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Updated: 18.12.2012 15:51
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Schöne neue Briefwelten?

Geert Naber* über lohn- und arbeitspolitische Perspektiven im liberalisierten Postsektor

Anfang 1998 trat die Postreform III in Kraft [1]. Dieses Gesetzeswerk schuf den rechtlichen Rahmen für eine schrittweise Liberalisierung und Deregulierung des deutschen Postsektors. Seither wurde der Monopolbereich der Deutschen Post mehrfach eingeschränkt. Vor der dritten Stufe der Postreform kontrollierte der »Gelbe Riese« fast den kompletten Briefmarkt. Konkurrenzunternehmen durften nur in einigen Marktnischen agieren. Davon kann heute, knapp zehn Jahre nach der Postreform III, nicht mehr die Rede sein. Etwa die Hälfte des deutschen Briefmarktes ist mittlerweile für den Wettbewerb geöffnet. Konkurrenten der Deutschen Post ist es nicht nur erlaubt, Briefe mit einem Gewicht von über 50 Gramm zu befördern. Sie können außerdem innerhalb des verbliebenen Monopolbereichs aktiv werden: Wer Brief-Zusatzleistungen bietet, wie das Abholen der Post beim Absender oder die Zustellung am selben Tag, darf auch Sendungen unterhalb der 50-Gramm-Grenze transportieren.

PIN, TNT und der Mindestlohn

Die dritte Stufe der Postreform ließ die Zahl der Unternehmen, die auf dem Briefmarkt Präsenz zeigen, in die Höhe schnellen. Momentan beläuft sie sich auf etwa 700. Gleichwohl kommt die Deutsche Post immer noch auf einen Marktanteil von 90 Prozent. Bei ihren Konkurrenten handelt es sich bisher zumeist um eher kleine Betriebe mit lokalem oder regionalem Aktionsradius. Neuerdings lässt sich freilich im Postsektor ein rascher Konzentrationsprozess beobachten. Er führte zur Herausbildung der PIN Group und der TNT Post Deutschland (vgl. dazu auch express, Nr. 7-8/2006 und 1/2007). Beide Unternehmen stricken derzeit ein bundesweites Zustellnetz und können sich dabei auf finanzkräftige Geldgeber stützen, gehören doch zu den Gründern der PIN Group die großen Verlagshäuser Axel Springer, WAZ und Holtzbrinck. Die TNT Post Deutschland ist ein Ableger der niederländischen Post, der eng mit dem Paketdienst Hermes kooperiert.

Als Expansionshindernis betrachten die Rivalen der Deutschen Post die 50-Gramm-Grenze. Sie machten sich deshalb, tatkräftig unterstützt durch die Berichterstattung der im Briefgeschäft aktiven Medienunternehmen, in den letzten Jahren unentwegt für den Fall des Briefmonopols stark. Als die Große Koalition im August die vollständige Liberalisierung des deutschen Briefmarktes zum Jahreswechsel vereinbarte, fiel der Jubel der Post-Konkurrenten aber nur sehr verhalten aus. Ihnen missfiel eine weitere Entscheidung der schwarz-roten Bundesregierung: Die Löhne in der Postbranche sollen über eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung und die Aufnahme in das Entsendegesetz nach unten abgesichert werden. Stark gemacht für die-sen Beschluss hatte sich die SPD-Spitze. Ihr war nämlich der Unmut nicht entgangen, der sich im gewerkschaftlich-sozialdemokratischen Spektrum über die neuen Briefdienstleister regte. Für Empörung sorgte insbesondere die Dumpinglohnstrategie der Post-Rivalen. Dass dort die meisten Beschäftigten selbst bei einer Vollzeittätigkeit ihr Gehalt durch Arbeitslosengeld II aufstocken müssten, wurde als skandalös empfunden.

ver.di, AGV, BIEK ...

