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Updated: 18.12.2012 15:51
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LeiharbeiterInnenbelegschaft kieloben

Tarifdumping per Werkvertrag – Medienmacht macht’s vor

In der outgesourcten Weiterverarbeitung im Druckzentrum der ›Kieler Nachrichten‹ (KN) wurde der Belegschaft zum 1. Juli gekündigt – sie hatte es gewagt, sich einen Betriebsrat zu wählen. Der Fall macht exemplarisch deutlich, wie eng die Zergliederung in der Verlags- und Druckindustrie mit Tarifflucht und Tarifdumping verbunden ist. Immer öfter bedienen sich die Unternehmensführungen dabei auch eigens zu diesem Zweck ausgegründeter Leiharbeitsfirmen, auf die – jüngster Clou – über Werkverträge das unternehmerische Risiko und der Kostendruck nicht nur, aber vor allem im Umgang mit den Beschäftigten abgewälzt werden kann. Der folgende Bericht von Gaston Kirsche* und das anschließende Interview mit Marcus Peyn, dem neuen und gleich mitgekündigten Betriebsrat bei der Tabel-Gruppe, beleuchtet diese Praxis – und zeigt zugleich, wie sehr der aktuelle Vorstoß des DGB am Problem der Herstellung der Tarifeinheit vorbeigeht.

»Schluss mit dem Prekariat!«, rief Markus Rohwer bei der Maidemo in Kiel von der Bühne: »Wir fordern, dass die ›Kieler Nachrichten‹ uns Leiharbeiter zurück in ihre Belegschaft einbinden!«. Seit März ist Rohwer frischgewählter Vorsitzender im Fachbereich Druck und Medien des ver.di-Ortsvereins Kiel/Plön. Gemeinsam mit vielen anderen ProduktionshelferInnen aus dem Druckzentrum der KN protestierte er gegen Lohndumping und die Entlassung durch den Subunternehmer Tabel-Gruppe. Vor zehn Jahren hatten die KN einen Teil ihrer Druckerei ausgelagert in das eigens von einem leitenden Angestellten der KN dafür gegründete Tochterunternehmen TB Verlagsdienstleistungen. Im Laufe der zehn Jahre gab es diverse Umfirmierungen, aber erst Ende 2009 verkauften die KN laut ver.di ihre letzten Anteile an dem Subunternehmen – als sich für die Wahl eines Betriebsrates bereits ein Wahlvorstand konstituierte. Alle Arbeiten, die anfallen, nachdem die Zeitungen aus der Druckmaschine kommen, werden seit der Auslagerung untertariflich bezahlt: Bestückung mit Beilagen, Palettierung, Versandvorbereitung, bis hin zur Übergabe an die Auslieferung. Der Tariflohn der Druckindustrie sieht für diese Arbeiten 12,90 Euro vor. Bei der Tabel-Gruppe liegt der Bruttostundenlohn bei 6,14 Euro. Das entspräche mageren 1062 Euro brutto bei einer Vollzeitstelle, die es bei Tabel aber nicht gibt. Im Druckzentrum der KN stellt die Tabel-Gruppe mit 389 TeilzeitarbeitnehmerInnen die Weiterverarbeitung zahlreicher Zeitungen sicher: Neben den Kieler Nachrichten der Kieler Express, die Hamburger Morgenpost, der Blitz Mecklenburg sowie zahlreiche Hamburger Wochenblätter. Ein lohnendes Geschäft für die BesitzerInnen der Kieler Nachrichten – 37 Prozent der Anteile gehören dem Madsack-Verlag aus Hannover, an dem wiederum die Medienholding der SPD, die dd_vg, mit 20,4 Prozent beteiligt ist.

