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Updated: 18.12.2012 15:51
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Grenzenlos billig? Globalisierung und Diskountierung im Einzelhandel

Grenzenlos billig?

So lautet der Titel einer Broschüre von Sarah Bormann, Christina Deckwirth und Saskia Teepe, herausgegeben von ver.di und Weed vom April 2005. Bestellung der 98 Seiten umfassenden Broschüre für 7 € bei WEED, Torstr. 154, 10115 Berlin, Fax: 030/27596928 oder online externer Link.

Hieraus exklusiv im Labournet Germany neben dem Inhaltsverzeichnis und Einleitung:


Arbeitsbedingungen bei den Discountern Aldi, Lidl und Schlecker

Kap. 1.1.6 der Broschüre

Da bei Aldi & Co. minimale Personalkosten zentraler Teil der Geschäftsstrategie sind, leiden ihre Beschäftigten unter noch schlechteren Arbeitsbedingungen als dies im Einzelhandel generell der Fall ist. So ist der durchschnittliche Anteil der Personalkosten am Umsatz bei Discountern viel geringer als bei allen anderen Vertriebsformen (siehe Graphik 3). Die meisten VerkäuferInnen arbeiten als ungelernte Teilzeitkräfte rund 20 bis 25 Stunden in der Woche. Dabei sind die Verdienstchancen gering: Lidl und Schlecker zahlen maximal Tarifgehalt. Aldi zahlte zwar lange Jahre übertarifliche Gehälter, doch auch hier wälzt man den Preiskampf zunehmend auf die Löhne ab, so dass teilweise noch nicht einmal das Tarifgehalt eingehalten wird. MitarbeiterInnen werden häufig nicht ihren Berufsjahren entsprechend eingestuft, die anfallenden Überstunden oft nicht erfasst und vielfach fällt das Weihnachts- und Urlaubsgeld zu niedrig aus. Auch tarifliche Zulagen erhalten viele Beschäftigte nicht. Anton Schlecker landete wegen diesem Lohndumping im Jahr 1998 vor Gericht: Erst die Verurteilung zu einer Geldstrafe von umgerechnet einer Million Euro und zehn Monate Haft auf Bewährung konnten ihn dazu bewegen, Gehälter nach Tarif zu zahlen.

Die Arbeitsbelastung bei Discountern ist enorm. Oft sind Filialen unterbesetzt, so beispielsweise bei Schlecker, wo auf eine Filiale in der Regel nur insgesamt drei Beschäftigte kommen, von denen zwei als Teilzeitkräfte angestellt sind. Auch unbezahlte Überstunden sind üblich. So ist bei Schlecker der tägliche Kassensturz am Ende des Arbeitstages, der zwischen 20 und 45 Minuten dauern kann, unbezahlte Mehrarbeit. Auch bei Aldi wird erwartetet, dass die Beschäftigten 30 bis 45 Minuten täglich unbezahlt arbeiten, um morgens die Kasse vorzubereiten und abends abzurechnen.

Bei allen drei Discountern sind die Beschäftigten sowohl für die Kasse als auch für das Verräumen der Ware und das Reinigen der Filiale zuständig. An den Kassen herrscht Akkordzwang: KassiererInnen bei Lidl müssen mindestens 40 Produkte pro Minute über die Scannerkasse ziehen. Aldi-Süd-MitarbeiterInnen sollen nach firmeninternen Vorgaben rund 90 KundInnen pro Stunde bedienen. Insgesamt sind die Beschäftigten einem enormen Überwachungsdruck ausgesetzt. Häufige Testkäufe, Durchsuchungen von Handtaschen und Spinden, Hausbesuche von Vorgesetzten nach einer Krankmeldung oder bei gewerkschaftlichem Engagement sind keine Seltenheit.