Die Absicht der Großen Koalition, Postdienstleistungen zum Jahreswechsel in das Entsendegesetz aufzunehmen, ließ ver.di und den vom Postkonzern dominierten Arbeitgeberverband Postdienste (AGV) in Aktion treten. Anfang September einigten sich beide Seiten auf einen ersten Tarifvertrag über Mindestlöhne im Postsektor. Sie liegen unter dem Haustarifvertrag der Deutschen Post, aber über den Gehältern beim Gros der neuen Briefdienstleister: In der Postbranche sollen mindestens acht Euro (Ostdeutschland) bzw. 8,40 Euro (Westdeutschland) für Sortierkräfte und Fahrpersonal gezahlt werden. BriefzustellerInnen sollen im Osten mindestens neun Euro und im Westen mindestens 9,80 Euro erhalten. AGV und ver.di verabredeten außerdem, die Tarifeinigung umgehend dem Bundesarbeitsministerium vorzulegen, um die Mindestlöhne mittels Aufnahme in das Entsendegesetz für allgemeinverbindlich erklären zu lassen. Dann müssten auch PIN und TNT, die im großen Stil mit Hungerlöhnen operieren, ihren BriefträgerInnen mindestens neun bzw. 9,80 Euro pro Stunde zahlen, obwohl die beiden bedeutsamsten Rivalen der Deutschen Post nicht im Arbeitgeberverband Postdienste organisiert sind. Sie stützen sich vielmehr auf Lobbyisten wie den Bundesverband Internationaler Express- und Kurierdienste (BIEK), um ihren Forderungen Geltung zu verschaffen.

Der BIEK betrachtet die Vereinbarungen zwischen ver.di und AGV als »Wettbewerbsverzerrung« zu Lasten der neuen Briefdienstleister und erwägt rechtliche Schritte gegen eine branchenweite Einführung eines Mindestlohns. An publizistischer Schützenhilfe dürfte es dem Sprachrohr der Postkonkurrenten dabei nicht mangeln. Die postpolitischen Kommentare in den großen Wirtschaftsblättern werden nicht müde zu betonen, dass sie eine Mindestlohnvereinbarung für »makroökonomisch unvernünftig« und »arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv« halten. So schreibt etwa die Financial Times [2] mit Blick auf die Tarifverhandlungen zwischen ver.di und AGV: »Die Post wird ihren Haustarifvertrag nun voraussichtlich zum Maßstab für ihre Wettbewerber machen können. Damit verhindert sie zwar möglicherweise einen stärkeren Stellenabbau im eigenen Unternehmen, gleichzeitig aber auch den möglichen Stellenaufbau bei der Konkurrenz. Volkswirtschaftlich gesehen kommt durch einen Post-Mindestlohn also allenfalls ein Nullsummenspiel heraus – wenn nicht gar ein Stellen-Minus. Die Beschäftigungsgewinne, die sich Rot-Grün aus der frühzeitigen Öffnung des Marktes bereits 2008 einmal erhofft hatte, bleiben weitgehend aus.«

... und die Deutsche Post AG?

Wie sollte die Gewerkschaftslinke auf die postpolitischen Botschaften der wirtschaftsnahen Gazetten reagieren? Zweifelsohne ist es wichtig, ver.di den Rücken zu stärken, wenn es darum geht, bundesweite Regelungen für Mindestlöhne in der Postbranche zu erreichen. Bei Mindestlöhnen handelt es sich aber um keine emanzipatorische Wunderwaffe. Lohn- und Sozialdumping gibt es nicht nur bei Mindestlohngegnern à la PIN Group oder TNT Post Deutschland. Bei der Deutschen Post, die nach einschlägigen Prognosen auch im liberalisierten Briefmarkt den Ton angeben und einen Anteil von über 70 Prozent halten wird, sind in Bezug auf Lohnniveau, Arbeitsbedingungen und Unternehmenspolitik ebenfalls bedenkliche Tendenzen beobachtbar:

