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Updated: 18.12.2012 15:51
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Sand ins Getriebe?

Überlegungen zum Umgang mit Eingliederungsvereinbarungen von Henry Lohner

Auf etlichen Seiten wird gegen Hartz IV usw protestiert. Aber kaum jemand scheint sich Gedanken darüber zu machen, wie man es den Herrschenden (und ihren Lakaien, d.h. Sachbearbeitern) so vergällen könnte, daß das System der Armutsverwaltung zusammenbricht.
 
Vorab, ich beziehe z.Zt. Sozialhilfe in München, gelte aber (trotz chronischer Krankheit) als "arbeitsfähig" und dürfte ab 1.1. wohl zur Zwangsarbeit herangezogen werden. Ich bin kein Experte in Rechtsverdrehung, aber ein paar Möglichkeiten Sand ins Getriebe des Systems zu streuen sind mir doch aufgefallen ...
 
Das Münchner Sozialamt verschickt inzwischen Formulare (nur 2 Blatt im Gegensatz zu den 16 Seiten für AHi-Empfänger) hinsichtlich persönlicher Daten, Aktenzeichen usw. Diese sollen bis 30.09. zurückgesandt werden.
 
Jeder Betroffene muß eine "Eingliederungsvereinbarung" abschließen (d.h. einen "freiwilligen" Vertrag) in dem er gewissen Auflagen hinsichtlich Arbeitssuche zustimmt. Wenn diese "Eingliederungsvereinbarung" nicht freiwillig unterzeichnet wird, setzt der Sachbearbeiter diese von Amts wegen fest (unter Androhung der Kürzung von Leistungen.) (Voller Gesetzestext suche "SGB II" z.B. in Beck-online oder dejure.org)
 
Auf der Rückseite des (Anfrage-)Formulars verzichtet der Antragsteller auf Datenschutz und das Recht auf persönliche Freizügigkeit (jeder Aufenthalt außerhalb des Wohnorts ist vom Sachbearbeiter zu genehmigen.
 
Dazu fällt mir folgendes ein:

  • Die Formulare sollten erst am letzten Tag der Frist abgegeben werden.
  • Die Angabe einer Telephonnummer/eMail-Adresse ist zu verweigern ("Die Kosten sind im Regelsatz nicht enthalten - kann ich mir nicht leisten." Postalische Kontaktierung durch das Amt dauert länger.)
  • Der Datenweitergabe vor Inkrafttreten des Gesetzes ist zu widersprechen.
  • Desweiteren sollte mit dem Antrag schriftlich erklärt werden, daß einer Einschränkung des Rechts auf Freizügigkeit/freie Berufswahl/Niederlassungsfreiheit sowie Art 4 MRK vorsorglich widersprochen wird.
  • Das Unterzeichnen der Eingliederungsvereinbarung sollte IMMER abgelehnt werden, um das Amt zu zwingen diese als Bescheid zu erlassen.
    Warum? Die "freiwilige" Unterzeichnung hat juristisch (meiner Meinung nach) gravierende Nachteile. Wer mit den Auflagen (unter Androhung der Leistungskürzung) nicht einverstanden ist, kann Widerspruch einlegen.
    Wenn jedoch "freiwillig" unterschrieben wurde, ist es schwierig dagegen anzugehen (der "Vertrag" müßte vom Amtsgericht [Gebührenvorschuß!] für sittenwidrig erklärt werden, da unter Zwang entstanden - das dauert und hat keine aufschiebende Wirkung. Die Erfolgsaussichten dürften gering sein.)
    Ist jedoch die "Eingliederungsvereinbarung" von Amts wegen erlassen, handelt es sich um einen Bescheid, gegen den vor dem Verwaltungs- oder Sozialgericht [gebührenfrei!] vorgegangen werden kann.
  • Angenommen nur 10% der Langzeitarbeitsscheuen klagen, dürfte das Gejammer der Behörden und Gerichte so groß werden, daß dieser Blödsinn wieder weg muß.
  • Leistungen nach Hartz IV sind in der gesamten BRD - im Gegensatz zur Sozialhilfe, gleich hoch. Der clevere "Empfänger" könnte darin noch eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung sehen .... [Immerhin leben wir in einem "Rechts"staat; Grüße an G. Beckstein]
  • Weiterer Papierkrieg könne dadurch geschaffen werden, den Sachbearbeiter samt zuständigen Amtsleiter wegen Erpressung anzuzeigen. "§ 253 Erpressung (1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt und dadurch dem Vermögen des Genötigten oder eines anderen Nachteil zufügt, um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist."
    Leider wird sich kaum ein deutscher Staatsanwalt dazu herablassen das Aushungern vom Armen, verwerflich zu finden ...

Aktualisierung des Autors vom 2.12.04:

Inzwischen liegt das hervorragende Buch "Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) Grundsicherung für Arbeitssuchende" von Prof. A. Brühl/ Dr. A. Hofmann das bis Mitte August aktualisiert ist vor mir [ISBN 3-9809050-1-2, Bestellung dr.ahofmann@t-online.de; €12,80 inkl. Versand].
Beim Durchlesen hat mich gefreut, daß zwei Juristen mit mir einer Meinung sind (man kann sich stellenweise beim Lesen nicht des Eindrucks erwehren, daß hier jemand nur darauf wartet vor Gericht seine Krallen in das Gesetz zu bekommen um es höchstinstanzlich zu zerfetzen ...)
 
Nach dem Durchlesen möchte ich meine Anmerkungen noch wie folgt erweitern:
 
Die Eingliederungsvereinbarung ist vom "Kunden" gemeinsam mit dem "Fallmanager" zu erarbeiten (bei Uneinigkeit unter Zuziehung eines zweiten AA bw Vorgesetzten). Das kann dauern.
Vorgelegtes erst mal zu Hause prüfen. selber detailliert möglich wenig abtreten.
Man hat ja ein Recht auf Akteneinsicht (die findet i.d.R. außerhalb normaler Sprechzeiten statt). Wieder extra Termin, kann man kurzfristig verschieben usw. Kostet Zeit um andere "Fälle" zu "managen".

Prof Brühl empfieht (S. 103) unter anderem folgende Strategie gegen das "freiwillige" unterschreiben der Eingliederungsvereinbarung:  "Eine nicht zufriedenstellende Vereinbarung braucht nicht unterschrieben zu werden. ... ist immer noch das bessere Übel einem Eingliederungsbescheid ins Auge zu sehen. Bei einem solchen Verhalten ist eine ALG II-Reduzierung nicht zu befürchten ..., jedenfalls nicht begründet. Diese dürfen nicht erfolgen, wenn ein wichtiger Grund für das Verhalten vorliegt (§31[1]S2) bzw nicht ausreichendes Mitwirken (§38[2]) gegeben ist [sic]. an solchen Voraussetzungen fehlt es jedoch, wenn jemand trotz Verhandlungsmitwirkung sich aufgrund begründeter Vorbehalte nicht zu einem Abschluß der der Eingliedrungsvereinbarung bereitfindet."
 
Ansonsten darf man natürlich die Möglichkeiten eines Antrags auf Ausstellung eines "E303" nicht unterschätzen (das haben andere im Netz schon besser erklärt.)

Aber nie vergessen: Im Umgang mit den Sachbearbeitern immer schön ruhig, aber stur bleiben. Schön brav um Fristverlängerungen bitten, krank werden usw.
Und IMMER alles schriftlich machen bzw bestätigen lassen!


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