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Updated: 18.12.2012 15:51
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Telekom: Empfindliche Niederlage

Der Tarifabschluss vom 20. Juni hat bedeutende Einkommensverluste und längere Arbeitszeiten zur Folge. Trotz guter Kampfvoraussetzungen und guter Stimmung unter den KollegInnen haben Verhandlungskommission und Tarifkommission einem verheerenden Abschluss zugestimmt. Die Konsequenzen für die künftige Gewerkschaftspolitik müssen breit diskutiert werden.

Für das Durchhalten eines Arbeitskampfes waren fast alle Voraussetzungen äußerst günstig: ein hoher Organisationsgrad, eine hohe Kampfbereitschaft und eine außergewöhnlich hohe Unterstützung durch die Öffentlichkeit. Selten ist das Ansinnen einer Firmenleitung in Sachen Personalpolitik auf so große Ablehnung gestoßen.

Zwar konnte Telekom einige der Arbeiten in nicht vom Streik betroffene Call-Center usw. verlagern sowie stellenweise BeamtInnen einsetzen, und der normale Betrieb war nur schwer direkt zu treffen. Aber es stimmt nicht, dass der Streik keine Wirkung gezeitigt hat. Im Gegenteil: Telekom wollte nach der vierten Streikwoche unbedingt wieder an den Verhandlungstisch und Verdi-Vorstand und Verdi-Verhandlungskommission haben zugestimmt. Ja man hat sogar während der letzten 8 Tage, als die Verhandlungen ans Eingemachte gingen, die Zahl der Streikenden reduziert, wo doch gerade in dieser Phase - als nämlich der Streik endlich seine volle Wirkung erzielte - auf jeden Fall dieses Druckmittel hätte aufrecht erhalten werden müssen.

Verheerendes Ergebnis

Die irreführenden Verlautbarungen des Verdi-Verhandlungsführers Lothar Schröder sind eine Frechheit. Und die Verhandlungskommission behauptet in ihrem Flyer vom 20.6. doch glatt: "Die Einkommen der Beschäftigten sind trotz einer Absenkung des Entgeltniveaus, durch umfangreiche Schutzregelungen in voller Höhe gesichert [Hervorh. im Original!] - die Bedrohung der Existenzgrundlagen und des Lebensstandards der Beschäftigten wurde abgewehrt!"

  • Fakt ist, dass die Tarife um 6,5 Prozent abgesenkt werden und dass erstens die Ausgleichszahlung nur für die ersten 18 Monate den Verlust voll ausgleichen, dann nur noch zum Teil (12 Monate zu zwei Dritteln und danach 12 Monate zu einem Drittel), insgesamt also nur 42 Monate (bis Dezember 2010).
  • Zweitens gibt es jetzt eine tarifliche Nullrunde, d. h. die nächste Tarifrunde findet erst nach dem 31. Dezember 2008 statt.
  • Drittens gilt auch für die KollegInnen, die nicht in die Service-Firmen wechseln, eine Nullrunde bis Ende 2008.
  • Viertens: Alle Neueinstellungen bekommen ein um 30% niedrigeres Einstiegsgehalt (künftig also nur noch zwischen 21 400 und 23 200 € im Jahr).
  • Fünftens: Den variablen Gehaltsbestandteil will die Telekom von gegenwärtig 7% auf künftig 20% steigern.

Auch die Regelung zur Arbeitszeit ist eine reine Katastrophe. In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit verbietet es sich eigentlich für GewerkschafterInnen, einer Arbeitszeitverlängerung zuzustimmen. Die Verlängerung um 4 Stunden macht 5882 KollegInnen überflüssig. Da dafür noch nicht mal mehr Geld gezahlt wird, addiert sich die Absenkung des Stundenlohns faktisch auf 18,28%!

Hinzu kommt: Künftig ist der Samstag Regelarbeitstag, d. h. für den Einsatz am Samstag werden keine Überstundenzuschläge mehr gezahlt.

