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Updated: 18.12.2012 15:51
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Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne

Thesen zum gesetzlichen Mindestlohn

1) Kern der Hartz-Gesetze ist die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe. Das sowie die Verschlechterungen beim Arbeitslosengeld I, die Festlegung des neuen Arbeitslosengelds II unter das bisherige Sozialhilfeniveau, der Ausbau öffentlicher Zwangsdienste und die Zumutbarkeit von Löhnen, die bis zu einem Drittel unter Tarif liegen, dient nicht nur dazu, Sozialausgaben beim Staat oder bei der Sozialversicherung einzusparen. Es dient wesentlich dazu, Löhne abzubauen.

2) Die Sozialhilfe definiert das offizielle Existenzminimum und damit eine Art Mindestlohn. Das Arbeitslosengeld II ist nur eine andere Form von Sozialhilfe.
Die Dachorganisation aller Unternehmen, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, tritt für die allgemeine Senkung der Sozialhilfe bzw. des ALG II um mindestens 25% ein. Es geht dabei darum, allgemeine Lohnsenkungen um bis zu einem Drittel durchzusetzen und die Löhne unter das heutige Existenzminimum drücken. Langfristiges Ziel ist die völlige Beseitigung der Sozialhilfe für Arbeitsfähige, wie es in den USA wieder Realität ist.

3) Der Mindestlohn Sozialhilfe hemmt den Fall der Löhne nach unten, ebenso wie Tarifverträge, die in ihrem Geltungsbereich ebenfalls Mindestlöhne definieren. Deshalb ist die Sozialhilfe auch für Beschäftigte von entscheidender Bedeutung.
Senkung und schließliche Abschaffung der Sozialhilfe für Erwerbsfähige und Abschaffung von Flächentarifverträgen haben dasselbe Ziel, nämlich Profitsteigerung.

4) Das Kapital und seine politischen Parteien versuchen, Beschäftigte und Arbeitslose zu spalten, um Sozialabbau und Lohnsenkungen durchzusetzen.
Deshalb wird die Sozialhilfe als Hängematte dargestellt, nicht als der Mindestlohn, der sie in erster Linie ist. Arbeitslose werden als Faulenzer hingestellt, die angeblich nur durch Kürzungen zur Arbeit motiviert werden können.
Umgekehrt wird Arbeitslosen gesagt, dass die Beschäftigten und ihr egoistisches Beharren auf Tariflöhnen die Ursache ihrer Arbeitslosigkeit sei. Wären die Löhne untertariflich, würden sich nämlich Unternehmer finden, die ihre Ware Arbeitskraft kaufen. Die täglich propagierte Spaltung zeigt Wirkung. Sie schadet Arbeitslosen und Beschäftigten und nutzt dem Kapital.

5) Die vorherrschende Haltung der Gewerkschaftsführungen fördert die Spaltung. Die DGB-Führung ist für die Verabschiedung der Agenda 2010 mitverantwortlich. Sie hat die Hartz-Gesetze lange Zeit in erster Linie als Chance für Arbeitslose verkauft. Sie hat den gemeinsamen Widerstand von Beschäftigten und Arbeitslosen gegen die Agenda, wenn überhaupt, nur halbherzig organisiert. Sie hat auch über die gemeinsamen Interessen und über Lohndumping als Zweck des Sozialabbaus kaum aufgeklärt. Erst unter dem Druck von unten (1.11.) und erst nach der Verabschiedung der Agenda hat die DGB-Führung die Demonstrationen vom 3.4.2004 organisiert.

6) Aus all dem folgt, dass Bündnisse gegen Sozialabbau und Billiglöhne angesichts der vorherrschenden Spaltung in erster Linie die gemeinsamen Interessen der LohnarbeiterInnen betonen müssen, seien sie beschäftigt oder arbeitslos. Diese gemeinsamen Interessen müssen in gemeinsamen Forderungen zum Ausdruck kommen.

7) Um dem Lohndumping Schranken nach unten zu setzen, ist ein gesetzlicher Mindestlohn notwendig, der das Existenzminimum eines Erwerbstätigen deckt. Die Sozialhilfe definiert offiziell das Existenzminimum. Sie ist deshalb trotz der Kürzungen der letzten Jahre der wichtigste Maßstab, um festzustellen, ob Löhne dem Existenzminimum entsprechen. Sie kann aber nur Ausgangspunkt für unsere Forderungen sein, nicht Endpunkt.

