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Updated: 18.12.2012 15:51
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Kein Videobeweis

Verhandlung zur Kündigung von Betriebsräten bei Maredo in Frankfurt am Main

Artikel von Daniel Behruzi, zuerst erschienen in junge Welt vom 15.05.2012

Schwer bepackt kamen die Anwälte der Steakhauskette Maredo vergangene Woche ins Arbeitsgericht Frankfurt am Main. Fachmännisch installierten sie Laptops, Beamer und Leinwand in dem Saal, der für die Verhandlung zwischen dem Unternehmen und seinem Betriebsrat der Filiale auf der örtlichen Flaniermeile »Freßgass’« reserviert war. Die von Maredo beauftragten Manager und Juristen wollen die Zustimmung der Beschäftigtenvertretung zur fristlosen Kündigung all seiner Mitglieder ersetzen lassen (jW berichtete). Da die Betriebsratsmitglieder sich mit ihrer eigenen Entlassung nicht einverstanden erklärt hatten, benötigte das Unternehmen einen »Zustimmungsersetzungbeschluß« des Arbeitsgerichts, damit die Kündigungen wirksamwerden. Um deren schwerwiegende Vergehen – ein Vorwurf ist das unerlaubte Verzehren von Brotkanten – zu »beweisen«, wollten sie Videoaufnahmen präsentieren – aufgezeichnet von einer geheim und ohne Wissen des Betriebsrats installierten Kamera. Doch noch bevor es losging mußten sie ihre technische Ausrüstung erst einmal wieder zusammenpacken. Der Raum erwies sich als deutlich zu klein für die mehr als 50 Kollegen und Unterstützer der Maredo-Mitarbeiter. Die Gerichtsdienerin verlegte die Verhandlung kurzerhand in den Audimax des Gerichtsgebäudes – ein erster symbolischer Erfolg für die von der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG) unterstützten Betriebsräte.

Doch auch die erneute Installation von Beamer und Leinwand in dem Hörsaal war umsonst. Der vorsitzende Richter Martin Becker wollte die Aufzeichnungen partout nicht anschauen. Sein Argument: Ob Diebstähle begangen wurden und damit »die Basis für eine künftige vertrauliche Zusammenarbeit unheilbar zerstört« ist, wie das Unternehmen behauptet, könne aus den Videosequenzen gar nicht hervorgehen. Denn diese zeigten lediglich, ob der jeweilige Beschäftigte etwas gegessen oder getrunken hat, nicht aber, ob dies ordnungsgemäß boniert wurde. Gleiches gelte für die Aussagen der verdeckten Ermittler, die das Unternehmen – ebenfalls unter Umgehung der Mitbestimmung des Betriebsrats – in die Filiale einschleuste. Sie wurden zunächst nicht in den Zeugenstand gerufen.

Zentraler juristischer Streitpunkt ist demnach nicht, ob Mitarbeiter etwas im Restaurant verzehrt haben, sondern ob das ein Verstoß gegen die betrieblichen Regeln darstellt. »Ich habe Steak mit Spinat gegessen, das habe ich immer schon gern gemocht«, gab Verka M. ohne Umschweife zu. Zugleich betonte die Betriebsrätin, das Essen sei korrekt boniert worden. Die Maredo-Juristen behaupten das Gegenteil, blieben Beweise dafür bislang jedoch schuldig. Keinen Bon gibt es in jedem Fall für die Endstücke des von Frau M. geschnittenen Baguettebrots, die sie nach eigenen Angaben gegessen hat. Für Brot gibt es aber ohnehin keine Bonierung. »Das zu essen war in den 27 Jahren, die ich bei Maredo bin, immer erlaubt«, beteuert sie.

Noch konstruierter erscheinen wie Vorwürfe gegen Michael Weißenfeldt. Der 52jährige ist Assistent der Betriebsleitung und zugleich stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Maredo an der »Freßgass´«. Ihm wirft die Geschäftsleitung nicht vor, selbst Waren des Steakhauses konsumiert zu haben. Statt dessen soll er seine Aufsichtspflicht als Vorgesetzter verletzt haben, woraus gleichfalls die fristlose Kündigung abgeleitet wird. Ein Beispiel: Mimoun Bouhout, der am Grill arbeitende Vorsitzende des Betriebsrats, soll Fleisch gegrillt und es selbst verzehrt haben, ohne von Weißenfeldt zurechtgewiesen worden zu sein. Weißenfeldt hat dafür die einleuchtende Erklärung, daß sein Kollege das bei Maredo servierte Fleisch aus religiösen Gründen überhaupt nicht ißt. Wenn, dann habe er sein eigenes Fleisch mitgebracht, also keinen Diebstahl begangen. Ein weiterer »Vorwurf«: Weißenfeldt habe seinen Kollegen auf Kosten des Unternehmens eine Runde Getränke spendiert. »Es war schon immer so, daß man als Vorgesetzter bei Maredo im Falle besonders guter Leistungen zum Dank auch mal einen ausgeben sollte«, erklärte er. Nichts anderes habe er getan.

Themen dieser Art wurden bei dem mehr als vierstündigen Kammertermin mehrfach en Detail ausdiskutiert. Die entscheidende Frage des Prozesses aber blieb unerwähnt: Geht es der Maredo-Spitze mit ihren juristischen Aktivitäten letztlich darum, eine vergleichsweise gut bezahlte Belegschaft und ihren aktiven Betriebsrat loszuwerden? Die Gewerkschaft NGG und die Aktivisten des »Solidaritätskomitees« für die Entlassenen sind davon jedenfalls überzeugt. Das Management des mehrheitlich in Besitz des Finanzinvestors ECM befindlichen Konzerns weist das weit von sich. Für die Vermutung spricht allerdings, daß eine der wenigen anderen Betriebsräte im Unternehmen, die Vorsitzende der Interessenvertretung im niedersächsischen Osnabrück, Jacqueline Fiedler, ebenfalls mit fristloser Kündigung bedroht ist (siehe jW vom 23. Februar). Der Kammertermin vor dem dortigen Arbeitsgericht ist für den 28. Juni anberaumt. Das Verfahren in Frankfurt soll am 22. Juni fortgesetzt werden.

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