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Updated: 18.12.2012 15:51
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Einschätzung des BAG-Urteils

Das Komitee "Solidarität mit Emmely" hebt auf mögliche widersprüchliche Wirkungen des BAG-Urteils ab und kritisiert die mediale Darstellung des Falls in Bezug auf die Akteure. Der einfachen und falschen Darstellung, es handelte sich um einen Alleingang von Emmely oder eine Kampagne von ver.di stellt das Komitee entgegen, wie viele viele Menschen an diesem Erfolg mitgewirkt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, GegenerInnen von Bagatell- und Verdachtskündigungen,

wir melden uns erst jetzt mit einer Einschätzung bei Euch, weil wir erst mal ausspannen und feiern mussten.

Wann hat man das schon mal: Sieg auf der ganzen Linie? Für die, die nicht in Erfurt waren: Besonders schön waren die Gesichter des Kaiser's-Regionalmanagers, der Kaiser's-Anwältin und der Betriebsratsvorsitzenden unmittelbar nach Urteilsverkündung.

Emmely hat gewonnen, Kaiser's ist mir der Kündigung nicht durchgekommen, sie kriegt ihren Arbeitsplatz wieder und den entgangenen Lohn (das JobCenter kriegt sein Geld auch wieder,
bloß Emmely kriegt ihre alte Wohnung nicht wieder, aus der sie wegen der unrechtmäßigen Kündigung von Kaiser's ausziehen musste...)

Bislang gibt es noch keine Urteilsbegründung, nur eine Pressemitteilung (die der mündlichen Urteilsbegründung entspricht). Soweit diese eine Interpretation zulässt, kann man bislang folgendes sagen:

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich gerade so weit bewegt, wie nötig war, um weiteren Legitimationsverlust der Arbeitsrechtsprechung zu vermeiden. Dafür, dass das der Zweck der Übung war, spricht auch der Umstand, dass die dritte Kammer des BAG zunächst die Revision zugelassen hatte, weil eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch einer höchstrichterlichen Klärung harre: Die Frage der Bewertung des Prozessverhaltens von Emmely. Verhandelt wurde die Revision jedoch vor der zweiten Kammer. In der o. g. Pressemitteilung ist diese Frage auf die Feststellung zusammengeschmolzen: "Es [das Prozessverhalten] erschöpfte sich in einer möglicherweise ungeschickten und widersprüchlichen Verteidigung." Aha. Das war's dann auch zu dieser Frage.

Das BAG hat die Begriffe seiner Rechtsprechung kein Stück geändert. Weder die Verdachtskündigung, noch die zentrale Stellung des "Vertrauens" sind aus der Welt. Allerdings ist Vertrauen seit dem Emmelyurteil nicht notwendig immer und sofort und unwiderruflich zerstört. Immerhin: in 31 Jahren aufgebautes Vertrauen kann nicht durch einen einmaligen geringfügigen Vorfall zerstört werden.[fn:1] Mit dem Urteil ist allerdings auch der Forderung nach Abschaffung von Bagatell- und Verdachtskündigungen der Wind aus den Segeln genommen, weil man ja sieht, dass es auch ohne Gesetzesänderung geht (von der Leyen -Argumentation).

Trotzdem: Emmely hat gewonnen, Kaiser's steht ohne Kleider da, in der öffentlichen Wahrnehmung hat David gegen Goliath gesiegt, Arbeitnehmerin gegen Arbeitgeber, das macht Mut. Es zeigt, dass es sich lohnen kann zu kämpfen: Vielleicht wehren sich jetzt mehr Gekündigte gegen ihre Arbeitgeber. Das wäre gut.

Und: Es hat sich im Laufe der Kampagne auch gezeigt, dass es möglich ist, die Öffentlichkeit für eine Kritik an der Rechtsprechung zu interessieren. Da gibt es sicher noch mehr zu tun.

Problematisch ist freilich, dass in den Medien kaum erwähnt wurde, wie dieser Erfolg hart erarbeitet wurde: Der Erfolg erscheint als alleiniges Ergebnis der Hartnäckigkeit einer Einzelperson (Emmely), oder als Ergebnis eines öffentlichen Aufschreis, oder als Ergebnis einer Kampagne von ver.di. Nichts davon trifft zu. Das unsolidarische Verhalten des Betriebsrates wird kaum wo erwähnt. So kann sich niemand eine realistische Vorstellung bilden, wie unwiederholbar dieser Fall ist beziehungsweise was man alles *selbst* dafür tun muss, um sich gegen einen Bagatell- oder Verdachtskündigung durch zu setzen.

Ihr hingegen wisst, dass das zweieinhalb Jahre (Soli-) Arbeit waren und habt Euch daran beteiligt. Wir hoffen deshalb, dass Ihr nicht nur mit-, sonder auch Euch gefeiert habt, als Ihr die Nachricht von Emmelys Siegt gehört habt. Es ist ganz unmöglich alle aufzuzählen, die mit geholfen haben: Beispielsweise haben hunderte, wahrscheinlich über tausend Menschen in Kommentaren zu Artikeln auf den Onlineseiten von Zeitungen sich eingemischt (freilich nicht alle auf der Siegerseite...). Hunderte haben
Unterschriften für eine Petition gesammelt (über die der Bundestag heute noch brütet), haben an Kundgebungen und Veranstaltungen teilgenommen, die dutzende organisiert haben etc.

Bleibt zu Hoffen, dass dieser Erfolg Kraft für weitere Kämpfe gibt.

Mit solidarischen Grüßen,
Gregor (für's Komitee "Solidarität mit Emmely")



[fn:1] Damit sind künftig hoffentlich Urteile, wie das des Landesarbeitsgerichts Nürnberg unter Vorsitz von Richter Prof. Dr. Dr. Alfred Holzer-Thieser aus dem Jahre 2007 (Az 7 Sa
182/07) ausgeschlossen:

Kündigung eines 47jährigen Teigmachers nach 31 Jahren Betriebszugehörigkeit wegen des Verdachts der Entwendung eines 500-Gramm-Brotes (Preis wahrscheinlich 1,30 EUR). Der Teigmacher bestritt den Vorwurf. Gegen ihn sprach ein Zeuge, der ihn mit einem Brot gesehen hatte. Das ist insgesamt doch dünn, das Gericht macht sich also Gedanken: "Mit seinem Gehverhalten hat der Kläger den Tatverdacht weiter gesteigert." Auch in diesem Urteil wird die Rechtmäßigkeit der Kündigung mit dem zerstörten Vertrauen des Untermnehmens und einer Zukunftsprognose begründet. Die vom Bundesarbeitsgericht vorgeschriebene Interessenabwägung wird wie üblich vorgenommen: Ein Hauptsatz mit der Erwähnung von drei Sachverhalten zu Gunsten des Beschäftigten. Eine Gliederung von fünf Punkten und insgesamt achtzehn Sätzen mit Bezügen zu den Schriftsätzen des Unternehmens mit Begründungen zugunsten des Unternehmens.

Interessant an diesem Urteil ist, wie das LAG Nürnberg in der Interessenabwägung auf die lange Betriebszugehörigkeit des Teigmachers eingeht:

"Seine Betriebszugehörigkeitsdauer von 31 Jahren hält die Kammer für gewichtungsneutral, da einerseits zwar eine lange Betriebszugehörigkeitsdauer das Bestandsschutzinteresse steigert, andererseits aber die Zerstörung des Vertrauens um so schwerer wiegt, je länger dem Arbeitnehmer Vertrauen entgegen gebracht worden ist."


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