Die Arbeitsbedingungen in der outgesourcten Weiterverarbeitung waren katastrophal: Hocker, auf die sich die ArbeiterInnen bei Produktionsunterbrechungen aufgrund von Stoppern und Pannen an den Bändern setzen konnten, waren entfernt worden. Arbeitsschutzregelungen wurden unterlaufen. Auch die feste Pausenregelung wurde abgeschafft und Pausen nur noch nach Produktionslage erlaubt. Es gab keine Lohnfortzahlung bei Urlaub oder im Krankheitsfall mehr, auch der Nachtzuschlag, der zu Zeiten der tariflichen Regelungen vor 2000 bei den KN 50 Prozent betrug, wurde auf 25 Prozent gekürzt, viele ProduktionshelferInnen wurden auf 400-Euro-Basis beschäftigt. Feste Arbeitszeiten gab es nicht – bei Schichtbeginn wurde angesagt, wie lange jeweils gearbeitet werden sollte. Das ging bis hin zum Arbeitszwang: Der spätere Betriebsrat Kadim Akbag berichtete, wie auf Anweisung von oben der Pförtner die Türen abgeschlossen hätte, als er einmal nach zehn Stunden Arbeit nach Hause wollte. Er musste noch zwei Stunden bleiben und arbeiten. Ein Betriebsratmitglied erklärte in dem Blog »kielkontrovers«: »Bevor wir den Betriebsrat hatten, kam es häufiger vor, dass die Leute Schichten von 16 oder 18 Stunden machen sollten und aber nach 10 Stunden nach Hause wollten. Da hat man diese Stundenzettel einfach weggenommen, verschlossen, und so konnte keiner mehr seinen Zeitnachweis aufschreiben. Wenn er nach Hause gegangen wäre, hätte er für Lau gearbeitet. Das kann sich keiner bei uns leisten.«

Für diese Bedingungen machten die ProduktionshelferInnen die Betriebsleitung der KN im Druckzentrum verantwortlich, da bei dieser die letztendliche Entscheidungsgewalt lag – nicht beim Tabel-Chef. Um der Willkür und den schlechten Arbeitsbedingungen etwas entgegenzusetzen, wurde eine Betriebsratswahl geplant, die schließlich auch gelang. Seit dem 4. Februar haben die Beschäftigten der Tabel-Gruppe einen Betriebsrat, Marcus Peyn wurde Vorsitzender. Er ist in der Partei »Die Linke« aktiv. Beraten wurden seine Kollegen und er von der Bundestagsabgeordneten Cornelia Möhring, die vor ihrer Wahl in den Bundestag Betriebsräte gecoacht hatte. In den Jahren davor gab es bereits mehrere Versuche, einen Betriebsrat zu installieren. Diese Versuche wurden jedoch durch gezielte Kündigungen und massiven Druck sofort verhindert. Da diese Kündigungen jeweils erfolgten, nachdem man sich vertrauensvoll an den zuständigen ver.di-Fachbereich gewendet hatte, sieht sich dessen damaliger Vorstand, Richard Ernst, der bis heute Betriebsratsvorsitzender der KN ist, dem schweren Vorwurf ausgesetzt, mit der Geschäftsführung der KN kooperiert und die Aktiven gemeldet zu haben. Richard Ernst war bereits in den 70er Jahren im Ortsvereinsvorstand der IG Druck und Papier, er war in vielen Tarifrunden Mitglied der jeweiligen Tarifkommissionen.

Ein Tabel-Leiharbeiter beschreibt in dem Blog »kielkontrovers« die Konsequenzen der Versuche, einen Betriebsrat zu gründen: »›Du darfst es nicht weitererzählen ... wir haben was im Gange und wollen jetzt einen Betriebsrat gründen. Mit ver.di ist alles abgeklärt, wir sind da in der Rechtsberatung‹. 14 Tage war diese Person noch da, dann war sie weg. Hatte zwei Diskussionen in der Geschäftsleitung hinter sich und hat gesagt, es wird alles nichts. Auf einmal war sie weg ... Dann gab es noch zwei Kollegen vorher, die haben es auch versucht. Der eine hat dann auf einmal ›eine Zeitung geklaut‹, wurde fristlos gekündigt. Der andere wurde ausgehungert [s. Interview, Anm. d. Red.], Kalte Kündigung, bis er sagte, okay – ich klage jetzt nochmal, das hat er getan und wurde mit einer miesen Abfindung abgespeist.«

