Home > Branchen > Dokument
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

„Die Geister, die ich rief...

werd’ ich nun nicht los“. Diese Goetheworte aus dem „Zauberlehrling“ könnte mensch der IG Metall-Führung nach dem Metall-Tarifabschluss vom Februar ins Stammbuch schreiben.

Die Tinte ist kaum trocken unter dem Eckpunktepapier (es gibt noch keinen ausgearbeiteten Tarifvertragstext) und schon drängen wichtige Metall“arbeitgeber“ die Belegschaften, Betriebsräte und letztlich auch die IG Metall zur Umsetzung der neuen tariflichen Möglichkeiten zur Arbeitszeitverlängerung. Eine Entwicklung, die wir in Avanti 107 vom März bereits vorausgesagt hatten.

Wie zu erwarten, sind die großen Konzerne mit guten Ergebnissen die gierigsten. Vorreiter hierbei ist – wie üblich – Daimler-Chrysler. Als erstes Unternehmen in der Metall- und Elektroindustrie kündigte DC an, die neuen Spielräume des Tarifabschlusses in der Praxis zu nutzen und in seinem größten deutschen Werk in Sindelfingen bei Stuttgart länger arbeiten zu lassen. Von den fast 40.000 Beschäftigten im Werk sollen mehr als 10.000 aus den Bereichen Entwicklung, Versuch und Produktionsplanung künftig wieder 40 Stunden arbeiten. Die in der Presse und anderen Medien verbreitete Nachricht hat in Sindelfingen wie eine Bombe eingeschlagen, denn offensichtlich waren dort vor den Veröffentlichungen weder die Betriebsräte noch die Vertrauensleute in eine Entscheidungsfindung einbezogen worden.

Die Presseabteilung von DC gab wohl nur eine Absichtserklärung als Einigung weiter, zu der mit Sicherheit aber der Betriebsratsvorsitzende von Sindelfingen und DC-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Erich Klemm seine generelles Einverständnis erklärt hatte. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, dass Erich Klemm sowie der Stuttgarter IG Metall-Bezirksleiter Jörg Hoffmann, DC-Personalvorstand Günter Fleig und Südwest-Metallarbeitgebervorsitzender Ottmar Zwiebelhofer die kleine Verhandlungskommission bildeten, die den Abschluss in einer Nachtsitzung vereinbarte. In Sindelfingen mussten jedenfalls die Geschäftsleitung und der Betriebsrat angesichts der heftigen Diskussionen im Betrieb und im Vertrauenskörper zurückrudern und durch Aushang bekannt geben, dass es noch keine unterzeichnete(!) Vereinbarung gibt. Offensichtlich ist jedoch, dass der feste Wille bei der Betriebsratsspitze und der IG Metall besteht, eine solche sofort abzuschließen, sobald die formalen Voraussetzungen für den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung in einem Tarifvertrag geschaffen sind. Zur Beruhigung wird außerdem den Werkern in der Produktion jetzt versichert, dass für sie keine Verlängerung der Arbeitszeit vorgesehen ist. Auch hier wird aber über kurz oder lang der Druck auf Arbeitszeitverlängerung spürbar werden, die in wesentlichen Teilen des Werkes dann eingeführt sein wird.

Flächentarif gesichert?