Die freche Behauptung der Verdi-Verhandlungsführung kontrastiert auffällig mit den Zahlen, die die Telekom veröffentlicht: Sie geht von einer Einsparung zwischen 500 und 900 Mio. € aus. Von wem werden sie denn aufgebracht (bzw. wer bekommt sie künftig nicht mehr ausgezahlt), wenn es nicht die Beschäftigten sind? Kein Wunder, dass sofort nach Bekanntgabe des Abschlusses der Aktienkurs um 2% anzog. Vergessen wir nicht: Allein im ersten Quartal 2007 hat die Telekom einen Gewinn von 459 Mio. € gemacht. Verdi hilft jetzt beim Höhertreiben der Gewinne.

Die Erklärung

Sicher ist es nicht einfach, wochenlang einen Streik durchzuhalten, vor allem dann, wenn nicht sofort zu spüren ist, dass die Gegenseite unter ökonomischen Druck gerät. Manche der Mobilisierungsmaßnahmen waren durchaus öffentlichkeitswirksam und es war das Bemühen erkennbar, andere gewerkschaftliche Bereiche zur Unterstützung aufzufordern.

Aber die Eile, mit der auf einmal ein Abschluss (der berühmte "Durchbruch") erzielt werden sollte, hat ganz gewiss nichts damit zu tun, dass die betroffenen KollegInnen müde geworden wären, oder dass das Verständnis in der Öffentlichkeit geschwunden wäre. Offenbar haben zwei Gründe den Ausschlag gegeben: Die Verhandlungskommission wollte die Wettbewerbsfähigkeit der Telekom bei einem weiteren Verlust von Kunden nicht gefährden. Wenn aber der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Maßstab für gewerkschaftliches Handeln wird, sollten wir uns für die Zukunft den Streik als Kampfmittel abschminken.

Zweitens ging es den Verdi-Verantwortlichen um die Schonung der Streikkasse. Dies war wichtiger als die Sicherung der Verdienste der KollegInnen. Statt also die volle Kampfkraft aufrecht zu erhalten und den Streik auszudehnen, statt um Unterstützung durch andere Gewerkschaften zu werben, statt im äußersten Notfall den Streik auch ohne Streikgeld (oder mit reduziertem Streikgeld) fortzusetzen (in vielen Ländern ist Streikgeld etwas vollkommen Unbekanntes und trotzdem wird dort gestreikt), statt dessen sitzen diese BürokratInnen auf dem Geld und setzen es nur begrenzt für den Arbeitskampf ein.

Konsequenzen

Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses der Avanti ist das Ergebnis der Urabstimmung nicht bekannt. Wir hoffen, dass möglichst viele KollegInnen den Vertrag ablehnen. Die KollegInnen sollten jedenfalls zu einem Nein ermutigt werden.

Es fragt sich übrigens auch, ob das weiter so hingenommen werden soll, dass die Tarifkommissionsmitglieder in wenigen Stunden ein 70-seitiges Abkommen durcharbeiten müssen, um dann sofort auf der Sitzung das Ergebnis der Verhandlungskommission abzusegnen. Diese Art des Durchpaukens soll offensichtlich keine Bedenken aufkommen lassen können, erst Recht keine Diskussionen unter den KollegInnen.

Wir sollten diesen verheerenden Abschluss auch zum Anlass nehmen, die alte Regelung wieder einzufordern, die früher bei der ÖTV galt, dass nämlich für die Annahme eines Tarifabschlusses 50% Ja-Stimmen erforderlich sind.

Zweitens muss uns der Verlauf dieses Arbeitskampfes sehr zu denken geben: Kann es so weitergehen, dass die KollegInnen immer wieder von der Gewerkschaftsbürokratie "verkauft" werden? Müssen wir nicht die Anstrengungen verstärken, die KollegInnen besser unter einander zu vernetzen, nicht etwa um aus der Gewerkschaft auszutreten, sondern um sich die Gewerkschaft anzueignen.

Ein wichtiger Schritt dazu ist die Bildung einer gut arbeitenden klassenkämpferischen Tendenz in den Gewerkschaften. Die heute existierende Gewerkschaftslinke ist eine Keimform oder mögliche Vorform davon, aber sie muss, wenn sie in das Geschehen eingreifen will, selbstbewusster auftreten und selbst Vorschläge machen, nicht nur sporadisch oder auf einzelne Betriebe bezogen, sondern beständig und umfassend.

D. Berger, Vorabdruck eines Artikels in Avanti - Zeitung des RSB, Ausgabe Juli/August


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