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Updated: 18.12.2012 15:51
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Ralph Hartmann

Schluß mit der Kritik an Schröders Agenda

Alle schlagen auf die Regierung und auf Schröders Agenda ein. Wer schlägt nicht alles ein?
Die schwarz-gelbe Opposition, weil ihr der Sozialabbau nicht weit genug geht, während ihre Bundestagsabgeordneten mit lukrativen Nebentätigkeiten nicht selten das Fünf- bis Zehnfache des Abgeordnetengehaltes von 7009 Euro im Monat hinzuverdienen.

Die wenigen Linken in der SPD und bei den Grünen, die mutig gegen ihre Partei-Oberen aufmüpfen, um dann mehrheitlich zu kuschen.

Die PDS, indem sie die Agenda 2010 anprangert und eine „Agenda sozial“ dagegensetzt, zugleich aber in Berlin gemeinsam mit der SPD rigiden Sozialabbau betreibt.

Boulevardzeitungen, die in fetten Schlagzeilen die sozialen Grausamkeiten der Regierung gegen die Armen kundtun und dabei die Jahresbezüge der Top-Manager der 30 DAX-Unternehmen, im vergangenen Jahr durchschnittlich 1,25 Millionen Euro, schamhaft verschweigen.

Das Fernsehen, das in einigen Sendungen die Folgen der Schröderschen Agenda für arme Mitbürger darstellt und einer bekannten Moderatorin für eine einzige Sendung ein Honorar von rund 28 000 Euro zahlt.

Schluß mit der Heuchelei! Es wird Zeit, daß die Agenda 2010 und ihre Bannerträger Schröder, Fischer, Müntefering, Eichel, Scholz auch einmal verteidigt werden. Denn ihre Politik, die bekanntlich alternativlos ist, bringt viel Gutes. Sie stärkt die Grundlagen, auf denen unser freiheitliches Gesellschaftssystem beruht, sie schützt unser demokratisches Staatswesen. Zum Beweis dürfte ein Beispiel genügen: die Umwandlung der bisherigen Arbeitslosenhilfe in das „Arbeitslosengeld II“ und seine Absenkung auf das Niveau der Sozialhilfe, im Westen auf 354 und im Osten auf 331 Euro:

Erstens, durch die Einführung des „Arbeitslosengeldes II“ wird sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger von 2,8 Millionen auf 4,5 Millionen erhöhen. Eingespart werden Milliarden Euro, die dringend benötigt werden. Denn irgendwie muß doch – nach all den Steuerbefreiungen für Unternehmer – dem Bundeskanzler neben seinem Amtsgehalt von 219 657 € das Schatteneinkommen von 74 004 € , resultierend aus Abgeordnetenpauschale und Diäten, finanziert werden. Oder das gleich hohe Zusatzeinkommen des Finanzministers zu seinem regulären Salär von 164 987 €. Irgendwoher muß auch das Geld kommen, um dem Ex-Oberbundesagenten für Arbeit, Florian Gerster, nach seinem verdienten glanzlosen Abgang 430 000 € Abfindung zu zahlen. Und wie sonst könnnte man der Bankgesellschaft Berlin und ihren Tochterbanken unter die Arme greifen, damit sie ihren 2001 wegen Mißwirtschaft fristlos gekündigten Vorstandschefs jährlich jeweils 200 000 € Pension überweisen können? Merke: Je mehr Arbeitslose zu Sozialhilfeempfängern werden, desto leichter die finanzielle Versorgung unserer Elite in Politik und Wirtschaft.

Zweitens, die Erhöhung der Zahl der Sozialhilfeempfänger festigt die innere Sicherheit, schützt unseren Staat vor seinen Feinden und stärkt ihn im Kampf gegen den Terrorismus. Die Möglichkeiten, die die Sozialhilfe für das Ausspähen der Bürger und potentieller Terroristen bietet, sind enorm. In ihrer Effizienz übertreffen sie solche herkömmlichen Methoden wie Video-Überwachung oder kleinen und großen Lauschangriff bei weitem. Sozialhilfeempfänger müssen nicht nur detailliert über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse und die ihrer nahen Verwandtschaft, über Besitz von Bargeld, PKW, Briefmarkensammlungen, Partnerschaftsbeziehungen, Bildungsstand, vorangegangene Arbeitsverhältnisse, Wohnungswechsel, körperliche oder geistige Behinderungen, eventuelle Impfschäden usw. informieren, sondern den (Sozial-)Kundschaftern auch Zugang zu ihren Wohnungen und Einblick in ihre Küchen, Bäder, Toiletten, Kühlschränke, Schlafstätten bis unter die Bettlaken gewähren. Selbsverständlich sind sie auch verpflichtet, jede, auch die kürzeste Abwesenheit unverzüglich und unaufgefordert zu melden. Mit anderen Worten: Ihre Beobachtung ist so umfassend, daß andere staatliche Observierungsdienste davon nur träumen können. Deshalb merke: Je größer die Zahl der Sozialhilfeempfänger, desto sicherer unser Staat.

Drittens, Sozialhilfe dient dem Staat und der Wirtschaft selbst da, wo sie nicht gezahlt wird. Jeder Arbeitnehmer, gleich ob Hilfsarbeiter oder hochqualifizierter Spezialist, weiß jetzt, daß er nicht nur arbeitslos werden, sondern nach kurzer Zeit in die Sozialhilfe abstürzen kann. Diese Drohung schwebt über allen, sie wird Fleiß, Leistungsbereitschaft, Arbeitselan und -disziplin sowie politisches Wohlverhalten in einem bisher nicht gekannten Maße fördern. Die angedrohte Zwangsarbeit zu Niedriglöhnen, manche nennen sie gar eine moderne Form der Sklaverei, wird ein übriges dazu leisten. Merke: Je mehr Sozialhilfeempfänger, desto besser für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Und viertens, die wachsende Zahl der Sozialhilfeempfänger hilft den arg strapazierten Rentenkassen. Denn Arme – und das sind zumeist Sozialhilfeempfänger – sterben bekanntlich früher. Allein ein Blick auf die Bundeshauptstadt bestätigt dies. Im Bezirk Kreuzberg liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei 69,6 Jahren, im Nobelbezirk Zehlendorf leben die Männer durchschnittlich 75 und die Frauen 80 Jahre. Wenn die Kreuzberger Sozialhilfeempfänger schneller, möglichst vor Erreichung des Rentenalters, das Zeitliche segnen, verzichten sie zwangsläufig auf jegliche Rentenansprüche, helfen also dem Staat zu sparen und die Altersbezüge in Zehlendorf und anderswo zu bezahlen. Merke: Je mehr Sozialhilfeempfänger, desto sicherer die Renten in Deutschland.

Kurzum: Mit der Agenda 2010 befindet sich die Bundesrepublik Deutschland auf einem guten Weg in eine sichere Zukunft. Es wurde Zeit, das endlich einmal im Ossietzky zu sagen.

Dieser Beitrag von Ralph Hartmann, erschienen in "0ssietzky" Nummer 3/2004


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