Auch der Siemens-Konzern „führt schon Gespräche mit seinen Arbeitnehmervertretern, um die Möglichkeiten des neuen Tarifwerks auszuloten“, so eine Konzernsprecherin. Die Einführung der 40-Stunden-Woche für bestimmte Abteilungen werde jeweils vor Ort in den Betrieben entschieden, ergänzte sie. Soviel zu der Versicherung der IG Metall, durch das Ergebnis werde der Flächentarifvertrag erhalten und damit der Druck auf die einzelnen Betriebsräte vermindert.
In einer Betriebsversammlung am 05.03.2004 in München-Perlach setzte Siemens-Vorstandsvorsitzender Heinrich von Pierer noch eins drauf. Seine Rede mit dem Thema „Wie wir in schwierigen Zeiten Arbeitsplätze sichern können“ drehte sich um „unvermeidbare schmerzhafte Einschnitte“. Die Quintessenz von Pierers Ausführungen war „wenn’s gut geht, werden Sie für das gleiche Geld länger arbeiten müssen.“ Dazu muss mensch wissen, dass die Siemens-Geschäftsleitung zur Durchsetzung ihres Ziels der Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich derzeit intern einen Austritt aus dem Arbeitgeberverband prüfen lässt. Der Konzern will weltweit weiter massiv Arbeitsplätze vernichten und macht außerdem mit Hunderten von Kündigungen Negativschlagzeilen, bei denen in Kündigungsschutzverfahren alle 38 Kammern des Münchner Arbeitsgerichts bislang samt und sonders festgestellt haben, dass keine den einfachsten gesetzlichen Anforderungen genügt. Dies alles in einem Konzern, dessen Bilanzen in den vergangenen Jahren alle mit Goldrand versehen waren. Es reicht den Aktionären aber offensichtlich noch nicht.

Porsche will nach Angaben eines Sprechers „in nächster Zeit Gespräche mit dem Betriebsrat aufnehmen“ um eine Ausweitung der 40-Stunden-Woche für die rund 3000 Beschäftigten in dem eigenständigen Entwicklungszentrum in Weissach durchzusetzen. Die erwartete Entscheidung über eine vierte Baureihe würde hohe Entwicklungsaufwendungen erfordern. Dies könnte Ausstrahlwirkung auf die Angestellten im gewerkschaftlich hoch organisierten und kampferprobten Porschewerk in Stuttgart-Zuffenhausen haben. Porsche hat gerade das beste Geschäftsergebnis seiner Geschichte vorgelegt.

Im Kreis der Automobilisten lässt sich BMW ebenfalls nicht lumpen und untersucht derzeit, ob Bedarf für längere Arbeitszeiten besteht. Eine konkrete Entscheidung ist bei BMW allerdings noch nicht gefallen. Dagegen will der Autobauer Opel vorerst(!) von den neuen tariflichen Möglichkeiten keinen Gebrauch machen. Kein Wunder bei der derzeitigen Geschäftslage. Auch Volkswagen winkt ab, denn „wir haben in unserem Haustarifvertrag längst die Flexibilität, auch 40 Wochenstunden arbeiten zu lassen“, sagte ein VW-Sprecher.

Vermehrter Druck auf Betriebsräte

Konsequenterweise sind da natürlich auch die Zulieferer am Nachdenken. Etliche haben bereits vor der Tarifrunde Druck auf Belegschaften und Betriebsräte gemacht. Zu ihnen gehört Europas größter Automobilzulieferer Bosch, wo der neue Vorstandsvorsitzende Fehrenbach schon seit einiger Zeit eine 20-prozentige Kostenreduzierung und eine Erhöhung der Arbeitszeit auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich durchdrücken will. Ihm kommt der Tarifabschluss gerade recht und so werden die neuen tariflichen Möglichkeiten für längere Arbeitszeit an gemischten Standorten geprüft, das heißt dort, wo Produktion und Entwicklung angesiedelt sind. An den reinen Entwicklungsstandorten Schwieberdingen, Abstatt und Leonberg ist die 40-Stunden-Woche schon durch einen Ergänzungstarifvertrag seit 2002 geregelt. Avanti berichtete seinerzeit über den Vertrag und seine schädliche Wirkung in der Arbeitszeitfrage. Bosch ist als Konzern hochprofitabel.

Beim Stuttgarter Kolbenhersteller Mahle gab es ebenfalls bereits vor der Tarifrunde Auseinandersetzungen wegen Arbeitsplatzvernichtung, Kostensenkungsprogrammen, Outsourcingabsichten und Verlängerung von Arbeitszeiten. Im Windschatten des Tarifabschlusses drängt die Geschäftsleitung jetzt massiv auf Gespräche mit dem Ziel, die Arbeitszeit auf 40 Stunden zu verlängern, wie dies bereits in Teilbereichen der Fall ist. Der Arbeitsdirektor Weisweiler hat die Bereiche Entwicklung und Service im Auge. Pikant dabei: Während die Entwicklungsingenieure 40 Stunden bei vollem Lohnausgleich arbeiten sollen, denkt er im Servicebereich an 40 Stunden ohne Lohnausgleich. Diese Unterscheidung erfolgt aber nur deswegen, weil der Wettbewerb bei Ingenieuren hart sei, weshalb man diesen (noch?) kein Gehalt wegnehmen könne. Insgesamt wertet der Arbeitsdirektor die Möglichkeiten des Tarifvertrags als positiv.