- Die Deutsche Post und ver.di haben im Juli 2003 einen zwiespältigen »Beschäftigungspakt« geschlossen: Das Konzernmanagement verzichtet in den Unternehmensbereichen Brief und Paket auf betriebsbedingte Kündigungen, erhält dafür aber im Gegenzug mehr Spielraum für eine »wettbewerbsorientierte« Tarif- und Personalpolitik. In einem Beitrag für die WSI-Mitteilungen [3] werden einige Auswirkungen dieser Wettbewerbsorientierung skizziert: »Hierzu gehören u.a. die ›freiwillige‹ Akzeptanz längerer Arbeitszeiten, der Einsatz von mehr Teilzeitkräften, der Verzicht auf arbeitsfreie Tage, die Versetzung von Beschäftigten und die Nutzung von Änderungskündigungen. Außerdem wurden für die neu gegründeten Tochtergesellschaften der Deutschen Post außerhalb der Briefsparte eigene Tarifverträge abgeschlossen, die teilweise deutlich unterhalb der bestehenden Tarifstruktur liegen.«

- Durch ein neues Entlohnungs- und Eingruppierungssystem ist bei der Deutschen Post eine »Zwei-Klassen-Tarifstruktur« entstanden. Neueingestellte müssen je nach Lohngruppe bis zu 30 Prozent Einkommenseinbußen hinnehmen. Folglich beläuft sich der Einstiegslohn in der Zustellung nur noch auf rund elf Euro. Altgedienten BriefträgerInnen zahlt der »Gelbe Riese« 16 Euro die Stunde. Sie profitieren von einer Besitzstandssicherung, die der Postspitze offenbar »zu üppig« ausfällt und deshalb bei den Tarifverhandlungen im Frühjahr 2008 unter starken Beschuss geraten dürfte.

- Die Deutsche Post hat die klassischen Postämter aufgelöst und zugleich an den Rändern städtischer Ballungsräume fabrikähnliche Briefsortierzentren errichtet. In diesen Knotenpunkten der modernen Postlogistik arbeiten hauptsächlich Teilzeitkräfte (mit oft befristeten Arbeitsverträgen). Neunzig Prozent der Briefe können in den Sortierzentren mittlerweile maschinell bearbeitet werden. Die Steuerung und Bedienung der Sortieranlagen ist gekennzeichnet durch einen hohen Zeit- und Leistungsdruck. Das gilt insbesondere für das Arbeiten an den jüngst installierten Gangfolgesortiermaschinen. Sie erweisen sich geradezu als Krankmacher.

- Im Paketbereich und in den Briefsortierzentren gehören (befristete) Teilzeitjobs längst zur postalischen Normalität. BriefzustellerInnen waren hingegen beim »Gelben Riesen« bis vor Kurzem überwiegend als Vollzeitbeschäftigte tätig. Dies ändert sich zurzeit: Vor allem in größeren Städten will die Deutsche Post angesichts des »beinharten Wettbewerbs« in der Briefbeförderung die »13-Uhr-Zustellung« [4] einführen und PostbotInnen mit einer Wochenarbeitszeit von 19,5 Stunden einsetzen. In Gewerkschaftskreisen wird diese Neuorganisation der Betriebsabläufe mit großem Argwohn betrachtet. Unübersehbar ist nämlich, dass das Projekt »13-Uhr-Zustellung« darauf abzielt, die Lohnkosten in großem Stil zu drücken und die ohnehin schon strapaziöse Briefbeförderung noch stärker zu Lasten der PostbotInnen zu »optimieren«.

