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Updated: 18.12.2012 15:51
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Ausbeutung ohne Grenzen - Hartz IV, Migrationsmanagement und die Kämpfe dagegen

Es war nicht selbstverständlich und die Brücke wird noch immer viel zu selten geschlagen. Aber am 6. November 2004, im Rahmen der Nürnberger Großdemonstration gegen die Einführung von Hartz IV, kam auf der Abschlusskundgebung vor der Bundesagentur für Arbeit als Hauptredner ein Aktivist der Flüchtlingsinitiative Brandenburg zu Wort. Der Inhalt seiner Rede, ein eigener Aufruf antirassistischer Gruppen für die dieser Demonstration sowie ein Go-In am Vortag in der Nürnberger Zentrale der Arbeiterwohlfahrt [1] zielten allesamt in die gleiche Richtung: nämlich die Zusammenhänge von Ausbeutung und Ausgrenzung, von Armuts- und Flüchtlingsverwaltung, von Niedriglohn- und Migrationsregime herzustellen - und damit den Widerstand gegen Lager, Residenzpflicht und Abschiebung in den breiteren Kontext sozialpolitischer Kämpfe zu rücken.

Bereits im Herbst 2003, im Rahmen der Aktionstage gegen das Abschiebelager in Nürnberg/Fürth, waren antirassistische AktivistInnen der damaligen Bundesanstalt für Arbeit und heutigen Bundesagentur (BA) "aufs Dach gestiegen". Die Wassers ä ulen auf dem Vorplatz wurden während der unangekündigten Aktion blau eingefärbt ("lieber blaumachen als gesundschuften..."), es wurde eine kurze Ansprache gehalten und auf dem Vordach der BA ein 5 Meter langes Transparent hinterlassen. "Ausbeutung ohne Grenzen" lautete die große Oberzeile, ergänzt um Begriffe in kleinerer Schrift: gegen Zwangsarbeit, Arbeitsverbot, Razzien, PSA sowie Leih- und Saisonarbeit. Denn der Protest richtete sich gleichermaßen gegen Zwangsdienste wie den Ausschluss vom Arbeitsmarkt, gegen die damals neu geplanten Zumutbarkeitsregelungen wie gegen laufende Razzien auf Baustellen, gegen die Ausweitung der Niedriglohnarbeiten mittels Personalserviceagenturen (PSA) wie gegen die miesen Bedingungen, in denen die meisten der SaisonarbeiterInnen in der Landwirtschaft schuften müssen.

Die Rolle der Bundesagentur

In der Umsetzung all dieser Maßnahmen und insbesondere in der Ausweitung und Aufrechterhaltung rassistischer Hierarchisierungen auf dem Arbeitsmarkt spielte und spielt die Nürnberger Bundesagentur - wie dann auch bei Hartz IV - eine Schlüsselrolle.

Einige Beispiele:

Asylsuchende unterliegen im 1. Jahr ihres Aufenthaltes einem generellen Arbeitsverbot. In der Zeit ihres weiteren Verfahrens - und das gilt auch für alle Flüchtlinge im Duldungsstatus - sind sie dem Status eines "nachrangigen Arbeitsmarktzuganges" unterworfen. Damit muss ein Arbeitgeber für die freie Stelle zunächst 6 Wochen lang nach "bevorrechtigten Arbeitnehmern" (mit deutschem Pass, EU-MigrantInnen, MigrantInnen mit Daueraufenthalt ...) suchen. Erst wenn dies nachweislich ohne Erfolg bleibt, hat ein/e Asylsuchende/r oder ein/e Geduldete/r die Chance, den Job zu kriegen. Diese Regelung bedeutet ein faktisches Arbeitsverbot für viele Flüchtlinge. Auch wenn sie seit 1.1.05, mit der Einführung des neuen Zuwanderungsgesetzes, ihre Anträge auf Arbeitserlaubnis bei den Ausländerbehörden stellen müssen, liegt die eigentliche Arbeitsmarktprüfung weiterhin bei den Arbeitsagenturen, die nur dann zustimmen, wenn "sich durch die Beschäftigung von Ausländern nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, insbesondere hinsichtlich der Beschäftigungsstruktur, der Regionen und Wirtschaftszweige, nicht ergeben" [2]. Die Bundesagentur und ihre Filialen sind also letztlich f ü r die Umsetzung verantwortlich und deren Anweisungen reichen von pauschaler Sperrung ganzer Sektoren bis zur "Feinsteuerung". Jedenfalls haben Flüchtlinge die Rolle von Lückenbüßern und sollen zu einer flexibel einsetzbaren Reservearmee degradiert werden.

Viele MigrantInnen und Flüchtlinge haben keine andere Chance als sich mit "illegaler Arbeit" durchzuschlagen. Einige, wie z.B. aus der Ukraine, haben keinerlei Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Andere, wie z.B. viele EU-Bürger aus Osteuropa, verfügen seit dem Beitritt am 1. Mai 04 ü ber einen problemlosen Aufenthaltsstatus, bekommen aber angesichts der vereinbarten Übergangssperrzeiten [3] keine Arbeitserlaubnis oder unterliegen ebenfalls der erw ä hnten Nachrangigkeitsprüfung. Und viele Flüchtlinge können unter oben genannten Bedingungen keinerlei legale Arbeit finden. Einerseits sind manche Sektoren der standortgebundenen Wirtschaft auf diese billige, rechtlose Arbeit angewiesen, andererseits gibt es ein staatliches Interesse daran, dass sich diese Schattenwirtschaften nicht unkontrollierbar ausweiten. Razzien auf Baustellen, in Restaurants oder auch im Sexgewerbe geh ö ren daher zum Alltag. Asylsuchende und "die neuen EU-Bürger" haben "nur" Geldstrafen zu erwarten, doch gänzlich illegalisierte MigrantInnen werden sofort in Abschiebehaft genommen und abgeschoben. Zwar hat mittlerweile der Zoll die Federführung für diese Razzien von der BA übernommen, doch ca. 2000 Mitarbeiter der BA sind nach wie vor mit diesen Maßnahmen beschäftigt.

Während des antirassistischen Grenzcamps im Sommer 2003 wurde die Zentrale Arbeitsvermittlungsstelle (ZAV) in Bonn zum Ziel eines Go-Ins mit faulem Gemüse und Transparenten. Die ZAV ist eine Filiale der BA und u.a. damit befasst, SaisonarbeiterInnen aus osteuropäischen Ländern zu Niedrigstlöhnen in die deutsche Landwirtschaft zu vermitteln. Vom Spargelstechen bis zur Weinlese, beantragt werden können in der Regel zweimonatige Genehmigungen für anstrengende Erntearbeiten, in die sich "deutsche Arbeitslose" nach wie vor nicht - oder jedenfalls nicht im verlangten Arbeitstempo - hineintreiben lassen. Ein Mindestlohn von 5.45 Euro sowie eine angemessene Unterbringung für die SaisonarbeiterInnen sind zwar vorgeschrieben, doch ob und in wie weit sich die Bauern daran halten, interessiert die ZAV letztendlich wenig.

Sei es bei den Greencards für Spezialköche oder IT-ExpertInnen, bei der Entsendearbeit für das Bauhauptgewerbe oder den PflegehelferInnen und den oftmals als Au-Pair getarnten Haushaltshilfen, ganz unverblümt ist im neuen Aufenthaltsgesetz unter § 18 nochmals ausformuliert, wonach die ZAV in Bonn, die BA-Zentrale in Nürnberg oder eben ihre regionalen Vertretungen sich zu richten haben:
"Die Zulassung ausländischer Beschäftigter orientiert sich an den Erfordernissen des Wirtschaftsstandortes Deutschland unter Berücksichtigung der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und dem Erfordernis, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen."

In der Zange zwischen Zuwanderungs(begrenzungs)gesetz und Hartz IV

Seit vielen Jahren sind es insbesondere Flüchtlinge im Asylverfahren oder im Duldungsstatus, die von den Sozialämtern für 2 DM oder nun für 1,05 Euro die Stunde zu so genannter "gemeinnütziger Arbeit herangezogen" werden, also das, was mit Hartz IV und den 1-Euro-Jobs jetzt zur Massennormalität werden soll. Dieser Zwangsdienst erscheint umso perfider, weil die Flüchtlinge, wie oben beschrieben, mit der "Bevorrechtigungsregelung" kaum mehr einen Job finden können. Zudem entscheiden, wie erwähnt, mit dem neuen Zuwanderungsgesetz die Ausländerbehörden über den Antrag zur Arbeitserlaubnis und nutzen dies im eigenen Interesse. Immer öfter wird eine Arbeitserlaubnis mit dem Hinweis verweigert, dass die Flüchtlinge "ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen". Sie sollen gefälligst bei ihrer eigenen Abschiebung mitwirken, Passpapiere aus ihrer Heimat besorgen, wenn die Botschaften keine ausstellen, und wenn das nicht klappt, dient die Arbeitserlaubnisverweigerung als Bestrafungs- und Erpressungsmittel.

Desweiteren ist es alles andere als Zufall, dass die im ALG II formulierten Drohungen, nämlich Leistungskürzungen bei der "Verweigerung von zumutbaren Arbeiten" mit der Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen statt Bargeld zu kombinieren, bislang in erster Linie an Flüchtlingen durchexerziert wurden. Mit den Sondergesetzen gegen Flüchtlinge haben sich die Behörden regelrecht ein Experimentierfeld für die Erprobung neuer Zumutungen und Erpressungen geschaffen.

Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), das 1993 eingeführt und seitdem mehrfach "novelliert" und verschärft wurde, steht im Mittelpunkt dieser sozialen Entrechtung. Die Leistungen liegen pauschal rund 35% unter dem offiziellen Existenzminimum der Sozialhilfe bzw. des ALG II. und sollen "vorrangig als Sachleistung erbracht werden". Lebensmittelpakete, Kantinenessen oder Gutscheine verringern die Leistungen noch weiter, oft bleibt nur ein kleines Taschengeld und die medizinische Versorgung wird auf "Akuterkrankungen" eingeschränkt. Flüchtlinge und Geduldete sind dieser Regelung drei Jahre ausgesetzt - wenn sie vorher nicht abgeschoben wurden! Danach erhalten sie "Leistungen gemäß AsylbLG, die der Höhe der Sozialhilfe entsprechen sollen".

Von ALG II, also der Grundsicherung für Arbeitssuchende, sind wiederum all diejenigen, die unter das AsylbLG fallen, grundsätzlich ausgeschlossen.

Wenn also Flüchtlinge und Geduldete, die arbeiten und dies in Einzelfällen auch über mehrere Jahre hinweg, ihren Job verlieren, gibt es zwar gegebenenfalls ALG I aber danach kein ALG II. Sie fallen zurück ins AsylbLG. In Bayern gehen die Behörden gleich noch weiter: arbeitslos gewordene Geduldete werden sofort zur Lagerunterbringung verpflichtet. Sie verlieren also mit der Arbeit auch gleich die eigene Wohnung.

Im Gegensatz zu ALG I zählt ALG II nicht als Sicherung des Lebensunterhaltes. Bei ALG II-Bezug ist deshalb in den meisten Fällen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder der Erwerb einer Niederlassungserlaubnis nicht möglich. Diese Kopplung von Aufenthaltsverbesserungen mit dem Nachweis eines Arbeitseinkommens zwingt viele MigrantInnen, die miesesten Jobs über viele Jahre hinweg durchzuhalten, und heute mit Hartz IV eben noch in einigen Fällen mehr als früher. Denn die aktuelle Situation stellt eine Verschlechterung gegen ü ber der bisher geltenden Rechtslage dar. Bisher war es möglich, bei mindestens weiteren 6 Monaten Arbeitslosenhilfeanspruch einen unbefristeten Aufenthaltstitel zu bekommen. Das ist, wie gesagt, mit ALG II kaum mehr möglich. Allerdings stellt der Bezug von ALG II keinen Ausweisungsgrund dar.

Und in Sachen Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft sowie in Fragen der Familienzusammenführung hat sich mit Hartz IV im Grunde nichts verändert. Denn mit der (alten) Arbeitslosenhilfe war dies jeweils genauso wenig möglich wie heute mit ALG II.

Kommen wir aber noch zu einer letzten migrationsbezogenen Bemerkung in Sachen Hartz IV. Wohlbekannt, dass ein Schwerpunkt dieser "Reform" die Disziplinierung von Jugendlichen ist.15 bis 25-jährigen ALG-II-BezieherInnen droht bei Verweigerung von "zumutbaren" Arbeitsgelegenheiten die sofortige Streichung aller Leistungen bis auf Unterkunft und Heizung , während ü ber 25-jährige zunächst "nur" eine 30%ige Kürzung bekommen. Jedenfalls sind es in vielen Städten überproportional jugendliche MigrantInnen oder Jugendliche mit migrantischem Hintergrund, die auf Grund mangelnder Schulabschlüsse und Ausbildungen allenfalls in miesen Jobs arbeiten können - oder sich diesen eben verweigern. Letzteres wird nun sofort mit der Streichung aller Leistungen sanktioniert, über die möglichen weiteren Folgen kann - angesichts der Entwicklungen in den französischen Vorstädten - durchaus gestritten werden!

Migrationsmanagement für globale Apartheid

Razzien und Ausschluss, Haft und Abschiebungen gehören zur täglichen Realität von Flüchtlingen und MigrantInnen. Sie stehen nicht im Gegensatz zu den oben beschriebenen Rekrutierungsmaßnahmen. Es ist vielmehr genau diese Kombination von Ausgrenzung und Ausbeutung, dieser komplexe Selektionsprozess, den das moderne Migrationsregime auszeichnet. Dieses Migrationsmanagement zielt entlang ökonomischer und beschäftigungspolitischer Bedarfsberechnungen auf eine flexible Zugangsregulierung in Abhängigkeit von nationalstaatlichem und für die EU als Gesamtregion prognostizierten Arbeitskräftebedarf. Einerseits geht es um die zeitlich befristete Integration hochqualifizierter Fachkräfte in wissensintensiven Wirtschaftssektoren, zum Zweiten um die Nachfrage nach Niedriglohnbeschäftigten in den standortabhängigen Sektoren.

Dienstleistungsbranchen wie Hausarbeits- und Pflegebereich, Hotelgewerbe, Gebäudereinigung oder Prostitution funktionieren nur über den Einsatz von MigrantInnen am unteren Ende der Beschäftigtenpyramide. MigrantInnen und die migrantischen Communities selbst etablieren in ihrem materiellen Existenzkampf Betriebe mit eigenen Ausbeutungsstrukturen. Illegalisierte MigrantInnen als der am meisten entrechtete Teil der "working poor" sind konstitutiver Bestandteil des Funktionierens des Systems geworden. Die sogenannte Osterweiterung mitsamt ihrer kalkulierten Zurichtung osteuropäischer WanderarbeiterInnen auf die Erfordernisse der westeuropäischen Arbeitsmärkte steht exakt in diesem Kontext wie auch die Filterfunktion der neuen Außengrenzen und die Pufferfunktion des europaweiten Lagerregimes.

Insofern muss von einem globalen Apartheidregime gesprochen werden, das mit einem hochflexiblen Set komplex abgestufter Rechts- und Zugangsmechanismen ein "produktives System hierarchischer Inklusion" [4] bildet.

Die Rechtlosigkeit von Flüchtlingen und illegalisierten MigrantInnen, die Ausgrenzungspolitik insgesamt hat zweifellos die zentrale Funktion, Menschen in Arbeitsbedingungen zu pressen, die sonst niemand akzeptieren würde. Zunehmende Konkurrenz und Lohndumping auf dem gesamten Arbeitsmarkt sind die beabsichtigten Folgen. Wer die Realitäten und besonderen Ausbeutungsbedingungen der unterschiedlichen ArbeitsmigrantInnen in eine Kritik der herrschenden Ausbeutungsverhältnisse nicht einbezieht, wird immer zu kurz greifen. Oder zugespitzter: Die Situation der migrantischen Arbeit, so die zu diskutierenden Thesen italienischer AktivistInnen [5], nimmt vorweg, was sich als verallgemeinernde Tendenz der Prekarisierung entwickelt und nach und nach alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst.

Migrantische Kämpfe als sozialer Protagonismus?

Doch dabei kann es nicht Ziel sein, das Bild der "armen ausgegrenzten Flüchtlinge" nun durch ein Bild der "armen ausgebeuteten ArbeitsmigrantInnen" zu ergänzen oder ersetzen. Vielmehr geht es zunächst darum anzuerkennen, dass die Prekarisierung von MigrantInnen und migrantischer Arbeit ein sich verallgemeinernder umfassender Prozess ist, der sich nicht allein auf den Arbeitsplatz, sondern eben auch auf Aufenthalt und Bewegungsfreiheit bezieht. Und dass dies ein Prozess ist, der mehr als alles andere mit globalisierten Ausbeutungsbedingungen konfrontiert, die nur ignorieren kann, wer letztlich nach standortnationalistischen Lösungen sucht.

Entsprechend müssen sich Fragen der Migration und Mobilität, des Ausbeutungsgefälles und des Grenzregimes auch in den Forderungen der sozialpolitischen Bewegungen wiederfinden. Das Dreigestirn aus Arbeitszeitverkürzung (mit vollem Lohn- und Personalausgleich), Mindestlohn (von 10 Euro) und Grundeinkommen (bedingungslos) , das von progressiven Kräften aus guten Gründen als übergreifende Positionierung thematisiert wird und in den hiesigen Foren der Sozialbewegungen zunehmende Bedeutung gewinnt, kann und darf nicht in nationalstaatlicher oder allenfalls europrotektionistischer Orientierung stecken bleiben.

Davon ausgehend wären die verschiedenen sozialen Bewegungsformen von MigrantInnen als Aneignungskämpfe und Herausforderungen im wahrsten Sinne des Wortes anzuerkennen. Die weltweit absolut dominierenden "ökonomischen MigrantInnen" wandern gegen das Ausbeutungsgefälle in die Akkumulationszentren, sie fordern, oftmals ohne jede politische Artikulation, ihr Recht auf Einkommen und Lebensgarantien. Das ist ein weitgehend "stiller" Prozess, sozusagen ein sozialer Eisberg, dessen Spitzen im Herbst 2005 in doppelter Weise spektakulär in Erscheinung getreten sind. Angesichts der Schärfe und Dynamik der migrantisch-antirassistischen Bewegungen, die im Sturm auf die Außengrenzen in Ceuta und Melilla sowie in den Revolten in den französischen Vorstädten ihren un übersehbaren Ausdruck finden, stellt sich (einmal mehr) die Frage, ob diese Kämpfe nicht als sozialer Protagonismus in (bzw. gegen!) Europa und dessen Apartheidregime zu interpretieren sind.

Jedenfalls: ob in den Kampfzyklen der Sans Papiers oder im Widerstand gegen die Lager, ob innerhalb, außerhalb oder in eigenen migrantischen Gewerkschaften, ob in Communities, in Workers Centers oder in temporären autonomen Zusammenschlüssen, solche Ansätze von migrantischer Organisierung, die es mittlerweile in guten Ansätzen auch in Deutschland gibt, müssen nicht zuletzt bei den weiteren Protesten gegen die sozialen Angriffe einen eigenen Stellenwert einnehmen.

Das Erscheinungsbild des Euromayday 2005 [6] in Hamburg sei insofern als abschließende Anregung beschrieben: eine bunte Parade von bis zu 4000 Menschen, die durchaus unterschiedlich von den sozialen Angriffen betroffen sind, die sich aber gemeinsam gegen die Zumutungen und Entrechtungen zur Wehr setzen - und die selbstorganisierten Flüchtlinge des Nolager-Netzwerks an der Spitze der Demonstration.

kein mensch ist illegal/hanau

Dieser Beitrag ist erschienen in: Schwarzbuch Hartz IV. Sozialer Angriff und Widerstand - Eine Zwischenbilanz von agenturschluss, Berlin/Hamburg 2006

Anmerkungen:

1) Proteste gegen die AWO als Profiteure von 1 Euro-Jobs und Lohndumping, von Flüchtlingslagern und Abschiebungen fanden im Herbst 2004 in mehreren Städten statt.

2) § 18 Aufenthaltsgesetz, weiter ausgeführt dann im § 39 :

(1) Ein Aufenthaltstitel, der einem Ausländer die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt, kann nur mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erteilt werden. (...)
(2) Die Bundesagentur für Arbeit kann der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Besch ä ftigung nach § 18 zustimmen, wenn
1.a) sich durch die Beschäftigung von Ausländern nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, insbesondere hinsichtlich der Beschäftigungsstruktur, der Regionen und Wirtschaftszweige, nicht ergeben, und
b) für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt sind oder andere Ausländer, die nach dem recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, nicht zur Verfügung stehen.

3) Mit der sogenannten 3+2+3-Regelung wurde den jeweiligen Regierungen der "alten" EU-Länder Übergangszeiten bezüglich des Arbeitsmarktzugangs für die Bürger der neuen osteuropäischen Beitrittsstaaten zugesprochen. Einschränkungen, Nachrangigkeit oder Arbeitsverbot in verschiedenen Sektoren können zun ächst (von 2004 an) für 3 Jahre, dann für weitere 2 und letztlich nochmals für 3 Jahre verfügt werden. Grossbritannien, Irland und Schweden haben darauf verzichtet, alle anderen EU-Staaten wenden diese Regelungen mehr oder weniger restriktiv an.

4) Hardt/Negri in Multitude, S.188

5) Maurizio Ricciardi and Fabio Raimondi in Migrant Labour, siehe http://www.thistuesday.org/node/view/72 externer Link

6) Am 1. Mai 05 fand in Hamburg die erste Euromayday-Parade in Deutschland statt. Vor einigen Jahren in Mailand "erfunden" , hat sich der Versuch, prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse in den Mittelpunkt neuer, lebendiger und kämpferischer Maidemonstrationen zu rücken, mittlerweile " europäisiert". 2005 fanden Paraden und Aktionen in 13 Ländern statt. Siehe auch www.euromayday.tk externer Link


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