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Updated: 18.12.2012 15:51
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Ein Gespenst geht um - das bedingungslose Grundeinkommen (BGE)

Vorbemerkung

Es hat eine Weile gedauert bis ich mich dazu durchringen konnte, nun auch meine - sicher streitbare - Meinung zur Auseinandersetzung um ein BGE, oder besser: um eine Forderung nach einem BGE zu äußern. Eigentlich gilt mein Hauptinteresse dem Widerstand gegen die Hartz-Gesetze und andere Agenda 2010-Unappetitlichkeiten. Von der Sache her betrifft jedoch die kompromisslose Ablehnung eines BGE durch manche Gewerkschaftslinken auch meinen Interessenbereich. Hinzukommt, dass ich zum Verständnis ihrer Probleme mit dieser Forderung erst einmal ein paar Grübelstunden einlegen musste.

Um den Rahmen nicht zu sprengen, konnte ich für diesen, von seiner Länge her hoffentlich immer noch einigermaßen überschaubaren Beitrag, leider nicht alle Aspekte dieses interessanten Themas behandeln. Zur Ergänzung und zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema BGE, empfehle ich besonders die Beitrage von Mag Wompel (z.B. "BGE - Großer Nutzen und kein Schaden einer unkapitalistischen Forderung gegen den Fetisch Lohnarbeit" im LabourNet Germany bzw. leicht gekürzt "Realisierbar ist, wofür wir kämpfen! Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) - eine unkapitalistische Forderung gegen den Fetisch Lohnarbeit" in Graswurzelrevolution 322 vom Oktober 2007). Mag Wompel trug mit ihren kritischen Anmerkungen auch entscheidend zu dieser Endfassung meiner Kritik an den linken Gegnern eines BGEs bei.

Dass ich mich hier ausschließlich auf die Ausführungen des linken BGE-Gegners Rainer Roth (vgl. "Zur Kritik des Bedingungslosen Grund-Einkommens", Frankfurt, Mai 2006) beziehe, bitte ich nicht persönlich zu nehmen. Nur soweit ich es überblicke, stellen die Darlegungen von Rainer Roth offensichtlich einen entscheidenden Bezugspunkt für eine ganze Gruppe von Linken dar. Wo ich mich also auf Rainer Roth beziehe, meine ich immer die Inhalte. Ich will auch nicht ausschließen, dass Rainer Roth selbst - zumindest hier und dort - noch einiges korrigiert.

Die Kenntnis von Rainer Roth's Position zum BGE setze ich hier voraus bzw. empfehle ggf. die Lektüre seiner oben genannten Broschüre. Einen guten Überblick über die BGE-Debatte gibt ersatzweise zur Broschüre die LabourNet-Seite: "Debatte um linke Kritik am BGE"

Armin Kammrad, 18.09.2007

 

Worum es Rainer Roth beim BGE geht

Nichts hat mich in der letzten Zeit mehr überrascht, als die konsequente Ablehnung eines BGEs - nicht durch das Kapital - sondern durch einige Gewerkschaftslinke. Rainer Roth, der für seine Kritik am Kapitalismus und seinen Analysen der aktuellen wirtschaftspolitischen Entwicklung bekannt ist, widmet dem BGE sogar eine ganze Broschüre. Er versucht dort nachzuweisen, "dass die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle weder als konkrete Tagesforderung noch als langfristiges Ziel den Interessen der Lohnabhängigen entspricht, seien sie erwerbslos oder beschäftigt" (S.3 Hervorh. im Original).

Damit wurde eine ganze Gruppe von Linken, nämlich die (wie z.B. die Erwerbsloseninitiative BAG-SHI), welche ein BGE fordern, in die Ecke von Spaltern gestellt. Denn - so Rainer Roth - eine solche Forderung "sprengt die gemeinsame Grundlage, sobald versucht wird, sie ganz oder scheibchenweise als zentrale Losung durchzuboxen" ( a.a.O. S.3). Diese Unterstellung ist in sofern starker Tobak, weil umgekehrt die linken BGE-VertreterInnen all jene Forderung, die Rainer Roth für richtig hält (vor allem Arbeitszeitverkürzung mit Personalausgleich und einen gesetzlichen Mindestlohn) durchaus teilen.

Versucht die herrschende Wirtschaftsideologie permanent die Erwerbslosen von Opfern des System zu Tätern zu machen, so kommt auch Rainer Roth mit Forderungen an die Erwerbslosen daher: " Wenn Erwerbslose eine bedingungslose Verpflichtung der Erwerbstätigen verlangen, sie zu finanzieren, während sie selbst keinerlei Pflichten anerkennen, ist kein Bündnis zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen möglich" (S.7). Nun ja, das klingt fasst wie aus dem Wirtschaftsministerium. Was veranlasst Rainer Roth solche fragwürdigen Statements abzugeben?

Rainer Roth will die reale Bewegung in ein bestimmtes theoretisches Korsett packen. So behauptet er: "Nur LohnarbeiterInnen können ein Interesse an der Abschaffung des Arbeitszwangs entwickeln". (S.50). Real geht es bei den gewerkschaftlichen Kämpfen jedoch immer noch nur um Tarife und nicht um die Beseitigung des Zwangscharakters, welcher mit der Lohnarbeit unweigerlich verbunden ist. Diesen Rahmen will Rainer Roth auch nicht überschritten wissen, ähnlich der herrschenden Rechtsprechung, welche Streiks auch nur für tariflich regelbare Ziele zulassen will (vgl. z.B. BAG 1 AZR 396/06 "Unterstützungsstreiks" v. 19.06.2007). Rainer Roth fährt nämlich mit der Behauptung fort:

"Solange aber das Privateigentum an Produktionsmitteln besteht, kann es keine Aufhebung des Zwangs zur Lohnarbeit geben, werden Menschen also nach Lohnarbeit verlangen" (a.a.O.). Das zunehmende Interesse an einem BGE beweist allerdings, dass immer mehr Menschen sich gerade nicht zur Lohnarbeit zwingen lassen wollen. Deshalb fordern sie ja ein BGE, was unabhängig vom Verkauf der eigenen Arbeitsfähigkeit als wirtschaftlich verwertbare Ware die Existenz sichern soll.

Rainer Roth's Ablehnung eines BGEs bezieht sich also nicht ausschließlich auf Erwerbslose und deren Interesse, nicht alles als zumutbar akzeptieren zu müssen. Rainer Roth's Gegnerschaft umfasst durchaus auch Erwerbstätige, so fern sie das Diktat der Lohnarbeit nicht mehr als einzig mögliche Existenzgrundlage akzeptieren wollen. Deshalb "tadeln VertreterInnen von Erwerbslosen", wie Rainer Roth unterstellt, auch nicht die "LohnarbeiterInnen dafür, dass sie den Arbeitszwang" akzeptieren (a.a.O.). "Zu tadeln" ist viel mehr eine Theorie, die sich einerseits äußerst "revolutionär" gibt, andererseits jedoch nicht bereit ist, die Bestrebungen zum Bruch mit der traditionellen Lohnarbeit zu unterstützen.

Ich frage mich überhaupt, was für Verpflichtungen da die Erwerbslosen anerkennen sollen. Real versucht wohl derzeit das Kapital die Erwerbstätigen zu einer expansiven Wirtschaftspolitik durch Lohnsenkungen und andere Formen intensiverer Ausbeutung zu verpflichten. Angesicht der neusten Zahlen, dass allein das Privatvermögen in Deutschland mittlerweile satte 9 Billionen Euro (mit Abzug von Verpflichtungen immer noch 7,7 Billionen Euro) beträgt, ist ein bedingungsloses Grundeinkommen sicher keine unverschämte Forderung. Dass sie angeblich den Erwerbstätigen irgendwo wehtun könnte, ist eine Behauptung von Rainer Roth, deren Beweis er schuldig bleibt.

Was bedeutet ein Bedingungsloses Grundeinkommen?

Anbetracht der Drohung von Rainer Roth gegen erwerbslose sowie erwerbstätige BGE-Befürworter, will ich nochmals daran erinnern, um was es bei einem BGE inhaltlich eigentlich geht: Erstens um eine ausreichende Existenzsicherung und zweitens um eine Unabhängigkeit von staatlicher und betrieblicher Repression, gegen den Trend, dass letztlich alles zumutbar sei.

Dabei ist ein BGE nicht absolut zu sehen. Es gibt weder eine völlige Bedingungslosigkeit, noch ein dauerhaft fest fixierbares Grundeinkommen, das wohl am treffendsten - allgemein ausgedrückt - als das bezeichnet werden kann, was mensch aktuell zum Leben braucht (inkl. erforderlicher Inflationsausgleiche). Diese materiellen Bedingungen begrenzen auch die Bedingungslosigkeit. Die Grenze eines sog. "soziokulturellen" Grundeinkommens (auch "Grundsicherung" oder "Existenzgeld" genannt) soll nicht überschritten werden, was eine Bedingung für das BGE darstellt. Könnte ein BGE monatlich 10.000, 100.000 usw. Euro betragen, wäre es kein Grundeinkommen mehr.

