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Updated: 18.12.2012 15:51
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Peter Berens:

Der Babcock-Bankrott. Korrumpieren, abkassieren, liquidieren“

erschienen in Der Neue ISP Verlag (9,80 Euro, ISBN 3-89 900-067-6). Siehe die Zusammenfassung zum Buch:

„Der Oberhausener Großkonzern war Bestandteil des sozialdemokratischen Wirtschaftsimperiums und politischen Netzwerks an Rhein und Ruhr um die Westdeutsche Landesbank (WestLB) - bis zum 5. Juli 2002, als Babcock-Borsig in die Insolvenz ging. Bei Babcock standen sowohl auf der Kapitalseite als auch auf der Seite der Belegschaftsvertretung Sozialdemokraten. Die besonders enge Sozialpartnerschaft war mitverantwortlich für die Konzernkrise. Am Beispiel Babcocks zeigt der Autor auf, wie Wirtschaft und SPD in Nordrhein-Westfalen miteinander verschmolzen sind Manager abkassieren, sozialdemokratische Politiker, Betriebsräte und Gewerkschafter eingebunden werden, hinter den Kulissen Entscheidungen über Arbeit und Leben von Tausenden von Beschäftigten fallen, Lohnabhängige betroffen sind und Widerstand leisten.
In den Babcock-Nachfolgebetrieben in Oberhausen arbeiten heute noch ca. 1.000 Angestellte und Arbeiter.“


3. ”Interessenvertretung” bei Babcock

Die enge Verflechtung mit der Sozialdemokratie in Stadt und Land hatte katastrophale Auswirkungen auf die betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretung bei Babcock. Es fehlte nicht nur eine effektive Kontrolle ”von unten”, so dass Vorstand und Kapitaleigner nach Gutdünken schalten und walten konnten. SPD-Betriebsratsspitzen und sozialdemokratische Gewerkschafter versuchten auch jede wirkliche Opposition aus der Belegschaft zu unterbinden, um ihren Parteigenossen Neuber, Schleußer & Co. den Rücken freizuhalten. Daneben versuchten sozialdemokratische Betriebsräte recht erfolgreich, die eigene ”soziale Frage” zu lösen, statt die ihrer Wählerinnen und Wähler.

3.1 Schartaus Phantombündnis für Arbeit

Vom 11.11.1992 bis zum 28.6.2000 saß im Aufsichtsrat der Babcock Borsig AG der frühere Leiter des IGM-Bezirks Dortmund, Harald Schartau. Bei Babcock legte Schartau sein Gesellenstück in Sachen Lohnsenkung ab, das ihn zum Arbeitsminister von NRW qualifizieren sollte. Er verließ das sinkende Konzernschiff rechtzeitig genug, um nicht in den Sog des Untergangs gezogen zu werden.

Der heutige Minister Schartau und SPD-NRW-Landeschef fand als Gewerkschaftsjugendsekretär in Oberhausen-Essen im IGM-Bevollmächtigten Heinz Schleußer einen frühen Förderer. Schartau machte erst in der IG Metall, dann in der SPD Karriere. Als Aufsichtsrat bei Babcock konnte der IGM-Bezirksleiter sein Lieblingskind aus der Taufe heben: Das Bündnis für Arbeit. Als Schartau darüber im März 1995 ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden Schmiedeknecht führte, wusste kein Betriebsratsgremium und kein Vertrauensleutekörper von dem Geheimtreffen. Am 16. März 1996 berichtete die WAZ über den Abschluss eines ”Bündnisses für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit” bei Babcock in Oberhausen. In der Rahmenvereinbarung vom 13.3.96 hieß es: ”Die zuständigen Unternehmensleitungen und Arbeitnehmervertretungen der betroffenen Konzerngesellschaften werden bei notwendigen Personalreduzierungen gemeinsam vor der Entscheidung über betriebsbedingte Kündigungen von Mitarbeitern die Realisierung folgender Maßnahmen im Rahmen eines Interessenausgleichs überprüfen: [...] Absenkung der Arbeitszeit für Betriebe oder Teile von Betrieben auf 30 Stunden/Woche ohne Teillohnausgleich, aber mit Beschäftigungssicherung für die betroffenen Mitarbeiter für die Dauer der Arbeitszeitsenkung”.

