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Updated: 18.12.2012 15:51
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Siemens / IG Metall: Hän di keine Ahnung?

Die Empörung ist groß über die Pleite der ehemaligen Siemens-Handywerke in Bocholt und Kamp-Lintfort. Seit BenQ nach nur einem Jahr das Ende der Handyproduktion in Deutschland verkündet hat, ist bei Politikern und führenden Gewerkschaftern der Bösewicht ausgemacht: angeblich so fiese Taiwanesen haben das arglose Siemens-Management übers Ohr gehauen und die ehemals deutsche Firma ausgeplündert. Und kritische Stimmen reden wie so häufig, wenn Entlassungen ins Haus stehen, von Missmanagement und unfähiger Führung. Dabei ist das, was wir jetzt bei BenQ-Siemens erleben, eigentlich ganz normaler Kapitalismus. Gut muss man das trotzdem nicht finden - im Gegenteil!

Merkwürdig ist bei der Diskussion nur, dass ausgerechnet die PolitikerInnen in Krokodilstränen ausbrechen, die vor zwei Jahren Beifall geklatscht haben als die BenQ-KollegInnen noch unter Siemens-Regie 15 bis 20% Lohnkürzung aufgezwungen bekamen. Spätestens seit dem abgebrochenen Streik in der ostdeutschen Metallindustrie von 2003 kämpfen Gewerkschaften in Bezug auf die Verlängerung von Arbeitszeiten und die Verteidigung des erreichten Lohnniveaus mit dem Rücken zur Wand. Und der damalige Siemens-Chef Heinrich von Pierer hatte im Jahr 2004 die Initiative ergriffen und der Belegschaft und der IG Metall einen Sanierungstarifvertrag für die Handyproduktion abgepresst. Die Alternative hieß damals "Verlagerung der Produktion nach Ungarn". Betriebsratsmitglied Grolms von BenQ Mobile rechnet vor, dass er seit dem Abschluss ca. 400 Euro weniger im Monat hat.

Knebelverträge für die Beschäftigten

Dieser Tarifabschluss galt in Unternehmerkreisen als Pilotabschluss für die generelle Rückkehr zur 40-Stundenwoche. Die Welt am Sonntag etwa kommentierte: "Wenn das Beispiel Siemens Schule macht, gibt es nur Gewinner: die Beschäftigten. Das Unternehmen. Die IG Metall. Das Land." - Jetzt wissen wir wenigstens, wie Gewinner aussehen, wenn wir auf die Beschäftigten von BenQ blicken.

Kritiker haben bereits damals davor gewarnt, bei Siemens Zugeständnisse zu machen. Der Konzern war ja nicht wirklich notleidend. Immerhin hat er 2,2 Milliarden Gewinn im Jahr 2004 gemacht und war sogar zum ersten Mal seit Jahren gezwungen, wieder Steuern zu zahlen. Im Nachhinein zeigt sich, dass die Kritiker Recht hatten: der Deal mit der IG Metall diente nur dazu, "die Braut zu schmücken", um die Handysparte möglichst kostengünstig zu entsorgen. Hätte sich die IG Metall damals verweigert, die KollegInnen hätten auch nicht schneller auf der Straße gestanden. Und sie würden sich heute besser stehen, denn die eigentliche Ausplünderung der Beschäftigten nahm erst mit dem Verkauf an BenQ ihren Lauf.

