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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Essen: Wird Krupp jetzt Kirche? Diakonie als Sylvesterkracher Die Belegschaft des Essener Alfried Krupp Krankenhauses wurde überrumpelt. Am 3.Januar teilte die Geschäftsführung erst dem Betriebsrat und Stunden später den Beschäftigten mit: Seit Jahresbeginn gelte im bislang frei-karitativen Krankenhaus nun ein kirchliches Sonderrecht; der Betriebsrat sei erloschen; ein Streikrecht gäbe es für die rund 1250 Beschäftigten auch nicht mehr. Heimlich und von langer Hand hätten sie den Wechsel vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in das Diakonische Werk Rheinland durchgezogen. Die Entscheidung, welche Konfession günstiger ist, haben die Strategen in der Betriebsleitung reiflich abgewogen: "In der katholischen Kirche wird von oben nach unten durchgestellt und im Bereich der Diakonie kann sich jede Einrichtung selber organisieren." Nun bereiten sie sich und die einzelnen Beschäftigten vor, Zug um Zug arbeitsvertraglich in die Welt der kirchlichen Tarife zu wechseln. Die Branche horcht auf. Kann es so einfach sein, einen unbequemen Betriebsrat aufzulösen? Was sind all die Betriebsvereinbarungen über Arbeitszeiten und Sozialeinrichtungen noch wert, nachdem mit der Betriebsverfassung auch deren Geschäftsgrundlage verlassen wurde? Müssen die Kommunalen Arbeitgeberverbände die Diakonie als gefährlichen Konkurrenten fürchten, der die Flucht aus dem Betriebsverfassungsgesetz gleich noch mit einem Angebot des Tarifdumpings krönt? Kurz: Kann dieser Handstreich ein Modell sein für aggressive Angriffe auf die Arbeitsbedingungen in Gesundheitsunternehmen? Durch die Instanzen Die Antworten werden wir - vergleichsweise einfach - in den unmittelbaren Auseinandersetzungen finden. Noch ist nichts entschieden. Der Geschäftsführer, Dr. Hartwig, versuchte sich gegenüber den Medien für den Coup über die Köpfe der Belegschaft hinweg zu entschuldigen: "Aufgrund der bisherigen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat hatten wir die Einschätzung: Wenn das im Vorfeld mit dem Betriebsrat diskutiert wird, wird er probieren, es kaputt zu machen." Damit hat er sich aber den Betriebsrat nicht etwa vom Hals geschafft, sondern umso wütender zum Gegner. Die Instanzen der Arbeitsgerichte müssen über den bislang einmaligen Fall urteilen. Der Wechsel in das Diakonische Werk selbst ist unbestreitbar. Doch verlangt die bisherige Rechtssprechung zumindest wesentliche Spuren kirchlicher Einflussnahme. Und da werden die Gerichte mühsam suchen müssen. Das Krankenhaus ist im alleinigen Besitz der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung geblieben, die als Hauptaktionärin des Thyssen-Krupp-Konzerns ihre Millionen steuerlich günstig in der Welt verteilt. Die Kirchen haben keinen einzigen Sitz in der Unternehmensführung. Nicht die Kirche zahlt an das Krankenhaus sondern umgekehrt. An die Diakonie fließen je Bett und Jahr 35 Euro, gerade einmal 20.000 Euro Beitrag für eine jeweils zum Jahresende kündbare Mitgliedschaft. Offensichtlich versuchen die cleveren Klinikmanager, rechtsmissbräuchlich unter den billigen Deckmantel der Kirche zu schlüpfen. "Kirche bestimmt selbst, was Kirche ist" werden nun die Rechtsanwälte des Arbeitgebers nicht müde, ihr Mantra aufzusagen. Und wenn das Krupp-Krankenhaus kaum eine der Mindestbedingungen erfüllt, welche die Diakonie von ihren Mitgliedern abverlangt, bringt sie das nicht um ihre Seelenruhe: "Dies entzieht sich der Prüfung der weltlichen Gerichte!" Die arbeitsrechtlichen Folgen sind für alle - auch für den Arbeitgeber - chaotisch. In den "alten" Arbeitsverträgen fehlt ja die Unterwerfung unter kirchliche Tarife. Eine - erst noch zu wählende - Mitarbeitervertretung mag erpressbar sein. Ihre Dienstvereinbarungen