Auch der Reifenhersteller Continental in Hannover – und damit ein Betrieb aus dem Vertretungsbereich der IG BCE – prüft eine Rückkehr zur 40-Stunden-Woche für bestimmte Entwicklungsabteilungen, wie ein Sprecher bestätigte. Zugleich führt das Unternehmen Verhandlungen mit der Gewerkschaft, um in seinem Reifenwerk in Hannover ohne vollen Lohnausgleich wieder länger arbeiten zu lassen.

Keinen Handlungsbedarf sieht man (derzeit?) beim Esslinger Autozulieferer Eberspächer, einem Hersteller von Auto-Heizungen und –Klimaanlagen. In Entwicklung und Vertrieb werden bereits im Rahmen der bisherigen Höchstgrenzen 40 Stunden gearbeitet – das reiche völlig aus. Diese tarifliche Grenze haben auch die Allgaier-Werke von Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt voll ausgeschöpft. Hier haben sich laut Personalchef Illig die äußerst flexiblen Arbeitszeitkonten bewährt, die der Autozulieferer seit langem auch für seine Beschäftigten in der Produktion führt. Allerdings wäre in Konstruktion und Vertrieb mehr Spielraum wünschenswert. Probleme werden hier keine gesehen, mit Betriebsrat und Gewerkschaft zu einer Lösung zu kommen, sollte man sich hier zu einer Ausweitung der Arbeitszeiten entschließen.

Auch beim Lackieranlagenspezialisten Dürr ist die Ausdehnung der 40-Stunden-Woche derzeit kein Thema. Kein Wunder, denn quer durch alle Bereiche hat die Firma flexible Arbeitszeiten vereinbart – das reicht vom Gleitzeit- bis zum Lebensarbeitszeitkonto. Das reiche aus. Den Hinweis einer Firmensprecherin, 30 Prozent der Belegschaft sei eh außerhalb des Tarifvertrags bezahlt, kann da nur so verstanden werden, dass bei Dürr die 18-Prozent-Quote der 40-Stünder schon vorher deutlich überschritten worden war.

Der Ditzinger Maschinenbauer Trumpf und der Waiblinger Sägen- und Motorgerätehersteller Stihl würden schon gerne mehr als 18 Prozent ihrer Ingenieure und Entwickler 40 Stunden in der Woche arbeiten lassen. Bei Trumpf werden Schritte in diese Richtung geprüft. Bei Stihl ist die Geschäftsleitung skeptischer. Aber nicht weil sie die Arbeitszeitverlängerung nicht will, sondern weil ihr die neuen Regelungen nicht weit genug gehen. Wie wir die Kapitalisten kennen, werden sie über kurz oder lang aber dennoch die neuen Instrumentarien nutzen wollen. Damit würden sie zu einer Gruppe von derzeit 270 Betrieben bundesweit stoßen, die nach einer in der Bild-Zeitung vom 9.3.04 veröffentlichten Umfrage erwägen, einen Teil der Belegschaft statt 35 Stunden wieder 40 Stunden arbeiten zu lassen.

Die Financial Times Deutschland titelte am Tag nach dem Tarifergebnis „Die 35-Stunden-Woche bröckelt“ und in den Stuttgarter Nachrichten erschien Anfang März ein Kommentar „Abschied vom 35-Stunden-Tabu“. Da kann mensch angesichts der Fakten nur sagen: Leider haben sie Recht. Leider wurden bei der Metall-Tarifrunde ohne Not – denn die Beteiligung an den Warnstreiks war ausgesprochen gut – weitere Bohrungen in einen löchrigen Damm vereinbart. Wir verweisen auf die Einschätzung der AG Tarifpolitik, die wir weitestgehend teilen.

Konrad Reich (in Avanti vom April 04)


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang