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Updated: 18.12.2012 15:51
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Schaden Mindestlöhne?

Der Vorsitzende der NGG ( Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten ) Franz Joseph Möllenberg hat als erster Vorsitzender einer DGB-Gewerkschaft die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes für alle Beschäftigten in Deutschland gefordert. Begründet hat er dies unter anderem damit, dass die Arbeit zu Hungerlöhnen in vielen Bereichen schon längst Realität geworden ist, die für Gewerkschaften wie eine Bleikugel am Fuß wirkt.

Recht hat er. Und dies gilt nicht nur für die klassischen prekären, ungesicherten Bereichen wie der Landwirtschaft (Stichwort „Spargelstechen“ und andere Saisonarbeit) und bei Haushaltshilfen sondern auch für tariflich „abgesicherte“ Bereichen. Nur einige Beispiele : Für ungelernte VerkäuferInnen im Bäckereihandwerk im Saarland beträgt die tarifliche Grundvergütung 5,98 Euro/h, für gelernte Konditoren im 1. Jahr in Hamburg 7,87 Euro/h. Kollegen im Thüringer Wachschutzgewerbe arbeiten für 4,45 Euro pro Stunde im Tarif. In Westdeutschland verdienen 12 Prozent der Vollzeitbeschäftigten weniger als 50% und 36% weniger als 75% des Durchschnittseinkommens. In Ostdeutschland erfasst die Tarifbindung nach Zahlen des WSI nur noch 55 Prozent der Beschäftigten.

Bereits jetzt ist nach Paragraf 10 Sozialgesetzbuch II „jede Arbeit zumutbar“, die nicht als sittenwidrig ist. (Unter 30% der ortsüblichen Löhne) Wenn im nächsten Jahr die nächsten Hartz-Konterreformen greifen, werden bis zu 500.000 arbeitslose Kollegen ihren Anspruch auf Arbeitslosenhilfe verlieren und etwa 1 Mio weniger verdienen als sie jetzt als Arbeitslosenunterstützung erhalten. Das wird den Druck auf die Löhne noch weiter erhöhen .
Unter diesen Bedingungen wird die Forderung nach einem verbindlichen Mindestlohn für alle immer zwingender.

Doch innerhalb des DGB und seiner Einzelgewerkschaften gibt es in dieser Frage keine klaren Mehrheiten. Zwar sind Ver.di und NGG dafür. Aber die grossen Industriegewerkschaften Metall und Chemie wollen davon nichts wissen.

IG BCE-Sprecher Michael Denecke: „Entgeldfindung ist ein klassisches Thema für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Wir haben funktionierende Tarifverträge. Die regeln die Mindestbedingungen .“

IG-Metall-Sprecher Arwanitidi : „Bei uns brauchen wir keinen gesetzlichen Mindestlohn.“ ( FR. 25.02.).

Diese Argumentation scheint uns eine sehr bornierte, auf die in diesen Branchen tarifgebundenden Betriebe beschränkte, Sichtweise zu sein. Sie verkennt, dass das strategische Ziel der „Reformen“ ob von rot-grün oder schwarz–gelb die Senkung der Löhne und der Abbau von Arbeitnehmerrechten auch und gerade in den ökonomischen Zentren der Metallindustrie ist . Als ob es nicht trotz Tarifverträgen z.B. in der Metallindustrie eine Zunahme von Leih- und Zeitarbeit, eine abnehmende Bindung der Flächentarifverträge und den verstärkten Arbeitszwang für alle arbeitslos werdenden Beschäftigten gibt.

Das DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer: „Die einzige vernünftige Konsequenz ist nicht, einen Mindestlohn einzuführen, sondern die völlig unzumutbare Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln zurückzunehmen. Dann braucht über einen Mindestlohn nicht mehr geredet zu werden.“

Wir haben – dies betont Möllenberg zu recht – bereits einen Niedriglohnsektor. Und wir hatten ihn bereits als es diese Zumutbarkeitsregeln noch gar nicht gab. Und ein Teil der heute drückenden Probleme trägt die gewerkschaftliche Unterschrift. Man denke nur an die tariflichen Öffnungsklauseln, die Anerkennung der Lohndumping fördernden Leiharbeit und die gewerkschaftliche Unterstützung einer Arbeitsmarktpolitik des „Arbeit, Arbeit,Arbeit“, die nicht gerade geeignet ist das Lohndumping gesellschaftlich zu ächten.