In sofern stellt ein BGE keine schlichte Eigentumssicherung im Sinne von GG Art. 14 Abs.1 dar. Eher lässt es sich aus GG Art. 14 Abs.2, d.h. aus der Sozialverpflichtung des Eigentums, ableiten. Vor allem das Kapitaleigentum darf nicht dazu führen, dass nicht einmal eine ausreichende Existenzsicherung ohne Zwang zur Verwertung gerade im Sinne des von der Ausbeutung der Arbeitskraft lebenden Kapitals möglich ist. In sofern geht es beim BGE auch darum, dass Arbeit - ausschließlich als eine durch Andere ausbeutbare Ware - nicht demokratisiert wird. Es geht um die Frage: Wie sollen die Betroffen - ob mit oder ohne Lohnarbeit - überhaupt eine Existenzsicherung erreichen? Wie sollen sie den Jahrhunderte langem fatalen Zwang überwinden, dass "Eigenverantwortung" durch Arbeit immer Verkauf der eigenen Arbeitskraft zur möglichst effektiven Ausbeutung bedeutete?

Rainer Roth hat mit der demokratischen Seite einige Probleme, die daher zu rühren scheinen, dass er einerseits die negative Bedeutung der kapitalistischen Profitwirtschaft bezüglich der Menschenwürde zwar erkennt, sie jedoch nicht einmal theoretisch überwinden kann. So fragt er: " Kann wirklich ein Leben in Würde über Geld verwirklicht werden, wenn Geld voraussetzt, dass Menschen ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen müssen? Oder ist auch der Warencharakter der Arbeitskraft menschenwürdig?" (S.61).

Rainer Roth meint hier wohl nicht den Warencharakter der Arbeits kraft , sondern der Arbeit - doch egal: Menschenwürde setzt Unabhängigkeit vom Zwang zum Verkauf der Arbeit als Ware, eben ein BGE, voraus - und dies muss immer in irgendeiner Form materiell gesichert sein. Selbst ohne Geldwirtschaft muss ein Leben in Menschenwürde und - aktiv sozial gedacht - für Menschenwürde materiell gesichert sein (Rainer Roths "Sozialismus", völlig ohne Geldwirtschaft, erscheint mir etwas zu utopisch und unökonomisch). Selbst ein BGE kann umso niedriger ausfallen, je mehr der Staat kostenlos zur Verfügung stellt. In diesem Sinne bedeutet die Forderung nach einem BGE nichts weiter, als dass der Staat diese für ein menschenwürdiges Leben notwendigen Bedingungen eben schaffen soll. Dies regelt sich nicht über Tarifkämpfe in den Betrieben, welche - nach GG Art. 9 Abs. 3 - nur "zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" mit den Vorgaben des bürgerlichen Vertragsrechts statthaft sein sollen (vgl. oben), sondern in einer Auseinandersetzung mit dem Staat als ideellen und materiellen Gesamtkapitalisten. Die Bedeutungen der Kämpfe im Betrieb werden dadurch nicht geschwächt, sondern im Gegenteil gestärkt, weil es nicht mehr nur um den betriebs- oder branchenspezifischen Anteil am Mehrwert geht, sondern um dessen gesamtgesellschaftliche Verteilung. Es geht beim BGE nicht um einen rein ökonomischen, sondern um einen politischen Kampf.

Rainer Roth verwechselt hier beim Geld zwei Dinge: Sicher - das kapitalistische Wirtschaftssystem spiegelt sich maßgeblich im Geld wider. Nur, gerade deshalb ist der ausschließlich tarifpolitische Blickwinkel zu eng. Alle gewerkschaftlichen Kämpfe im Betrieb wollen einen möglichst hohen Anteil an der Wertverteilung in "ihrem" Betrieb, Konzern oder "ihrer" Branche (Flächentarif). Wer nicht (mehr) dabei ist, bekommt weder etwas ab, noch beeindruckt sein Streik das Kapital dort, wo es von den Streikenden nicht ökonomisch abhängig ist. Demgegenüber stellt ein BGE das ganze System in Frage, weil es den Mechanismus der ökonomischen Abhängigkeit sowohl für das System insgesamt als auch für den von ihm abhängig betroffenen Einzelkapitalisten in Frage stellt.

Diesen Aspekt spiegelt das Geld gerade nicht wider. Die Funktion des Geldes wirkt nicht betriebs- oder konzernbezogen, in ihm verborgen liegt die Funktionsweise des Gesamtsystems. Dies drückt sich z.B. darin aus, dass betriebliche Kämpfe an die entscheidende Vermögensverteilung gar nicht herankommen können. So kann ein Betrieb Pleite machen oder - was heute mehr die Regel ist - bewusst in die Pleite geführt werden. Im klassischen Fall unterliegt es tatsächlich der - für den Kapitalismus typischen - Konkurrenz. Welcher Profit soll dann zu Gunsten der Erwerbstätigen verteilt werden? Ein BGE koppelt die Existenzsicherung von diesem Prozess ab und betrachtet den Staat nicht nur als ideellen, sondern auch als materiellen Gesamtkapitalisten; dieser steuert ja - notfalls mit Polizei und Militär - maßgeblich die gesellschaftliche Verteilung der Werte. Ein BGE garantiert deshalb auch die Unabhängigkeit von der kapitalistischen Konkurrenz unter den Kapitalisten und sogar unter den Arbeitern. Und dies kann durchaus " über Geld verwirklicht werden" (vgl. oben).

Dass es sich beim BGE, weil es durch Geld gewährleistet wird, um "´Geldzentriertes` Denken" (S. 50) handeln würde, ist also falsch. Bei einem BGE geht es um eine bedingungslose Sicherung der Existenz unter den Bedingungen der Geldwirtschaft, jedoch gegen den Zwang zum Verkauf der Arbeitsfähigkeit als Ware.

Rainer Roth leitet aus der Funktion des Geldes im Kapitalismus eine kapitalistische Funktion des BGEs ab, weil es sich in Geld darstellt. Dabei macht er nicht nur das BGE, sondern auch die Lohnarbeit von einer "ausreichenden Rendite des Kapitals" abhängig (a.a.O.), also gerade von dem abhängig, was die Existenz der Lohnarbeiter nicht sichern kann (vgl. oben). Da ein BGE jedoch die Möglichkeit eröffnet, gerade nicht den Renditeinteressen wie ein schicksalhaftes Band folgen zu müssen, sind Rainer Roth's Ausführungen über die Funktionen des Geldes im Kapitalismus hier ohne Relevanz. Bestenfalls ließe sich sagen, dass mit der Absage an Arbeit nur als ausbeutbare Ware für Andere, nicht nur der kapitalistische Begriff von Arbeit in Frage gestellt wird, sondern auch jener Kapitalismus, der sich im Geld verkörpert. Die Frage ist nur: Wer ist hier mehr geldzentriert? Die linken Befürworter eines BGEs oder Rainer Roth?

Rainer Roth sieht durchaus, dass das BGE "wie eine Art unbefristetes, individuelles Streikgeld wirken" würde (S. 44, Hervorh. im Original). "Das klingt zunächst gut" , fügt er an und beschwört dann die Macht des Kapitalismus mit folgenden aufschlussreichen Worten:

"Einen Kapitalismus, der die Wertschöpfung so verteilt, dass die Masse der Menschen nicht mehr gezwungen ist, ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen, kann es nicht geben. Eine solche Veränderung würde nicht nur die Existenzbedingungen der Lohnabhängigen "aufheben", sondern auch die des Kapitals! Das Kapital hat kein Interesse an Selbstmord" (a.a.O.) .

Die Interessen des Kapitals sind bekannt. Doch sind es auch unsere Interessen? Der sich hier immer wieder so klassenkämpferisch verstehende Rainer Roth knickt gerade dort ein, wo es interessant zu werden beginnt. Natürlich würde ein BGE den Verkauf der Arbeitsfähigkeit als eine für Andere Mehrwert schaffende Ware deutlich in Frage stellen. Nur sollen wir deshalb lieber hübsch in dem vorgegeben Rahmen verbleiben, nur weil das Kapital kein "Interesse an Selbstmord" hat? Marx sprach wenigstens noch von einer "Arbeiterklasse als Totengräber des Kapitalismus", Rainer Roth verzichtet auf die, der kapitalistischen Wirtschaftslogik widersprechende Wirkung eines BGE.

Negativ sieht Rainer Roth die Funktion eines BGEs auch bezüglich der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, welchen er als "wichtigste Form eines Grundeinkommens für alle beschäftigten LohnarbeiterInnen" bezeichnet (S.22). Dagegen spricht nichts. Nur darf nicht übersehen werden, dass dieser Mindestlohn gerade nicht Ergebnis der aktuellen Tarifkämpfe ist. Es handelt sich um eine Forderung an den Staat - ähnlich der, nach einem BGE - und beide Forderungen können sich gut ergänzen.

