Offener Brief an DGB-Chef Michael Sommer
Werter Kollege Sommer,
wieder einmal ist festzustellen, dass von Seiten des DGB-Vorsitzenden
Äußerungen fallen, die jegliches Einfühlungsvermögen
in die tatsächliche Situation der Beschäftigten im Niedriglohn/Billiglohnsektor
und Erwerbslosen vermissen lassen.
Anders kann ich die Absage an einen gesetzlichen Mindestlohnes nicht werten.
Statt Überlegungen anzustrengen, wie durch das Instrument Mindestlohnes,
ob gesetzlich oder tarifvertraglich, die Situation der Menschen verbessert
werden kann, sucht die DGB-Spitze den Schulterschluss mit der SPD.
Mit jener SPD,
die durch die Verwässerung des Kündigungsschutzgesetzes,
den Schutz der Beschäftigten in den Betrieben geschwächt hat,
die durch die Einführung der Hartz-Gesetze, die Zumutbarkeitsregeln
für Erwerbslose und Sozialhilfeempfänger verschärft hat,
die durch die Pauschalierung der Sozialhilfe, die Menschen
nur noch als lästige Leistungsempfänger wertet,
die durch die Deformation der Gesundheitssysteme, RentnerInnen,
Kranke, sozial Schwache, ArbeitnehmerInnen, insbesondere jenen mit niedrigem
und geringen Einkommen, immer weitere Belastungen mit Zuzahlungen, Praxisgebühr
usw. zumutet,
die immer mehr die soziale Vorsorge des Staates privatisiert
und die Mehrheit der Bevölkerung zwingt von ihrem Einkommen immer
größere Teile für die Alters- und Krankenversorgung aufzuwenden,
die durch die Schaffung von 1-€-Jobs, die Menschenrechte
und den Wert der Arbeit als sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen
Wert abwertet, und die Situaiton der Erwerbslosen und Langzeitarbeitslosen
ausnutzt,
die immer neue Senkungen des Spitzensteuersatzes, wesentlich
dazu beiträgt, das die Mehrheit immer ärmer und eine Minderheit
immer reicher wird,
die die Betroffenen zu den Schuldigen erklärt, den
Druck auf die Erwerbslosen erhöht, statt für die Schaffung von
Arbeitsplätzen Maßnahmen zu ergreifen.
Diese Liste ließe sich noch ellenlang fortführen.
Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle diejenigen KollegInnen, die
sich tagtäglich engagieren, die Auseinandersetzung in den Betrieben
und Verwaltungen und in der Gesellschaft suchen und sich dafür einsetzen,
dass wirkliche Reformen zum Wohle der Menschen umgesetzt werden.
Allein in Thüringen haben sich tausende Menschen für einen gesetzlichen
Mindestlohn ausgesprochen, weil sie hierin eine wirksame Alternative zu
den Bestrebungen der Arbeitgeber und Unternehmen sehen, die angesichts
der wirtschaftlichen Situation und der Lage auf dem Arbeitsmarkt, den
Druck auf die Beschäftigten ständig erhöhen, Arbeitszeitverlängerungen
und Lohnverzicht einfordern, Billig- und Niedriglöhne durchsetzen,
Tarifverträge unterlaufen.
Wenn wir eins aus den Jahrzehnten der Gewerkschaftsbewegung gelernt haben
können, ist es doch jenes, dass Appelle an die Unternehmen und Arbeitgeber
keine Veränderungen bewirken, sondern nur die Auseinandersetzung
in den Betrieben und die Demonstrationen auf der Straße und das
Aufzeigen und Durchsetzen von tatsächlichen Alternativen zugunsten
der Menschen in dieser Gesellschaft.
Ich erwarte von der DGB-Führung, dass sie die KollegInnen
vor Ort unterstützt, dass sie die Gewerkschaftsmitglieder ernst nimmt
und unsere Interessen wahrnimmt.
Es geht nicht um die Unterstützung der SPD oder irgend einer anderen
Partei, sondern es geht um uns und unser Recht auf menschenwürdige
Lebensgestaltung und die Verwirklichung einer sozialen und demokratischen
Gesellschaft!
Mit freundlichem Gruß
Helmut Müller
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