Was bedeutet ein Mindestlohn für uns? Er ermöglicht nicht nur den auf den Mindestlohn angewiesenen KollegInnen eine halbwegs auskömmliche Existenz sondern er mindert auch den Druck, der auf den Löhnen lastet.

In einem Musterprozess um Lohndumping hat das Arbeitsgericht Bremen im Jahr 2000 einen Lohn von 11,50 DM als „sittenwidrig“ beurteilt. In seiner Begründung verwiess das Gericht auf die bestehenden Pfändungsfreigrenzen, die für eine Person damals bei 930 € lagen. Diesem Betrag entspricht ein Bruttolohn von 1312,52 €. Auf den Stundenlohn umgerechnet ergibt dies eine Entlohnung von 8,92 €. Angesichts der Tatsache, dass die Sozialhilfe in den leztzten Jahren nicht mehr real an die Preisentwicklung angepasst wurde, ist es nicht übertrieben einen Mindestlohn von 10€/h für die Bestreitung eines angemessenen Lebensstandards zu fordern.

Es gibt viele Gesetze, die Mindeststandarts regeln. Das Bundesurlaubsgesetz oder das Gesetz zu Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Diese Gesetze ziehen eine Untergrenze unter die tariflichen Regelungen. Hat das die Tarifautonomie infrage gestellt? Beschädigen diese Gesetze die Tarifverträge ? Die Frage stellen heisst die Antwort kennen. Natürlich nicht. Sie haben die Konkurrenz auf dem nicht tariflich organsisierten Arbeitsmarkt beschränkt und damit die Arbeit der Gewerkschaften erleichtert und nicht behindert.

Wir dürfen auch nicht unterschätzen , was für einen mobilisierenden und solidarisierenden Effekt ein gesetzlicher Mindestlohn hätte. Branchenübergreifend wären KollegInnen zum Kampf aufgerufen , auch für Erhöhungen des Mindestlohnes. Dadurch können viel mehr KollegInnen aktiv in Auseinandersetzungen einbezogen werden. Für die Gewerkschaften ist das eine Möglichkeit Bereiche in großem Umfang zu organisieren, in denen heute noch organisatorische Öde herrscht .

Die Diskussion um den Mindestlohn kann nicht unabhängig von seiner Höhe geführt werden. Der Mindestlohn hat nicht einen Wert an sich. Er muss für die betroffenen Kollegen existenzsichernd sein. Sonst besteht die Gefahr, dass ein sehr niedriger Mindestlohn für viele auch der Maximallohn sein wird. So beziehen 14 Prozent aller beschäftigten französischen Kollegen einen gesetzlichen Mindestlohn von ca. 1100 Euro, was bei einer Wochenarbeitszeit von 35 Std einem Stundenlohn von 7,48 € entspricht. Die französiche Linke ist für ebenso geschlossen für den Mindestlohn wie für seine weitere Anhebung.

Die veröffentlichte Diskussion von Befürwortern eines gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland läuft auf einen Mindestlohn von ca. 6 Euro hinaus. Das hilft den Beschäftigten nicht weiter. Ganz im Gegenteil : Das dient nur dazu Hungerlöhne zu zementieren, auf lange Zeit festzuschreiben und den Kampf um die Löhne in den anderen Bereichen zu unterminieren.

Ein existenzsichernder Mindestlohn muss erkämpft werden. Das gilt auch für die Tarifbindung. Ein akzeptabler Mindestlohn wird letzteres nicht erschweren sondern erleichtern.

Johannes Burczyk

Der Beitrag ist erschienen in Berlin von unten externer Link Nr. 7 vom Mai 2004


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