Rainer Roth sieht dies völlig anders. Er versucht zu spalten und behauptet: "Bedingungsloses Grundeinkommen und gesetzlicher Mindestlohn schließen sich vom Grundsatz her aus." (S.23). Das Gegenteil ist der Fall: Ein BGE wirkt wie eine untere, für das Kapital nicht unterschreitbare Grenze für einen Mindestlohn, also für den Mindestpreis beim Verkauf der Arbeit als Ware.

Rainer Roth ist durchaus bekannt, dass die steuerlich finanzierte Sozialhilfe (heute mit dem ALG II weitgehend vereint), eine untere Grenze für Lohnsenkung bildet, weshalb der Regelsatz möglichst tief angesetzt ist. Ein BGE hätte die Wirkung einer Anhebung dieser unteren Grenze und würde deshalb verhindern, dass ein Mindestlohn unter einem BGE liegen könnte. Rainer Roth sieht diesen Mechanismus auch (S.23). Da er jedoch Lohnarbeit einer bedingungslosen Existenzsicherung vorzieht, konstruiert er unvereinbare Gegensätze und behauptet, dass ein BGE den Mindestlohn " ersetzt " (a.a.O., Hervorh. im Original) und nicht als untere Grenze für einen Mindestlohn wirkt. Dabei würde ein BGE diese Forderung automatisch dorthin wieder zurückverlagern, wo sie eine Rolle spielt - in dem Betrieb. Denn auch ohne gesetzliche Festlegung, müsste der Kapitalist als Lohn mindestens das zahlen, was deutlich über einem BGE liegt. Denn darunter lohnt sich die Lohnarbeit nicht mehr.

Worauf Rainer Roth mit seiner scheinbar unvereinbarenden Gegenüberstellung von BGE und gesetzlichem Mindestlohn hinaus will, ist die Ablenkung des (noch) lohnarbeitenden Teils der Erwerbstätigen von Charakter und Inhalt der kapitalistischen Lohnarbeit - letztlich auch für sie selbst. In Wahrheit macht er nicht nur ein BGE, sondern auch die Höhe des Lohns (und Gehalts), wie ich zeigte, von der Rendite und deren Funktion in der kapitalorientierten Wirtschaft abhängig, weshalb seine Streicheleinheiten für die Lohnarbeiter unpassend, ja, unfair sind. Für deren Interesse an einem (gesetzlich garantierten) Mindestlohn stellt ein BGE eine gute Ergänzung dar, weil so ein Mindestlohn möglichst hoch ausfallen muss. Wem die Forderung nach einem BGE im Verhältnis zu manchen Hungerlöhnen als "zu hoch" erscheint, sollte sich einmal fragen, warum eine reine Sicherung der Grundexistenz heute höher liegen müsste als mancher Lohn (sogar in Bereichen, in denen Tarifverträge existieren)? Die ökonomische Basis von nicht einmal existenzsichernden Löhne, ist der Zwangscharakter der Lohnarbeit. Dieser entfällt, wenn bei einem BGE niemand mehr gezwungen werden kann, für einen Hungerlohn zu arbeiten.

Sehr aufschlussreich ist es in diesem Zusammenhang, wie Rainer Roth sich mit einer Vorstellung des "Runden Tisches der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen" über die Finanzierbarkeit eines BGE auseinandersetzt (S. 10).

Der Runde Tisch hat ein Take-Half-Modell entwickelt. Bestandteil ist ein Freibetrag, der nicht auf das Grundeinkommen angerechnet wird. Der Runde Tisch "will 50% jedes Nettoeinkommens (take half) wegsteuern und zur Finanzierung des BGE heranziehen. Der nicht anzurechnende "Freibetrag" wäre also ebenfalls 50% des Nettoeinkommens" (a.a.O.). Über dieses Modell ließe sich zweifellos streiten. Aufschlussreich finde ich jedoch, wie Rainer Roth sich damit auseinandersetzt:

Bei ihm wechseln nicht nur permanent Netto und Brutto (wobei nur der Netto-Betrag für den Erwerbstätigen interessant ist), sondern er sieht das Problem, dass bei 2.400 Euro netto oder 4.600 Euro brutto nach dem Modell des Runden Tisches der BGE bedingte Lohnzuschuss ausliefe. "Ab dieser Höhe müssten alleinstehende LohnarbeiterInnen mehr zahlen, als sie über das BGE bekommen" ( a.a.O.).

Mag sein. Nur beträgt nach Rainer Roth's eigenen Angaben das Durchschnittseinkommen von ArbeiterInnen gerade einmal 2.500 Euro brutto (!) (a.a.O.). Es liegt also damit 2.100 Euro brutto (!) unter dem Betrag, bei dem sich ein BGE von einer finanziellen Ent- zu einer Belastung umkehrt. Welche Interessen vertritt hier Rainer Roth eigentlich? Bestimmt nicht die der Durchschnittsverdiener, welche von einem BGE eindeutig profitieren würden (von der großen Masse, die mit ihrem Salär deutlich darunter liegen, einmal ganz abgesehen).

Aber selbst, wenn man dem besseren Teil der Verdienenden nicht wehtun will, was als Zielrichtung durchaus berechtigt ist, bleibt bei einem BGE die Notwendigkeit der staatlichen Umverteilung. In einem solch reichen Land wie Deutschland lässt sich eben keine Existenzsicherung durchsetzen ohne Umverteilung. Umverteilung ist jedoch etwas, was bei Rainer Roth höchstens in Nebensätzen behandelt wird.

Die Vorstellung, dass "das Kapital dem Menschen dient und nicht umgekehrt" (BAG SHI, zitiert auf S.69), hält Rainer Roth für einen Irrweg: "Die VertreterInnen des BGE stellen sich ein Kapital vor, das kein Kapital mehr ist, ein Kapital, dass sich vom Saulus zum Paulus gewandelt hat" (a.a.O.). Rainer Roth zieht aus der Aussage der BAG-SHI den Schluss, dass diese für den Kapitalismus wären, weil sie ihre Sehnsucht nach einer Gesellschaft "ohne Lohnarbeit und Armut (.) auf dem Boden der Kapitalverwertung mit dem Kapital befriedigen will. Kapitalismus darf es schon sein, aber gefälligst ohne die Folgen, die er hat." (S.71). In Wahrheit scheint die BAG SHI allerdings weder gegen noch für den Kapitalismus zu sein - sie ist allerdings für eine bedingungslose Grundsicherung (Existenzgeld). Aber verewigt solcher Standpunkt "die Verhältnisse, in denen Arbeitslosigkeit, Armut und Existenzunsicherheit auf der einen und riesige Kapitalüberschüsse auf der anderen Seite der Bilanz stehen" , wie Rainer Roth unterstellt (a.a.O.)?

Rainer Roth macht den Fehler, dass er die Umverteilung von gesellschaftlichen Werten für soziale Zwecke ausschließlich außerhalb des Kapitals ansiedelt. Im Kapitalismus selbst geht nichts. Der Kapitalismus ist feindlich gegen jede soziale Ausrichtung, folglich ist diese im Kapitalismus auch nicht möglich. Eine solche ausschließliche Logik legt Rainer Roth bewusst nahe. Nur, was ist mit dem Kampf gegen gerade diese dem Kapitalismus ureigenste Tendenz? Lohnen sich denn all die Forderungen, wie Arbeitszeitverkürzung, Mindestlohn usw. überhaupt, wenn das Kapital diese nicht will? Warum tritt Rainer Roth selbst für Forderungen ein, von denen er weiß, dass das Kapital sie nicht will?

In Wahrheit ist alles eine Frage des Kräfteverhältnisses, beim BGE eine Frage, wie konsequent dafür eingetreten wird (und weniger, mit welcher Vorstellung mensch diese Forderung vertritt). Was den gesellschaftlichen Rahmen betrifft, sollte eines allerdings klar sein: Die Wirtschaft sollte dem Menschen dienen und nicht die Mehrheit der Menschen nur eine Ware (analog einer Maschine) innerhalb des Wirtschaftssystem sein. Dass die BAG SHI den Kapitalismus wollen, welchen Rainer Roth hier theoretisch ausbreitet, ist eine Unterstellung, die versucht aus einer etwas unglücklichen Formulierung einen unvereinbarenden weltanschaulichen Gegensatz zu konstruieren.

Rainer Roth baut seine Theorie dagegen auf einem Zwang auf, nämlich auf dem, "durch Arbeit die nötigen Lebensmittel zu erzeugen und menschliche Bedürfnisse nach Lebensqualität und Genuss zu befrieden" (S.5), so als wäre Zwang nicht das direkte Gegenteil von Lebensqualität und Genuss. Die nahe liegende und für Lebensqualität und Genuss entscheidende Grundsicherung der Existenz kommt nicht vor. Er will dazu nicht in den herrschenden Verteilungsmechanismus des gesellschaftlichen Reichtums eingreifen, weil so etwas dem Wesen des Kapitalismus widerspräche. Die Folge ist, dass sie immer ungleicher wird. Selbst Vollbeschäftigung sichert nicht mehr die Existenz. Dies bedeutet allerdings auch: Ein Eingriff in die herrschenden Verteilungsmechanismen wird immer vordringlicher. Gerade eine Grundsicherung, die nicht mehr an den Verkauf der eigenen Arbeitsfähigkeit gebunden ist, stellt einen solchen Eingriff dar und erfordert ihn auch. Ein BGE erfordert tatsächlich, dass "Geld nicht als Kapital, sondern für die Konsumbedürfnisse der Bevölkerung" verwendet wird und nicht mehr ausschließlich "Profit bringend angeleg(t), sondern verteil(t)" wird (S.69). Ich frage mich nur, was hat gerade Rainer Roth dagegen, dass ein BGE den Kapitalismus in Frage stellt?

