Sand ins Getriebe?
Überlegungen zum Umgang mit Eingliederungsvereinbarungen
von Henry Lohner
Auf etlichen Seiten wird gegen Hartz IV usw
protestiert. Aber kaum jemand scheint sich Gedanken darüber zu machen,
wie man es den Herrschenden (und ihren Lakaien, d.h. Sachbearbeitern)
so vergällen könnte, daß das System der Armutsverwaltung
zusammenbricht.
Vorab, ich beziehe z.Zt. Sozialhilfe in München, gelte aber (trotz
chronischer Krankheit) als "arbeitsfähig" und dürfte
ab 1.1. wohl zur Zwangsarbeit herangezogen werden. Ich bin kein Experte
in Rechtsverdrehung, aber ein paar Möglichkeiten Sand ins Getriebe
des Systems zu streuen sind mir doch aufgefallen ...
Das Münchner Sozialamt verschickt inzwischen Formulare (nur 2 Blatt
im Gegensatz zu den 16 Seiten für AHi-Empfänger) hinsichtlich
persönlicher Daten, Aktenzeichen usw. Diese sollen bis 30.09. zurückgesandt
werden.
Jeder Betroffene muß eine "Eingliederungsvereinbarung"
abschließen (d.h. einen "freiwilligen" Vertrag) in dem
er gewissen Auflagen hinsichtlich Arbeitssuche zustimmt. Wenn diese "Eingliederungsvereinbarung"
nicht freiwillig unterzeichnet wird, setzt der Sachbearbeiter diese von
Amts wegen fest (unter Androhung der Kürzung von Leistungen.) (Voller
Gesetzestext suche "SGB II" z.B. in Beck-online oder dejure.org)
Auf der Rückseite des (Anfrage-)Formulars verzichtet der Antragsteller
auf Datenschutz und das Recht auf persönliche Freizügigkeit
(jeder Aufenthalt außerhalb des Wohnorts ist vom Sachbearbeiter
zu genehmigen.
Dazu fällt mir folgendes ein:
- Die Formulare sollten erst am letzten Tag der Frist abgegeben werden.
- Die Angabe einer Telephonnummer/eMail-Adresse ist zu verweigern ("Die
Kosten sind im Regelsatz nicht enthalten - kann ich mir nicht leisten."
Postalische Kontaktierung durch das Amt dauert länger.)
- Der Datenweitergabe vor Inkrafttreten des Gesetzes ist zu widersprechen.
- Desweiteren sollte mit dem Antrag schriftlich erklärt werden,
daß einer Einschränkung des Rechts auf Freizügigkeit/freie
Berufswahl/Niederlassungsfreiheit sowie Art 4 MRK vorsorglich widersprochen
wird.
- Das Unterzeichnen der Eingliederungsvereinbarung sollte IMMER abgelehnt
werden, um das Amt zu zwingen diese als Bescheid zu erlassen.
Warum? Die "freiwilige" Unterzeichnung hat juristisch (meiner
Meinung nach) gravierende Nachteile. Wer mit den Auflagen (unter Androhung
der Leistungskürzung) nicht einverstanden ist, kann Widerspruch
einlegen.
Wenn jedoch "freiwillig" unterschrieben wurde, ist es schwierig
dagegen anzugehen (der "Vertrag" müßte vom Amtsgericht
[Gebührenvorschuß!] für sittenwidrig erklärt werden,
da unter Zwang entstanden - das dauert und hat keine aufschiebende Wirkung.
Die Erfolgsaussichten dürften gering sein.)
Ist jedoch die "Eingliederungsvereinbarung" von Amts wegen
erlassen, handelt es sich um einen Bescheid, gegen den vor dem Verwaltungs-
oder Sozialgericht [gebührenfrei!] vorgegangen werden kann.
- Angenommen nur 10% der Langzeitarbeitsscheuen klagen, dürfte
das Gejammer der Behörden und Gerichte so groß werden, daß
dieser Blödsinn wieder weg muß.