8) Die Pfändungsfreigrenze ist ein Anhaltspunkt für die Höhe eines Mindestlohns, der dem Existenzminimum entspricht. Sie beträgt z.Zt. 930€. Sie wurde im Jahr 2001 etwas oberhalb des damaligen Sozialhilfeniveaus eines Erwerbstätigen festgesetzt (870€).
Der Mindestlohn muss über der Pfändungsfreigrenze liegen. Das wäre z.B. bei einem Lohn von zehn Euro brutto der Fall. Auch der Mindestlohn für un- und angelernte Bauarbeiter liegt bei etwa 10€. Bei einer durchschnittlichen tariflichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden in der Woche (167 Stunden im Monat) wären das 1.670€ brutto. Nach Abzug von Lohnsteuern und 21% Sozialversicherungsbeiträgen kämen bei Alleinstehenden etwa 1.050 € netto heraus.
1.670€ brutto liegen für 2002 etwas über 60% des durchschnittlichen Lohns von Lohnabhängigen in Höhe von 2.730€ brutto. Offiziell wird als Armutslohn ein Lohn in Höhe von 50% des durchschnittlichen Arbeitnehmerentgelts betrachtet. Der Armutslohn hätte also im Jahr 2002 1.365€ brutto oder 890€ netto betragen. Ein solcher Lohn liegt unterhalb der Pfändungsfreigrenze. Die Vorstellung von ver.di über einen Mindestlohn liegt bei 1.500€ brutto oder 962€ netto. Ein ausreichender Mindestlohn muss deutlich über dem offiziellen Armutslohn und deutlich über der Pfändungsfreigrenze liegen.

9) In einem Mindestlohn von zehn Euro wären keinerlei Lebenshaltungskosten für ein Kind enthalten, also den Ersatz der Arbeitskraft. Das wäre erst bei 12€ der Fall. Denn der Sozialhilfebedarf eines Kindes beläuft sich je nach Alter auf etwa 3-400€. Davon sind nur 154€ durch Kindergeld gedeckt. So betrachtet sind 10€ brutto sehr bescheiden.

10) Der Mindestlohn in Deutschland muss auf der Basis des Existenzminimums in Deutschland festgesetzt werden, nicht auf der Basis eines durchschnittlichen Existenzminimums in der EU. Das Existenzminimum ist in jedem Land verschieden. In Frankreich z.B. beträgt der Mindestlohn 1154 € mtl. brutto auf der Basis einer 35-Stundenwoche. Das sind 7,61€ brutto pro Stunde.

11) Gegenwärtig gelten für 2,8 Millionen Beschäftigte Tariflöhne unterhalb von 6 € die Stunde. Die Agenda 2010 hält es für zumutbar, dass Arbeitslose zu Löhnen von bis zu einem Drittel unterhalb der Tariflöhne arbeiten, also z.B. für 4 € die Stunde bis hin zu rd. 2€. Der niedrigste Tariflohn in Deutschland ist 2,74€. Aber auch Löhne oberhalb von 6€ die Stunde liegen noch unterhalb des Sozialhilfe-Existenzminimums.
Tariflöhne verhindern nicht, dass Löhne unter dem Existenzminimum liegen. Sie sind keine ausreichende Grundlage, um dem Lohndumping entgegenzuwirken. Dazu kommt, dass viele Betriebe nicht mehr tarifgebunden sind, besonders in Ostdeutschland. Weil tariflich vereinbarte Löhne häufig unterhalb des Existenzminimums liegen, ist ein gesetzlicher Mindestlohn notwendig, der zum Leben reicht.