Die Disziplinierung der MitarbeiterInnen bei Schlecker: "Wir wissen aus Erzählungen von Beschäftigten, dass in den Filialen bewusst Artikel platziert werden, deren Haltbarkeitsdatum überschritten ist, obwohl die Filialleiterin beziehungsweise die Verkäuferin entsprechend den gesetzlichen Notwendigkeiten und Arbeitsanweisungen vorher genau diesen Artikel aussortiert hat. Auf wundersame Wege kommen diese Artikel dann wieder zurück in die Regale. Mittlerweile ist es sogar soweit gekommen, dass (aus Schutzgründen) die Filialleiterin oder die Verkäuferin diesen bereits aussortierten Artikel mit einem Marker schwarz markieren, was bedeutete: ,Hier ist das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten.' Ein paar Tage später fand sie dieses markierte Teil wieder im Regal der Filiale. Sehr zeitnah wurde dann durch die Bezirksleiter kontrolliert. (sic) In der arbeitsrechtlichen Konsequenz heißt das: Wird ein abgelaufener Artikel gefunden, (Verstoß gegen eine Arbeitsanweisung) erhält die Filialleiterin/Verkäuferin eine Abmahnung (Vorbereitung zur Kündigung). Bei drei Abmahnungen für die gleiche Sache, könnte sogar eine fristlose Kündigung folgen. Dies passiert aber praktisch nie. Schlecker setzt dies als ein Steuerungsmittel ein, um die Angst vor disziplinarischen Maßnahmen und die Angst vor einem möglichen Verlust der Existenzgrundlage aufrecht zu erhalten. Es ist Bestandteil des Systems Schlecker." Achim Neumann, Ver.di.

Deutschlands zweitgrößter Discounter Lidl gilt als führend bei der Verhinderung von Betriebsräten. Von bundesweit rund 2.500 Filialen haben nur acht einen Betriebsrat. Lidl umgeht das Betriebsverfassungsgesetz gezielt mit immer neuen Gründungen von Subunternehmen und erteilt GewerkschafterInnen Hausverbot. Auch Aldi Süd, in dessen 1.500 Filialen es bislang nicht einen Betriebsrat gibt, geht systematisch gegen Betriebsratsgründungen vor. Im Frühjahr 2004 scheiterte eine Betriebsratswahl in München bereits zum zweiten Mal, nachdem sich der Filialleiter selbst zum Wahlvorsitzenden ernannt hatte. Bereits nach dem ersten Versuch waren die MitarbeiterInnen einzeln zu Unterredungen mit den Vorgesetzen zitiert worden.

Von den rund 11.000 Schlecker-Filialen mit ihren 40.000 Beschäftigten hat inzwischen rund ein Viertel einen Betriebsrat. MitarbeiterInnen, die sich gewerkschaftlich engagieren, müssen jedoch in allen drei Unternehmen um ihren Arbeitsplatz fürchten.

Schlecker verhindert Betriebsratsarbeit: "Das Problem ist die Angst: Die Angestellten trauen sich kaum, Betriebsräte zu gründen. Allein beim Wort 'Betriebsrat' erinnern die Beschäftigten die von den Bezirksleitern stereotyp eingehämmerten Sätze: 'Du hast hier bei Schlecker deinen Arbeitsplatz, Schlecker bezahlt Dir Deinen Lohn.' (...) Wir Betriebsräte fahren in die Filialen, in denen es keine Betriebsräte gibt und erzählen, wie wir mit Hilfe des Betriebsverfassungsgesetzes die Angestellten vor Willkür und mieser Behandlung schützen können. Aber das spricht sich rum. Und wenn die Bezirksleiter hören, dass Ver.di und die Betriebsräte wieder unterwegs waren, dann fahren sie die Filialen ab und sagen den Leuten: 'Dein Arbeitgeber ist Schlecker, Schlecker bezahlt Dir Deinen Lohn und wehe, Du gründest jetzt einen Betriebsrat.' Sie finden fast immer Wege, dich klein zu machen."
Katrin Wegener, Betriebsrätin bei Schlecker Berlin


Grenzenlos billig? Globalisierung und Diskountierung im Einzelhandel

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Menschen handeln: Die Situation der Beschäftigten