können aber die Arbeitsverträge nicht ohne weiteres demontieren. Und auch die "Tarife" mit den kircheneigenen "Arbeitsrechtlichen Kommissionen" sind nicht echten Tarifverträgen gleichgestellt. Auch sie eignen sich nicht als Hebel, um die Arbeitsverträge auszuhebeln. Solche Nachteile soll offenbar der Raumgewinn wieder Wett machen, der durch diesen tarifpolitischen Ausbruchversuch winkt. Nun war das Krupp-Krankenhaus bislang überhaupt nicht tarifgebunden. Doch die punktuelle "Anlehnung" an den BAT ist längst am Kippen. Einerseits ist der BAT ein Auslaufmodell, bereits ein Drittel der Krankenhäuser ist mitten im Umstieg auf den TVöD. Andererseits bereitet ver.di offen Erzwingungsstreiks vor, um die restlichen "freien Radikalen" bei den Klinikarbeitgebern wieder einzufangen. Fluchtburg Kirche Die Krupp-Geschäftsführer sehen das eher schlicht: "Da wir in Essen fast ausschließlich mit kirchlichen Krankenhäusern im Wettbewerb stehen, war es uns sinnvoll weil es auch zur Ausrichtung des Krupp-Krankenhauses passt als gemeinnützige Einrichtung, uns einem kirchlichen Verband anzuschließen, weil wir dann auch die dort geltenden kirchlichen Tarifverträge für uns haben." Tatsächlich aber sind die Tarifregelungen der Kirchen wirklichen Tarifverträgen nicht gleichgestellt. Denn sie sind eben keine frei ausgehandelten Verträge. Damit können sie keine betrieblichen Regelungen ablösen. Und sie schützen auch nicht vor Arbeitskämpfen mit der Gewerkschaft. Eine Interessensvertretung nach diakonischem Sonderrecht verliert gegenüber einem Betriebsrat wertvolle Handlungsmöglichkeiten. Das tut weh. Der Arbeitgeber im Kruppschen hat unverzüglich die Wahl für so eine Mitarbeitervertretung eingeleitet. Doch tatendurstige Gewerkschafter/innen lassen sich so nicht ausbremsen. Erst im vergangenen Juni hatte sich der Betriebsrat in einer vorgezogenen Wahl die breite Unterstützung der Belegschaft gesichert. Nun wurde der Betriebsratsvorsitzende von der Belegschaftsversammlung eindrucksvoll mit 220 Stimmen in den Wahlvorstand geschickt. Wenige Tage später wedelte die letzte im Betriebsrats-Team triumphierend mit ihrem Beschied über den Kircheneintritt. Dies ist die persönliche Voraussetzung, um zur Wahl für die Mitarbeitervertretung anzutreten. Fatal wird es für den Arbeitgeber. Denn noch lange ist nicht gerichtsfest entschieden, ob seine Auflösung des Betriebsrates überhaupt rechtswirksam war. Müssen alle beteiligungspflichtigen Entscheidungen im Betrieb wieder zurückgenommen werden? Der Überfall in Essen taugt also allenfalls als Modell für verzweifelte Krankenhausmanager. Der Vernichtungswettbewerb lässt für einige keine vernünftigen Auswege mehr. Wer sich in die schützenden Arme der Diakonie wirft, ist für betriebswirtschaftliche Erwägungen meist nicht mehr zugänglich. Grenzstreit Rechtsfragen sind Machtfragen - nur notfalls vertrauen wir auf die Weisheit der Gesetzgeber und ihrer Arbeitsgerichte. Das gehört zu den Binsenweisheiten gewerkschaftlicher Seminare. Doch dieser Konflikt wirft tiefer gehende Fragen auf. Wenn privates Kapital nach öffentlichen Krankenhäusern greift, dann ist unsere Kampflosung klar: Gesundheit ist keine Ware! Doch in diesem Fall boxt sich ein privates Krankenhaus ja in einen öffentlichen Raum zurück, der scheinbar unter der Aufsicht einer Volkskirche steht. Warum begrüßen weder die Beschäftigten noch die Patienten diesen Schritt? In NRW sind fast 75% der Krankenhäuser in kirchlicher Hand. Verwundert fragen die Journalisten uns ver.di-Aktivisten: "Was ist so empörend an Arbeitsbedingungen und Mitbestimmung, wie sie die evangelischen und katholischen Krankenhäuser nebenan seit Jahrzehnten praktizieren?" Zwar zahlen die Arbeitgeber keine Kirchensteuer. Doch Religionsfreiheit ist ein wichtiges Grundrecht. Welche Belegschaft, welches Gericht