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Updated: 18.12.2012 15:51
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Wildwest überall

Nokia in Bochum, Continental in Mexiko: Betriebsschließungen aus Profitgründen sind keine Domäne ausländischer »Heuschrecken«

Artikel von Stephan Krull, zuerst erschienen in der jungen Welt vom 29.01.2008

Über die angekündigte Schließung des Nokia-Werkes in Bochum ist ganz Deutschland empört: Regierung und Parteien, die Presse und natürlich Gewerkschaften. Die Empörung ist berechtigt, wenn auch bei einigen scheinheilig. Vielen ist bange um den »Standort Deutschland«, andere sorgen sich um die Qualität der »deutschen Facharbeit«, wieder andere mahnen vor Kriminalität und Unsicherheit in Rumänien und empören sich über das unpatriotische Verhalten »der Finnen«. IG-Metall-Chef Berthold Huber sagte bei der Demo am 22. Januar in Bochum: »Nokia hat den Bochumer Beschäftigten nicht die Pistole auf die Brust gesetzt -der Konzernvorstand hat gleich geschossen. Das ist Wild-West-Kapitalismus. Das haben wir in Deutschland so noch nicht erlebt.« Doch das Gedächtnis der meisten Menschen in unserem Lande ist nicht so schlecht, daß sie Siemens und die Deutsche Bank vergessen hätten. Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland haben zur Genüge Jobs vernichtet, man denke nur an die Bahn, die ihre Belegschaft auf 180000 Beschäftigte halbiert, an BMW, das den Abbau von 8000 Jobs angekündigt hat. Auch Opel, Ford, Daimler und VW vernichteten in den vergangenen Jahren Zehntausende Arbeitsplätze.

Was hier Nokia, ist den Mexikanern schon lange Continental - der Plattmacher von Fabriken und Arbeitsplätzen. »Conti«, ein DAX-Konzern mit Sitz in Hannover, ist gerade dabei, sich zu einem der größten High-Tech-Autozulieferer weltweit zu mausern. Da paßt die schmutzige und personalintensive Reifenproduktion nicht mehr recht ins Konzept. Also lagert man aus und baut ab. Vorläufig letzter Coup hierzulande war die vertragswidrige Liquidierung der Reifenproduktion in Hannover. Vertragswidrig, weil einvernehmliche Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerungen am Ende nicht zur versprochenen »Standortsicherung« genügt haben. In Tschechien wird billiger und flexibler produziert, also brach die Conti die Verträge.

Schon die Hannoveraner hätten von ihren Kollegen in Mexiko lernen können; wenn bei Nokia in Bochum diese Lehren nicht umgesetzt werden, ist jeder Protest hohl. Der Conti-Betrieb Euzkadi bei Guadalajara wurde von der Belegschaft besetzt, als Konzernchef Werner Wennemer die Schließung angedroht hatte. Die Belegschaft verhinderte, daß Material und Maschinen weggeschafft wurden. Arbeitsgerichtliche Verfahren wurden angestrengt und in Mexiko und Deutschland politisch mobilisiert - nicht zuletzt auf den Aktionärsversammlungen des Konzerns. Mehr als drei Jahre dauerte der Kampf der Belegschaft, und am Ende haben sie gewonnen. Es gibt jetzt am Standort Guadalajara eine Genossenschaft mit über 600 Beschäftigten, die gute Reifen produzieren und die sich in das politische und soziale Leben Mexikos einmischt.

Jetzt hat sich die Konzernführung den nächsten Betrieb in Mexiko vorgenommen: In San Louis Potosi wurden von der Geschäftsführung alle Tarifverträge gekündigt. Die Gewerkschaft soll über ein arbeitsgerichtliches Verfahren gezwungen werden, einer Halbierung der Löhne sowie einer rigorosen Flexibilität zuzustimmen. Doch die unabhängige Gewerkschaft der Beschäftigten in San Louis Potosi wird um die politischen und sozialen Rechte gegen die Heuschrecke aus Deutschland kämpfen. Am 29. Ja­nuar gibt es ein nationales Forum zur Verteidigung des Tarifvertrages der Gummiindustrie in der mexikanischen Abgeordnetenkammer. Zahlreiche unabhängige Gewerkschaften, darunter die der Telefonarbeiter, Elektriker, Bergleute unterstützen das Anliegen. Für den 31. Januar mobilisieren die Gewerkschaften zu einer großen Kundgebung gegen die geplante Ausweitung der Freihandelsabkommen. Dabei soll auch der erneute Angriff von Continental thematisiert wird.

In einem Brief an den mexikanischen Präsidenten zeigten sich die Gewerkschafter »empört über die Komplizenschaft der mexikanischen Behörden mit den Versuchen der Gummiverarbeitenden Industrie in Mexiko, insbesondere der Firma Continental Tire/San Luis Potosí, den in dieser Branche geltenden Tarifvertrag zu verstümmeln und drastische Lohnkürzungen durchzusetzen«. Auch haben die Arbeiter angekündigt, im April nach Deutschland zu kommen, um die hiesige Öffentlichkeit über das Heuschreckengebaren eines BRD-Unternehmens zu informieren. Die Sorge besteht darin, daß die Conti-Führung - wie schon in anderen Fällen - einen großen Konflikt provoziert, um die Produktion völlig einzustellen und die Fabrik wegen »wilder Streiks« zu schließen. In einem Brief an Wennemer verlangten die mexikanischen Beschäftigten: »Alle Arbeiter sollten gerechte Löhne und tariflich vereinbarte Zusatzleistungen bekommen, die ihnen und ihren Familien ein würdiges Leben ermöglichen. Die von Ihnen geplante Maßnahme würde die mehr als 800 Arbeiter und ihre Familien in äußerst prekäre Lebensumstände stürzen, denen sie durch jahrelange Arbeitskämpfe und günstige Tarifverhandlungen bisher entgehen konnten.«


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