Fazit

Tendenzen in Richtung Niedriglöhne und bad jobs gibt es also auch bei der »guten alten Post«. Das verweist auf ein grundsätzliches Problem: Die kapitalistische Kostensenkungs- und Profitlogik hat sich mittlerweile in der gesamten Logistik- und Postbranche etablieren können. Eine Einführung von Mindestlöhnen wird nicht genügen, um dieser Logik Paroli zu bieten. Kritische Gewerkschaftsarbeit sollte daher versuchen, kapitalismuskritische Reflexionen in die Diskussion über die Perspektiven des Postsektors einzubringen. Und außerdem sollte sie sich gegen eine »Wir sitzen alle im selben Boot«-Ideologie wenden: Der Chef der Deutschen Post plädiert zwar mit einer menschelnden Rhetorik für Mindestlöhne in der Briefbranche. Klaus Zumwinkel als Verbündeten der Gewerkschaften zu betrachten, wäre aber ein Trugschluss. Das wird sich spätestens bei den Tarifverhandlungen Anfang des kommenden Jahrs zeigen. Dann wird Zumwinkel sich wieder an wirtschafts- und tarifpolitischen Leitbildern orientieren, die wenig mit ver.di-Positionen gemein haben. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an ein neoliberal geprägtes »Reformpapier«, das der Post-Chef gemeinsam mit Prof. Klaus Zimmermann – dem Leiter des von der Post finanzierten »Instituts zur Zukunft der Arbeit« – vor zwei Jahren in der Frankfurter Allgemeinen [5] veröffentlicht hat. Zu lesen sind dort nicht nur Forderungen nach einer Privatisierung der Krankenversicherung und nach einer Abschaffung der gesetzlichen Pflegeversicherung. Zumwinkel und Zimmermann plädieren zudem für eine Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung, für eine kapitalkonforme Flexibilisierung der Arbeitszeiten und für eine »betriebsnahe Lohnfindung«: Betriebsvereinbarungen sollen Vorrang vor Flächentarifverträgen haben.

* Geert Naber arbeitet bei der Deutschen Post (Briefsortierzentrum Oldenburg) und ist ver.di-Mitglied

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 9/07


(1) Im Jahr 1989 wurde von der Kohl-Regierung – gegen den Widerstand von Postgewerkschaft und SPD – die Postreform I beschlossen. Sie bedeutete die Aufgliederung der Deutschen Bundespost in drei separate und längerfristig privatisierbare Unternehmenseinheiten (Postdienste, Postbank, Telekommunikation). Die Postreform II (1995) wandelte diese Einheiten in eigenständige Aktiengesellschaften um. Aus der Postsparte der Deutschen Bundespost wurde die Deutsche Post AG – zum Unwillen der Gewerkschaften, aber mit Einverständnis der Sozialdemokratie. Die SPD lehnte die Privatisierung der Post nicht mehr ab und stimmte Grundgesetzänderungen zu, die den Weg ebneten für einen »entstaatlichten und vermarktlichten« Postsektor.

(2) Birgit Marschall: »Ein Sieg für die Post«, in: Financial Times Deutschland vom 21. August 2007.

(3) Torsten Brandt / Kathrin Drews / Thorsten Schulten: »Liberalisierung des deutschen Postsektors – Auswirkungen auf Beschäftigung und Tarifpolitik«, in: WSI-Mitteilungen, Heft 5/2007, S. 266-273.

(4) Das Konzept der »13-Uhr-Zustellung« (andere Bezeichnung: »Zustellung in kompakten Gebieten«) wird vom Postmanagement wie folgt begründet: Post-Konkurrenten bieten ihre Dienste vorwiegend dort an, wo viele Geschäftskunden ansässig sind (»kompakte Gebiete«). Um hier konkurrenzfähig bleiben zu können, muss eine Zustellform eingeführt werden, die für Absender wie für Adressaten werktäglich eine Zustellzeit bis zirka 13 Uhr garantiert. Dies wiederum setzt eine »Trennung von Vorbereitung/Endsortierung und Zustellung« voraus: Sortiertätigkeiten fallen nicht mehr in den Aufgabenbereich der PostbotInnen. Sie müssen »nur« noch die schon vorab »in Gangfolge« sortierten Briefsendungen in Empfang nehmen und zustellen. Dafür genügt eine Wochenarbeitszeit von 20 Stunden.

(5) Klaus Zumwinkel / Klaus F. Zimmermann: »Mehr Arbeit für Deutschland«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. August 2005.


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