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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Nein zum Absenkungstarifvertrag ZuSi in Kassel und anderswo Artikel von Leonie Blume, Kassel Im Zusammenhang mit dem neuen Tarifrecht des öffentlichen Dienstes hat ver.di neben dem Absenkungstarifvertrag TVöD zusätzlich für die kommunalen Krankenhäuser den "Tarifvertrag zur Zukunftssicherung" (ZuSi) abgeschlossen. Ver.di bekennt sich mit diesem Tarifvertrag dazu, den staatlichen Rückzug aus Investitionen in Krankenhäusern durch eine weitere Senkung der Löhne und/oder durch "Mitarbeiterkapitalbeteiligung" auf die Krankenhausbeschäftigten abzuwälzen. Das Klinikum Kassel ist das erste Großklinikum, bei dem dieser Tarifvertrag zur Anwendung kommen soll. Dies hat im Klinikum Kassel eine innergewerkschaftliche Auseinandersetzung provoziert. ZuSi-Gegner brauchen bundesweite Solidarität. ZuSi darf nirgends zur Anwendung kommen. Nicht in Kassel und nirgendwo anders. Siehe dazu auch den Musterprotestbrief Neubaufinanzierung mit ZuSi Die Anwendung des ZuSi steht in Kassel im Zusammenhang mit einem geplanten Neubau - einer seelenlosen Mammutklinik für 152 Mio. Euro. Der zentralisierte Neubau soll ein Behandlungs- und Diagnosezentrum beherbergen, in dem riesige interdisziplinäre Stationen vorgesehen sind. Es ist ein Rationalisierungsprojekt, dem 300 Stellen und 280 Betten zum Opfer fallen sollen. In der Vergangenheit haben die Landesregierungen die Investitionen für Krankenhausneubauten zum größten Teil übernommen. Den Rest schossen die Kommunen zu. Weil die öffentlichen Kassen im Interesse der Reichen und Superreichen durch Steuergeschenke geplündert wurden und weiter geplündert werden, verweisen Landes- und Kommunalpolitiker auf ihre leere Kassen. Bleibt nur noch das Geld bei den Banken zu leihen und den Beschäftigten aus der Tasche zu ziehen. Jeder Euro Zinsen an die Banken wird versucht durch Lohnverzicht und Arbeitsverdichtung zu finanzieren. Die Krankenhausbeschäftigten dürfen bluten für die zweistelligen Renditen der Banken und die Spitzengehälter von Ackermann und Co. Ver.di in der Krise Die Belegschaft des Klinikums Kassel machte von 1999 bis 2002 durch einen erfolgreichen Kampf gegen die Privatisierung bundesweit auf sich aufmerksam. Inzwischen verfolgt ver.di im Klinikum keinen einheitlichen Kurs mehr. Ein Betriebsrat hat die Seiten ins Management gewechselt. Eine ver.di-Funktionärin sitzt als Arbeitsdirektorin auf einem hochdotierten Chefposten. Der Unmut über den TVöD und die Tatsache, dass sich ver.di bei der Betriebsratswahl im Gegensatz zu den Ärzte-Vertretern nicht gegen den ZuSi aussprach, führte zu einer Niederlage für ver.di bei den Betriebsratswahlen. Zwar stellt ver.di noch die Mehrheit im Betriebsrat, verlor aber Plätze an die Ärzteliste, die Stimmen bei nichtärztlichen Beschäftigten dazu gewann. 1.000 Unterschriften gegen Lohnverzicht Am 21.06.06 fand eine ver.di-Mitgliederversammlung zum Thema Neubau und ZuSi statt. 