Wer schafft alle Werte?

Rainer Roth meint den Schlüssel des Erfolges für seinen Kampf gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen in der marxistischen Mehrwertstheorie gefunden zu haben. Da die Arbeiter alle Werte schaffen, hätten sie auch ein Recht darauf, Verpflichtungen auszusprechen. Dies klingt zwar recht logisch, Rainer Roth handhabt diese These jedoch völlig anders als Marx. War für letzteren die internationale Vereinigung des Kampfes gegen das global agierende Kapital der Schlüssel zum Erfolg, ist auf den ganzen 80 Seiten der Polemik von Rainer Roth kein Wort darüber zu lesen, dass große Teile des Mehrwerts nicht nur exportiert, sondern mit steigender Tendenz importiert werden.

Ich nehme allerdings nicht an, dass Rainer Roth noch nie etwas von Globalisierung gehört hätte. Dieser Aspekt passt nur nicht in die Konstruktion des angeblich spaltenden Erwerbslosen mit seiner Forderung nach einem BGE. Dabei spielt das global agierende Kapital in völlig anderer Richtung eine wesentliche Rolle.

Weil Rainer Roth ein BGE nicht als Mittel gegen den Kombilohn, sondern als Lohnersatz betrachtet sehen will, sägt er auch ein Bisschen am Bewusstsein der LohnarbeiterInnen und unterstellt, dass es nicht entwicklungsfähig wäre. Er meint, wenn sie ein BGE als Lohnzuschuss bekämen, "sind sie eher bereit, die angestrebten untertariflichen Armutslöhne zu akzeptieren" (S.11). Dieses hier rein unterstellte geringe Klassenbewusstsein, mag zwar zu einer Theorie passen, in der die - sich als sozialistisch verstehende - Führung glaubt immer alle zur Arbeit zwingen zu müssen, sie hat nur nichts mit den maßgeblichen Gründen zu tun, warum der Reallohn heute immer mehr nach unten gedrückt wird: Es ist die Erpressung mit Standortverlagerung und Verkäufen (wie z.B. an Blackstone bei der Telekom), welche heute maßgeblich die Kampfparität zugunsten der Kapitalseite verschiebt. Dies ist ein materieller Druck. Die Nachteile, welche Rainer Roth bei einem BGE für Erwerbstätige sieht, existieren höchsten in der Einbildung.

Was das Kapital im Zuge der Globalisierung praktiziert, ist eine scheinbar grenzenlose Umverteilung von Mehrwert. Auch der wirtschaftlich "gut gestellte" deutsche Konzern, welcher "seinen" Beschäftigten 3 Prozent mehr Lohn und Gehalt zugesteht, lebt von der weltweiten Wertabschöpfung. Gleichzeitig ist diese internationale Wertschöpfung jedoch auch eine wesentliche Ursache für Personalabbau und sinkende Löhne und Gehälter in Deutschland. Ein BGE würde deshalb auch in diesem Punkt deutliche Grenzen gegenüber einer maßlosen Absenkung der Existenzsicherung nach unten bewirken. Es ist also gerade in Zeiten des global agierenden Kapitals existenziell.

Bei einem BGE geht es nicht um eine Umverteilung von Lohnarbeit, sondern um die Umverteilung dessen, was die Lohnarbeiter weltweit als Wert geschaffen haben. Gegen solche Art BGE würden sich deshalb sicher auch nicht die Arbeiter anderer Länder wehren. Ist denn nicht auch deren Situation maßgeblich davon bestimmt, dass der Kapitalismus mit seinem Zwang zur Lohnarbeit für ihre Armutsexistenz verantwortlich ist? Was würden die Menschen in den von brutalem Neokolonialismus gebeutelten Ländern gerade im Fall von Deutschland wohl lieber sehen: Dass der deutsche Staat seiner Bevölkerung eine bedingungslose Existenz sichert, oder dass er dieses Geld in ein Militär steckt, was mit Mord und Totschlag weltweit wirtschaftliche Ausbeutung für das deutsche Kapital sichert? Auch der sog. "Ausländer", der hier anderen angeblich "was wegnehmen will", gefährdet bei einem BGE die Existenzsicherung der Inländer nicht, sondern bekommt sogar das, was er in der Heimat nicht bekam - eine bedingungslose Grundsicherung. Gefährdet unkontrollierte Zuwanderung nicht "unser aller" Wohlstand? Nein. Wohlstand für alle ist ohne ein BGE nicht möglich. Und auch mit wem wir Kontakt haben, sollte nicht dem Diktat wirtschaftlicher Verwertbarkeit unterliegen dürfen.

Rainer Roth benutzt die Marx'che Mehrwertstheorie, um den Arbeitern hier im Land zu schmeicheln und verschweigt, dass kapitalistische Rendite nicht mehr national adäquat abgeleitet werden kann. So drückt sich auch im Geld, das z.B. ein Erwerbsloser in Deutschland als BGE bekäme, sicher nicht nur der Schweiß von Rainer Roth's Zielgruppe, den Erwerbstätigen hier im Land, aus. Die Wertschöpfung des deutschen Kapitals ist global.

Bereits für das 18. Jahrhundert stellte der belgische Ökonom Ernest Mandel fest: "Der Wert des Goldes und Silbers, das Amerika bis zum Jahre 1666 entrissen wurde, die Beute, die von der holländisch-westindischen Kompanie in Indonesien von 1650 bis 1760 erzielt wurde, die Gewinne des französischen Kapitals beim Slavenhandel im 18. Jahrhundert, die Einkünfte, die durch die Slavenarbeit auf den britischen Antillen erlangt wurden und die über fünfzig Jahre andauernde Ausplünderung Indiens durch England, übersteigen bei weitem den Wert des gesamten investierten Kapitals in allen europäischen Industrien bis zum Jahre 1800." (aus E. Galeano, "Die offenen Adern Lateinamerikas", Wuppertal, 1980). Daran hat sich auch heute nichts Wesentliches geändert, obwohl die (offene) Slavenarbeit durch die moderne Lohnarbeit ersetzt wurde.

Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen - ich bin nicht der Ansicht, dass Rainer Roth irgendwo nationalem Gedankengut offen gegenübersteht. Ich bin allerdings der Meinung, dass diese national beschränkte Sichtweise immer dort angelegt ist, wo Mehrwert und Geld nur abstrakt und nicht mit Blick auf die konkrete Entwicklung des Kapitalismus betrachtet werden. Ich habe den Eindruck, dass Rainer Roth's Bezüge und Anleihen bei Marx darüber hinwegtäuschen sollen, dass die Analyse der kapitalistischen (aber auch der sozialistischen) Ökonomie noch viele schwarze Flecken hat, die genauer untersucht werden müssten. Dies zeigt sich auch an einem anderen Punkt: Den Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft.

Warum ein BGE nichts anderes zum Ausdruckt bringt, als die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft

Bei Marx ist die Definition des Wertes der Ware Arbeitskraft eine Konsequenz der Mehrwertstheorie: Wenn die Arbeitskraft die einzige Ware ist, welche mehr Wert produziert als sie selbst besitzt, muss sich auch deren Wert bestimmen lassen. Rainer Roth zitiert hier die Definition von Marx (vgl. S.12), welche darauf hinaus läuft, dass die "Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel", einschließlich des Nachwuchses, diesen Wert bestimmt (a.a.O.). Gleichwohl ist eine konkrete Bestimmung äußerst schwierig, allein schon deshalb, weil die nationalen Lebensverhältnisse nicht mit der internationalen Wertschöpfung durch das Kapital zusammenfallen.

Die herrschende kapitalorientierte Ökonomie orientiert sich in diesem Punkt an Grenzwerten. Ab einer bestimmten Höhe würde sich der Lohn ungünstig auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken. So heißt es z.B. im Gutachten des Sachverständigenrats "Arbeitslosengeld II reformieren: Ein zielgerichtetes Kombilohnmodell", Wiesbaden, August 2006, auf S.1: " Unternehmen stellen nur dann Arbeitskräfte ein, wenn die Arbeitskosten durch das Wertgrenzprodukt des Beschäftigten gedeckt werden". Mit dem Wertgrenzprodukt ist der Umstand gemeint, dass die Produktion im Verhältnis zur Arbeitskraft an eine bestimmte Grenze stößt. Diese besteht darin, dass eine Erhöhung der Anzahl der Arbeitskräfte nicht zu einer linearen Erhöhung der Produktivität führt. "Je mehr Arbeiter nachgefragt werden, desto weniger trägt ein zusätzlicher Arbeiter zur Produktion bei", lernt heute der angehende Volks- oder Betriebswirtschaftler an der Uni.