Arschtritt als Dank

Als der taiwanesische Elektronikkonzern die Firma übernahm, haben die Beschäftigten natürlich gehofft, dass ihre Arbeitsplätze damit gesichert sind. Tatsächlich war damit die Messlatte nochmals höher gelegt: nicht mehr mit Ungarn sondern mit Fabriken in Asien standen die Standorte jetzt in Konkurrenz. Dieser Wettkampf ist nicht zu gewinnen. Für die Monatslöhne, die in Fernost gezahlt werden, kriegen die KollegInnen in Deutschland nicht mal das Benzin, das sie brauchen, um jeden Morgen zur Arbeit zu fahren. In der Konkurrenz mit den allerbilligsten Arbeitsplätzen müssen deutsche Firmen versuchen, mit Know-How zu punkten. Aber das Know-How ist im Falle von Siemens- BenQ in Form von Patentrechten sofort an den taiwanesischen Mutterkonzern übertragen worden. Daher ist es nach der Insolvenz unwahrscheinlich, dass ein eventueller Interessent überhaupt weiter produzieren könnte. Der Wert der Patentrechte wird auf über 1 Milliarde Euro geschätzt - das ist deutlich mehr als die angeblichen Verluste der deutschen BenQ Mobile.

Systematisch in die Pleite?

Aber nicht nur die Übertragung der Patentrechte deutet auf eine systematisch vorbereitete Pleite hin. Auch andere Hinweise erinnern stark an Konkursbetrug: so ist z.B. unklar, was mit den Betriebsrentenansprüchen der ehemaligen Siemensbeschäftigten passiert. Der Betriebsrat befürchtet schon, dass diese Ansprüche in der Konkursmasse verschwinden. Auf der anderen Seite sind die Ansprüche der (überwiegend deutschen) Manager rechtzeitig in einer gesonderten Gesellschaft abgesichert worden.

Öffentliche Empörung

Womit wir wieder bei der Empörung über die Manager wären. Die gab es nämlich, als bekannt wurde, dass sie sich eine Gehaltserhöhung von 30% gönnen wollten, die sie nun angesichts der öffentlichen Aufregung um ein Jahr verschoben haben. Unbeachtet blieb dabei bisher, dass sich der jetzige Siemens-Chef Kleinfeld auch 2005 schon eine Erhöhung von 2,4 auf 3,3 Millionen Euro gegönnt hat. Und das ist in der Tat deutlich weniger als die 4,6 Millionen, die sein Vorgänger Pierer noch 2004 bekommen hat. Kein Wunder, dass Kleinfeld sich eine gewisse Erhöhung versprochen hatte. Und es sage niemand, diese Manager hätten das nicht verdient. Sie wurden eingestellt, damit sie im Sinne der Aktionäre den Gewinn der Firma maximieren - vom Wohl der Beschäftigten war dabei nie die Rede! Und das geht den Managern folgerichtig auch ziemlich am Arsch vorbei.