200 Kolleginnen und Kollegen - viermal soviel wie bei der Sitzung zuvor - waren anwesend. Mit der Einladung wurden die beiden konträren Positionen innerhalb der ver.di-Betriebsgruppe verschickt. Bereits vor der Mitgliederversammlung sammelten Beschäftigte 1.000 Unterschriften und bekundeten, dass sie "weder bereit noch in der Lage seien, auf Lohn zu verzichten". Wirksames Mittel gegen Privatisierung? Den Aufschlag machte Werner Freischläger, Leiter des hessischen ver.di-Fachbereichs 3 für Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen , der den Zusi verteidigte. Er argumentierte, dass man sich dem Wettbewerb stellen müsse und wollte den Anwesenden verkaufen, dass ZuSi nur Vorteile biete. Zum einen würde es bei der Beteiligung von Seiten der Beschäftigten nicht ausschließlich um Verzicht, sondern auch um die ,Zurverfügungstellung' und ,spätere Rückzahlung' von Löhnen gehen, wenn es dem Krankenhaus wieder besser ginge. Dass es unter DRG-Bedingungen und aufgrund der herrschenden Krankenhausunterfinanzierung völlig aussichtslos ist, dass es den Krankenhäusern in ein paar Jahren wieder besser geht, verschwieg er. Außerdem vertrat er die Position, dass ZuSi, sprich Lohnverzicht, ein Mittel sei gegen Privatisierung und betriebsbedingte Kündigungen. Geld zurück-Garantie? Ursprünglich hatten die ZuSi-Befürworter in ver.di die Position, dass Zusi an den Neubau gekoppelt ist. Aufgrund der Stimmung gegen den Neubau wurde während der Mitgliederversammlung die Argumentation geändert und die Einführung von ZuSi damit begründet, dass laut einer Vereinbarung von 2002 Verhandlungen stattfinden müssten, wenn sich die Kennzahlen des Klinikums verschlechtern. Sinngemäß sagte der anwesende ver.di-Sekretär, die Kennzahlen seien nicht gut, aber auch nicht allzu schlecht. Wenn Zusi verabschiedet würde, könnten die Kennzahlen wieder verbessert werden. Während der Arbeitgeber von den Beschäftigten 60-100 % vom Urlaubs- und Weihnachtsgeld fordert, schlägt Freischläger eine Arbeitszeitverlängerung auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich und den Verzicht von 1 % Leistungsentgelt vor. Das ergäben zusammen 5 % vom Monatslohn. Keine Zukunft mit Zusi Die Gegenrede hielt Steffi Nitschke , Vertrauensleutesprecherin am Klinikum Kassel . Zusammen mit dem stellvertretenden Vertrauensleutesprecher Eckhard Geitz und der Vorsitzenden der JAV, Katja Hoffmann, brachte sie bereits zu den Betriebsratswahlen ein vom "Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di" unterstütztes Flugblatt gegen ZuSi und gegen die Neubaupläne heraus. Steffi Nitschke wies die von Freischläger gemachte Trennung von Lohnverzicht mit Hilfe von Zusi auf der einen und den Neubauplänen aus der Chefetage auf der anderen Seite zurück. Erst durch die Neubaupläne sei die Debatte über den Lohnverzicht entbrannt. Finanzierung höchst unsicher Die Unsicherheit in diesem Finanzierungskonzept sei aus Nitschkes Sicht viel zu groß. Niemals sei ein Gebäude dieser Größenordnung mit den veranschlagten Kosten bezahlt worden. Immer seien die Kosten höher ausgefallen, als vorher geplant. Wenn etwas schief ginge, drohe erst recht die Privatisierung. Die Ausgangbedingungen für die Beschäftigten würden dann noch schlechter. Nitschke bezweifelte deshalb, ob die Beschäftigten jemals etwas von ihrem Geld zurück bekommen würden. Außerdem hätten die Beschäftigten wohl kaum ein Interesse daran, mit ihrem Geld den Abbau von ca. 300 Stellen zu finanzieren. Diese "Einsparungen" plane schließlich Sontheimer durch effektivere Unternehmensabläufe durch den Neubau. Zusi würde zudem die Unterfinanzierung des Gesundheitswesens weiter vorantreiben. Die ohnehin viel zu niedrig angesetzten Fallpauschalen (DRGs) würden anhand von Referenzkrankenhäusern errechnet. Wenn diese aber Anwender des Zusi seien, würde das die Arbeitskosten und somit die Einnahmen der Krankenhäuser weiter drücken. Es dürfe nicht sein, dass die Beschäftigten in den