Das Misstrauen gegenüber dem alteingesessenen Funktionär Richard Ernst war unter den Tabel-Beschäftigten aufgrund dieser Vorgeschichte so groß, dass der langjährige Vorsitzende des Fachbereiches Druck und Medien im ver.di-Ortsverein Kiel/Plön im März auf einer Gewerkschaftsversammlung überraschend abgewählt wurde: 150 Beschäftigte der Tabel-Gruppe waren bei ver.di eingetreten und hatten sich massiv an der Wahl beteiligt. Seitdem wird der Ortsverein Druck nicht mehr von einem »Fürsten«, wie Richard Ernst anerkennend in der Gewerkschaft genannt wurde, sondern von einem Leiharbeiter repräsentiert – Markus Rohwer. Ob Richard Ernst tatsächlich die früheren Initiatoren für eine Betriebsratsgründung bei der Tabel-Gruppe bei der Geschäftsführung der KN gemeldet hat, wie einige der Beschäftigten vermuten, bleibt ein Geheimnis.

Fakt ist, dass es erst Ende 2009 gelang, eine Betriebsratswahl so zu organisieren, dass die AktivistInnen nicht bereits im Vorfeld der Wahl entlassen wurden und diese damit hinfällig wurde. Als sich diese nicht mehr verhindern ließ, griff die Arbeitgeberseite zu drastischeren Mitteln: Mit Aushang vom 19. Januar am Schwarzen Brett wurde allen Mitarbeitern ihre betriebsbedingte Kündigung durch die Geschäftsführung der Tabel-Gruppe zum 30. Juni angekündigt. Rüdiger Tabel, der Geschäftsführer der Tabel-Gruppe, beteuerte laut Tageszeitung taz, die KN hätten ihm, als die Wahl nicht mehr zu verhindern war, signalisiert, dass sein Werkvertrag mit KN nicht verlängert werden würde. Der technische Leiter der KN, Sven Fricke, habe ihm gegenüber erklärt, dass der neue Betriebsrat ein »Wettbewerbsnachteil« sei. In offiziellen Erklärungen betonte die Geschäftsführung der KN dagegen, durch eine Preiserhöhung sei der Subunternehmer zu teuer geworden.

Mit den Kündigungen versuchte die Tabel-Gruppe, die Betriebsratswahl doch noch zu verhindern und ihre Beschäftigten einzuschüchtern. Auch den Wahlvorstandsmitgliedern und den Kandidaten zur Betriebsratswahl wurde trotz eindeutigen gesetzlichen Kündigungsschutzes gekündigt.

Als wenige Tage nach der Kündigungsinfo der Norddeutsche Rundfunk über die Massenentlassungen berichtete, hing bald ein weiterer Zettel am schwarzen Brett: »Sehr geehrte Damen und Herren«, stand dort zu lesen, »heute möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Interviews, egal, ob für Fernsehen oder Radio, vorher ausdrücklich von der Geschäftsleitung genehmigt werden müssen.« Unter dem Text hing in Kopie ein Auszug aus den Arbeitsverträgen, der ausdrücklich darauf hinweist, dass ein Zuwiderhandeln gegen »die Verschwiegenheitsverpflichtung« eine fristlose Kündigung und eine Vertragsstrafe in Höhe von mindestens 250 Euro nach sich ziehen kann.