Richtig daran ist, dass, vom Gesamtprozess der kapitalistischen Produktion her betrachtet, der Wert der Ware Arbeitskraft nicht statisch ist. Richtig ist deshalb allerdings auch, dass er nicht von dorther bestimmt werden darf. Der Wert der Ware Arbeitskraft bestimmt sich danach, was zur Lebenshaltung aktuell benötigt wird und nicht an dem, was nach kapitalistischen Kriterien die Arbeit kosten darf, damit sie den Rahmen des kapitalistischen Wirtschaftens nicht sprengt. Die Argumentation der Sachverständigen (vgl. oben) läuft deshalb genau betrachtet darauf hinaus, dass die kapitalistische Art des Umgangs mit der Ware Arbeitskraft relative Verelendung erzeugen muss, die tendenziell in absolute Verelendung übergeht (vgl. dazu besonders Emil Lederer " Technischer Fortschritt und Arbeitslosigkeit - Eine Untersuchung der Hindernisse des ökonomischen Wachstums", Nachdruck Frankfurt a.M., 1981 oder die ausführlichen Untersuchungen von Kuczynski). Ursache dafür ist jedoch nicht ein zu hoher Preis (Lohn) der Ware Arbeitskraft, sondern das Interesse des Kapitals an möglichst hohem Profit. "Die Realisierung von Extraprofiten führt zur Stagnation der Produktion", belegte Emil Lederer bereits 1932 durch umfangreiche Berechnungen.

Wer einmal die Ableitung des Werts der Arbeitskraft aus den Reproduktionskosten bei Rainer Roth genau liest (vgl. S.12 ff), wird feststellen, dass er diesen Wert nur defensiv, d.h. aus Sicht des Kapitals und dessen ökonomischer Zwänge bestimmt. Nach herrschender Wirtschaftslogik beträgt das soziokulturelle Existenzminimum 347 Euro (plus eines in der Kalkulation undurchsichtigen Zuschlags für Miete und Heizkosten). Davon lässt sich leben? Natürlich nicht - denn einem soziokulturellen Existenzminimum würde nur ein BGE entsprechen, was deutlich höher liegt. Ökonomisch ausgedrückt: Die heute erforderlichen Reproduktionskosten erfordern gerade ein BGE - nicht zuletzt auch und besonders für den (noch) arbeitenden Bevölkerungsteil. Rainer Roth erkennt nicht, dass der Wert der Arbeitskraft, abgeleitet aus den schwer konkret greifbaren Reproduktionskosten des Arbeiters, etwas ist, was aktiv gestaltet werden kann und muss.

Als Problem (oder auch Schwachpunkt) der Forderung nach einem BGE wird immer wieder gesehen, dass ein BGE ja bedeutet zu konsumieren, aber nicht gleichzeitig an der Herstellung gesellschaftlicher Werte teilnehmen zu müssen. Der Grund für dieses Missverhältnis ist jedoch, dass ohne Bruch mit dem Zwang zum Verkauf der eigenen Arbeitsfähigkeit als Ware, sich immer weniger die erforderliche Höhe der Reproduktionskosten erreichen lässt, weil die Arbeit als Ware beinhaltet, dass deren Wert durch das Kapital bis hinab auf die Armutsgrenze gedrückt wird. Ein BGE verbindet beides: Es bricht mit dem Zwang zur Lohnarbeit und setzt die materielle Existenz auf das erforderlich hohe Maß. Ohne BGE können sich immer weniger Lohnarbeiter reproduzieren. Ökonomischer Ausdruck davon ist der sog. "Niedriglohn", dessen Anteil nach Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung bereits von 1990 bis 2001 um ca. 2 Prozent gestiegen ist.

Ausdruck davon sind auch wachsende inflationäre Tendenzen. So meldete das Statistische Bundesamt jüngst, dass neben Lebensmitteln, besonders der Preis für Bildung gegenüber August 2006 um 28,7 Prozent gestiegen ist. Sollen diese Kosten mit in den Wert der Ware Arbeitskraft eingehen, so müssten die Löhne und Gehälter deutlich steigen. Allein schon der Ausgleich des Reallohnverlustes gegenüber dem Jahr 2000 würde eine Lohnerhöhung von ca. 20 Prozent erfordern. Die Entwertung der Arbeitskraft schreitet also munter voran.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich hohe Lohnforderungen nicht ebenfalls inflationär auswirken könnten. Nach herrschender Wirtschaftstheorie gefährden hohe Löhne die Arbeitsplätze, weil angeblich die Produktion zu teuer und damit nicht mehr wettbewerbsfähig wird. Die Wahrheit ist jedoch, dass ein hohes Renditeniveau erhalten bleiben soll. Anlagen in Kapital sollen eine hohe Verzinsung ermöglichen, weil andernfalls kein Vermögen angelegt werden würde. Real bezahlen die hohen Renditen jedoch die Lohnarbeiter mit immer geringeren Löhnen und erhöhter Ausbeutung ihrer Arbeitskraft.

Selbst aus der sehr abstrakten Definition des Werts der Ware Arbeitskraft durch Rainer Roth, ergeben sich deshalb aus der Logik der kapitalistischen Wirtschaft nicht, wie er behauptet, bei einem BGE automatisch "Lohnsenkungen" (vgl. z.B. S.23), sondern dass ein BGE die Ware Arbeitskraft für das Kapital deutlich verteuern würde. Es müsste dann nämlich deutlich mehr für eine Arbeitskraft zahlen, als ohne BGE. Ein BGE bedeutet selbst in diesem (abstrakten) Sinne nur höhere, da bedingungslose Reproduktionskosten und ist deshalb, zu deren Verteidigung unverzichtbar.

Dies kann durchaus inflationäre Wirkungen haben, da mit der Arbeitskraft sich auch die anderen Waren tendenziell verteuern könnten. Diese inflationäre Tendenz ist jedoch nur Ausdruck davon, dass zwischen wirtschaftlichem und sozialem "Wert" des arbeitenden Menschen eine sich ständig vergrößernde Lücke klafft. Deshalb führt - wie auch das Beispiel Venezuela zurzeit ansatzweise zeigt - die materielle Befriedigung von sozialen, d.h. nicht wirtschaftlich verwertbaren Belangen, immer zu mehr oder weniger ausgeprägten inflationären Tendenzen. Dies liegt einfach daran, dass sich das Kapital aktuell zu etwas entwickelt hat, was soziale Belange nicht mehr aus der Portokasse befriedigen kann (und natürlich auch nicht will). Allerdings - inflationäre Entwicklungen können auch durch sehr hohe Lohn- und Gehaltsforderungen ausgelöst werden (weshalb sie nach herrschender Wirtschaftslogik nicht über der Produktivität liegen sollen); dies ist keine Besonderheit eines BGEs. Alles, was die ungehemmte Entwicklung des Kapitalismus in Frage stellt, kann sich für ihn sehr nachteilig auswirken. Nur: Ohne Eingriffe in die Logik des kapitalistischen Marktes tragen diese Nachteile die Lohnabhängigen und Erwerbslosen. Soll inflationären Auswirkungen (aber auch einer staatlichen Verschuldung) bei einem BGE entgegengewirkt werden, muss es durch eine Umverteilung von Werten und Vermögen realisiert werden. Denn, wie jeder weiß, der etwas Marx gelesen hat, ist die herrschende Vorstellung von einer sog. "Lohn-Preis-Spirale" kritisch zu betrachten. Werte werden nicht in der Zirkulationssphäre, sondern durch Produktion erzeugt.

Rainer Roth weiß, dass es dem Kapital nicht "in erster Linie darum (geht), Kinder aus der Sozialhilfe (heute ALG II) herauszunehmen, sondern um Lohnsenkungen. Es geht nicht um Armutsbekämpfung, sondern um Lohnsenkungen und Profitvermehrung. Die Kosten des Nachwuchses der Arbeitskräfte sollen vergesellschaftet werden, während ihre Nutzung nach wie vor privat bleibt. " (S.13, Hervorh. im Original). Hier besteht kein Streitpunkt. Nicht nachvollziehen lässt sich jedoch Rainer Roth's Schwenk hin zu einem BGE: "Das BGE entlastet das Kapital in noch stärkerem Maße davon, die Kosten des Nachwuchses an Arbeitskräften über den Lohn aufzubringen" (a.a.O.). Warum soll diese Forderung falsch sein, wenn das Kapital immer höhere Anteile der Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft auf den Staat verlagert (vergesellschaftet) hat? Soll der Staat kein Kindergeld, keine Pendlerpauschale, ja, sich völlig aus jeder Lohnsubvention heraushalten, nur weil Rainer Roth meint, dies erübrige sich durch Tarifkämpfe im Betrieb?