2.1 Hauptsache billig? ArbeitnehmerInnen im deutschen Einzelhandel
2.1.1 Umstrukturierung der Einzelhandelsbranche
2.1.2 Frauen im Einzelhandel: zwischen Selbstverwirklichung und neuer Armut
2.1.3 Teilzeitjobs: neues Normalarbeitsverhältnis im Einzelhandel
2.1.4 Flexible Arbeitszeiten - flexibel für wen?
2.1.5 Beschäftigungsabbau und Leistungsverdichtung
2.1.6 Arbeitsbedingungen bei den Discountern Aldi, Lidl und Schlecker

2.2 Auswirkungen der Discountierung auf ArbeitnehmerInnen in Landwirtschaft und Textilindustrie
2.2.1 Saure Milch: Der Handel melkt Milchbauern und -bäuerinnen
2.2.2 Bittere Orangen: brasilianische PflückerInnen in der globalen Wertschöpfungskette
2.2.3 Jede Woche die gleiche Welt! - Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie
2.2.4 Verhaltenskodizes bei Tchibo und H&M: Papier ist geduldig

2.3 Fazit: Discountierung der Arbeitsbedingungen

3 Auf dem Weg zum globalen Supermarkt? - Konzentration und Internationalisierung des Einzelhandels

3.1 Rationalisierung zu Lasten der Beschäftigten: Die Segmentierung des Arbeitsprozesses
3.1.1 Segmentierung: Viele Hände sind flexibel und billig
3.1.2 Auslagern statt Selbermachen: der Trend zum schlanken Unternehmen
3.1.3 Zwischenfazit:

3.2 Tante Emma macht das Licht aus: Expansion der Einzelhandelsunternehmen
3.2.1 Ladenschluss: Konzentration durch Expansion
3.2.2 Europäisierung der Einzelhandelsstruktur

3.3 Die Globalisierung des Einzelhandels
3.3.1 Internationalisierung des Vertriebs: Die Eroberung osteuropäischer Märkte
3.3.2 Erschließung neuer "Zukunftsmärkte" und ihre Folgen
3.3.3 Globalisierung des Beschaffungswesen: Kontrolle von der Produktion bis ins Regal
3.3.4 Angst vor Auslistung: Austauschbarkeit der Handelsmarken

3.4 Fazit: Von Tante Emma zum globalen Konzern

4 In wessen Interesse?: Politische Strategien der Einzelhandelskonzerne

4.1 Politik nach wessen Maßgabe?
4.2 Gut aufgestellt: Einzelhandelskonzerne und ihre Lobby in Deutschland
4.3 Hauptstadt des Lobbyismus: Einzelhandelslobby in Brüssel
4.4 Fazit: Taube Ohren für Gewerkschaften, offene Arme für Konzernlobbyisten

5 Regeln sind Rechte: Regulierungen auf nationaler, europäischer und globaler Ebene

5.1 Regulierung in Deutschland
5.1.1 Darf`s etwas weniger sein?: Mini-Jobs bedrohen gesicherte Arbeitsverhältnisse
5.1.2 Schleichender Ausstieg aus den Tarifverträgen
5.1.3 Preiskrieg am Rande der Legalität
5.1.4 Ladenschluss: Woche ohne Ende - Abend ohne Feiern
5.1.5 Kommunale Ansiedlungspolitik: Wettkampf der Bürgermeister um den größten Supermarkt

5.2 Die Bolkestein-Richtlinie: neoliberaler Kahlschlag in der EU
5.2.1 Vom Wirtschaftsprogramm in Lissabon zur Bolkestein-Richtlinie
5.2.2 Das Herkunftslandprinzip: Abwärtsspirale bei Schutzbestimmungen
5.2.3 Bolkestein und Einzelhandel - Ausverkauf der Arbeitnehmerrechte
5.2.4 Niederlassungsfreiheit: Freies Feld für Konzerne

5.3 Globale Zwangsregeln für den Einzelhandel: das GATS
5.3.1 Schrittweise Liberalisierung durch das GATS
5.3.2 Die Liberalisierung des europäischen Einzelhandelssektors
5.3.3 EU-Interessen in der Welt