darf ihnen verwehren, sich vom Profit ab- und der Nächstenliebe zuzuwenden? Und sollen denn wirklich ein Kloster oder ein Kirchentag das Arbeitszeitgesetz beachten und einen Betriebsrat mitbestimmen lassen? Die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft ver.di können die Antworten nicht den Deutungsversuchen der Rechtsdogmatiker überlassen. Wo soll die Grenze gezogen werden zwischen allgemeinen Mindeststandards und kirchlichen Sonderrechten? Das Gesundheitswesen wurde in den vergangenen Jahren gezielt marktwirtschaftlich zersetzt. Insbesondere die Diakonie als Träger von zehntausenden von Einrichtungen ist bemüht, in dieser Welt der Waren, der Preise und Kapitalströme anzukommen. Ihre kirchlichen Manager nutzen geschickt die Privilegien der Kirche als Vorteile gegenüber den privaten Konkurrenten. Das Diakonische Werk Rheinland entwickelt da Appetit: "Eine Klinik passt immer ins kirchliche Konzept". Es geht hier also nicht um die Verteidigung von Schutzrechten für die Entfaltung von Religion, die sich aus gutem Grund nicht nur auf das Spirituelle verweisen lassen will. Es geht um die Verteidigung von Schutzrechten der Beschäftigten, die zum Spielball von Fusionsbewegungen am Gesundheitsmarkt werden. Bekenntnis oder Beruf? Auf einer Informationsveranstaltung im Krupp-Krankenhaus stellte Moritz Linzbach, Vorstand des Diakonischen Werkes Rheinland, das überkommene Selbstverständnis vor. Es fasse die Träger mit "diakonisch-missionarischer" Aufgabe zusammen und rufe "zum Dienst der Liebe in der Nachfolge Christi" auf. Eine Kollegin hielt es da kaum ruhig auf dem Stuhl: "Wir machen hier keine Nächstenliebe, wir pflegen Kranke!" Nicht alles, wofür Kliniken heute investieren, verdient gleich den Stempel "gemeinnützig". Der Satzungszweck des Kruppschen Krankenhauses schreibt noch: "Hierbei hat das Unternehmen in besonderem Maße der minderbemittelten Bevölkerung zu dienen." Tatsächlich richten sich die ausgedehnten Angebote von Schönheitsoperationen und Premiummedizin in First-Class-Ambiente eher an die Reichen und Gutversicherten im Essener Nobelviertel Rüttenscheid. der Gemeinnützigkeit bedeutet ganz handfeste steuerliche Vorteile gegenüber der Konkurrenz. Gibt Kirche den Tarnmantel, der vor argwöhnischen Augen schützt? Helfen und Heilen ist eine professionelle Aufgabe, die vom Staat sichergestellt wird. Die neoliberalen Insolvenzverwalter reißen rücksichtslos Lücken in diesen Versorgungsauftrag. Die kirchlichen und privaten Ketten entdecken und öffnen sich hier Märkte. Doch unsere Alternative liegt nicht in der Wahl zwischen Aufopferung und Ausbeutung. Die Überdehnung des Freiraumes eines kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes schafft nicht Gerechtigkeit sondern Ungleichheit. Viele, auch langjährig Beschäftigte befürchten, dass sie zukünftig in ihrer beruflichen Fortentwicklung gehindert sind. Denn bei gleicher Qualifikation können diejenigen bevorzugt werden, die sich als evangelisch ausweisen. Die "Loyalitätsrichtlinie" der EKD erhebt dies sogar zum Grundsatz. Diakonie-Vorstand Linzbach goss da Öl ins Feuer: "Wenn jemand, der eingetreten ist und dann in einem feindlichen Akt sich von ihr abwendet, dann kann das Folgen haben. Ein feindlicher Akt ist, wenn man ostentativ an einer hervorgehobenen leitenden Stellung sich abwenden würde von der Kirche. Das wird dies Krankenhaus im Einzelfall prüfen." In die neue Interessensvertretung dürfen sich nur noch Beschäftigte wählen lassen, die Mitglied in bestimmten christlichen Kirchen sind. Dies schließt mehr als ein Viertel von wichtigen betrieblichen Rechten aus - Juden wie Moslems, die Angehörige aller übrigen Weltreligionen und Konfessionen sowie die zahlreichen konfessionslosen unter den Beschäftigten. Tobias Michel (Betriebsrat im Krupp Krankenhaus) vom 17.02.2006 |