Rainer Roth verkennt hier völlig die Funktion des kapitalistischen Staates. Dieser bedient sich durch Steuern sehr ausgiebig aus dem Lohn. Deshalb geht es bei der Auseinandersetzung mit dem Staat letztlich darum, wie er diese zwangsweise eingezogenen Gelder verwendet. Es ist deshalb eine völlig unangebrachte Forderung, dass der Staat nicht einmal Kindergeld zahlen soll. Die hier entscheidende Frage ist, wer überhaupt Steuern zahlt und in welcher Höhe. Steuern sind das wesentlichste Mittel des Staates Umverteilungen durchzusetzen. Auch bei einem BGE geht es nicht darum, ob es nun durch höhere Löhne ersetzt werden könnte, sondern dass die zwangsweise abgezogenen Steuern im Sinne von ausreichenden Reproduktionskosten verwendet werden. Über den Staat ist darüber hinaus noch etwas möglich, was sich im Rahmen von Tarifkämpfen nicht bewältigen lässt: Eine Umverteilung des gesellschaftlichen Werts über die Interessen der Einzelkapitalisten hinaus.

Die Forderung nach einem BGE richtet sich deshalb recht organisch an den Staat, weil der Einzelkapitalist die darin implizierte Umverteilung gar nicht vernehmen kann. Hier wird nicht nur auf die Kombilohnfunktion des Staates, d.h. ein Teil vom Lohn bekommt als Steuern der Staat, den anderen Teil darf der Lohnabhängige behalten, abgezielt, sondern auch auf das Verhältnis von Kapitalrendite und Vermögen einerseits zum Lohnanteil als Wert der Arbeitskraft andererseits. Ein BGE umfasst deshalb mehr als das, was sich aus einer Wertbestimmung der Ware Arbeitskraft innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftslogik ableiten lässt. Es zielt vor allem auf den Teil ab, den das Kapital als seinen angeblich "berechtigten" Anteil zu deklarieren versucht. Aus dieser angeblichen Berechtigung resultiert ja erst die Notwendigkeit, aus rein existenziellen Gründen ein BGE fordern zu müssen. Dies ist allerdings nur ein anderer Ausdruck dafür, dass Lohnarbeit keine dauerhafte und umfassende Existenzsicherung bringen kann. Dazu bedarf es viel mehr einer, von der kapitalistischen Logik der Lohnarbeit unabhängigen Definition von Arbeit.

Warum ein BGE kein Kombilohn ist

Rainer Roth behauptet: "Das BGE wirkt, wie wir gesehen haben, aus seiner ökonomischen Logik heraus als Kombilohn, fördert also Lohnsenkungen" (S.23). Das Kombilohn-Argument von Rainer Roth ist offensichtlich das, was bei manchen linken Gewerkschaftern am problemlosesten auf fruchtbaren Boden fällt. Dies liegt offenbar an der recht simplen Logik, welche Reiner Roth wie folgt Leser und Leserin unterbreitet:

"Das Lohnniveau könnte mit Einführung des BGE in dem Maße sinken, wie die Reproduktionskosten der Arbeitskräfte aus Steuermitteln anstatt über Löhne bezahlt werden" (a.a.O.). Der Punkt ist nur: Auch ohne BGE werden - wie ich oben zeigte - die Reproduktionskosten der Arbeitskräfte bereits immer weniger aus den Löhne (direkt) gedeckt. Außerdem stellen sich ja in diesen Steuermitteln zum wesentlichen Teil Lohnbestandteile dar. Die praktische Folge wäre, dass über ein BGE für Erwerbstätige nur bereits vom Staat abgezogene Lohnbestandteile als BGE wieder zurückfließen würden. Es ist in diesem Sinne also keine Lohnsubvention, sondern nur eine Art des staatlichen Zurückgebens von Lohnanteilen, welche der Staat zuvor abzog. Allerdings stammt das, was der Staat als BGE bezahlt aufgrund der Internationalisierung der Kapitalverwertung, real nur zum Teil aus der Abschöpfung des Lohnes hier im Land.

Rainer Roths Darlegungen zum BGE als Kombilohn verschleiern den Umstand, dass es für die überwiegende Mehrzahl der Lohn- und sogar Gehaltabhängigen selbst nach der Rechnung des Runden Tisches (vgl. oben) einen Vorteil bedeuten würde. Faktisch würden die Erwerbstätigen in ihrer Mehrheit im Geldbeutel gar keinen Unterschied erkennen können. Ja, sie hätten den Vorteil einer Grundsicherung z.B. im Fall von Lohnkämpfen oder einfach nur als Pille gegen die, für die Lohnarbeit typische, Existenzangst.

Da Rainer Roth den kapitalistischen Staat in seiner Funktion als maßgeblichen Umverteiler nicht richtig zu begreifen scheint, übersieht er auch eine andere wesentliche Funktion eines staatlichen BGEs: Der von ihm ausschließlich in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellte Entlastungseffekt für den Einzelkapitalisten, tritt jedoch nicht über die staatliche Leistung selbst ein, sondern darüber, dass der Einzelkapitalist selbst zum Erbringen dieser Leistung immer weniger beiträgt und beitragen soll. Würde der Kapitalist für den staatlichen Lohnzuschuss mehr Steuern zahlen müssen als zuvor, tendiert der Entlastungseffekt für ihn gegen Null. Es kommt also entscheidend darauf an, in welchem Maße der Staat für ein BGE das Kapital steuerlich belastet. Eine Forderung nach einem BGE enthält umgekehrt die Forderung an den Staat: Umverteilung zu Gunsten einer ausreichenden Absicherung der Grundexistenz aller.

Für Rainer Roth gibt es beim BGE als "Kombilohn" nur den Staat, der Zuschüsse zahlt, und den Kapitalisten, der Lohnanteile spart. Der Staat ist für ihn etwas, was offensichtlich völlig außerhalb des Prozesses der Wertschöpfung steht. In Wahrheit nimmt der Staat daran aktiv teil. Hält Rainer Roth die Erwerbstätigen für unfähig, auch gegen den Staat zu kämpfen? Und ist es nicht gerade der Staat, der permanent zugunsten des Kapitals in Tarifkämpfe eingreift? Unverkennbar gestaltet der Gesetzgeber die tariflichen Kampfbedingungen (z.B. Kündigungsschutz, Steuerpolitik, Privatisierung, Deregulierung staatlicher Einflussnahme, Streikrecht usw.) entscheidend mit (jüngstes Beispiel: Der geplante Druck der Bundesregierung auf Verdi den ursprünglichen ausgehandelten Mindestlohn 8,00 Euro Ost und 8,40 Euro West bei den Postzustellern neu zu verhandeln). Deshalb sollten tarifliche Kämpfe im Betrieb zugleich immer auch als politische Kämpfe begriffen werden.

Allerdings ist es nicht möglich, allein durch Tarifkämpfe in die Verteilung des gesellschaftlichen Werts einzugreifen. Dies erfahren übrigens die Gewerkschaften immer wieder: Ihre Kämpfe um Erhöhung oder Erhalt von Löhnen, schaffen nicht mehr Arbeitsplätze. Selbst bei Arbeitzeitverkürzungen entsteht daraus keine Verpflichtung des Kapitals, nun auch mehr Menschen einzustellen. Dies ist beim gegenwärtigen Rechtssystem auch nicht möglich, es lässt diese Eingriffe in die Gestaltungsfreiheit des Kapitals nur durch den Gesetzgeber zu. Nur gerade deshalb sollten sich die Streiks mehr an den Staat, den nicht nur ideellen, sondern auch materiellen Gesamtkapitalisten wenden. Der Kampf um die Verteilung des Mehrwerts im Einzelbetrieb / Einzelkonzern verbindet sich so mit der gesellschaftlichen Wertverteilung. Im Übrigen zwingt ja gerade die gesamtgesellschaftliche Entwicklung permanent eine Lohnanpassung durchzusetzen. Inflation, Umlegung der Sozialversicherungsbeiträge vom Kapital ("Nebenkosten") auf die Lohnarbeiter sowie steuerliche Belastung der einen, lohnabhängigen Seite (z.B. Pendlerpauschale, indirekte Steuern), bei gleichzeitiger Entlastung der Kapitalseite (keine Mehrwertsteuer bei aggressiver Exportorientierung), sind ökonomisch betrachtet alles staatliche Eingriffe zugunsten des Kapitals oder Lohnsubventionen. Der Kombilohn ist nichts, was gerade dem BGE auf der Stirn steht, sondern etwas für das Kapital Typisches. Weshalb existiert überhaupt ein Sozialsystem, wenn sich alles Soziale angeblich in Tarifkämpfen dem Kapital abringen lassen könnte? Dies funktioniert auch nicht. Und deshalb wird hier permanent der Lohn vom Staat subventioniert.

