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Updated: 18.12.2012 15:51
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Streik und Gegenstreik zur "Bevorzugung" regionaler Arbeitskräfte:
Ein brisanter Konflikt bei der Schifffahrtsgesellschaft Marseille - Korsika

Auf Streik antwortet Gegenstreik: Drei Wochen lang herrschte bei der in Marseille ansässigen Schiffahrtsgesellschaft SNCM (Société nationale Corse ­ Méditerranée) ein höchst angespanntes Klima. Erst am vorigen Donnerstag begann die Wiederaufnahme der Arbeit, und der aufgewirbelte Staub fängt an sich zu legen.

Die SNCM beschäftigt 2.400 Mitarbeiter (von denen 816 in Korsika wohnhaft sind) und fährt von Marseille aus die Häfen der Mittelmeerinsel, aber auch Algier, Tunis oder Oran an. Anfang September begann die "Gewerkschaft der korsischen Arbeiter" (der STC, "le Syndicat des travailleurs corses"), die den insularen Nationalisten nahe steht, einen Ausstand. Nachdem dieser zum völligen Zusammenbruch des Schiffahrtsverkehrs mit Korsika geführt hatte und die Gesellschaft jeden Tag 300.000 Euro kostete, unterzeichnete die im Staatsbesitz befindliche SNCM ­ mit Rückendeckung der Pariser Regierung ­ am vorletzten Sonntag (19. September) ein Abkommen mit dem STC. Dieser Text enthält die Zusage, zukünftig "bei gleicher (technischer) Kompetenz und Eignung" bevorzugt auf Korsika ansässige Beschäftigte anzustellen, um "das Ungleichgewicht auszugleichen".

Die <corsisation des emplois> ("Korsierung der Arbeitsplätze") ist eine alte Forderung korsischer Nationalisten und aus ihrer Sicht eine Antwort darauf, dass die Insel lange Jahre durch den Zentralstaat wirtschaftlich vernachlässigt wurde. Tatsächlich waren auf Korsika lange Zeit kaum nennenswerte Privatunternehmen ansässig, und der französische Zentralstaat versucht die Insel nicht wirtschaftlich zu entwickeln, da sie als Reservoir zur Rekrutierung von Soldaten und von Siedlern für die Kolonien diente. Dagegen wurden Beamte aus dem übrigen Frankreich auf Stellen in Korsika eingesetzt, da deren Rekrutierung landesweit erfolgte; daher rührt diese alte Forderung. Später freilich erhielt sie eine zunehmend "ethnische" Färbung, zumal sich in den letzten Monaten ein äußerst aggressiver Rassismus gegen auf Korsika ansässige Marokkaner und Algerier austobt. (Am 18. September hat es die erste stärkere Gegenmobilisierung dagegen gegeben, mit einer großen Saalkundgebung in Corte.)

Eine "ethnische Bevorzugungsklausel" sei das, schimpfte ein Teil der französischen Presse, vor allem der konservative, französisch-nationalistische "Figaro" und ein bisschen auch die linksliberale "Libération" (aber weit weniger die Pariser Abendzeitung "Le Monde", deren Herausgeber Jean-Marie Colombani selbst Korse ist). Ähnlich äußerte sich als "Dissident" in den Reihen der Regierung der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Patrick Devedjian, der sich an "Debatten über die Herkunft unter der (nazideutschen) Besatzung" erinnert fühlte und das Abkommen als "unvereinbar mit den rechtlichen Fundamenten unseres Staates" bezeichnete. Dagegen unterstützten die Mehrheit des Regierungskabinetts, das Amt des Premierministers ("das Prinzip des Diskriminierungsverbots ist nicht verletzt") und der für Transport und Schiffahrt zuständige Staatssekretär, der Wirtschaftsliberale François Goulard, den Text.

Heftige Kritik an dem Abkommen zwischen dem Staatsunternehmen und dem STC übten auch die anderen Gewerkschaften, allen voran die CGT, die mit großem Abstand die stärkste (und Mehrheits-)Gewerkschaft bei der Schiffahrtsgesellschaft darstellt. Sie bezeichneten das Abkommen als "diskriminierend" und "kommunitaristisch". Die die CGT (sowie die Gewerkschaft FO, die hinzufügte, es handele sich um einen "Bruch mit den republikanischen Prinzipien") forderte den französischen Staat dazu auf, es zu annullieren. Freilich unterstützte die CGT-Sektion des Bezirks Haute-Corse (Nordkorsika) das Abkommen. Im Jahr 1977 hatte es ein Abkommen mit einer vergleichbaren Regelung, zur bevorzugten Einstellung von jungen Korsen, zwischen der regionalen CGT und dem Energieversorger EDF gegeben; damals ging es freilich nur um Arbeitsplätze innerhalb der Region Korsika, während die Schiffahrtsgesellschaft SNCM auch außerhalb der Insel tätig ist und ihren Hauptsitz in Marseille hat. Insofern unterscheidet sich die Regelung von 1977 von dem neuen Abkommen.

Dessen Unterzeichner konterten den Vorwurf "ethnischer Bevorzugung" damit, dass das vereinbarte Kriterium der Wohnsitz und nicht die Abstammung sei. Auf dieses Argument stützte sich auch Transport-Staatssekretär François Goulard ("Das Wort <Wohnsitz> schließt eine ethnische Interpretation des Abkommens aus, aber man muss bei seiner Umsetzung vorsichtig sein"). Der STC machte ferner geltend, den Kritikern des Abkommens gehe es nur darum, "eine fett gemästete Marseiller Lobby zu verteidigen, die seit 30 Jahren die 85 Prozent der Arbeitsplätze monopolisiert". Dem Argument widerspricht freilich die Tatsache, dass derzeit ein Drittel der Beschäftigten bereits in Korsika wohnt; die Befürworter der Vorzugsregel, die vom STC ausgehandelt wurden, betrachten das freilich als zu wenig, da die Schiffahrtsgesellschaft SNCM einen Gutteil ihrer Einkünfte aus dem Verkehr mit Korsika beziehe.

Seit Montag voriger Woche, dem 20. September, streikten alle Gewerkschaften am SNMC-Hauptstandort Marseille gegen das Abkommen und seine Vorzugsklausel. Freilich ging es dabei wohl auch nicht nur um hehre republikanische Werte, sondern um eine Verteidigung des Beschäftigungsstandorts Marseille.

Ihr Arbeitskampf konnte dem Unternehmen die Zusage abringen, alle derzeit bei der SNCM Beschäftigten mit befristeten oder Zeitarbeits-Verträgen, "unabhängig von ihrem Wohnsitz", jetzt in Festanstellung zu übernehmen. Damit wurde eine Antwort in Form einer sozialen Spielregel, statt einer auf Herkunft oder Wohnsitz basierenden Regel, gegeben, was wohl nur begrüßt werden kann.

Die beteiligten Gewerkschaften betrachteten das als Erfolg, der faktisch die "Korsen zuerst"-Klausel über den Haufen werfe. Am letzten Donnerstag wurde bei der SNCM überall die Arbeit wieder aufgenommen.

(Bernhard Schmid, Paris)


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