Bank mit Elektroabteilung

Über Siemens gibt es schon seit Jahrzehnten den Witz, es sei eine Bank mit angeschlossener Elektroabteilung, ein Blick in die Bilanz bestätigt dies. Siemens macht seine Gewinne nicht durch die Produktion von Gütern sondern durch die Erträge aus Beteiligungen. Die produktiven Beschäftigten spielen daher für die Chronik der Siemens/BenQ-Pleite Juni 2003 In der ostdeutschen Metallindustrie muss die IG Metall den Streik um die 35-Stundenwoche abbrechen, weil Kanzler Schröder und Teile der westdeutschen IG-Metall-Führung den KollegInnen in den Rücken fallen. Februar 2004 Der Tarifabschluss 2004 in der Metall- und Elektroindustrie sieht unentgeltliche Mehrarbeit bei einer wirtschaftlichen Notsituation vor. "40-Stunden-Woche offiziell wieder da!" jubelt die Bild-Zeitung. Juni 2004 Siemens schließt mit der IG Metall einen Sanierungstarifvertrag für die Handy-Werke in Bocholt und Kamp-Lintfort ab. Er sieht die 40-Stundenwoche ohne zusätzlichen Lohn und die Streichung von Weihnachts- und Urlaubsgeld vor. Viele Beschäftigte, die sowieso schon 40 Stunden in der Woche gearbeitet haben, wird der Lohn entsprechend gekürzt. Im Gegenzug gibt es eine Beschäftigungsgarantie für zwei Jahre. Oktober 2005 Siemens verkauft die Handysparte an den taiwanesischen BenQ-Konzern. Zwischen 300 und 500 Millionen Euro soll Siemens oben draufgelegt haben, um den Bereich los zu werden. Im Gegenzug sichert BenQ die Aufrechterhaltung der Produktion in Deutschland für ein Jahr zu. Juni 2006 Der Sanierungstarifvertrag für die Werke Bocholt und Kamp-Lintfort wird um weitere sechs Monate verlängert. Oktober 2006 BenQ erklärt die Insolvenz von BenQ Mobile (3000 Arbeitsplätze) in Deutschland und reißt die Servicefirma Inservio GmbH (300 Arbeitsplätze) mit in die Pleite. Siemens-Manager nur eine untergeordnete Rolle. Gerade erst haben sie jetzt die restliche Telefonsparte, d.h. die Entwicklung und Produktion von Netzkomponenten (Vermittlungsanlagen, Sendeeinrichtungen, ...) in eine gemeinsame Firma mit Nokia ausgegliedert, die Nokia Siemens Networks. Schon wurde bekannt gegeben, dass dies in den nächsten Jahren zwischen 6.000 und 9.000 Arbeitsplätze vernichten wird. Da der Sitz der neuen Firma in Helsinki ist, wird erwartet, dass die Entlassungen zum großen Teil in der Konzernzentrale in München vorgenommen werden. Damit ereilt die Münchener vermutlich das gleiche Schicksal wie die ca. 600 KollegInnen, die in Berlin seit zwei Wochen das Bosch-Siemens-Haushaltsgerätewerk blockieren, um sich gegen die Schließung des Werkes zu wehren. Die Begründung ist hier die gleiche wie immer: im Ausland, z.B. der Türkei, kann billiger produziert werden.

Konzernmacht zerschlagen

Gibt es also keine Möglichkeit der Gegenwehr gegen die Übermacht eines Konzerns vom Schlage Siemens? Auf den ersten Blick ist das so. Tatsächlich aber scheint es nur so selbstverständlich, weil die Macht der Konzerne nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird. Äußerungen zur aktuellen Situation der Handysparte geraten dann so hilflos niedlich wie die Forderung des bayrischen Wirtschaftsministers Huber, wir sollten im Weihnachtsgeschäft alle ein Siemens-Handy kaufen. (Kleine Anmerkung: Bin ich denn blöd? Ich boykottiere Siemens seit zwanzig Jahren wegen der Atom- und Rüstungspolitik des Konzerns - wieso soll ich jetzt plötzlich bei Siemens kaufen?) Gegen die Konzernmacht hilft nur die Zerschlagung der Konzerne. Was der hessische Wirtschaftsminister für die Energiekonzerne gefordert hat, geht in die richtige Richtung. Wo sich wirtschaftliche Macht derartig ballt, hilft nur die Enteignung, so wie es unsere Verfassung vorsieht. Und denjenigen, die die Abzocke der Siemens/BenQ-KollegInnen vorbereitet haben, gehört der Prozess gemacht. Dumm nur, dass sich dann auch einige IG-Metall-Funktionäre weg ducken müssen wie schon in der Mannesmann/Vodafon-Affäre. Aber das ist der Preis, wenn man vergisst, dass man Kapitalismus eben nicht "ein bisschen besser" gestalten kann.

Artikel in Göttinger Betriebsexpress Nr. 180 vom 18.10.2006 .Herausgeber: Göttinger Betriebsexpress e.V. c/o Buchladen Rote Strasse; Nikolaikirchhof 7, 37073 Göttingen
Bezugspreis für AbonnentInnen: 35,- Euro/Jahr oder jeder höhere Betrag. Einzuzahlen bei der Sparkasse Göttingen, BLZ 26050001 GBE Konto 11060787


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