Doch schnell sollte sich herausstellen, dass die Vereinbarung nicht das Papier wert war, auf dem sie stand. Als im Sommer 1996 zum ersten und einzigen Mal im Konzern ein Betriebsratsgremium das Bündnis einforderte, beschloss der Vorstand (!) unter Schmiedeknecht nicht nur den bereits von der Geschäftsführung der Babcock Montagegerätetechnik (BMG) angekündigten Abbau der Hälfte der 40 Arbeitsplätze, sondern die Schließung des ganzen Betriebes. Der Betriebsrat der BMG bat daraufhin Harald Schartau um Hilfe. ”Als wir den IGM-Bezirksleiter Schartau als Arbeitnehmervertreter im Babcock-Aufsichtsrat anschrieben und das Bündnis für Arbeit bei Babcock einforderten, erhielten wir nicht einmal eine Antwort” 94, hieß es in einer Dokumentation des Betriebsrates.

Noch weniger als zum Arbeitsplatzerhalt taugte Schartaus Bündnis zur Lohnsicherung. Am 23.8.96 wurde für fünf zum Babcock-Konzern gehörende Betriebe in Bitterfeld eine Härtefallregelung nach § 6 Lohntarifvertrag und § 10 Gehaltstarifvertrag vom 17.5.93 abgeschlossen. Darin hieß es: ”1. Die Erhöhung der tariflichen Löhne und Gehälter wird vom 01.07.1996 auf den 01.10.1997 verschoben. Die voraussichtliche Erhöhung der tariflichen Löhne und Gehälter zum 01.01.1997 (Niedersachsen) wird ebenfalls auf den 01.10.1997 verschoben”. Und: ”2. Die tarifliche Sonderzahlung 1996 und 1997 entfällt”. Zwar wurde die Regelung von der IGM-Bezirksleitung Niedersachsen unterschrieben. Aber von Harald Schartau als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat des Babcock-Konzerns war kein Protest zu hören.

Das ostdeutsche Beispiel sollte bald in Westdeutschland Schule machen. Am 21.11.96 teilte der Vorstand der damaligen Deutsche Babcock AG allen Geschäftsführungen, Betriebsratsvorsitzenden und Personalleitungen mit, ”dass wir gestern mit der IG Metall, Bezirksleitungen Dortmund und Wuppertal, für unsere Unternehmen in Nordrhein-Westfalen eine tarifliche Änderung des Manteltarifvertrages verhandelt haben, wonach das zusätzliche tarifliche Urlaubsgeld für Urlaubsansprüche des Kalenderjahres 1997 nicht ausgezahlt wird. [...] Wir bitten demgemäß, dass die Geschäftsführungen und Betriebsräte kurzfristig zusammenkommen, um den Arbeitnehmerbeitrag in Höhe von grundsätzlich 5% der Jahreslohn- und -Gehaltssumme bzw. bei den Gesellschaften mit negativen Ergebnissen den höheren Prozentsatz verbindlich festzulegen. [...] Die Rückzahlung der nicht ausgezahlten Urlaubsvergütungen erfolgt in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen und finanziellen Besserung des Konzerns mit Einschaltung der IG Metall frühestens ab 1998”. Der Oberhausener IGM-Bevollmächtigte erklärte gegenüber der Presse: ”Die IG Metall habe erstmals eine solche Entscheidung für ein in Schwierigkeiten befindliches Unternehmen getroffen. [...] IG Metall-Bezirksleiter Harald Schartau werde heute landesweit allen Verwaltungsstellen der Gewerkschaft den Inhalt des Papiers erläutern” Damit erwies sich der Dortmunder IGM-Bezirksleiter Schartau als Lohnsenker und Tarifbrecher.