5.4 Fazit: Deregulierung auf allen Ebenen

6 Den Einzelhandel neu gestalten!

6.1 Wir sind der Einzelhandel

6.2 Arbeitsrechte im Handel verteidigen!
6.2.1 Ver.di macht mobil gegen Discounter
6.2.2 Solidarität mit Beschäftigten im Ausland und von Fremdfirmen

6.3 Solidarisierung entlang der Wertschöpfungskette: Aufstehen, wenn Konzerne Menschenrechte verletzen!

6.4 Die Einkaufspraxis der Konzerne ändern durch Verbrauchermacht

6.4.1 Fairer Handel
6.4.2 Nachfragen, woher die Ware kommt

6.5 Menschenrechte politisch verteidigen!

6.6 Fazit: Globale Solidarität im Einzelhandel!

7 Ausblick

8 Tipps zum Weiterlesen

Glossar


Einleitung

Kaum ein anderer Wirtschaftsbereich ist in unserem Alltag so präsent wie der Einzelhandel. Täglich erledigen wir unsere Einkäufe und täglich sorgen viele Menschen dafür, dass wir auch die Waren bekommen, die wir benötigen. Funktioniert der Einzelhandel nicht, sind davon viele betroffen: Nicht nur die zahlreichen Beschäftigten, sondern auch die VerbraucherInnen, die auf eine wohnortnahe und vielfältige Einzelhandelslandschaft angewiesen sind und sich eine freundliche Beratung wünschen. Hier können wir Tag für Tag die Auswirkungen zwei aktueller Prozesse ganz direkt selbst erleben: die Discountierung und die Globalisierung.

Discountierung bedeutet, dass sich zunehmend die Verkaufsstrategie der großen Discounter wie Lidl und Aldi durchsetzt. Deren Hauptsache-billig-Strategie spart an der Ausstattung der Läden, beim Einkauf der Waren und an den Beschäftigten. Discountierung steht aber auch für eine neue gesellschaftlicher Armut: Und zwar sowohl auf Seiten der Beschäftigten, deren Gehälter sehr niedrig sind, als auch auf Seiten der VerbraucherInnen, die darauf angewiesen sind, nur noch das Billigste zu kaufen.

Globalisierung im Einzelhandel beschreibt die Entwicklung, dass die Einzelhandelsunternehmen selbst ihre Waren zunehmend in der ganzen Welt einkaufen und im Ausland Filialen eröffnen. Die globale Expansion der Einzelhandelskonzerne fördert einen Verdrängungswettbewerb, der zu enormer Konzentration führt und die Macht einiger großer Konzerne immer weiter wachsen lässt.

Globalisierung und Discountierung sind keine rein ökonomischen Prozesse. Sie sind auch das Ergebnis bewusst gewählter politischer Entscheidungen, die zunehmend auf internationaler Ebene getroffen werden. Durch die geplante europäische Bolkestein-Richtlinie für Dienstleistungen und durch das globale Dienstleistungsabkommen GATS wird der Abbau von Arbeitnehmer- und Verbraucherrechten weiter vorangetrieben. Die Betroffenen werden dabei immer weniger an den politischen Entscheidungen beteiligt.

Ob Hungerlöhne oder unsichere Beschäftigungsbedingungen - in unserer Broschüre zeigen wir die Folgen der Globalisierung und Discountierung für die Beschäftigte sowohl im Einzelhandel als auch in der Produktion auf. Damit möchten wir verdeutlichen, dass nicht nur VerkäuferInnen in Deutschland, sondern beispielsweise auch Näherinnen in Bangladesch von den aktuellen Entwicklungen im Einzelhandel betroffen sind. Deswegen ist es nötig, internationale Solidarität praktisch werden zu lassen und neue Bündnisse zwischen Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen zu schließen. Denn im Interesse der Beschäftigten und VerbraucherInnen darf das Motto für den Einzelhandel nicht allein lauten: "Grenzenlos billig"!


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