Zukunft verrutscht. Hier verleugnet er nicht nur anderen gegenüber, sondern verharmlost oder ignoriert auch sich selbst gegenüber. Ähnlich gelagert ist der Fall der Symptomverengung: Der Belastete reagiert zwar auf bestimmte Krankheitssymptome, meldet sich evtl. auch arbeitsunfähig, wehrt aber die Ernsthaftigkeit der Erkrankung ab. Er versucht sich baldmöglichst wieder arbeitsfähig zu verhalten, wenn die schlimmsten Symptome abgeklungen sind, ignoriert oder verweigert aber die Auseinandersetzung mit den Ursachen der Erkrankung. Schließlich treffen wir auch auf Fälle des Nicht-Wissen-Wollens: Jemand ist – für Dritte deutlich erkennbar – erkrankt, nimmt dies aber selbst nicht wahr. Von »Verleugnung« ist dann zu reden, wenn es sich nicht um ein einfaches Nicht-Bemerken handelt, sondern um die Verweigerung der Zurkenntnisnahme. Hier verleugnet der Kranke seine Krankheit sich selbst gegenüber. In all diesen Fällen sind Belastungen (und damit Hemmnisse, die der Verwirklichung von Bedingungen »Guter Arbeit« im Wege stehen) in der Regel nicht durch direkte Befragung der Beschäftigten zu erheben. (S. dazu Kasten und den weiteren Artikel)
Gute Arbeit: eine gesellschaftliche Angelegenheit Gute Arbeit meint nicht nur gute Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatz- und Entgeltsicherheit sowie gesundheitszuträgliche Arbeitsgestaltung. Es geht auch um die Chance, tatsächlich nach professionellen Kriterien gute Arbeit leisten zu können. Dies wird durch Absatzvorgaben, Renditeziele, knappe Personalbemessung usw. nur allzu häufig verunmöglicht. Gute Arbeit leisten zu dürfen ist heute keine Selbstverständlichkeit, die Beschäftigten müssen darum kämpfen, Kunden gut beraten oder eine gute Betreuung oder medizinische Versorgung leisten zu dürfen. Unter Bedingungen zu arbeiten, die systematisch mit den eigenen professionellen und professionsethischen Ansprüchen kollidieren, verunmöglicht die Art von Identifikation mit der eigenen Arbeit, die Voraussetzung guter Arbeit ist. Woran lässt sich jedoch unter Bedingungen arbeitsteiligen Wirtschaftens erkennen, dass der eigene Beitrag tatsächlich bedeutsam und als »Gute Arbeit« zu begreifen ist? Arbeit ist heute immer weniger durch ein sinnfälliges Produkt charakterisiert – dies gilt für hochgradig arbeitsteilige Fertigungs- und Montageprozesse ebenso wie für den weiten Bereich der Dienstleistungsarbeiten, die in der Regel eben nicht in ein greifbares und stapelbares Produkt münden. »Gute Arbeit« ist in der Regel nicht direkt sichtbar. Die schwindende Anschaulichkeit der Arbeit selbst und ihres Resultats wird hier zum Problem – zumindest dann, wenn wir die Vorstellung nicht aufgeben wollen, dass gute Arbeit auch sinnvolle und gesellschaftlich nützliche Arbeit meint. Woran lässt sich unter Bedingungen arbeitsteiligen Wirtschaftens erkennen, dass der eigene Beitrag tatsächlich bedeutsam ist? Der Vorschlag, die Qualität der Arbeit betriebswirtschaftlich über ihren »Wertschöpfungsbeitrag« zu bemessen, leistet nicht wirklich einen Beitrag zu einem qualitativen Verständnis guter Arbeit. »Gute Arbeit« lässt sich nicht in Kategorien des Verwertungsprozesses definieren. »Gute Arbeit« ist ein wichtiges Mobilisierungsthema nur dann, wenn es nicht bei bloßen Befragungen stehen bleibt, sondern tatsächlich Instrumente der Selbstanalyse liefert. Und so wichtig ein gesellschaftlicher Wertediskurs ist, der die Hegemonie eines neoliberalen Freiheitsdiskurses in Frage stellt: Er sollte nicht der Illusion verfallen, dadurch erfolgreich werden zu können, dass er direkt an das Wohlwollen der staatlichen Akteure appelliert. Als Selbstaufklärung im Rahmen sozialer Auseinandersetzungen kann er politisch wirksam werden. Hierzu ist es erforderlich, die Auseinandersetzung um »Gute Arbeit«, und das heißt über die alltäglichen Formen der Abwehr schlechter Arbeit, durch praxistaugliche, von den Arbeitenden selbst zu nutzende Analyseinstrumente zu unterstützen, statt in erster Linie auf methodisch objektivierte Indices guter Arbeit zu setzen. * Hermann Kocyba ist Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt a.M., seine Arbeitsschwerpunkte sind Entwicklung von Dienstleistungsarbeit, neue Managementkonzepte, Arbeit und Gesundheit, Entgrenzung von Arbeit. Dagmar Borchers, Klaus Pape (Hrsg.): »Gute Arbeit. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und betriebliche Praxis«. Mit Beiträgen von Tatjana Fuchs, Axel Hauser-Ditz, Kerstin Jürgens, Karoline Kleinschmidt, Manuela Martin, Frank Mussmann, Gerald Pross, Karl-Otto Räcke, Lisann Rückriem, Dieter Sauer, Hans Szymanski, Sebastian Wertmüller, Offizin-Verlag, Hannover 2009, ISBN 978 3930 345601, 13,80 Euro Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/09 |