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Updated: 18.12.2012 15:51
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Die drei Lügen des Herrn T.

Verkehrsminister, Bahnprivatisierung und Volksverdummung

Artikel von Winfried Wolf vom 21.08.2007

Die Bundesregierung hat den am 24. Juli im Kabinett beschlossenen Entwurf für ein Bahnprivatisierungsgesetz dem Bundesrat als "eilbedürftig" zugeleitet. Der Bundesrat muss dem Bahnprivatisierungsgesetz zustimmen; seitens der Länder gab es in jüngerer Zeit erhebliche Kritik an dem Projekt. Dabei hatte der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, bei dem Gesetzgebungsverfahren eine ausreichende Beratungszeit zu gewährleisten. Doch eben diese soll es nun nicht geben. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" weist darauf hin, weshalb so verfahren werden soll: "Einige SPD-Landesverbände haben sich schon ausdrücklich gegen die Bahnprivatisierung gewandt. Diese Stimmung könnte sich auf dem SPD-Bundesparteitag Ende Oktober in Beschlüssen äußern und die Bahnprivatisierung gefährden." Daher soll das Gesetz umgehend - möglicherweise noch in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause, die am 10. September beginnt - im Bundestag in einer ersten Lesung befasst werden. Diese Woche ist traditionell dem Haushalt des kommenden Jahres gewidmet. Gelänge es, den Gesetzentwurf in dieser Woche "unterzubringen", wäre das ein echter Coup, genauer ein Gaunerstück zum weiteren Abbau von Demokratie: Die größte Privatisierungsaktion in der deutschen Geschichte, die Privatisierung der 170 Jahre alten Eisenbahnen, seit rund 100 Jahren in öffentlichem Eigentum, würde dann als Teil der Befassung mit dem Verkehrsetat 2008, also zusammen mit Themen wie Binnenschiffahrt, Wohnungsbau, Städteentwicklung, Magnetbahn München usw. abgefrühstückt. Just so wurde bereits am 24. November 2006 verfahren, als in einer Sitzungswoche zum Haushalt 2007 und im Rahmen der Debatte über den Verkehrsetat 2007, dem Bundestag erstmals und ohne Vorwarnung ein Entschließungsantrag vorgelegt wurde, mit dem das Bundesverkehrsministerium zur Ausarbeitung eines Entwurfs für ein Bahnprivatisierungsgesetz beauftragt wurde.

Um aus der aktuellen Defensive herauszukommen - zwei Drittel der Bevölkerung tritt für eine Bahn in öffentlichem Eigentum ein - ging Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee in den letzten Tagen in die Offensive. Unter der Überschrift "Ich stecke selten im Stau" gab er dem Blatt "Vanity Fair" (34/07) ein Interview, in dem er die Bahnprivatisierung in ein rosiges Licht taucht. Tiefensee scheut auch nicht vor handfesten Lügen zurück - drei seien hier aufgelistet.

Lüge Nr. 1: Auf die Frage "Heißt das, dass der Investor keinen Einfluss auf das Netz haben wird?", antwortet Tiefensee: "Auf keinen Kilometer". Tatsächlich soll die Infrastruktur (Netz, Bahnhöfe, Energieerzeugung) nur formal im Eigentum des Bundes bleiben. Teil des Bahnprivatisierungsgesetzes ist die Festlegung, dass der Bund als Infrastruktureigentümer alle seine Eigentümerrechte an den entsprechenden Gesellschaften (Netz AG, AG Station & Service und Energie GmbH) für 15 Jahre an die teilprivatisierte DB AG abgibt. Diese kann auch Teile der Infrastruktur veräußern. Die privaten Investoren werden also auf alle 34.000 km des Netzes und auf alle 5000 Bahnhöfe erheblichen Einfluss nehmen können.

Lüge Nr. 2: Auf die Frage "Wie viel erhoffen Sie sich, wenn Sie 25 Prozent der Bahn verkaufen", antwortet Tiefensee: "viel". Dem richtigen Zusatz der Interviewer: "Fünf Milliarden sagen Experten", widerspricht Tiefensee nicht. Laut der von Tiefensee verantworteten Schrift "Verkehr in Zahlen" hatte die Deutsche Bahn AG 2005 ein Nettovermögen von 116,8 Milliarden Euro. Ein Viertel davon wären also knapp 30 Milliarden Euro. Ein Siebtel davon oder fünf Milliarden bezeichnet Tiefensee als "viel"! Auf die Frage "Wer bekommt das Geld?" antwortete Tiefensee: "Ein Teil fließt an die Deutsche Bahn, ein anderer an den Bund, um Investitionen in das Schienennetz zu ermöglichen." Tatsächlich ist nicht vorgesehen, dass der Bund mit dem Geld "Investitionen ins Schienennetz" ermöglichen werde. Die Investitionen des Bundes in das Schienennetz wurden in den letzten Jahren deutlich zurückgefahren. Es sind aktuell 2,5 Milliarden Euro für die Instandhaltung des Netzes und rund eine weitere Milliarde für den Ausbau und den Neubau. Dieses Niveau soll laut Bahnprivatisierungsgesetz beibehalten werden. Die Deutsche Bahn AG wiederum hat nicht vor, mit dem ihr zufließenden Teil vom Anteilsverkauf im Inland besondere Investitionen zu tätigen. Vielmehr sollen weitere Unternehmen im Ausland aufgekauft werden.

Die Interviewer fragen zu Recht: "Was hat der Bahnkunde von alldem?", worauf Tiefensee antwortet: "Es gibt neue Züge, renovierte Bahnhöfe, stabile Ticketpreise, mehr Deutsche Bahn und weniger ausländische Anbieter." Obgleich hier in jedem Substantiv eine Unwahrheit steckt, soll dies hier pauschal als Lüge Nr. 3 qualifiziert werden. Konkret ist vorgesehen, dass die Zuggattung Intercity/Eurocity - ähnlich wie 2001 bereits im Fall des InterRegio erfolgt - radikal ausgedünnt wird und damit weitere wichtige Zugverbindungen aufs Spiel gesetzt werden. Die Deutsche Bahn AG hat im Frühsommer 2007 erklärt, dass bis zu zwei Drittel aller noch vorhandenen Bahnhöfe verkauft werden - wobei dieser Ausverkauf längst begonnen hat. Bahnchef Mehdorn kündigte in einem Interview an, dass die Bahnprivatisierung zu höheren Bahnpreisen führen werde. Als mögliche Einsteiger bei der Bahn wurden von Mehdorn "nahöstliche Interessenten" und von den Medien "russische Investoren" genannt.

Das Bahnprivatisierungsgesetz soll nun so schnell durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht werden, dass man die kurzen Beine all dieser Lügen erst nach vollendetem Ausverkauf zur Kenntnis nimmt.


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