- Leistungen nach Hartz IV sind in der gesamten BRD
- im Gegensatz zur Sozialhilfe, gleich hoch. Der clevere "Empfänger"
könnte darin noch eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung
sehen .... [Immerhin leben wir in einem "Rechts"staat; Grüße
an G. Beckstein]
- Weiterer Papierkrieg könne dadurch geschaffen
werden, den Sachbearbeiter samt zuständigen Amtsleiter wegen Erpressung
anzuzeigen. "§ 253 Erpressung (1) Wer einen Menschen rechtswidrig
mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer
Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt und dadurch dem Vermögen
des Genötigten oder eines anderen Nachteil zufügt, um sich
oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe
bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Rechtswidrig
ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels
zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist."
Leider wird sich kaum ein deutscher Staatsanwalt dazu herablassen das
Aushungern vom Armen, verwerflich zu finden ...
Aktualisierung des Autors vom 2.12.04:
Inzwischen liegt das hervorragende Buch "Sozialgesetzbuch
Zweites Buch (SGB II) Grundsicherung für Arbeitssuchende" von
Prof. A. Brühl/ Dr. A. Hofmann das bis Mitte August aktualisiert
ist vor mir [ISBN 3-9809050-1-2, Bestellung dr.ahofmann@t-online.de;
€12,80 inkl. Versand].
Beim Durchlesen hat mich gefreut, daß zwei Juristen mit mir einer
Meinung sind (man kann sich stellenweise beim Lesen nicht des Eindrucks
erwehren, daß hier jemand nur darauf wartet vor Gericht seine Krallen
in das Gesetz zu bekommen um es höchstinstanzlich zu zerfetzen ...)
Nach dem Durchlesen möchte ich meine Anmerkungen noch wie folgt erweitern:
Die Eingliederungsvereinbarung ist vom "Kunden" gemeinsam mit
dem "Fallmanager" zu erarbeiten (bei Uneinigkeit unter Zuziehung
eines zweiten AA bw Vorgesetzten). Das kann dauern.
Vorgelegtes erst mal zu Hause prüfen. selber detailliert möglich
wenig abtreten.
Man hat ja ein Recht auf Akteneinsicht (die findet i.d.R. außerhalb
normaler Sprechzeiten statt). Wieder extra Termin, kann man kurzfristig
verschieben usw. Kostet Zeit um andere "Fälle" zu "managen".
Prof Brühl empfieht (S. 103) unter anderem folgende
Strategie gegen das "freiwillige" unterschreiben der Eingliederungsvereinbarung:
"Eine nicht zufriedenstellende Vereinbarung braucht nicht unterschrieben
zu werden. ... ist immer noch das bessere Übel einem Eingliederungsbescheid
ins Auge zu sehen. Bei einem solchen Verhalten ist eine ALG II-Reduzierung
nicht zu befürchten ..., jedenfalls nicht begründet. Diese
dürfen nicht erfolgen, wenn ein wichtiger Grund für das Verhalten
vorliegt (§31[1]S2) bzw nicht ausreichendes Mitwirken (§38[2])
gegeben ist [sic]. an solchen Voraussetzungen fehlt es jedoch, wenn jemand
trotz Verhandlungsmitwirkung sich aufgrund begründeter Vorbehalte
nicht zu einem Abschluß der der Eingliedrungsvereinbarung bereitfindet."
Ansonsten darf man natürlich die Möglichkeiten eines Antrags
auf Ausstellung eines "E303" nicht unterschätzen (das haben
andere im Netz schon besser erklärt.)
Aber nie vergessen: Im Umgang mit den Sachbearbeitern immer schön
ruhig, aber stur bleiben. Schön brav um Fristverlängerungen
bitten, krank werden usw.
Und IMMER alles schriftlich machen bzw bestätigen lassen!
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