Gleichzeitig focht die Geschäftsführung von Tabel die Betriebsratswahl an: Mehrere Mitarbeiter »ausländischer Herkunft« hätten wegen mangelnder Sprachkenntnisse das Wahlverfahren nicht verstanden. In der Befragung der Betroffenen stellte sich heraus, dass das Wahlprozedere über Dolmetscher erklärt worden war, einer der vermeintlich unwissenden Ausländer hatte Germanistik studiert, ein anderer schon mehrmals in seiner Zeit als Werftarbeiter bei HDW an Betriebsratswahlen teilgenommen. Die Anfechtung der Wahl scheiterte grandios.

Die Geschäftsführung der KN hat die ausgelagerte Weiterverarbeitung aber zum 1. Juli an andere Subunternehmer vergeben. Eine davon, TMI, ein vom Springer-Verlag zwecks Outsourcing gegründetes Tochterunternehmen aus Ahrensburg, verlangte in einer internen Stellenausschreibung bei der Bundesagentur für Arbeit: »keine ehemaligen Tabel-Mitarbeiter buchen!«. Outsourcing bedeutet nicht nur die Suche nach konformen, weniger erfahrenen Belegschaften, sondern auch eine Ausweitung des Niedriglohnbereichs – und der liegt in Schleswig-Holstein mit 21,6 Prozent noch über dem Bundesdurchschnitt (20 Prozent).

»Immer mehr Menschen im Land können von ihrem Lohn nicht leben«, kommentiert Cornelia Möhring diese Entwicklung. Es gebe nicht wenige Betriebe, die echten »Sozialmissbrauch« betrieben: Sie zahlen ihren Beschäftigten niedrige Löhne und verlassen sich darauf, dass aus Steuermitteln ergänzende Sozialleistungen für das Existenzminimum fließen. In Schleswig-Holstein stieg allein von 2006 bis 2008 die Zahl der so genannten AufstockerInnen um 11181 auf 45419 – ein Zuwachs von 32,7 Prozent.

Und die von der Tabel-Gruppe Gekündigten? Bis auf vier Logistikspezialisten hatten diese am 29. Juni ihren letzten Arbeitstag im Druckzentrum der KN. Ein Teil der ehemaligen Belegschaft gab sich aber nicht gleich geschlagen und organisierte Proteste gegen die KN, so eine Demo am 30. Juni mit 250 Leuten. Die hat Marcus Peyn als großen Erfolg empfunden: »Es war ein weiterer Schritt, in der Öffentlichkeit unseren Protest zu zeigen! Und wir waren verdammt laut. Schade war nur, dass so wenige aus der Belegschaft sich beteiligt haben. Die Gründe dafür liegen teils in der Angst und teils in der Hoffnung, dass sie in letzter Sekunde vielleicht doch noch übernommen werden, wenn sie stillhalten.«

Aus der Stammbelegschaft der KN gab es keine Teilnahme – es steht auch noch nicht fest, wo und wer zukünftig dort seinen Job verlieren soll. Aber aus vielen linken Vereinigungen, wie Avanti, Attac, Chefduzen, dem Kieler Krisentreffen, der SDAJ, Parteien – Rot-Rot-Grün inklusive Jugendverbindungen – und Gewerkschaften waren Leute da, um sich mit den Forderungen der – ehemaligen – Tabel-Belegschaft zu solidarisieren. Weitere Aktionen gibt es und wird es geben, erklärt Marcus Peyn Mitte Juli: »So sitzen jetzt schon jeden Freitag eine Menge unserer Leute vor dem Tor des Druckzentrums und halten Wache. Ferner wird es noch ein Aufarbeitungstreffen mit Holger Artus aus dem ver.di-Landesfachbereich geben, um die Gewerkschaftsprobleme zu besprechen, die wir erlebt haben, und um auch über weitere Aktionen zu beraten.«

* Gaston Kirsche ist Mitglied der »gruppe bricolage«, die sich für eine kollektive politische Organisierung einsetzt, freier Autor und lohnarbeitet als Verlagskaufmann.

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 7/10


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