12) Arbeitgeberpräsident Hundt, Kanzler Schröder und viele Gewerkschaftsführer führen gegen gesetzliche Mindestlöhne das demagogische Argument an, sie seien ein Verstoß gegen die Tarifautonomie. Wir sehen das anders: Wir verteidigen die Tarifautonomie. z.B. gegen das Lohndumping der Hartz-Gesetze und gegen alle Vorstöße des Staates, tariflich vereinbarte Bedingungen bei Löhnen und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Wir verteidigen sie aber nicht gegen gesetzliche Regelungen, die uns vor Dumpinglöhnen schützen. Im Gegenteil kämpfen wir für solche Gesetze. Wenn Gewerkschaften sich gegen gesetzliche Mindestlöhne aussprechen, die oberhalb der Sozialhilfe liegen, fallen sie den unteren Schichten der Arbeiter und Angestellten sowie den Arbeitslosen in den Rücken, die sich gegen Lohndumping wehren.

13) Die Arbeitgeberverbände sind faktisch ebenfalls für eine Art Mindestlohn. Das Kapital will nämlich möglichst niedrige Löhne zahlen und durch Lohnzuschüsse aus Steuermitteln bis zu einem bestimmten "Mindestlohn" aufgestockt bekommen ("negative Einkommensteuer"). Das Kapital strebt massive Lohnsubventionen aus Lohn- und Mehrwertsteuern an.
Das lehnen wir ab. Wir treten für einen gesetzlichen Mindestlohn ein, nicht für "Kombi"löhne.

14) Einen gesetzlichen Mindestlohn zu fordern, bedeutet nicht, dessen Festlegung der Regierung oder dem Parlament zu überlassen. Regierung und Bundestag, die die Lohndumping-Agenda beschlossen haben, wollen sie natürlich nicht über einen existenzsichernden Mindestlohn wieder außer Kraft setzen. Der Gesetzgeber wird ohne massiven Druck von Beschäftigten und Arbeitslosen nicht bereit sein, einen ausreichenden Mindestlohn zu beschließen.

15) Der gesetzliche Mindestlohn muss lohnsteuerfrei sein. Seine Einführung würde außerdem die Einnahmen der Sozialversicherung erheblich erhöhen und damit der Krise der Sozialversicherung entgegenwirken.

16) Ein gesetzlicher Mindestlohn von wenigstens zehn Euro fördert auch den Kampf für Arbeitszeitverkürzung. Denn je niedriger die Löhne sind, desto geringer ist das Interesse an Arbeitszeitverkürzung.

17) Die Forderung nach einem Mindestlohn von wenigstens zehn Euro muss wesentlicher Bestandteil des Kampfs gegen die Lohndumping-Agenda sein. Auf dieser Basis ist ein Bündnis zwischen beschäftigten und arbeitslosen Lohnabhängigen möglich.

Frankfurt, den 01.09. 2004

Anhang:

  • Im Jahr 2002 gab es rd. 41 Millionen LohnarbeiterInnen, von denen etwa 14 Millionen Menschen, d.h. über ein Drittel, innerhalb dieses Jahres zeitweise oder dauernd arbeitslos waren. (Klartext, Sind Arbeitslose faul, Frankfurt 2004, 8-9; Jahresgutachten des Sachverständigenrats 2003/2004, Stuttgart 2004, 534) Innerhalb eines Jahres beenden etwa sieben Millionen Arbeitslose ihre Arbeitslosigkeit und etwa genauso viele werden arbeitslos. Zwei der Drittel der Arbeitslosen sind ArbeiterInnen;
  • Rd. 3/4 der beschäftigten ArbeiterInnen hatte 2001 ein Nettoerwerbseinkommen unter 1.534 Euro monatlich, 43% sogar unter 1.125 Euro; Rd. 60% aller Angestellten hatten ein Nettoerwerbseinkommen unter 1.534 Euro, rd. ein Drittel unter 1.125 Euro.
    (Statistisches Taschenbuch 2003, Tabelle 5.13)
  • Durchschnittlich betrug das Arbeitslosengeld in Deutschland 732 Euro (2001), die Arbeitslosenhilfe 522 Euro. (Arbeitsmarkt 2002, Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg 2003, 84)
  • Der durchschnittliche Sozialhilfebedarf eines Alleinstehenden beläuft sich 2002 auf etwa 640 Euro, der eines Ehepaars mit zwei Kindern auf 1.600 Euro . (Stand Ende 2002; Grundinformationen und Daten zur Sozialhilfe, Juli 2003, 28)

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