Was letztlich Rainer Roth und seinen AnhängerInnen als "Kombilohn" erscheint, ist nur eine staatliche Umverteilung. Diese Umverteilung mag manchen als "Lohnsubvention" erscheinen, es ist nur keine, weil durch ein BGE nicht der Arbeiter über den Staat seinen Lohn subventioniert, sondern das Kapital aus seinem Profit über den Staat das Grundeinkommen. Dass dieses Kapital letztlich auch aus der Ausbeutung der (weltweiten) Arbeitskraft stammt, ist zweifellos zutreffend. Doch nur ein Kampf um ein BGE hat genau diesen Teil auch zum Ziel. Ein Kampf um mehr Lohn oder gegen Lohnsenkung dreht sich auch um den Anteil an der Wertschaffung, er verbleibt jedoch im betrieblichen Rahmen und spart den Staat als wesentlichen Umverteiler aus. Und was noch wichtiger ist: Hier geht es nicht mehr um einen Kampf nur um mehr Lohn innerhalb des kapitalistischen Systems der Ware Arbeitskraft, sondern um einen Kampf gegen diesen Warencharakter der Arbeit selbst. Denn ein BGE bedeutet ja genau das: Existenzsicherung ohne Zwang zum Verkauf der Arbeitskraft als ausbeutbare Ware.

Die Grenzen des rein betrieblich orientierten Kampfes lassen sich jedoch auch ökonomisch ableiten:

Angenommen - die Verteilung des Werts in einem Betrieb (in einem Konzern) war ursprünglich einmal 60 Prozent (Maschinen, Zinsen, Rücklagen für Aufkäufe usw.) und 40 Prozent Lohn und Gehalt, was passiert, wenn der von den Erwerbstätigen produzierte Wert steigt? Die Regel ist, dass die Erwerbstätigen dies gar nicht mitbekommen. Ihnen wird vielmehr gesagt, dass alles wirtschaftlich "gut" läuft, weshalb "vorerst" auf Lohnsenkungen und unbezahlte Mehrarbeit verzichtet werden kann, ja, im, besten Fall gibt es ein paar Prozent mehr, von den der materielle Gesamtkapitalist "Staat" einen großen Teil sich aneignet. Im umgekehrten Fall, welcher heute wohl die Regel ist, "läuft es plötzlich nicht mehr so gut", "man sei zu teuer" - weshalb die Löhne runter müssten und der Staat seine Arbeitsmarktpolitik mit den Interessen des Kapitals kombiniert, in dem er alle Kosten der durch das Kapital verursachten Arbeitslosigkeit "selbstverständlich" übernimmt.

Was bei all diesem Hin und Her überhaupt nicht zur Sprache kommt, ist der Umstand, dass dem Anteil von 40 Prozent Lohn und Gehalt in der Regel eine deutlich höhere Produktivität gegenübersteht, d.h. die Ware Arbeitskraft inzwischen wesentlich mehr Wert produziert als ursprünglich. Dieser Wert ist gesellschaftlich betrachtet zwar real vorhanden, es liegt nur im Wesen der kapitalistischen Wirtschaft, dass sie zwar permanent mehr Werte schafft, das damit verbundene Produktionswachstum jedoch regelmäßig zur Überproduktion führt. Dies hat wiederum zur Folge, dass Werte - einschließlich die Arbeitskraft - zerstört / abgebaut werden. Solange der Lohn eng an diesem, dem Kapitalismus wesentlichen Merkmal des Zwanges zu permanenten Wachstum gebunden ist, kann nur eine, vom kapitalistischen Wirtschaftszyklus unabhängige Grundsicherung der Existenz verhindern, dass Werte zerstört werden. Ein BGE bindet zwar gesellschaftliche Werte, jedoch auch gegenüber deren Verwendung im Sinne einer sinnlosen und von den gesellschaftlichen Akteuren ungewollten Zerstörung. Kapitalistisches Wirtschaftswachstum bedeutet grundsätzlich, immer zu produzieren, auch wenn dieses Mehrprodukt niemand mehr kaufen will oder kaufen kann. Seien es Kriege, die ökologische Umwelt oder Menschen, mit ihren Fähigkeiten und Gestaltungswünschen - Destruktion ist nur ein folgerichtiges Ergebnis eines Wachstums um seiner selbst Willen (weshalb auch Sparsamkeit etwas ist, was für die Mehrheit der Menschen im Kapitalismus zwar zwangsläufig ist, jedoch in die Logik des permanenten Wachstums nicht hineinpasst).

Wozu die Verlagerung sozial wichtiger Leistungen auf den Betrieb oder Konzern führen kann, zeigt anschaulich gegenwärtig die US-amerikanische Automobilindustrie. Anders als in Deutschland übernehmen Konzerne wie General Motors, Chrysler oder Ford Gesundheits- und Pensionsverpflichtungen für ihre Beschäftigten. Nach Angaben von J.P. Morgan betragen sie z.B. beim General Motors gegenwärtig 58,8 Milliarden US-Dollar. Anbetracht wachsender Netto-Verluste wird nun über deren Umfinanzierung und Abbau nachgedacht. Diese Entwicklung ist jedoch folgerichtig, weil hier auf Teile der sozialen Grundsicherung unmittelbar der kapitalistische Markt durchschlägt. Der Staat mit der Möglichkeit der gesamtgesellschaftlichen Umverteilung fehlt in den USA weitgehend. Zwar wird Wert nicht in der Zirkulationssphäre erzeugt (hier gibt es nur Gläubiger oder Schuldner), die Zirkulationssphäre wirkt jedoch auf den Lohn als Wert der Arbeitskraft zurück.

Warum also sollte bei einem BGE auch für Erwerbstätige der Lohn sinken? Rainer Roth bedient sich der Logik, dass das, was der Staat an Lohnbestandteilen zahlt, nicht der Kapitalist zahlen muss. Diese Logik stimmt und wir können sie immer mehr als staatliche Sozial- und Wirtschaftspolitik beobachten. Was Rainer Roth nicht sieht (oder nicht sehen will) ist, dass ein BGE ein entscheidendes Mittel (neben einem gesetzlichen Mindestlohn) ist, gerade die Verbreitung von Kombilöhnen zu unterbinden.

Diese Funktion eines BGE ist allerdings gar nicht so schwer zu erkennen. Nehmen wir als Beispiel die neusten Pläne der Bundesregierung für eine Lohnsubventionierung (vgl. DER SPIEGEL 38/2007):

Hier will der Staat mit 800 Millionen den Lohn in den Fällen subventionieren, in denen damit verhindert werden kann, dass die Betroffenen Hartz IV beziehen müssten. Statt gering entlohnte Teilzeit und Mini-Jobs als Job-Killer zu unterbinden, soll genau in diesem Bereich der Lohn subventioniert werden. Da zusätzlich der Freibetrag für den Zuverdienst heruntergesetzt werden soll, stehen die Betroffenen nach dieser Lohnsubvention noch schlechter da, als ohne diese. Klar sollte aber sein, dass ein solcher Kombilohn bei einem BGE nicht funktionieren würde. Nicht nur, weil es höher liegt als der subventionierte Lohn bei dieser staatlichen Regelung, sondern auch, weil der Staat diese 800 Millionen sparen könnte, denn solche Art Armutsarbeit würde niemand annehmen (müssen).

Das System der Lohnsubvention funktioniert nur, weil es kein BGE gibt. Bei einem BGE hätte das Kapital keine Wahl: Es kann zwar den staatlichen Zuschuss rechnerisch für sich abziehen. Nur was ist mit dem Rest?

Ich habe den Eindruck, Rainer Roth befürchtet weniger die Lohnsenkungen (auch wenn er dies immer wieder betont), sondern dass der Lohn, also jener Teil, den das Kapital für die Verwertung der Ware Arbeitskraft bei einem BGE zahlen müsste, die Grenzen der kapitalistischen Wirtschaftslogik in Frage stellen könnte. Können sich die Lohnabhängigen nicht viel besser und auch selbstbewusster verkaufen, wenn sie zumindest die Grundexistenz in jedem Fall auch ohne Lohnarbeit durch ein staatliches BGE sicher haben? In Wahrheit kann niemand wissen, wie sich die Erwerbstätigen mit einem BGE konkret verhalten. Sicher ist nur eines: Das Kapital liebt Kombilöhne, jedoch kein BGE.

Rainer Roth kann weder damit leben, dass ein Kampf um eine bedingungslose Grundsicherung das System in Frage stellt, noch dass die Menschen selbst entscheiden wollen, was und wie sie arbeiten. Beides fällt im Kapitalismus jedoch nicht zufällig zusammen. Anbetracht der Tatsache, dass Rainer Roth gegen ein BGE besonders viele marxistische Gedankengänge bemüht, wirkt diese Zaghaftigkeit fast makaber. Die Marx'sche Kritik an der Lohnarbeit wird bei Rainer Roth zu deren Verteidigung gegenüber den Bestrebungen, sich deren Zwangscharakter zu widersetzen. Marx schrieb am 28.12.1846 an P.W. Annenkow: "Die ökonomischen Formen, unter denen die Menschen produzieren, konsumieren, austauschen, sind also vorübergehend und historisch " (Hervorh. im Original). Bei Rainer Roth ist nicht einmal ein Ansatz von Geschichtlichkeit bezüglich des für den Kapitalismus typischen Zwangscharakters der Arbeit als Mehrwert erzeugende Ware erkennbar; für ihn ist dies nicht einmal "als langfristiges Ziel" (vgl. oben) akzeptabel.