Von dem von Vorstand und Schartau vorenthaltenen Urlaubsgeld wurde den Babcock-KollegInnen bis Mai 2000 nur 25 Prozent zurückgezahlt. Zur Verwendung der vorenthaltenen 75 Prozent (insgesamt 19,5 Mio. DM) hieß es in der Einladung zur Aktionärsversammlung vom Januar 2000: ”Die Arbeitnehmer des Babcock-Borsig Konzerns [...] haben im Geschäftsjahr 1996/97 durch Verzicht auf Vergütungsbestandteile Beiträge im Rahmen der Restrukturierung des Konzerns geleistet. Im Gegenzug ist vereinbart worden, dass die IG Metall ein Leistungsbestimmungsrecht für eine Erstattung dieser Beiträge hat [...]. Für den Rest-Mitarbeiterbeitrag sollen den beteiligten Personen als Äquivalent Wandelschuldverschreibungen der Babcock Borsig AG angeboten werden, [...]”. Und im Vorstandsbericht stand dazu: ”Von der direkten Beteiligung der Mitarbeiter an der Babcock Borsig AG versprechen Vorstand und Aufsichtsrat sich zudem positive Auswirkungen auf die Motivation der Mitarbeiter und ihre Identifikation mit dem Babcock Borsig-Konzern”. Aktienbeteiligung statt vollen Lohn – dafür setzte sich Harald Schartau als ”Arbeitnehmervertreter” im Aufsichtsrat ein.

”Freude” über die ”Belegschaftsaktien” sah die bürgerliche Presse bei den Babcock-Beschäftigten aufkommen. In Wirklichkeit war die Belegschaftsaktie ein Riesenreinfall. Ganze 2.325 von 4.649 Kolleginnen und Kollegen sollen sich für die Aktie entschieden haben, obwohl der Vorstandsvorsitzende Lederer, IGM-Schartau und viele Betriebsräte gemeinsam dafür trommelten. Und welch ein Zufall: Eine Stimme mehr als die Hälfte der Beschäftigten wurde für die Aktienoption gezählt! Wie immer dieses Ergebnis zustande kam – es durfte nicht unter 50 Prozent liegen. Schlimm genug, dass so viele Kolleginnen und Kollegen mit den Aktien nachträglich dem Raub ihres Urlaubsgeldes zustimmten. Aber die Ablehnung von der Hälfte der Belegschaft war ein Misstrauensvotum gegenüber Lederer und eine schallende Ohrfeige für die ”Arbeitnehmervertreter”. Viele der Arbeiter und Angestellten, die mit dem Aktiendeal einverstanden waren, wurden durch die Insolvenz mit Enteignung bestraft. Das von Schartau bei Babcock entwickelte Vorzeigemodell des ”Bündnisses für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit” zeigte deutlich die Folgen sozialdemokratischer Klassenzusammenarbeit für die Lohnabhängigen: Arbeitsplatzvernichtung und Lohnverzicht!

Nach Schartaus Abgang aus dem Aufsichtsrat setzte sich seine Linie fort: Täglich eine halbe Stunde unbezahlter Mehrarbeit in der Gießerei; Zustimmung zur Arbeitszeitverlängerung ohne Gehaltsausgleich von 35 Stunden wöchentlich auf 38,5 Stunden bei der Babcock-Tochter NEM durch den zuständigen Betriebsratsvorsitzenden Westfeld. In einem Brief an IGM-Vize Peters protestierten die Vertrauensleute von Babcock Borsig Service dagegen, ”wie ein großer Konzern, nämlich die Babcock Borsig AG, auf stillem Wege sich vom Tarifvertrag mit der IG Metall verabschiedet. Aus den beiliegenden Unterlagen ist ersichtlich, dass es sich um einen schleichenden Prozess handelt, der Ende 1999 begann und allmählich wie ein Virus auf den Konzern übergreift”. Der Protest war vergeblich. Schließlich handelte es sich bei Heinz Westfeld, der bei der NEM Arm in Arm mit dem Babcock-Vorstand ein Dutzend Jahre Kampf um die 35-Stunden-Woche in wenigen Stunden wieder auslöschte, um den zweiten Mann der IG Metall Oberhausen.


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