Krankenhäusern bluten sollen für die verfehlte Gesundheitspolitik. Das unternehmerische Risiko dürfe nicht auf die Beschäftigten abgewälzt werden, so Nitschke. Kein Schutz vor Privatisierung Zusi sei außerdem kein Schutz vor Privatisierung. Solange Politiker an der Macht seien, die im Verscherbeln öffentlichen Eigentums eine Option sehen, die Haushaltslöcher zu stopfen, seien auch Verträge keine Garantie. Trotz der Vereinbarung bis 2012, nicht mehr als 49% des Klinikums zu verkaufen, drohe Kassels Oberbürgermeister Hilgen (SPD) bereits jetzt mit dem Verkauf, sollten die Beschäftigten nicht zu Lohnverzicht bereit sein. Die Erfahrung aus anderen Bereichen zeige zudem, dass vor Privatisierungen "die Braut erst noch geschmückt werden müsse". Lohnverzicht und Neubau würden das Klinikum gerade erst attraktiv für private Investoren machen. Kämpfen statt kapitulieren Nitschke rief ver.di statt zum Lohnverzicht zum Kämpfen auf. Bereits vor einigen Jahren sei es den Klinikumsbeschäftigten durch einen erfolgreichen Kampf gelungen, die geplante Privatisierung zurückzuschlagen. Da in Kassel auch andere Bereiche wie die Städtischen Werke konkret von Privatisierung betroffen seien, stände man diesmal nicht allein, sondern wäre gemeinsam womöglich noch schlagkräftiger. Bewusste Chaotisierung der Diskussion In der Diskussion, die deutlich machte, dass die Mehrheit der ver.di-Mitglieder nicht bereit ist, für den Neubau auf Lohn zu verzichten, griffen verstärkt Leute, die von ver.di kommen, jetzt aber einen Posten im Management haben, in die Debatte ein, und übten Druck aus zur Annahme von ZuSi. So warf die persönliche Beraterin der Arbeitsdirektorin und Abgeordnete der Grünen im Stadtparlament den Zusi-Gegnern vor, mit einer utopistischen Minderheitenmeinung Stimmung zu machen. Peter Metz, ein früherer ver.di-Betriebsrat argumentierte, die Beschäftigten müssten sowieso auf Gehalt verzichten, warum sollte man sich nicht des Werkzeugs Zusi bedienen. Stimmen wurden nicht berücksichtigt Um keine Abstimmungsniederlage zu erleiden, gelang den ver.di-Funktionären, die für Zusi waren, ein taktisches Manöver. Entgegen der Einladung, in der eine Abstimmung über Zusi angekündigt wurde, behauptete man plötzlich, es ginge in der Abstimmung nur darum, ob die Mitglieder dafür seien, dass ver.di mit dem Arbeitgeber Verhandlungen aufnehme. Dies führte zu einer heillosen Verwirrung unter den Anwesenden. Bereits im Vorfeld und auf der Versammlung selbst hatten KollegInnen, die früher gehen mussten, ihre Stimme abgegeben, um sich gegen Lohnverzicht und Neubau auszusprechen. Die Proteste vieler Mitglieder und die überforderte Redeleitung ließ die Versammlung in totalem Chaos enden. Kurz vor knapp wurden die Mitglieder noch gefragt, ob sie nun für oder gegen Verhandlungen seien. Selbst viele Kolleginnen und Kollegen, die gegen Lohnverzicht sind, hatten nichts dagegen zu verhandeln, zumal sich ver.di in einer früheren Vereinbarung bereit erklärt hatte, später wieder Verhandlungen aufzunehmen. So stimmte eine Mehrheit für Verhandlungen. Ein GO-Antrag auf Abstimmung über pro/kontra Zusi wurde von der Diskussionsleitung einfach ignoriert. Großer Unmut an der Basis Viele der Anwesenden machten ihrem Unmut nach der Versammlung Luft, einige drohten mit dem Austritt aus ver.di. Auf einer Vertrauensleuteversammlung eine Woche später gab es heftige Kritik an dem Verhalten von ver.di-Funktionären. Die Mehrheit stellte sich hinter die oppositionelle