Was ist aber mit all den BGE-Befürwortern aus dem bürgerlichen Lager, wie Straubhaar, Götz usw.? Hier wertet Rainer Roth diese ganzen Konzepte zu oberflächlich. Dass aus dieser Ecke ebenfalls und sogar schon länger theoretisch ein BGE durchgespielt wird, fußt vor allem darauf, dass trotz aller Propaganda jedem, der sich intensiv mit der herrschenden Ökonomie beschäftigt, klar ist, dass die Logik von wachsendem Kapital gleich wachsendem Wohlstand für alle nicht stimmt.

Typisch für all diese Konzepte von BGE-Befürwortern aus den Reihen des Kapitals ist, dass sie eine Lösung ausschließlich innerhalb bestehender gesellschaftlicher Vorgaben suchen. Sie suchen diese, weil sie wissen, dass der Kapitalismus selten so funktioniert, wie er soll. Sie suchen eine Lösung, weil der wachsende Widerspruch zwischen Armut und Reichtum sich nicht mehr einfach wegdiskutieren lässt. Sie suchen vor allem eine Lösung, weil sie erkennen, dass die herrschende Propaganda von einer Wirtschaft für den Wohlstand aller, immer weniger ankommt. Sie kennen nur die bestehenden Wirtschaftsbeziehungen. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass sie sich auch nur eine Lösung innerhalb dieser Grenzen vorstellen können.

Auch bezüglich Alternativen zum Kapitalismus ist es angebracht, sich vom Zwangskonzept Rainer Roth's entschieden abzugrenzen. Hier fehlt es nicht nur an der Bereitschaft zur Analyse, warum der Sozialismus bisher scheiterte, hier spielen auch fragwürdige Vorstellungen von einer Alternative zum Kapitalismus eine Rolle, bei der gerade nicht jedem eine bedingungslose Grundsicherung garantiert werden soll. Wenn deshalb heute ein BGE ausnahmslos für alle gefordert werden sollte, geht es nicht allein um die Gegenwart, d.h. dass ein Multimillionär sicher kein BGE benötigt, sondern um eine soziale Zukunft. Es kann auch nicht um eine Neidpolitik gehen, bei der oft nichts mehr den eigentlichen Charakter der Lohnarbeit enthüllt, als die Hoffnung mit einem dicken Lottogewinn nicht mehr arbeiten zu müssen. Es geht um andere gesellschaftliche Verhältnisse, eben auch um solche, vor denen niemand Angst haben muss, weil er anderer Meinung ist. Eine andere Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn jedem bedingungslos die Grundexistenz gesichert wird. Sicher, wird das gesellschaftliche Privateigentum vergesellschaftet, kann die Gesellschaft viele Dinge (wie z.B. Gesundheitswesen, Bildung, Wohnung usw.) kostenlos zur Verfügung stellen. Die Grundexistenz für alle sollte jedoch gesichert sein. Unangenehme Arbeiten, also das, wozu Rainer Roth auf den ewigen Arbeitszwang setzt, müssen einfach nur besonders honoriert werden, d.h. nicht durch Zwang, sondern durch Belohnung (besser noch durch Überzeugung) durchgesetzt werden.

Fazit

Im Fazit steckt hinter dem Konzept von Rainer Roth der offenbar eiserne Wille zu einem Kampf gegen eine Überwindung des Kapitalismus, mit der er sich nicht einmal punktuell anfreunden kann. Anstelle der von Rainer sonst bekannten (und geschätzten) Analysen, zieht er in punkto BGE Konstruktionen vor und passt seine Theorie nicht an die kapitalistische Wirklichkeit an, sondern letztere an seine theoretischen Konstruktionen. An die Stelle einer der kapitalistischen Wirklichkeit angemessenen Analyse, spiegelt sich in Rainer Roth's BGE-Gegnerschaft ausschließlich das Bewusstsein des Teils der Lohnabhängigen wider, der meint gerade mit Lohnarbeit (noch?) recht gut verdienen zu können. Folgerichtig erscheinen ihm deshalb gerade Erwerbslose, mit der Forderung nach einem BGE, als Spalter. Er verteidigt die Lohnarbeit nicht weil er dies will, sondern weil er sich keine Umverteilung gesellschaftlicher Werte vorstellen kann, die gerade nicht zu Lasten relativ hoher Löhne geht. Es ist nur leider gerade die kapitaltypische Lohnarbeit, welche auch relativ hohe Löhne immer mehr in Frage stellt. Nur ein BGE könnte hier positiv auf die Lohnhöhe wirken, weil es den Tarifkampf um den Preis der Ware Arbeitskraft, über der für alle erforderlichen bedingungslosen Grundsicherung ansiedelt.

Die Gewerkschaftslinke, welche gegenwärtig Rainer Roth in seiner rigorosen Ablehnung eines BGEs folgt, sollte auch bedenken, dass sich diese Forderung durchaus auf vergangene und neue Erfahrungen berufen kann. Kämpfe um die Sicherung der nackten Existenz drückten sich am Ende immer in einer Auseinandersetzung mit der jeweiligen Staatsmacht aus. Für die Gegenwart ist Mexiko nur ein Beispiel unter vielen dafür, dass Tarifkämpfe im Betrieb niemals ausreichend sein können, um die eigenen Existenzbedingungen in Zeiten zugespitzter wirtschaftlicher Auseinandersetzungen zu verbessern. Auch China zeigt mit seiner zurzeit galoppierenden Inflation, dass es bei der Verteidigung der Existenzbedingungen der arbeitenden Mehrheit, letztlich immer um den Staat als ideellen und materiellen Gesamtkapitalisten geht. Die Forderung nach einem BGE benennt deshalb nur den Hauptgegner einer ausreichenden Grundsicherung für alle ohne irgendwelche theoretischen und ideologischen Umwege. Als ungewöhnlich mag vielleicht die Vorstellung von einer Arbeit ohne Warencharakter erscheinen. Dies ist verständlich. Ist es doch die Form, welche über zig Generationen hinweg die Vorstellung von "Arbeit" bestimmte. Ein BGE kann diese Vorstellung nicht beseitigen, es schafft jedoch die materiellen Bedingungen für einen anderen Begriff von Arbeit, der Fremdbestimmung durch Selbstbestimmung ersetzt. Ein BGE fördert auch keine Gleichmacherei, wie die Befürworter einer möglichst "freien" (d.h. bezüglich sozialer Belange ungehemmten) Marktwirtschaft unterstellen könnten. Ein BGE ermöglicht nur die erforderliche materielle Gleichstellung, damit überhaupt möglichst viele Menschen ihre unterschiedlichen Fähigkeiten für die Gesellschaft entfalten können.

Sicher ist der Themenkomplex BGE weit größer, als von mir hier behandelt. Dessen ungeachtet gilt wohl weltweit heute, dass die bedingungslose Existenzsicherung - gegenüber dem Konzept ihrer Sicherung durch Lohnarbeit - zu einem aktuellen und vorrangigen Problem geworden ist. Deshalb wäre es von Rainer Roth und den Befürwortern seiner Kritik am BGE ehrlicher, nicht Dinge theoretisch vorweg nehmen zu wollen (oder, wie Marx kritisch zu Feuerbach bemerkte, die Welt nur interpretieren zu wollen), sondern dem praktischen Kampf darum eine Chance auf neue Erkenntnisse und Resultate zu geben. Wenn Rainer Roth ein BGE auch beim besten Willen nicht mag, manchmal ist es besser zu schweigen als lautstark zu verkünden, dass man auch nichts Besseres anzubieten hat.

Ich habe auch denn Eindruck, dass Rainer Roth weniger auf den praktischen Kampf setzt, als auf die Selbstregulierungskräfte des Kapitals. So schreibt er: "Es gilt, den gegenwärtigen Kapitalismus und seine Funktionsweise vorbehaltlos und konsequent zu analysieren und zu kritisieren. Daran fehlt es nicht nur bei den Repräsentanten der DGB-Gewerkschaften, sondern auch bei den VertreterInnen des bedingungslosen Grundeinkommens" (S.78). Richtig daran ist: Der Kampf um ein BGE ist wesentlich praktisch; er reduziert sich nicht auf Analyse und Kritik. Er vertraut und wartet auch nicht darauf, dass das Kapital, "praktisch beweist, dass es unfähig ist, die Erwartungen und Träume zu erfüllen" (S.79). Rainer Roth meint dazu: "Diesen Beweis wird es antreten" (a.a.O.). Ich meine, diesen Beweis hat es bereits angetreten. Die Aktualität einer bedingungslosen existenziellen Grundsicherung ist ein sichtbarer Ausdruck davon.


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