Vertrauensleutesprecherin Steffi Nitschke und stärkte ihr den Rücken. Die nächste Verhandlungsrunde findet am 26.07. statt. Danach sollen die ver.di-Mitglieder über das Ergebnis der Verhandlungen info rmiert werden. Bevor es zu einem Abschluss kommt, soll es eine Urabstimmung unter den ver.di-Mitgliedern geben. Am 28.07. soll der Aufsichtsrat über den Neubau entscheiden. Drei Voraussetzungen sollen bis dahin erfüllt sein: Das Land Hessen zahlt einen bestimmten Zuschuss, die Bankkredite stehen und die Beschäftigten sind bereit auf Teile ihres Gehalts zu verzichten. Die Mehrheit der Beschäftigten im Klinikum Kassel ist gegen Lohnverzicht. Ob sich diese Ablehnung in aktiven Widerstand gegen Zusi umsetzen lässt, werden die nächsten Wochen zeigen. Immerhin musste ver.di in einem Flugblatt zum ersten Gespräch mit dem Arbeitgeberverband erklären, "dass aus Sicht der Beschäftigten die betriebliche Akzeptanz für einen etwaigen Arbeitnehmerbeitrag bisher nicht vorhanden ist". Nein zur Anwendung von ZuSi Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen am Klinikum Kassel Die Unterzeichnenden lehnen den Tarifvertrag Zukunftssicherung (ZuSi) ab. Wir sind der Meinung, dass dieser Absenkungstarifvertrag in keinem Krankenhaus zur Anwendung kommen darf und zum erstmöglichen Termin von ver.di ersatzlos gekündigt werden muss. Die Grenze der Belastbarkeit für Krankenhausbeschäftigte ist nicht erreicht, sie ist längst überschritten. Die Personalnot in den Krankenhäuser gefährdet die Patienten und ruiniert die Gesundheit der Beschäftigten. Die Löhne reichen nicht mehr, um über die Runden zu kommen. Mit dem Absenkungstarifvertrag TVöD verlieren wir viele erreichte tarifliche Standards. Die Merkel/Müntefering-Regierung erhöht die Mehrwertsteuer, streicht die Pendlerpauschale zusammen und erhöht uns die Krankenversicherungsbeiträge. Durch staatliche Unterfinanzierung und Fallpauschalen werden die Krankenhäuser bewußt in Defizite getrieben. Obendrauf plant die Bundesregierung im Rahmen ihrer Gesundheitsreform die Budgets der Krankenhäuser um ein weiteres Prozent zu kürzen. Zusammen mit der Mehrwertsteuererhöhung ergeben sich alleine dadurch neue milliardenschwere Finanzierungslücken für die Krankenhäuser. Wir sind nicht länger bereit für diese Politik Opfer zu bringen und mit Lohnverzicht, Arbeitszeitverlängerung geschweige denn mit "Mitarbeiterkapitalbeteiligung" für das von Krankenhausmanagern und Politikern bewußt verursachte Kaputtholzen der Krankenhäuser aufzukommen. Wir lehnen den über Fallpauschalen organisierten Konkurrenzkampf zwischen den Krankenhäusern ab. Wir fordern von ver.di, dass weder im Klinikum Kassel noch in einem anderen Krankenhaus Zusi, Notlagentarifverträge oder sonstige weitere Absenkungstarifverträge unterschrieben werden. Anstatt sich auf den Konkurrenzkampf einzulassen, fordern wir eine bundesweite Kampagne und Kampfmaßnahmen gegen Privatisierung, für eine bessere Finanzausstattung der Krankenhäuser, für mehr Stellen und bessere Bedingungen für Beschäftigte und Patienten. Ich/wir unterstützen diese Position Name, Ort, Krankenhaus, betriebliche und/oder gewerkschaftliche Funktion
Wir erklären uns solidarisch mit den Kolleginnen und Kollegen am Klinikum Kassel, die Zusi ablehnen und fordern alle ver.di-Kollegen, Vertrauensleute, Betriebsräte und Funktionäre im Klinikum Kassel und in ver.di Hessen auf, sich dieser Position anzuschließen. Protestbriefe bitte senden an die Belegschaft des Klinikums Kassel |